Virus-Mythen 7: Serosorting schützt – wen?

„Serosorting ist eine wirksame Methode, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen“ – dieser gefährliche Mythos geistert immer wieder unreflektiert durch die Szenen – und wird von diesen leider auch selbst befeuert, z.B. von unüberlegten Grafiken.

Serosorting ist eine Technik der Risiko-Reduzierung. Eine Technik, bei der sich Menschen ihre Sex-Partner nach dem gleichen Sero-Status aussuchen. Auf deutsch:  HIV-Positive vögelt mit HIV-Positiv, HIV-Negativ mit HIV-Negativ. Das Sex-Leben, sortiert nach dem HIV-Sero-Status.

Auf dem US-Blog LifeLube wird ein Artikel über Serosorting folgendermaßen illustriert:

Serosorting à la LifeLube
Serosorting à la LifeLube

Eine lustige Illustration des Serosorting, die die Aufmerksamkeit der Leser weckt.
Nur – auch eine verantwortliche?
Vor allem mit dem Zusatz „let’s fuck!“?

Serosorting ist eine Technik der Infektionsvermeidung, die in ihren unterschiedlichsten Facetten und Anwendungen zwar weit verbreitet ist, aber ihre riskanten Seiten hat – z.B. wenn man sich über den vermuteten Serostatus (den eigenen oder den des Partners) getäuscht hat.

Zwischen HIV-Positiven mag Serosorting eine mögliche Variante sein – wenn ein Positiver mit einem Positiven Sex ohne Kondom hat, dürfte dies (zumindest im Kontext HIV-Infektion) gerade nach dem EKAF-Statement wenig relevant sein.
Zwischen (vermutet) HIV-Negativen hingegen wird die vermeintlich sicherheitsfördernde Strategie des Serosortings nur zu leicht zur Illusionswelt mit erhöhtem Risiko. Wenn der vermeintlich HIV-negative Partner vielleicht doch HIV-positiv ist, nur bisher nichts von seiner Infektion weiß – was dann? Phantom negativ? Wie riskant wird eventuell dann, was eigentlich als Strategie der Risikominimierung gedacht war?

Serosorting zwischen nicht-Positiven – eine gefährliche Strategie.

Und weit verbreitete Missverständnisse über Serosorting sollten durch unüberlegte Illustrationen  nicht noch befeuert werden …

weitere Informationen:
LifeLube 18.07.2009: Unprotected Sex Between HIV-Infected Partners Keeps Immune Responses Activated
.

Superinfektion: keine Hinweise bei Sex ohne Kondom zwischen langjährigen Partnern

Eine Studie bei langjährigen HIV-positiven Paaren, die beim Sex keine Kondome benutzen, hat keine Hinweise auf HIV-Superinfektionen erbracht. Im Gegenteil, eine häufige Auseinandersetzung mit dem Virus des Partners stand in klarer Beziehung zu einer deutlichen Immunantwort gegen dieses Virus.

Seit langem ist eine der Gefahren, mit denen sich HIV-Positive konfrontiert sehen, die Gefahr einer Superinfektion. Superinfektion bedeutet, dass zu der schon vorhandenen HIV-Infektion noch eine Infektion mit einem weiteren HIV hinzu kommt. Neben einer zusätzlichen Schwächung des eigenen Immunsystems könnte hier eine besondere Gefahr darin liegen, dass mit der zusätzlichen HIV-Infektion auch Resistenzen gegen Medikamente ‚übertragen‘ werden.

Superinfektion – was ist dran?, fragen sich immer wieder Positive.

Doch immer mehr Daten deuten darauf hin, dass diese Superinfektion für viele HIV-Positive nicht viel mehr als eine vermeintliche, theoretische aber nicht reale  Gefahr ist.

Zwar berichten Wissenschaftler gelegentlich über Fälle von Superinfektionen, sowohl bei frischer erster HIV-Infektion, als auch bei chronischer HIV-Infektion. Hierbei scheint es sich jedoch -gerade wenn es um die Konstellation einer chronischen HIV-Infektion geht- um Einzelfälle zu handeln. Allerdings gab es bisher kaum zuverlässige Daten darüber, in welchen Konstellationen es wie häufig Superinfektionen kommt (geschweige denn, wie riskant die Auswirkungen in der Praxis sind).

Dies hat sich nun geändert.

Studie zu Superinfektion (Screenshot: ondamaris)
Studie zu Superinfektion (Screenshot: ondamaris)

In der Ausgabe der online-Fachzeitschrift Plos Pathogens (24. Oktober 2008) berichten Willberg und seine Mitarbeiter (University of California, San Francisco) über eine Studie, in der sie an 49 HIV-Positiven, die alle aufgrund erfolgreicher antiretroviraler Therapie eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hatten, deren HIV-spezifische Immunantwort untersuchten.

Die (kleine) Gruppe wurde für die Datenanalyse unterteilt: in eine von 29 HIV-Positiven, bei denen auch der Partner eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hatte, und eine Gruppe von 20 Positiven, bei deren Partner Viruslast nachweisbar war. Hinsichtlich Beziehungsdauer, Alter, Infektionsdauer, Zeit antiretroviraler Behandlung und CD4-Wert bestand zwischen beiden Gruppen kein signifikanter Unterschied.

Es gab  bei der Analyse keine Zeichen einer Superinfektion. Allerdings konnte in der Gruppe der Positiven, die einen Partner mit Viruslast hatten, eine deutlich stärkere Immunantwort gegen HIV-Bausteine festgestellt werden. Dabei war die Immunantwort um so ausgeprägter, je häufiger Sex ohne Kondom stattfand, insbesondere je häufiger rezeptive Aufnahme erfolgte (sprich: er der ‚passive‘ Sexpartner war).

Die Autoren der Studie vermuten, dass die verbesserte Immunantwort darauf zurückzuführen sei, dass zwar eine gewisse Form von Superinfektion stattfinde (die dann die Auseinandersetzung des Immunsystems mit HIV mit sich bringe), diese sich aber auf die Schleimhäute beschränke.

Die Studie scheint nahezulegen, dass selbst bei Personen mit nachweisbarer Viruslast und mit  HIV, das Medikamentenresistenzen hat, das Risiko, den HIV-positiven Partner mit diesem ‚resistenten HIV‘ zu infizieren (Superinfektion) sehr gering ist, selbst wenn dieser der ‚passive‘ Sexpartner ist, resümiert aidsmap.

Ob die Studienergebnisse auch bei wechselnden Sex-Partnern gelten, dazu gebe es keine Informationen. Die Forscher vermuteten, dass für die beobachtete Immunantwort die häufige Auseinandersetzung mit dem gleichen HIV (des Partners) verantwortlich sei.

Der Studie kommt besondere Bedeutung auch zu angesichts der häufigen Praxis des Serosortings – Menschen suchen sich einen Sexpartner mit gleichem HIV-Status, um dann Sex ohne Kondom haben zu können.

Willberg CB et al. „Immunity to HIV-1 is influenced by continued natural exposure to exogenous virus.“ PLoS Pathogens 4 (10): e1000185, 2008.
Artikel (in englischer Sprache) gratis online hier

Bareback verbieten ? (akt.)

Mit einem völlig neuen, innovativen und sehr freiheitlichen Vorschlag greifen die Schwusos Hamburg in die aktuelle Bareback-Debatte ein:

Schwusos Hamburg: Bareback verbieten
Schwusos Hamburg: Bareback verbieten

Danke an TWIMC für das Bild!

Nachtrag 07.09.2008:
hier das Motto der Schwusos komplett und in ‚voller Schönheit‘ … [© Schwusos Hamburg]

Schwusos Hamburg: Bareback verbieten!
Schwusos Hamburg: Bareback verbieten!

Zur Frage, wie dümmlich oder gefährlich dieser Vorschlag ist, verkneife ich mir jeglichen Kommentar …

Phantom negativ

„Du bist wohl HIV-negativ?“ Ich sitze neulich mit einen lieb gewonnenen Mann in einem Café, wir sprechen über HIV, über die Nachrichten aus der Schweiz und deren mögliche Konsequenzen.
„Zumindest weiß ich von keinem positiven Testergebnis“, antwortet er spontan. Ich merke auf. Freue mich.

Worüber? Nun, Tobias (nennen wir ihn hier einmal so) hätte auch sagen können „ja, ich bin HIV-negativ“.
Ist doch das gleiche? Nein, eben nicht.

Tobias hat scheinbar verstanden, dass ein negatives Testergebnis maximal etwas aussagt über seinen HIV-Status einige Wochen vor der Blutentnahme seines letzten Tests, nichts jedoch über seinen derzeitigen Serostatus. Hat die (potenziell riskant) schwarz-weiß-Malerei des ‚positiv – negativ‚ durchschaut.

„Der HIV-Negative ist sozusagen ein Phantom. Die meisten Menschen, die sich HIV-negativ wähnen, glauben dies aufgrund eines Tests, der je nach dem Monate bis Jahre zurückliegt. Oder sie glauben es sogar ohne jeden Test. Das ist psychologisch zwar verständlich, von der Sache her aber völlig unberechtigt.“ (Dr. Dr. Stefan Nagel, „Verantwortung und HIV-Prävention“, Rede zum Welt-Aids-Tag 2007 in der Frankfurter Paulskirche, in: posT März 2008)

Eine eher akademische Unterscheidung?
Keineswegs.

Stellen wir uns vor, eben jener Tobias lernt einen Paul kennen. Paul meint, er sei HIV-negativ. Nun, Pauls letzter HIV-Test liegt schon einige Jahre zurück, und in der Zwischenzeit hat er nicht gerade enthaltsam gelebt, durchaus das ein oder andere Abenteuer gehabt. ‚Aber meistens safe‘, denkt Paul bei sich, und geht davon aus, HIV-negativ zu sein.
Paul und Tobias finden Gefallen an einander, haben Sex zusammen (auch Sex, der potenziell ‚infektionsrelevant‘ ist) – ohne Kondom, denn beide sind ja -so glauben sie- HIV-negativ. Sie haben ihr jeweiliges Risiko, meinen sie, sorgsam geprüft, und schließlich, mit einem andere Negativen, was soll denn da passieren.

Tobias und Paul haben Serosorting betrieben – ein „Ausloten“ des HIV-Serostatus des jeweiligen Sex-Partners. Ein Ausloten, das nur zu oft eher ein ‚Seroguessing‘, ein Vermuten des Serostatus ist.

Was aber nun, wenn einer von beiden, egal ob Paul oder Tobias, sich seit seinem letzten Test mit HIV infiziert hat? Er sein eigenes Negativ-Sein nur vermutete, seinen positiven Serostatus nur nicht kennt?
Dann hatten beide Sex ohne Kondom mit einander, mit möglicherweise hohem Risiko einer HIV-Übertragung. Weil sie vermuteten …

Die oft gehörte Frage ‚Bist du gesund?‚ …
Serosorting ist eine Technik der Infektionsvermeidung, die in ihren unterschiedlichsten Facetten und Anwendungen zwar weit verbreitet ist, aber ihre riskanten Seiten hat – z.B. wenn man sich über den vermuteten Serostatus (den eigenen oder den des Partners) getäuscht hat.

Zwischen HIV-Positiven mag Serosorting eine mögliche Variante sein – wenn ein Positiver mit einem Positiven Sex ohne Kondom hat, dürfte dies (zumindest im Kontext HIV-Infektion) wenig relevant sein.
Zwischen (vermutet) HIV-Negativen hingegen wird die vermeintlich sicherheitsfördernde Strategie des Serosortings nur zu leicht zur Illusionswelt mit erhöhtem Risiko. Serosorting zwischen nicht-Positiven – eine gefährliche Strategie.

Und das Beispiel zeigt noch eines:
Gerade in Zeiten, in denen das HIV-Übertragungsrisiko bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie gravierend sinken kann, gewinnt ein HIV-Test (wenn mit anschließender Therapie bei positivem Ergebnis) auch präventive Aspekte. Ein wissend HIV-Positiver, der eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie durchführt, dürfte wohl deutlich weniger infektiös sein als ein vermeintlich HIV-Negativer, der realiter nur noch nicht von seinem positiven HIV-Status weiß und unbehandelt ist.

Endlich spricht jemand das aus …

Zur Stellungnahme der Schweizer “Eidgenössische Kommission für Aidsfragen” (EKAF) zur Frage der Infektiosität bei wirksamer antiretroviraler Therapie (siehe gestriger Beitrag „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie„) im Folgenden als Dokumentation ein Kommentar von Bernd Aretz, Aids-Hilfe Offenbach:

Endlich spricht hier jemand das aus, was seit Jahren hinter den geschlossenen Türen der Ordinationsräume in vielen Praxen kommuniziert wird. Als ein Mann, der als Betroffener seit 1984 in Aids-Hilfe auf allen Ebenen engagiert ist, weiß ich das nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung sondern aus dem Alltag unserer Beratungsstelle sowie Gesprächen mit kaum zu zählenden HIV-infizierten Frauen und Männern. Das bisherige öffentliche Schweigen hat die Prävention erschwert. Da gefühlsmäßig die Gefahr bei den wissenden Positiven verortet wird, hat sich im schwulen Leben die Unsitte des negativen Serosortings breitgemacht. Da suchen Männer für flüchtige Begegnungen Männer, die angeben, negativ zu sein und begeben sich damit genau in die Bereiche, in der es aufgrund der hohen Infektiosität während der Primoinfektion besonders gefährlich ist. Der offene Umgang mit der Infektion wurde erschwert, weil Positive, wenn sie ihren Status offen kommunizieren, in einem erheblichen Masse mit Ablehnung als potentielle Sexualpartner rechnen müssen. Verlogenheiten, Depressionen, übermäßiger Konsum von Alkohol sind eine häufige Folge. Die Chance, die Compliance zu erhöhen wird leichtfertig verspielt. Die Verheißung, mit Partnern in der Lebensbeziehung angstfrei verkehren zu können, kann die Motivation zum Test und zur Behandlung erhöhen.

Durch das Auseinanderfallen von Beratung im Arztzimmer, den persönlichen Erfahrungen Betroffener und dem öffentlichen Diskurs verliert die Prävention insgesamt an Glaubwürdigkeit, auch soweit es um andere STDs geht. Das bisherige Schweigen ist nicht unschuldig, weil es der ungerechtfertigten Strafverfolgung wirksam Behandelter Vorschub geleistet hat.

Was das Gefühl, als gefährlich wahrgenommen zu werden und im Interesse einer breiten Prävention als Angstgegner funktionalisiert zu werden, mit den Seelen machen kann und wie es in diskordante Partnerschaften einwirken kann, liegt auf der Hand.

Selbst wenn auch unter guter Therapie ein theoretisches Restrisiko verbleiben sollte, so steht doch fest, das dies statistisch irrelevant ist, gemessen an den Schäden, die das Verschweigen verursacht.

Danke und Respekt also an die EKAF und Herrn Prof. Vernazza für ihre offenen Stellungnahmen.

Bernd Aretz

Aids-Hilfe Offenbach

© Bernd Aretz

HIV-Status und Prävention

Die Wege der HIV-Prävention müssen sich weiter entwickeln, differenzierter werden. Sagt das RKI:

„Für diejenigen, HIV-Positive und HIV- Negative, die die Kondomverwendung vom eigenen HIV-Status und dem des Partners abhängig machen, brauchen wir in der Tat neue Präventionskonzepte, und wir müssen hier klarer machen, unter welchen Bedingungen eine solche Strategie funktioniert und welche Probleme es dabei gibt.“

(Dr. Ulrich Marcus vom Robert-Koch-Institut in der Jungen Welt)

Bist du gesund?

‚Bist du gesund‘ – ‚Und dann?‘ ‚Lassen wir die Kondome weg …‘ Viele (nicht nur schwule) Menschen suchen sich möglichst Sexpartner mit gleichem HIV-Status, um Risiken zu vermindern. Eine wirksame Strategie? Oder eher eine gefährliche, die Risiken erhöhen kann?

‚Bist du gesund?‘
‚Bist du sauber?‘
‚Gesundheit gewünscht und geboten‘
Solche Formulierungen hört man oft, wenn es darum geht, (nicht nur Sex-) Partner zu suchen, oder liest sie in Profilen auf diversen Portalen.

Manchmal muss ich dann schmunzeln.
Mir juckt es in den Fingern.
Einfach mal sagen ‚Ja, ich hab heut morgen geduscht, klar!‘.
Oder ‚Klar, meine Erkältung ist schon seit Tagen wieder weg.‘

Nein, keine Angst, das sind nur Gedankenspiele. Natürlich ist mir klar, dass hinter diesen Formulierungen ein notdürftig verdecktes Schutz-Interesse steht. Aber leider manchmal auch seltsame Vorstellungen über das HIV-Infektionsrisiko. Hofft der Fragende, mit dieser Frage oder Ankündigung etwaige Risiken von sich fern zu halten? Sozusagen verbales Sagrotan?

Selbst viele Dating-Sites wie auch die blauen Seiten bieten ja eine Auswahl, in der man Angaben zu seinem HIV-Status machen kann (z.B. ‚Vorlieben beim Safer Sex‘: Immer, Nie, nach Absprache, keine Angabe). Und erleichtern so die Suche nach Partnern mit einem ‚passenden‘ Serostatus. Nach einem Weg, einen Kompromiss zwischen Sicherheit und Kondomfreiheit zu finden. Tatsächlich?

Klar, für Positive ist die Frage nach HIV ganz praktisch. Viele Positive suchen sich als Partner möglichst Menschen, die ebenfalls positiv sind. Wer schon positiv ist, den kann man (zumindest wenn man ein etwaiges Risiko einer Superinfektion vernachlässigen will) nicht nochmal mit HIV infizieren. Man spart meist sich die ständige Rederei über HIV und Aids, Infektionsrisiken, und die Kondome oftmals (das Risiko anderer sexuell übertragbarer Infektionen vernachlässigend) gleich auch.
Eine Strategie des Risiko-Managements, die für viele HIV-Positive funktioniert und eine Balance ermöglicht.

Aber funktioniert diese Strategie auch für HIV-Negative? Sich nur HIV-Negative zu suchen, um mit denen dann Sex ohne Kondom haben zu können?

Ich überlege, ob es nicht eigentlich ein wenig naiv ist für einen HIV-negativen Mann, jemanden nach seinem Serostatus zu fragen.

Zunächst einmal, erwartet er von jemandem, den er kaum kennt, eine ehrliche Antwort auf die Frage ‚Bist du positiv‘?
Würde er selbst sie geben? Dass jeder Partner die Wahrheit in Bezug auf seinen HIV-Status sagt, ist zumindest eine mutige Annahme.
Und wenn der potenzielle Partner dann ehrlich ist und sagt er sei HIV-positiv, was dann? Lehnt man ihn dann (höflich, na klar …) als Partner ab? Und erwartet dennoch, dass der beim nächsten mal weiterhin ehrlich antwortet?

Aber selbst, wenn der Partner auch ehrlich sagt, er sei HIV-negativ – was heißt das? Maximal, dass er bis einige Wochen vor seinem letzten HIV-Antikörper-Test nicht HIV-infiziert war.
Und die Zeit danach? Wenn er/sie sich in den letzten Wochen oder Monaten infiziert hat, nach dem letzten Test? Gerade in den ersten Monaten der Infektion, der akuten Phase, ist die Infektiosität am höchsten …

Für HIV-Negative kann die Strategie, sich ebenfalls nur HIV-negative Sex-Partner zu suchen (Serosorting), zu einem gefährlichen Vabanque-Spiel vorgegaukelter falscher Sicherheit werden.
Erst recht, wenn man/frau nicht den Mut aufbringt, offen zu fragen, sondern schwiemelig fragt „bist du gesund?“ Und dann mit der Antwort auf eine ungewisse Frage Annahmen macht, Konsequenzen zieht in Sachen safer sex.

Klar, es ist gut, wenn HIV-Negative auch HIV-negativ bleiben, sich nicht mit HIV infizieren wollen. Aber die Strategie, die manche dazu benutzen, dürften wenig zielführend sein. Falsche Annahmen und Irrtümer produzieren, die sich als riskant erweisen könnten.

Und was dann?
Davon ausgehen, dass jeder potentielle Partner HIV-infiziert sein könnte – und sich entsprechend schützen.
Eine manchmal ungeliebte, unbequeme, aber schützende Alternative. Eine Alternative, die zumindest wirksamer sein dürfte als verbales Sagrotan …

Präventionsgedanken 2: weniger Patentrezepte

Abstinenz, Repression – alles keine zweckdienlichen Wege in der HIV-Prävention. Aber – wohin könnte sich Prävention weiter entwickeln? Welche Fragen stehen im Raum?

Weniger Patentrezepte

Heutige Präventionsbotschaften haben oft einen universellen Ansatz – eine auf alle Situationen und Zielgruppen anwendbare ‚Patentlösung‘ (von „Aids geht alle an“ über „immer mit“ bis „raus bevor’s kommt“).
In der persönlichen Situation und Einschätzung von potentiellen Gefährdungen und Risiken hilft das oftmals wenig, wird praxisfremd. Und nicht (effizient) in eigenes Handeln umgesetzt.

Können Präventionsbotschaften noch mehr als bisher auf die individuelle Situation abgestellt werden, auch um ein persönliches Risikomanagement zu ermöglichen? Wie weit können dabei unterschiedliche Infektionsrisiken und ihre Wahrnehmung deutlicher thematisiert werden?
Dies reicht von
Fehleinschätzungen von Infektionsrisiken (Beispiel Analverkehr / Risiko Darmschleimhaut) bis zur deutlich gesenkten Infektiosität bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie, und sollte Verharmlosungen wie Übertreibungen vermeiden, aber auch konkrete lebbare Handlungsmöglichkeiten (z.B. für serodiskordante Paare) umfassen.
Nicht nur sagen, was nicht geht, sondern auch was (und unter welchen Umständen) geht.


Eine Veränderung der Botschaften in der Prävention könnte auch beinhalten, dass häufigere / regelmäßige Untersuchungen auf sexuell übertragbare Infektionen auch der eigenen Gesunderhaltung dienen.
Der früher in Großstadt-Szenen teilweise selbstverständliche „schwule
Gesundheits-Check“ ist weitgehend in Vergessenheit geraten.
Gesundheitsvorsorge, einschließlich Untersuchungen auf sexuell übertragbare Krankheiten, sollten dabei auch kostengünstig und niedrigschwellig möglich sein. Hierbei dürften sich Reduzierungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (z.B. bei Beratung und Untersuchung in Gesundheitsämtern) eher als schädlich erweisen.

HIV ist nicht überall gleich
Wenn, wie das RKI feststellt, großstädtische Ballungsräume den Schwerpunkt der HIV-Epidemie in Deutschland bilden – brauchen wir dann auch eine stärkere Fokussierung der Mittel auf diese Räume? Und vielleicht in diesen Ballungsräumen auch neue Ansätze wie den in San Francisco geplanten ‚HIV-Präventions- Direktor‚?
Muss sich Prävention stärker den jeweiligen Gegebenheiten des jeweiligen Ballungsraums anpassen (was in München funktioniert, muss in Berlin noch lange nicht ebenso funktionieren)?

Die Sichtbarkeit von HIV
HIV und Aids sind heute aus den verschiedensten Gründen wesentlich weniger sichtbar als noch vor einigen Jahren.
Statt im (auch eigenen) Alltag, auf der Straße (Aids- Aktivismus) und in den eigenen Subkulturen (positive und erkrankte Bekannte etc) findet die Auseinandersetzung mit Aids heute weitgehend in der Arztpraxis statt.

Diese geringere Sichtbarkeit ist nicht nur ein Phänomen äußerer Wahrnehmbarkeit, sondern hat auch Wirkungen auf Verhalten.
Ein Beispiel ist das Serosorting (das in der Realität wohl doch oft eher ‚Seroguessing‚ ist – ein Vermuten (nicht Wissen) des HIV-Status des momentanen Partners): neuere Studien zeigen, dass besonders Schwule, die keine oder nur geringe Nähe zu HIV-Positiven haben, mit einer wohl naiv zu nennenden Arglosigkeit erwarten, dass alle Positiven ihren Serostatus vor sexuellen Handlungen offen legen (während Schwule, die größere Nähe zu Positiven haben, der Mitteilung des Serostatus keine besondere Bedeutung beimessen).
Wenn ein Partner nichts sagt, wird der eigene Serostatus auch bei ihm vermutet, entsprechendes (oft unsafes) Verhalten für möglich gehalten.

Die mangelnde Sichtbarkeit von HIV und HIV-Positiven berührt auch einen weiteren Punkt. Etwa ein Drittel aller Aids-Todesfälle seien heutzutage evtl. auf ein zu spätes Erkennen der eigenen HIV-Infektion zurückzuführen, schreibt das RKI. Todesfälle, die bei rechtzeitigem Erkennen der eigenen Infektion und entsprechender Behandlung evtl. vermeidbar wären.

Können in einer wieder stärkeren Sichtbarkeit von HIV und Aids neue Ansatzpunkte für die Prävention liegen? Z.B. in einer stärkeren Fokussierung? Oder in stärkerer Sichtbarkeit, Wahrnehmbarkeit HIV-positiver Menschen?
Und sind zusätzliche, klarere Informationen erforderlich, gerichtet sowohl an Ärzte als auch in die jeweiligen Szenen (z.B. über das eventuelle Erkennen einer eigenen Infektion)?

Überhaupt, die Ärzteschaft. Immer mehr rückt sie in den Mittelpunkt des Geschehens, der Arzt wird zum zentralen Ansprechpartner. Sollte er dann auch vermehrt Präventionsbotschaften vermitteln, informieren und beraten?
Oder führt die zunehmende Medikalisierung nicht gerade jetzt schon zu zusätzlichen Problemen?

Die HIV-Prävention muss und wird sich angesichts veränderter Rahmenbedingungen weiter entwickeln. Können und wollen neben Präventions-Experten, Politikern, Medizinern auch Menschen mit HIV und Aids sich als ‚Experten in eigener Sache‘ in die weitere Entwicklung einbringen?



Positiv – Negativ

Bisher gibt es beim Thema Menschen, die HIV-infiziert sind, eine beinahe klassische Dichotomie: „ich bin negativ“ vs. „ich bin positiv“.
Nur – diese Dichotomie führt -wie so manche schwarz- weiß-Malerei- in die Irre.

In eine Irre, die gleich mehrere Dimensionen hat.

– Die Veränderbarkeit: HIV-positiv zu sein ist ein Zustand, der (zumindest derzeit, solange es keine Heilung von HIV gibt) unumkehrbar ist. Einmal HIV-positiv, immer HIV-positiv. Ein Test-Resultat als eindeutige Wegmarke. HIV-negativ zu sein hingegen ist ein Zustand, der sich jederzeit ändern kann.

– Das Bewusstsein: Wenn ich (nach einem positiven Testergebnis) weiß, dass ich HIV-positiv bin, kann (muss) ich mir dessen für die Zukunft sicher sein. Eine unumkehrbare Faktizität.
Wenn ich nach dem selben Test erfahre, dass das Ergebnis HIV-negativ lautet, so heißt das maximal, dass ich bis vor drei Monaten nicht HIV-infiziert war, dieser Zustand sich jedoch (riskantes Verhalten vorausgesetzt) ändern kann. Ändern kann auch ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Ein unsicherer Zustand.

– Das Ergebnis: eine Begriffs-Verwirrung, die dennoch heute weiterhin gerne verwendet wird. Mit weit reichenden Konsequenzen.

So gibt es eine (zahlenmäßig nicht zu unterschätzende) Gruppe von Menschen, die mit HIV infiziert sind, dies jedoch nicht wissen. Umgangssprachlich möchte man meinen, sie seinen HIV-positiv. Nur – davon wissen sie nichts, gehen vermutlich in der Regel davon aus, sie seien HIV-negativ.
Menschen ohne bisherigen HIV-Test, aber auch Menschen mit einem (zurückliegenden) negativen HIV-Test-Ergebnis können durchaus HIV-infiziert sein – halten sich aber für ‚HIV-negativ‘.

Oder anders ausgedrückt: jeder, der kein positives Testergebnis hat, hält sich für negativ – unabhängig vom Infektionsstatus.

Negativ – Positiv, diese bipolare Unterscheidung führt in eine Präventions-Sackgasse.
Die Konstellation, HIV-infiziert zu sein, jedoch bisher kein positives Testergebnis zu haben, von seinem Infektions- Status nicht zu wissen, diese Konstellation findet in der Begriffs-Bipolarität positiv-negativ nicht statt.

Diese Unterscheidung mag zunächst akademisch erscheinen. Leider hat sie jedoch ganz praktische Konsequenzen – z.B. bei den HIV-Neu-Infektionen.
Das Problem: ich halte mich für HIV-negativ, und verhalte mich (mit anderen vermeintlich ebenfalls nicht HIV-Infizierten) nicht immer safe (Serosorting).
Die Folge: HIV-Negative (oder besser: Personen, die selbst davon ausgehen, derzeit HIV-negativ zu sein) erhöhen ihr Risiko sich mit HIV zu infizieren durch diese Strategie, wie Studien zeigen. Der Grund: unerkannte HIV-Infektionen – Menschen, die sich für HIV-negativ halten, tatsächlich jedoch HIV-infiziert sind, nur bisher nicht von ihrer Infektion wissen.
Einer der Gründe für ein erhöhtes Risiko könnte darin liegen, dass ‚ungetestet HIV-Positive‘ scheinbar besonders häufig zu unsafen Sexpraktiven tendieren, wie eine
CDC-Studie zeigt.

Die Termini ‚positiv‘ und ’negativ‘ sagen streng genommen nichts über den Infektions-Status aus, sondern nur etwas über ein Test-Ergebnis. Die Lücken, die genau dazwischen liegen können, bleiben bisher verdeckt.

Den Infektionsstatus gibt zutreffend nur wieder das Begriffspaar ‚infiziert‘ und ’nicht infiziert‘. Nur, dass jemandem, der infiziert ist, davon aber nichts weiß, damit nicht geholfen ist.

Ergo: brauchen wir eine neue Begrifflichkeit?

Eine Begrifflichkeit, in der weiterhin ‚positiv‘ diejenigen Menschen sind, die positiv getestet sind (die HIV-infiziert sind und davon nach einen positiven Testergebnis wissen). Aber – welcher Begriff bietet sich für die anderen, eventuell unklareren Zustände an?

Über das Infektionsrisiko

Lässt sich das HIV-Infektionsrisiko durch die Partnerwahl senken? Oder durch eine wirksame anti-HIV-Therapie? Ein Blick in Zahlen und Studien und eine sachliche Debatte über neue Wege der HIV-Prävention hilft sicher mehr als Aufgeregtheiten à la Spahn.

Dass die Zahl der HIV-Neu-Infektionen möglichst gering gehalten werden sollte, ist unstrittig. Über den Weg, dieses Ziel zu erreichen, hingegen gibt es große Meinungsunterschiede – bis hin zu Äußerungen, die darauf zielen, Positiven einseitig die Verantwortung zu zu weisen, oder gar Vorschlägen, die de facto versuchen mit dem Strafrecht Prävention zu betreiben.
Diese Aufgeregtheiten führen sicherlich nicht zu einer seriösen Debatte, die sie die jüngste Resolution des 120. Positiventreffens einforderte. Ein Blick in einige Zahlen und Studien hingegen vielleicht schon. Zahlen, die einige Informationen liefern können

– wo Infektionen stattfinden,
– ob es hilft, seinen Sexpartner nach dem HIV-Status zu suchen (Serosorting), oder
– wie sich eine Kombitherapie auf die Infektiosität auswirkt.

Wo finden Neu-Infektionen statt?
Wenn diskutiert wird, wie auf steigende Zahlen an HIV- Neudiagnosen zu reagieren sei, lohnt neben einer differenzierten Betrachtung nach Regionen auch ein Blick darauf, in welchem Kontext denn Infektionen stattfinden: Ein wesentlicher Teil (etwa 25%) findet in Beziehungen statt, bei Heteros sogar etwa 50% 1).
Ein weiterer großer Teil findet statt durch Menschen, die selbst erst kurze Zeit HIV-infiziert sind (und dies u.U. nicht einmal selbst wissen): eine kanadische Studie kam zu dem Ergebnis, dass 50% der HIV-Übertragungen durch Menschen mit primärer HIV-Infektion stattfinden. Eine US-Studie geht sogar von 70% aus, eine weitere US-Studie ergab, dass 77% der jungen HIV-infizierten US-Großstadt-Schwulen sich ihrer HIV-Infektion nicht bewusst sind.
Der Anteil von (HIV-Übertragungen durch) Positive mit chronischer unbehandelter oder behandelter HIV- Infektion hingegen lag in der kanadischen Studie bei 15% bzw. 12%.
Der hohe Prozentsatz bei Menschen mit primärer HIV- Infektion trat dabei in allen Betroffenengruppen (homo, hetero, iv-Drogengebrauch) auf, und unabhängig von der Zahl der Sexualpartner. Einer der Gründe könnte darin liegen, dass diese ungetestet HIV-Positiven scheinbar besonders häufig zu unsafen Sexpraktiken tendieren, wie eine CDC-Studie zeigt.

Die hohe Infektiosität in den ersten Monaten der HIV- Infektion könnte ein sinnvoller Ansatz für Präventions- Maßnahmen sein – viel eher als ziellose Präventions- Kampagnen à la „… geht jeden an“ oder blinde Schuldzuweisungen an Positive.

Schützt Serosorting? oder – die vermeintlich ‚Negativen‘ …
Eine beliebte Strategie, Risiken (vermeintlich?) besser zu managen ist das Serosorting – HIV-Positive suchen sich als Sexpartner möglichst Positive, Negative suchen sich möglichst Negative.

Allerdings: HIV-Negative (oder besser: Personen, die selbst davon ausgehen, derzeit HIV-negativ zu sein) erhöhen ihr Risiko sich mit HIV zu infizieren durch diese Strategie, wie Studien zeigen.
Der Grund: unerkannte HIV-Infektionen – Menschen, die sich für HIV-negativ halten, tatsächlich jedoch positiv sind, nur bisher nicht von ihrer Infektion wissen. Menschen, die diese Serosorting-Strategie anwenden, tendieren (denkend sie seien ja negativ) mit anderen vermeintlich ‚Negativen‘ zu unsafem Verhalten, wie mehrere Studien z.B. aus Australien und den USA zeigen. Und wenn die Annahmen über den Serostatus eines der Beteiligten sich als falsch erweisen, kann aus der vermeintlichen Schutz-Strategie leicht ein Gefährdungs-Szenario werden.

Serosorting à la „Negativ sucht Negativ für unsafen Sex“- eine Strategie, die sich gerade bei (vermeintlich?) HIV-Negativen als ein äußerst problematischer Weg erweisen könnte …

Über den Einfluss der Therapie
Dass die HIV-Viruslast (neben weiteren Faktoren wie dem Vorhandensein oder Fehlen von ‚Geschlechts- Krankheiten‘) ein wesentlicher Faktor für die Infektiosität ist, ist seit längerem bekannt, ebenso dass eine erfolgreiche Therapie, die die Viruslast deutlich absenkt, damit auch die Infektiosität senkt.
Eine neuere Studie fand, dass erfolgreich antiretroviral behandelte Positive mit niedrigerer Wahrscheinlichkeit HIV übertragen – sowohl im Vergleich mit unbehandelten Positiven als auch mit Positiven, die eine Therapiepause einlegen. Neben der niedrigeren Viruslast wurde als weitere Ursache festgestellt, dass Positive, die eine antiretrovirale Therapie machten oder gemacht hatten, in geringerem Umfang zu sexuell riskanten Praktiken tendierten.
Die Erkenntnis, dass eine erfolgreiche Therapie die Übertragungs- Wahrscheinlichkeit reduziert, ist übrigens nicht so neu – schon 2005 zeigte eine spanische Studie einen deutlichen Therapie-bezogenen Rückgang der HIV-Übertragung zwischen stabilen heterosexuellen Paaren mit unterschiedlichem HIV-Status. Und auch eine ugandische Studie von 2003 (die sich mehr mit dem hohen Infektionsrisiko während der Phase der Primär- Infektion befasste, s.o.) kam zu dem Ergebnis, dass bei Heteros unter einer Viruslast von 1.500 Kopien keine HIV-Übertragung stattfand. Seitdem wird von vielen Forschern davon ausgegangen, dass über einer Viruslast von 1.500 Kopien ein signifikantes HIV-Übertragungsrisiko besteht.

Das Resumé? Im Interview mit der posT 1) antwortet Roger Staub auf die Frage des Interviewers zum Infektionsrisiko „lange unter der Nachweisgrenze, das Risiko können Sie vernachlässigen“ mit „das Risiko besteht wahrscheinlich gar nicht“.

Es geht hier nicht darum, unsafen Sex in welcher Konstellation auch immer zu propagieren, oder gar Reklame für Pillen-Konsum zu machen, oder für einen frühen Therapie-Beginn. Eine antiretrovirale Therapie zu beginnen ist eine wichtige persönliche Entscheidung, die jedem Positiven frei überlassen bleiben muss. Viele Positive wollen oder können keine antiretrovirale Therapie nehmen. Sei es z.B. wegen Problemen mit dem Aufenthaltsstatus oder fehlender Kranken- Versicherung, weil sie angesichts ihres Immunstatus keine Therapie brauchen oder für erforderlich halten, oder auch weil sie generell die Kombitherapie ablehnen. Auch die (aus welchem Grund auch immer getroffene) Entscheidung, keine Therapie zu machen, ist zu respektieren.

Es geht vielmehr darum anhand der Fakten über Infektionsrisiken zu informieren – und nicht einseitig Verantwortung oder gar ‚Schuld‘ (z.B. für vermeintlich deutlich steigende Infektionszahlen) bei Positiven oder Barebackern abzuladen.

Und es geht darum, jedem aufgrund zutreffender Informationen selbst eine freie Entscheidung zu ermöglichen, welche Risiken er eingehen möchte, welche nicht, und in welchen Situationen er sich wie verhalten und schützen möchte.

Schließlich sollten auch Entscheidungen über eine zielgerichtete Weiterentwicklung von Präventions- Maßnahmen zur Stabilisierung und Absenkung der Rate der Neu-Infektionen auf Fakten basiert sein, nicht auf Hysterie oder Propaganda.

1) Roger Staub ist Leiter der Sektion Aids beim schweizerischen Bundesamt für Gesundheit (BAG). Das komplette Interview mit Roger Staub ist zu lesen in der Ausgabe Juli/August 07 der „posT“ (S. 15-24), als pdf hier