Berlin bekennt sich zu GIPA-Prinzip

Das Land Berlin wird zukünftig bei der Planung und Bewertung von Aktivitäten im Aids-Bereich verstärkt Menschen mit HIV beteiligen. Berlin ist damit die erste Großstadt Europas, die das GIPA-Prinzip anerkennt und Schritte zu seiner Umsetzung unternehmen will.

Am 11. und 12. September fand in Berlin die Konferenz „HIV im Dialog“ statt. Am 11. September kündigte Katrin Lompscher, Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Berlin, an, das Land Berlin werde zukünftig das GIPA-Prinzip befolgen:

„Dabei hat sie betont, dass das Land Berlin bei der zukünftigen Schwerpunktsetzung, Planung, Umsetzung und Bewertung von Aktivitäten im Aids-Bereich verstärkt Menschen mit HIV beteiligen wird. Damit anerkennt und unterstützt Berlin das GIPA-Prinzip (Greater Involvement of People living with HIV/Aids), das 1994 auf dem Pariser Aids-Gipfel beschlossen wurde.“

Karin Lompscher
Senatorin Karin Lompscher, hier bei HIV im Dialog 2008

Die Grundidee des GIPA-Prinzips geht zurück auf die Erklärung von Denver (Denver Principles) aus dem Jahr 1983. Damals forderten Menschen  mit HIV in den USA HIV-Positive auf, ihre eigenen Interessenvertreter zu wählen, selbst für ihre Belange einzustehen.

Auf dem Aids-Gipfel in Paris am 1. Dezember 1994 wurde das GIPA-Prinzip konkretisiert. Die 42 teilnehmenden Staaten beschlossen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, Menschen mit HIV in die sie betreffenden Entscheidungen einzubeziehen: „participation in decision-making processes that affect their lives“. Diese Deklaration wurde auch von der Bundesregierung (Bundesminister für Gesundheit) unterzeichnet.

Bundesgesundheitsminister Seehofer verkündete damals stolz in Paris:

„Die Betroffenen selbst können oft die besten Entscheidungen treffen, die besten Anregungen geben, . . . weil sie tagtäglich persönlich erfahren, was es heißt, HIV-infiziert oder aidskrank zu sein. Die Stärkung dieser Strukturen und Initiativen . . . sollte deshalb integraler Bestandteil aller politischen Überlegungen und Programme sein.“ (Quelle)

Menschen mit HIV als integraler Bestandteil – schöne Gipfel-Worte. Und die Konsequenzen, die Umsetzung?
In Deutschland wurden nie konkrete Schritte unternommen, die GIPA-Erklärung des Pariser Aids-Gipfels in die Tat umzusetzen. Zwar teilte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage 1996 mit, Solidarität mit Menschen mit HIV und Aids sei wesentlicher Bestandteil nationaler Maßnahmen der Aids-Bekämpfung. Wie Menschen mit HIV an diesen beteiligt werden (sollen), dazu äußerte sich die Bundesregierung nicht; stattdessen wurde auf die Beteiligung der Deutschen Aids-Hilfe verwiesen. Konkrete Schritte, dieses Prinzip umzusetzen, unterbleiben ebenfalls.

Seitdem ist wenig unternommen worden in Deutschland, um Menschen mit HIV an den sie betreffenden Entscheidungen direkt zu beteiligen. Das GIPA-Prinzip, die Idee, Menschen mit HIV direkt an den sie betreffenden Entscheidungen in allen Phasen zu beteiligen, blieb eine leere Worthülse.

Bis 2009. Bereits bei der Veranstaltung „149 Abgeordnete – 5 Parteien – 1 Virus“ am 9. Juni 2009 im Berliner Abgeordnetenhaus hatten Positive eine Beteiligung an Diskussionen der Berliner Aids-Politik gefordert.

Berlin hat nun mit der Verpflichtung, die Senatorin Lompscher nun ma 11.9.2009 ausgesprochen hat, einen ersten Schritt unternommen, wirksame Wege zu finden, Menschen mit HIV in Berlin direkt und aktiv aktiv einzubinden.

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Die Ankündigung von Senatorin Lompscher, Berlin werde sich ab sofort dem GIPA – Prinzp verpflichtet fühlen, ist ein wichtiger Schritt.

Ob diese Ankündigung Lippenbekenntnis, Wahlkampf-Theater, Worthülse wird – oder ein bedeutender Schritt dabei, Menschen mit HIV an den sie betreffenden Entscheidungen zu beteiligen, liegt nun auch an uns!

Fordern wir die Umsetzung dieser Ankündigung in politisches Handeln ein! Äußern wir unsere Forderungen und Bedürfnisse, haken wir nach, wo und wie sie in Entscheidungsprozesse eingebracht werden. Und – fragen wir nach, nicht nur in Berlin, sondern überall in unseren Städten, unseren Organisationen (ja, auch in Aids-Hilfen): wie werden eigentlich hier die Interessen von Menschen mit HIV in den Entscheidungen berücksichtigt?

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weitere Informationen:
Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz: kurz notiert – 11. September 2009 (html)
ACT UP New York: The Denver Principles (1983)
UNAIDS Policy Brief ‚The Greater Involvement of People Living with HIV (GIPA)‘ (pdf)
Asia Pacific Network of People with HIV & Aids: GIPA position paper january 2004 (pdf)
Bundesminister für Gesundheit Horst Seehofer: Rede auf dem Aids-Gipfel in Paris 1994, abgedruckt in Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 114 vom 09.12.1994
Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS „Umsetzung der Deklaration des Pariser AIDS Gipfels“ Drucksache 13/5755 (pdf)
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2 Gedanken zu „Berlin bekennt sich zu GIPA-Prinzip“

  1. Letzte Woche habe ich ein Exemplar des Buches „Feuer untem Arsch“ von Andreas Salmen aus der reihe AIDS – Forum DAH erhalten. Es behandelt die Geschichte der div Aids Aktionsgruppen – in Deutschland und den USA, und u.a. die Denver Prinzipien.

    Dieses Buch ist nicht nur aus historischer Sicht im Kontext zu HIV und AIDS interessant sondern imoa ganz besonders da hier die Denver Prinzipien ins Deutsche übersetzt worden sind. Die meisten kennen die Denver Principles wie auch GIPA vom Namen nach, relativ wenige sind in der Lage sie in Englisch zu lesen bzw zu verstehen.

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    „Im Herbst des Jahres 1982 wurde die Gruppe um Michael Callen auf das Treffen einer Gruppe „New York AIDS Network“ zum ersten Mal aufmerksam, die sich im Büro des „Community Health Project“ im east Village traf. Dieses Netzwerk war von Hal Kooden, Virginia Apuzzo und Dr. Roger Enlow gegründet worden und bildete das erste politische Forum, in dem persönliche Sorgen und Informationen über AIDS ausgetauscht werden konnten.

    Irgendwann wurde der Frust unter den New Yorker PWAs und PWArcs immer größe

    „Als Menschen mit AIDS und ARC saßen wir auf den Veranstaltungen der „Gay Men´s Health Crisis“ GMHC herum und hörten schweigend einer Reihe von Ärzten, Krankenschwestern, Rechtsanwälten und Versicherungsexperten zu, die uns wortreich beschrieben, wie es ist, wenn man AIDS hat. Es dämmerte mehreren zur gleichen Zeit, das mit diesem Bild irgendetwas nicht stimmte. Die „wirklichen Experten“, so stellten wir fest, waren nicht auf dem Podium.

    Im Frühjahr 1983 wurde beschlossen, an dem zweiten „National AIDS Forum Denver“ teilzunehmen, das von der „Lesbian and Gay Health Education Foundation“ gesponsort wurde.

    Die Idee traf uns wie ein Blitzschlag. Bis jetzt waren wir einfach nicht drauf gekommen, das wir als Betroffene irgendwie mehr sein könnten als nur die passiven Empfänger aufrichtiger Anteilnahme von jenen, die (noch) nicht diagnostiziert waren. Sobald das Konzept von PWA – also Menschen mit AIDS, die für sich selbst eintreten – einmal auf dem Tisch lag, griff die Idee um sich wie ein Lauffeuer (mit nur wenig Widerstand von Splittergruppen innerhalb der GMHC).“

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    Senatorin Lompscher,
    „Das Land Berlin wird zukünftig bei der Planung und Bewertung von Aktivitäten im Aids-Bereich verstärkt Menschen mit HIV beteiligen. Berlin ist damit die erste Großstadt Europas, die das GIPA-Prinzip anerkennt und Schritte zu seiner Umsetzung unternehmen will.“

    Auch wenn Gottes Mühlen langsam arbeiten und die der Politiker noch langsamer, 15 Jahre nach Paris, 26 Jahre nach Denver eine solche Aussage – Absichtserklärung zu treffen halte ich keineswegs für begrüßenswert sondern geradezu für beschämend. Sie zeigt auch was die Politik von Menschen die von HIV und AIDS betroffen sind hält.

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