Unsere Geschichte – Geschichten vom alten und vom neuen Aids, Geschichten vom Leben mit HIV.
Heute: Nikolaus Michael (Teil 2): Stress im Krankenhaus
Peter, der an diesem Abend den Satz mit „Komm setz Dich zu uns auf die Totenbank“ ausgesprochen hatte – ein sehr liebenswerter, gebildeter und kulturinteressierter Mensch – ehemaliger Beamter beim Innensenat, konnte ich noch bis zum März 1987 oft in unserer Gruppe treffen und mit fortschreitender Immunschwäche dann auch zuhause besuchen. Seine 80-jährige, in Hannover lebende Mutter kam so oft es eben ging nach Berlin in seine Wohnung in der Friedrichstraße. Sie strahlte eine so lebensbejahende ruhige Gelassenheit aus, dass man sich in ihrer Nähe sofort gut fühlte. Ich gönnte es Peter sehr, dass er seine geliebte Mama bis zuletzt in seiner Nähe haben durfte – sie war es auch, die seine Hand bis zum letzten Augenblick streichelte und festhielt. Ich war damals sehr traurig und niedergeschlagen, als ich dann in meinem Wagen nachts nach seinem Ableben vom Krankenhaus nach Hause fuhr – wissend, dass diese liebe ältere Dame nun alleine im Leben zurückblieb. Peter hatte es nun überstanden – seine Mutter musste nun mit ihrem Alleinsein zurechtkommen – so dachte ich damals sicher nicht ganz zu unrecht. Peter war ein großes Vorbild für mich, klaglos seine schwere Krankheit zu ertragen – immer gelassen und mit einem sanften Lächeln. Ich werde ihn sicherlich nie vergessen.
Aber erst einmal hatten wir in unserer Gruppe zusammen noch eine halbwegs schöne Zeit zusammen – so makaber sich das auch anhören mag. Wenn wir uns an unseren Gruppenabenden trafen, tranken wir zusammen Tee – irgendjemand hatte meistens Kuchen oder Kekse organisiert und wir redeten dann über alle anfallenden Themen – nicht ausschließlich über Krankheit, Sterben und Tod, obwohl diese Themen fast zwangsläufig großen Raum einnahmen. Fast wöchentlich starb jemand aus unserem Kreis, der trotz allem immer größer zu werden schien. Oft waren wir inzwischen an die 20 Personen, die sich nach wie vor zweimal die Woche abends zum Gedankenaustausch trafen – einzig und alleine privat organisiert – weitergeleitet durch die völlig überlastete Aidshilfe. Meine Zeit war erfüllt und ausgefüllt durch die tägliche Arbeit im Büro – Telefonate dazwischen, die sich um Pflegedienste, Aidshilfe, Hilfsanträge bei den Behörden drehten – sowie nach der Bürozeit Besuche in diversen Krankenhäusern, sowie bei Schwerkranken zu Hause. Trotz allem war das eine Zeit, die durch gefühlte Solidarität durchaus nicht unglücklich war – ich fühlte mich Eins mit den vielen neu gewonnenen Freunden. Absurd war, dass mein eigentlicher Freundeskreis glücklicherweise kaum betroffen zu sein schien – was sich bis heute so fortsetzt. Aber das sei hier nur am Rande erwähnt. Wichtig war jedoch, dass fast alle Freunde, ebenso wie meine Geschwister, von Anfang an liebevoll und unerschrocken mit mir umgingen und mir dadurch Kraft und Mut vermittelten. Hierzu gehören auch meine frühzeitig eingeweihten Kollegen vom Theater der Freien Volksbühne, insbesondere Hans Neuenfels, der damalige Intendant, sowie seine Frau, Elisabeth Trissenaar, die um die Ecke meiner damaligen Wohnung in der Pestalozzistraße wohnten und mich bei jedem Treffen liebevoll nach meinem Befinden fragten. Ebenso super verhielt sich der damalige Verwaltungsdirektor, Dr. Werner Obermeit, der mir immer das Gefühl vermittelte, weiter dazuzugehören und auch noch nach meinem Ausscheiden vom Theater weiter zu mir hielt. Ich erinnere mich, dass er – später am Schiller – Theater arbeitend, morgens, wenn ich mit Max, dem Bobtail, die Schlüterstraße entlang ging, mit quietschenden Reifen anhielt, um mir einen guten Morgen zu wünschen – ein ungewöhnlich liebenswerter Mensch. Leider ist er auch inzwischen nicht mehr am Leben.
Eines Abends fand eine Informationsveranstaltung eines Professors vom damaligen Virchow-Klinikum, Herrn Prof. Dr. Pohle bei der BerlinerAids-Hilfe statt, zu der wir in Scharen gekommen waren. Wir hatten damals bereits einige Freunde im Virchow-Krankenhaus die dort stationär lagen und um die wir uns kümmerten. Damals gab es eine neue HIV-Station auf dem Virchow – Gelände, Station „S“ – das „S“ stand für Seuche – gemäß der damaligen Ideologie, die in vielen Köpfen herrschte – ausgrenzen, absondern (ausmerzen??).
Aber die Vorstufe von Station „S“ war der Zustand, dass schwerkranke HIV-Patienten mit anderen Kranken zusammen in den Zimmern gemischt gelegt wurden – in der damaligen aufgeheizten Panikstimmung stellte sich das als Zumutung für die betroffenen Aids-Kranken heraus. Wir erlebten beispielsweise, dass todgeweihte und sterbende Patienten von Mitpatienten und ihren Besuchern regelrecht angemacht wurden. Nun mussten sie auch noch zu ihren körperlichen Leiden psychischen Stress in ihrer ohnehin nicht gerade passablen Lebenssituation aushalten. Sie mussten sich dafür rechtfertigen, dass sie ansteckend waren und wurden auch oft gefragt, wieso sie sich überhaupt hatten anstecken können. Ich drücke das hier bewusst neutral aus, obwohl es damals oft sehr unsachliche Auseinandersetzungen gab.
Damals wurde in fast allen Berliner Krankenhäusern die Besuchsregelung sehr locker gehandhabt – glücklicherweise, denn der Kontakt nach draußen war damals wie heute für die Betroffenen sehr wichtig und aufbauend. Im Virchow war das anders – ich erinnere mich daran, dass Punkt Besuchszeitanfang eine Glastür aufgeschlossen wurde – und Punkt Besuchende man von murrenden Pflegekräften schleunigst wieder hinausgeschoben wurde.
Das war unabhängig vom Zustand der Betroffenen – oft lagen sie alleine und im Sterben und es war nicht möglich, bei ihnen zu bleiben oder gar für die Partner, bei ihnen im Zimmer übernachten zu dürfen.
Die Negativerlebnisse im Virchow häuften sich derart, dass wir anfingen, in unseren sogenannten „Positivengruppen“ vor dem Virchow zu warnen. Wer es noch selbst in der Hand hatte, ließ sich damals ins Auguste-Viktoria-Krankenhaus einliefern – das damals bereits mit seiner Station 30 vorbildlich war. Das Personal dort war gleich von Anfang an unter Professor Arastéh speziell auf die Bedürfnisse von HIV-Kranken ausgewählt und ausgebildet worden, so das auch die psychosoziale Betreuung neben der pflegerischen vorbildlich war.
Jedenfalls war ich extra zu dieser Informationsveranstaltung gegangen, mit der Absicht, den damaligen Leiter der Infektionsabteilung – zuständig auch für die Benennung und Einrichtung von Station „S“ – auf die Zustände in seiner Station anzusprechen.
Die Veranstaltung selbst verlief ruhig und problemlos – der Professor hielt seinen Vortrag sachlich und sicher auch fachlich einwandfrei. Er war damals eine Koryphäe auf dem Gebiet der klinischen Aids-Forschung.
Nachdem der Vortrag zu Ende war, ging ich aufs Podium und sprach den Professor auf die vorgenannten Zustände an und war einigermaßen sprachlos. Dieser so fachlich ausgezeichnet bewanderte Arzt wurde offensichtlich total überrascht, so dass er mir schon fast wieder leid tat. Nach einem Moment betretenen Schweigens über meine Dreistigkeit, ihn wegen solcher profanen Dinge anzusprechen, wiegelte er erst einmal ab und war auch sicher nicht erfreut, da ich offen aussprach, dass wir – die Betroffenen, offensichtlich unsere Mitfreunde vor dem Klinikum Virchow warnten. Um es kurz zu sagen – die Station „S“ behielt zwar in den nächsten Jahren ihren Namen, aber die Besuchszeiten wurden kurz darauf und in Zukunft großzügiger gehandhabt. Aber dennoch zogen es auch zukünftig immer mehr Betroffene vor, sich im AVK behandeln zu lassen – den schlechten Ruf hatte sich das Virchow – leider – über Jahre weiter bewahrt.
Reinhold gehörte auch zu unserer Gruppe – leider war es uns nur noch kurz beschieden, ihn bei uns haben zu dürfen. Er war – trotz fortgeschrittenen Stadiums der Infektion immer noch ein gut aussehender, stattlicher Mann Ende 30 – immer ein spitzbübisches Grinsen im Gesicht. Wie er mit seiner Krankheit umgegangen ist, fand ich fast unglaublich. Nie hörte ihn jemand jammern oder klagen – er fand in allen und allem etwas nettes. Seine Kommentare waren meist komisch heiter. Alle mochten ihn ausgesprochen gerne. Zunehmend fiel im das Laufen schwer, so dass er fast alle Wege, die er zu erledigen hatte, mit seinem Wagen fuhr. Er wohnte am Südstern in Kreuzberg. Eines Tages erzählte er so nebenbei, dass er sich heute mal wieder was nettes gegönnt habe – er konnte sich inzwischen kaum noch aufrichten – sein Gang war zähflüssig langsam und schleppend geworden, als wenn er eine große Last zu tragen habe – das hatte er natürlich auch….. Jedenfalls liebte er es in guten Tagen, in der Schlemmerabteilung des KaDeWe sich etwas zu gönnen und so war er wohl an diesem Tage – im Liegesitz, da er nicht mehr richtig aufrecht sitzen konnte zum KaDeWe gefahren – und hatte sich – irgendwie vom Parkhaus ins Kaufhaus rübergeschleppt, wo er es sich bei Austern und Champagner hatte gut gehen lassen. Er erzählte das immer noch freudig erregt, dass er es sich kräftemäßig immer noch leistete, sozusagen bereits auf dem Sterbebett ins KaDeWe zum Schlemmen zu fahren – ich fand das einfach Klasse. Er gehört mit zu den Vorbildern, wie man auch mit schwerster Krankheit umgehen kann.
Copyright dieses Textes: Nikolaus Michael
Vielen Dank an Niko für sein Einverständnis, diesen Text hier wiederzugeben!
Nikos Geschichte(n):
1. Die ‚Totenbank‘
2. Stress im Krankenhaus
3. Schmunzeln, Quengeln, Hilferufe
4. Drei Engel
Nicht einfach zu lesen – bei all den Gefühlen, die der Text auslöst, angefangen beim Kloß im Hals und Zorn im Bauch…
Bitte mehr davon!
Ich freue mich schon auf den nächsten Beitrag, es macht einen sehr betroffen und man ist froh das sich vieles geändert hat, nicht alles aber fast. Ich kenne diese ganze schreckliche Zeit auch, da ich seit 1985 hiv+ bin und auch in Berlin, später dann in Hannover gelebt habe und meine Erfahrungen in Krankenhäusern ähneln denen aus dem Virchov. Ich war ausserdem 1989 in Vechta in Haft wegen Drogen und könnte da auch viel erzählen wie mit einem umgegangen wurde. Vielleicht sollte ich das ja mal in Angriff nehmen.
Grüsse aus HH
Karin
@ Clamix:
ja … und genau wegen dieser Gefühle denke ich dass diese Geschihcten dokumentiert werden sollten …
es folgen noch zwei weitere Texte von Nikolaus Michael an den folgenden beiden Sonntagen
@ Karin Pankow:
auch mir haben Nikolaus‘ Texte wieder einmal deutlich gemacht, wie viel sich verändert hat.
und – sollten Sie / du Texte, auch kurze, über Leben mit HIV schrieben – ich biete gerne an, sie hier in diese Reihe mit aufzunehmen. Kurze Mail (Kontakt-Formular) … ich würd mich freuen!