Derzeit wird auch in Europa und Deutschland eine (leider nicht sehr offene und zu wenig wahrgenommene) Debatte geführt um die Zukunft des HIV-Tests (siehe „quo vadis HIV-Test?„) – gerade heute auf dem Workshop über die Zukunft der HIV-Testung in Deutschland.
Gerade Menschen, die bereits eine Diagnose HIV-positiv hinter sich haben, verfügen über vielfältige Erfahrungen, was es bedeutet, als HIV-positiv diagnostiziert zu werden, wissentlich und dokumentiert mit HIV zu leben.
Die Frage der Zukunft des HIV-Tests aus positiver Perspektive – einige Gedanken:
Leben mit HIV hat sich verändert – gottseidank. Die Zeiten, in denen Freunde oder Bekannte reihenweise starben, wöchentlich mehrere Trauerkarten sich im Briefkasten fanden, sind vorbei. Ebenso seit Ende der 1990er Jahre die Zeiten, in denen keine oder fast keine wirksamen Medikamente zur Verfügung standen, die Diagnose ‚HIV-positiv‘ unweigerlich baldiges Aids, baldiges Leid, baldigen Tod zu bedeuten schien.
Doch die Diagnose ‚HIV-positiv‘ ist auch heute noch weit davon entfernt, der inzwischen so oft gehörten Bezeichnung ’normal‘ gerecht zu werden. Die Diagnose ‚HIV-positiv‘ ist etwas völlig anderes als die Diagnose ‚hohe Cholesterinwerte‘. HIV-positiv zu sein ist keine Bagatelle.
Leben mit HIV, das heißt auch heute, 2009, noch immer
– sozialrechtlich mit massiven Einschränkungen konfrontiert zu sein. Eine banale Lebensversicherung abzuschließen, oder gar eine Berufsunfähigkeits- oder private Renten-Versicherung – für HIV-Positive immer noch nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Dies bedeutet nicht nur, dass z.B. die eigene Altersvorsorge drastisch gefährdet, oft unmöglich gemacht wird – sondern gefährdet auch berufliche Karrieren, wenn z.B. eine Selbständigkeit, ob als Handwerker oder Unternehmer, an der unmöglichen Absicherung über eine Lebensversicherung scheitert.
– mit Medikamenten zu leben, die mit teils massiven Neben- und Langzeitwirkungen und Beeinträchtigungen der Lebensqualität behaftet sind. Fettumverteilungsstörungen (Lipodystrophie-Syndrom) führen dazu, dass HIV-Positive erneut als ‚Aids-Kranke‘ erkenntlich und Stigmatisierung ausgesetzt sind. Die Kosten möglicher Therapien hiergegen werden von Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung weiterhin nicht übernommen.
– Viele Menschen mit HIV haben immer noch mit massiven Problemen und Einschränkungen im Arbeitsleben bis hin zu Berufsverboten zu rechnen.
– Menschen mit HIV sehen sich strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt, wobei ihnen oftmals einseitig die alleinige Verantwortung für Schutz zugeschoben werden soll.
– Gesellschaftlich werden HIV-Positive auch weiterhin ausgegrenzt, stigmatisiert, diskriminiert. In viele Staaten ist die Einreise als HIV-Positiver verwehrt oder stark erschwert, ein Aufenthalt streng reglementiert.
Die Diagnose ‚HIV-positiv‘ stellt schon aus diesen beispielhaften Gründen einen tief greifenden Einschnitt in das Leben, in die künftige Biographie eines Menschen dar. Dies bedeutet auch, dass die Entscheidung, einen HIV-Test durchführen zu lassen, vorbereitet, wohl überlegt und gut informiert getroffen werden sollte – und nicht aus der momentanen Situation heraus, spontan.
Dies gilt auch für andere wohlklingende Namen, wie z.B. das Modell „european guidance“ (verkürzt: generell solle für bestimmte (von HIV besonders betroffene) Zielgruppen sowie Indikator-Erkrankungen ein HIV-Test angeboten / dringend empfohlen werden). Klingt akzeptabel – aber es gibt Konstellationen, Aids-Experten, die dahinter eine opt-out-Strategie verbergen. Dies scheint nicht viel mehr als „alter Wein in neuen Schläuchen“, eine Einführung von opt-out „durch die Hintertür“ – und könnte nur zu schnell z.B. zu regelmäßigen Massenscreenings auf HIV bei schwulen Männern führen.
Dies alles sind keine Argumente gegen einen HIV-Test – sondern für einen HIV-Test in einem adäquaten Setting und zu entsprechenden Standards.
Und dies ist ein Plädoyer auch für ein Beibehalten des Rechts auf Nicht-Wissen. Wer seinen HIV-Status nicht wissen will, hat auch dazu ein Recht.
Und wer seinen HIV-Status wissen möchte, hat ein Recht auf eine vorherige qualifizierte Beratung, nach der er sein informiertes Einverständnis erteilen kann.
Solange Menschen, allein weil und sobald sie den serologischen Status ‚HIV-positiv‘ haben, weitreichende negative persönliche und gesellschaftliche Konsequenzen zu befürchten haben, kann eine Test-Konstellation des ‚opt out‘ aus der Sicht HIV-positiver Menschen keine sinnvolle Alternative zum etablierten guten Standard sein.
Riskieren wir nicht unnötig erfolgreiche Errungenschaften – nur zugunsten eines Experiments namens opt-out, für das die Nutzen-Hinweise bisher (in Regionen wie Deutschland) mehr als dürftig sind. Behalten wir die bisher erfolgreiche Strategie des opt-in mit Beratung und informiertem Einverständnis bei.