Neumünster: Ärzte gegen die Aidshilfe?

Wollen Ärzte in Neumünster verhindern, dass die örtliche Aids-Hilfe als Mieter bei ihnen im Haus einzieht?

Die Aidshilfe Neumünster arbeitet seit 1991. Dieses Frühjahr sollten neue Räume bezogen werden, der Mietvertrag ist unterzeichnet, die Räume sind renoviert, die Einladungen für die feierliche Einweihung verschickt.

Doch dann: die Kündigung droht. Ärzte und eine Apotheken-Inhaberin wehren sich gegen die Aidshilfe als neuen Mieter, fordern die Aufhebung des Mietvertrags, drohen ansonsten selbst mit Kündigung.

Die Aids-Hilfe Neumünster kündigte an am 17. Mai 2010 die Aufhebung des Mietvertrags zu unterzeichnen, steht aber nun am Juli 2010 ohne Räumlichkeiten da.

Als Dokumentation ein Hilferuf von Torsten Kniep, erster Vorsitzender des Vorstands der Aidshilfe Neumünster (AH-NMS):

Die Aids-Hilfe Neumünster steckt momentan in einer ungewollten Krise. Seit Monaten suchen wir für unsere Aids-Hilfe NMS neue Räumlichkeiten. Diese brauchen wir um uns zu vergrößern, dem momentanen Standard gerecht zu werden und um zukunftsorientierter arbeiten zu können.

Neue Räume fand unsere AH-NMS in der Wasbeker Strasse 50 in Neumünster – in einem Haus mit drei praktizierenden Ärzten und einer Apotheke. Die Vermieterin schloss mit uns bevorzugt einen Mietvertrag ab, da sie die Institution Aids-Hilfe als Bereicherung für ihr Haus ansah. Die Mietverträge für die Räume wurden am 31.03 2010 geschlossen und die Räume sollten zum 01. Juli 2010 offiziell von uns bezogen werden.

Unsere alten Räumlichkeiten wurden daher zum 30. Juni 2010 gekündigt. Die Vermieterin erlaubte uns die neuen Räume in der Zwischenzeit zu renovieren und für unsere Zwecke her zu richten.
Die Räume wurden inzwischen auch großenteils renoviert d.h. gestrichen und mit neuen Fußbodenbelägen versehen. Teilweise wurden bereits neue Möbel angeschafft und Mobiliar aus unseren alten Räumen in die neuen Räumlichkeiten gebracht.

Der endgültige Umzug und die Lieferung der neuen Möbel waren für den 15.05.2010 geplant. Unser Büro ist deswegen vom 13.05.2010 bis einschließlich 24.05.2010 geschlossen worden. Am 25.05.2010 sollte die unsere AH-NMS in den neuen Räumen, mit Erlaubnis der Vermieterin, ihre Arbeit aufnehmen.

Dreihundert Einladungen für einen geplanten „Tag der offenen Tür“ am 29. Mai 2010 wurden bereits verschickt – gleichzeitig erschien ein Pressebericht über unseren Umzug, unsere neue Adresse und die Neueröffnung der Aids-Hilfe NMS in den neuen Räumlichkeiten im Holsteiner Courier und diversen Wochenblättern.

Am 11.05.2010 informierte die Vermieterin unseren ersten Vorsitzenden Torsten Kniep darüber, dass es mit den anderen Mietern im Hause Probleme gäbe.

Eine Ärztin und zwei Ärzte, sowie die Inhaberin der Apotheke wünschten, nachdem sie erfuhren wer die freien Räume bezieht, dass das Mietverhältnis mit der Aids-Hilfe sofort rückgängig gemacht wird. Als Begründung nannten die Parteien ( lt. Aussage der Vermieterin ) „ Angst davor dass Patienten den Praxen fern bleiben und Angst vor Kriminalität im Haus“. Die Parteien befürchten, dass eventuelle HIV-positive Drogengebraucher in die Praxen und die Apotheke einbrechen und Rezeptblöcke und Medikamente stehlen könnten.

Am 12.05.2010 kam es zu einem kurzfristig anberaumten Gespräch zwischen Vermieterin und Mietern, an dem Torsten Kniep aus zeitlichen Gründen leider nicht teilnehmen konnte. Resultat dieses Gespräches ist, dass der Mietvertrag mit unserer Aids-Hilfe Anfang nächster Woche gekündigt bzw. aufgehoben werden soll. Sollte dies nicht geschehen, drohen die anderen Mieter mit der Kündigung ihrer Mietverhältnisse.

An einem angebotenen, informativen und klärenden Gespräch mit dem 1. Vorsitzenden und der Diplom-Sozialpädagogin unserer Aids-Hilfe legen die anderen Mieter, laut Auskunft der Vermieterin, keinen Wert.

Die oben aufgeführten Fakten empfinden wir als erschreckendes Beispiel von absoluter Intoleranz und Diskriminierung!

Unsere Aids-Hilfe NMS leistet seit 20 Jahren eine umfangreiche und wichtige Arbeit, der Information und Prävention gegen Aids und HIV, um genau gegen diese Intoleranz und Diskriminierung anzukämpfen, die uns nun entgegen schlägt.

Ob wir unsere Arbeit in Neumünster auch weiterhin leisten können steht jetzt in den Sternen.

Die frisch renovierten neuen Räume bleiben vorerst und wahrscheinlich endgültig verwaist und der Umzug ist gestoppt! Als Resultat dieses unwürdigen Mieterboykotts steht die Aids-Hilfe Neumünster ab dem 30.06.2010 ohne Räume da.

Wir treten heute an die Öffentlichkeit weil wir finden, dass man mit HIV infizierten und an Aids erkrankten Menschen und den Menschen die ihnen (oft ) ehrenamtlich und hilfreich zur Seite stehen auf solch eine diskriminierende Art und Weise nicht umgehen darf.

Wir empfinden das Geschehene als Schlag ins Gesicht und protestieren gegen diese unwürdige Behandlung unserer Klientel und der Institution Aids-Hilfe Neumünster und deren Mitarbeiter/innen und Freunde/innen.

Torsten Kniep

Die Aids-Hilfe Neumünster ist bis auf weiteres an ihrer alten Adresse erreichbar: AIDS-Hilfe Neumünster e.V., Wasbeker Straße 93, D-24534 Neumünster hat eine neue Adresse: Großflecken 50 (Hinterhaus, im „Connect“), 24534 Neumünster

weitere Informationen:
shz Holsteinischer Courier 15.05.2010: Wollen Ärzte die Aids-Hilfe loswerden?
shz Holsteinischer Courier 17. Mai 2010: Nach Protesten: Aids-Hilfe zieht nun doch nicht um (pdf)
alivenkickin 17.05.2010: Ärzte und Aidshilfen – Zwei Seiten einer Medaille
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12 Gedanken zu „Neumünster: Ärzte gegen die Aidshilfe?“

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  2. Trauriger Artikel zu diesem mehr denn je unerlässlichen Tag.
    Aids und Kriminalität – welche Konstellationen werden sie noch erfinden. Die Denkfaulen, die Egoisten.

    Offensichtlich bin ich seit heute morgen der 220. Leser dieses Berichtes – und der Einzige der sich dazu äusserst. In den vielen vorhergehenden Seiten auch so gut wie keine Kommentare! Keine mehr …
    Ihr lieben Mitmenschen, Mitfühlenden: wo seid Ihr ???
    Was hat Euch die Sprache verschlagen? Ich kann mir nicht vorstellen, will es nicht, dass es Gleichgültigkeit sein könnte. Wäre dies der Fall, würde es nicht die oben erwähnten 220 Leser gegeben haben.
    Also, so what, et alors??????
    Manfred

  3. Hallo Manfred du hast recht. Ich wollte nicht schreiben, denn der Kommentar hätte sicherlich zensiert werden müssen 😉
    Ich kann es gar nicht fassen das es sowas noch gibt. Ausgerechnet von Ärzteseite?? Da hätte ich mit mehr Verständnis gerechnet. Die HIV Medis wird die Apotheke aber sicherlich gerne verkaufen und auch sonstige Medis und Hilfsmittel die HIV+ und Drogengebraucher so benötigen wird man sicher sehr gern mitnehmen.
    Da sollte doch eigentlich ein Apotheken und Ärztewechsel von allen HIV+ und Freunden, Bekannte und Unterstützern der AIDS- Hilfe die dort hingehen obligatorisch sein.

    Ich hatte schon gegoogelt ob die Ärzte ne Homepage haben mit Email- Adresse, ob das aber hilfreich ist eher fraglich.

    Ich stelle mir grad vor was los wäre wenn ein anderer Verein der zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund unterstützt dort hätte einziehen wollen und die hätten den gleichen zinnober abgezogen weil…… Das Medien Interesse hätte ich zu gerne miterlebt.
    Als ob Drogengebraucher nichts anderes zu tun haben als ständig in Apotheken und Arztpraxen einzubrechen, zumal man ja dann mal gucken müsste wieviele Einbrüche es in Neumünster überhaupt in Praxen und Apotheken gibt.
    Tagsüber wird das keiner machen. Wenn die Praxen geschlossen sind ist auch die AIDS- Hilfe geschlossen. Nachts ist dann sowieso jede Apotheke und Praxis genauso gut wie jede andere auch.
    Blöder gehts einfach nicht.
    Traurig aber wahr.

    LG Pascal

  4. @pascal, manfred

    ach, ganz so düster is es nu doch nicht. 😉 heute muß man froh sein wenn recht viele zugriffe aus erfolgen. was die medien präsenz betrifft – da gebe ich dir uneingeschränkt recht. wie sagte doch ein journalist sinngemäß mit dem ich heute telefonierte? ein thema muß „boulevard relevant sein“.

  5. @ Andreas Seier / #5
    das Fragezeichen?
    weil ich nicht mit den Ärzt/innen gesprochen habe, nicht von ihnen ihre beweggründe erfahren habe
    weil es vielleicht auch gründe für das verhalten der ärzte geben mag, die nicht in das einfache muster „dafür / dagegen“ passen
    weil fragezeichen fragen stellen, zum nachdenken anregen

  6. Hallo
    „boulevard relevant sein“ schön ausgedrückt 😉
    Man könnte auch sagen muss für Leute mit nem IQ von 69 auch noch zu begreifen sein, schnell vermittelt ohne in die Tiefe zu gehen.
    Man könnte auch böse sagen da kann sich die Politik nicht dran abgurken – ist ja grad auch kein Wahlkampf wie schade- und der Gutmensch kann sich dann doch nicht so profilieren als wenn es gegen anderen Minderheiten geht.

    Welche anderen Gründe sollte es denn geben dafür das man durch Drohung drei Mietverträge zu kündigen eine alte Dame unter Druck setzt nur weil man völlig utopische Gründe vorschiebt „Einbrüche“.
    Lächerlich soll man doch ehrlich sagen „die wollen wir nicht im Haus unsere Patienten sind unaufgeklärt nicht tolerant genug und laufen und sonst weg“.
    Wir wollen unser Geld behalten, was ja durchaus zu verstehen ist und auch legitim.
    Sich aber so eine blöde Ausrede auszudenken ist schon sehr lächerlich. Wie gesagt überfällt ja keiner am hellichten Tag Praxen und Apotheken, und wenn alles geschlossen ist dann ist jede Praxis und Apotheke genauso gefährdet wie die „Betroffenen“ wobei noch zu klären wäre wieviele Einbrüche es überhaupt in Praxen und Apotheken gibt.

    Ich find es lächerlich und gerade für Ärzte und Apotheker schändlich.
    Na mit Uns kann man es ja machen. Wie sieht es mit der Lokalpolitik aus??? Hat sich da einer mal eingeschaltet oder zu geäußert???

    LG

  7. @ Ulli
    ich hab heut wieder mal den „dummen“ gemacht und im dortigen haus mich äh dummstellend rumgefragt. die lage war wie s wetter . . . . sehr bedeckt . . . .

  8. @ alivenkickn:

    Man kann ein Thema “boulevard relevant“ machen. Eine kleine Demo vor dem hochanständigen Ärzte- und Apothekerhaus, zum Beispiel. Wie war das noch mit dem vor einiger Zeit so viel beschworenen act up?

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