Hygiene in der Zahnmedizin: HIV-Infizierte und Nicht-Infizierte gleich behandeln

HIV-Patienten haben es zunehmend schwer, eine adäquate Zahnbehandlung zu erhalten. Hygienehinweise für zahnärztliche Behandlungen aus dem Robert Koch-Institut (RKI) sind ein wichtiger Grund für diese unsinnigen Schwierigkeiten. Eine vernünftige, dem Stand des Wissens angepasste Aktualisierung scheint dringend notwendig. Erstens muss bezüglich Schutz der Behandler und anderer Patienten der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Infektiosität unerkannter Virusträger durchschnittlich viel höher ist als unter Behandlung und deshalb grundsätzlich bei jeder Behandlung potentielle Infektionsrisiken gleichermaßen bedacht werden müssen. Zweitens kommt unter HIV-Patienten eine klinisch bedeutsame Immunsupprimierung kaum noch vor, wenn die Infektion bekannt ist. Spezielle Maßnahmen zum Schutz von HIV-Patienten vor weiteren Infektionen sind deshalb in der Regel nicht mehr notwendig. HIV-Patienten sind hygienisch und infektiologisch beim Zahnarzt wie alle anderen Patienten zu behandeln. Alles andere ist unsinnig und löst die gegenwärtigen Probleme nicht.

Müssen die Hygienehinweise
aus dem Robert Koch–Institut von 2006
für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
in der Zahnheilkunde
für HIV-Patienten aktualisiert werden?

Die 2006 erschienenen Mitteilungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim RKI haben erhebliche Auswirkungen auf den zahnärztlichen Praxisalltag. Für HIV-Patienten ist es unhaltbar schwer geworden, Zahnärzte zu finden. In großer Zahl berichten sie von übermäßig erscheinenden Ängsten der Zahnärzte, schwer verständlichen Sonderbehandlungen oder Abweisungen. Immer wird auf diese Mitteilungen aus dem RKI verwiesen, die auch von den Zahnärztekammern zur Begründung des häufigen zahnärztlichen Verhaltens versandt wird.
Die Mitteilungen beginnen schon mit einer zu hinterfragenden Einleitung: Verschiedene Infektionsrisiken .. können .. durch Anamneseerhebung, wirksame Hygienemaßnahmen, … Arbeitssystematik .. sowie anerkannte Technologien entscheidend verringert werden.
Das trifft bei den besonders genannten HIV-Infektionen, Hepatitis B und C wegen der hohen Rate unerkannter Infektionen, auf die die Hinweise gar nicht eingehen, nicht zu. Viele Träger dieser Infektion, wahrscheinlich die Mehrzahl, leben vor der Entdeckung ihrer HIV-Infektion jahrelang mit hoher Viruslast, ohne es zu wissen. Eine Entdeckung der Infektionen führt in der Regel entweder zur Feststellung, dass wegen stabilem Stadium noch keine Behandlung notwendig ist, womit sich an der Infektiosität nichts gegenüber der unerkannten Phase ändert. Oder es wird eine Behandlung eingeleitet, die zu einer entscheidenden Reduktion der Infektiosität (1) führt.
Sollen die unerkannten, hoch virämischen Patienten wie normale Patienten behandelt werden, während Patienten, deren Infektiosität durch Therapie stark oder vollständig reduziert ist, abgewiesen oder mit allerlei Sondermaßnahmen behandelt werden? Diese Frage ist in Zahn- und Humanmedizin gleichermaßen zu verneinen. Viele Patienten erscheinen in dieser Frage besser informiert als ihre Zahnärzte. Sie wissen längst, dass diese Verdrehung unsinnig ist. Weil so viel Unschönes erlebt wird, breitet sich der Rat aus, die Infektion Zahnärzten nicht mitzuteilen, was die gut gemeinte, präventive Idee vollends konterkariert. Eine sinnvolle Anamneseerhebung funktioniert nur in einer Atmosphäre des Vertrauens, für die gegenwärtig die Grundlage fehlt.
Mit „erhöhtem Infektionsrisiko“ ist vor allem das vom Patienten ausgehende Risiko für Behandler und andere Patienten gemeint. Unter „Risikobewertung“ werden „relevante“ Übertragungswege für Krankheitserreger aufgelistet. Wie relevant diese sind, erscheint fragwürdig. Unter den HIV- und Hepatitis-C-Patienten sind die Angehörigen human- und zahnmedizinischer Berufe nicht überrepräsentiert. In unserer eigenen Praxis mit mehreren tausend HIV-Patienten ist kein einziger solcher Fall bekannt! Das ist umso bemerkenswerter, als ja hoch infektiöse, unerkannte Patienten ohne speziellen Infektionsschutz behandelt werden.
Die richtige Botschaft kann deshalb nur lauten, alle Patienten wie potentielle Risikopatienten zu behandeln, auch was orale Antisepsis, die Händedesinfektion, Handschuhe, Schutzkleidung, Abdeckung von Flächen / Gegenständen und jegliche sonstigen hygienischen Maßnahmen betrifft. Wo das nicht praktikabel ist, muss nach vertretbaren Kompromissen für alle gesucht werden. Die extrem niedrige berufliche Infektionsrate bei allgemeiner Praxis zeigt, dass das nicht zu schwer sein dürfte.
Der Begriff „erhöhtes Infektionsrisiko“ gilt auch umgekehrt für die Krankheitsübertragung vom Personal auf Patienten. Hier scheinen die Mitteilungen besonders aktualisierungsbedürftig. Eine Phase schwerer Immunsuppression dauert heutzutage ab ihrer Entdeckung nur wenige Wochen. In dieser allerersten Phase fallen zahnmedizinische Eingriffe sehr selten an und sind somit extreme Sonderfälle, über die im Einzelfall sorgsam kooperiert werden kann. Die sofort eingeleitete, effektive Behandlung führt in der Regel zu einer raschen, entscheidenden Erholung des Immunsystems. Das Gros der Behandlungen, wo die alltäglichen Abweisungs- oder Sonderbehandlungsprobleme so stören, betrifft Patienten, deren Immunsystem bezüglich operativen und zahnmedizinischen Eingriffen längst wieder als normal einzustufen ist. Alle möglichen Erwägungen für schwer immunsupprimierte Patienten, wie z. B., nur steriles Wasser einzusetzen, gelten dann nicht mehr.
In der Praxis ist die häufigste Frage von Zahnärzten an HIV-Experten, ob sie speziell ein Antibiotikum verordnen sollen und welches. Das Gros der Antworten lautet: Behandeln Sie den Patienten wie jeden anderen auch. Geben Sie dann ein Antibiotikum, wenn Sie auch sonst eines geben würden, und geben Sie kein anderes. Eine Ausnahme bildet vielleicht das Clindamycin. HIV-Patienten müssen häufiger Medikamente einnehmen, deren Nebenwirkungen Diarrhoen sind. Wenn dann noch Clindamycin-induzierte Diarrhoen dazu kommen, ist das in vielen Fällen unnötig und lästig, selten gefährlich. Studien-Evaluationen sind in diesem Gebiet Mangelware, aber die jahrelange, vernetzt spezialisierte Praxis hat längst erwiesen: In aller Regel reicht bei der Mundflora das normale Penicillin, das diese Probleme viel weniger nach sich zieht.

Dr. med. Albrecht Ulmer, Stuttgart

1: Vernazza P, Hirschel B, Bernasconi E, Flepp M: HIV-infizierte Menschen ohne andere STD
sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös. Schweizerische Ärztezeitung 2008;89/5, 165-169

Der Artikel wurde verfasst für „HIV and more“ und wird dort in der September-Ausgabe erscheinen, ebenso ein Kommentar des RKI zu diesem Text. Der Artikel ist bereits erschienen in „Rainbow“, der Zeitschrift der Aids-Hilfe Stuttgart (Nr. 64).

Vielen Dank an Herrn Dr. Ulmer, an Frau Dr. Pauli (HIV and more) sowie an die Aids-Hilfe Stuttgart für die Erlaubnis, den Artikel auf ondamaris zu übernehmen!

Artikel nicht unter der Lizenz CC-by-sa, Urheber- und Nutzungsrechte bei Autor und Verlag

Die Hygienehinweise des RKI sind im Internet zu finden:
Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention: „Infektionsprävention in der Zahnheilkunde – Anforderungen an die Hygiene“, Bundesgesundheitsblatt 2006 – 49: 375 – 394

4 Gedanken zu „Hygiene in der Zahnmedizin: HIV-Infizierte und Nicht-Infizierte gleich behandeln“

  1. Also mein Zahnarzt hat kein Problem mit HIV.Wobei ich in Frankfurt/M. lebe,mag sein das es auf dem Land oder in Kleineren Städten anderst aussieht.
    Allerdings mußte ich mich einiger Kieferchirurgischer Eingriffe unterziehen…,und auf Nachfrage warum ich immer den letzten Termin vor Mittagspause oder Feierabend bekomme (habe HIV bei der Terminvereinbarung genannt),sagte man mir das ich immer einen Termin als letzter in einem OP bekomme…,weil nach mir dieser OP dann geschlossen und komplett desinfiziert wird.
    Meinen witzigen Kommentar „…ob es nicht auf Dauer zu teuer ist,den OP jedesmal auszubrennen und wieder neu einzurichten?“…,hat die Sprechstundenhilfe nicht gut aufgenommen. 😉

    Der Kieferchirurg erklärte mir dann das das eigentlich nichts mit der Gefahr einer Weitergabe der HIV Infektion zu tun habe…,das sei aufgrund der normalen Hygiene eh so gut wie ausgeschlossen…,sondern das es Versicherungstechnische Gründe hätte…,für den Fall das mal ein Patient ankommt,sich irgendwo mit HIV angesteckt hat und dann versucht es dem Kieferchirurg anzulasten.
    Dann sind die auf der Sicheren Seite…

    Aber irgendwie ein komisches Gefühl zu wissen das wegen mir ein solcher Aufwand getrieben wird…,und alle die die ihre HIV oder HEP oder was auch immer für sich behalten jeden Termin bekommen können…,(ich werde es trotzdem jeden Arzt der mich aufschneidet auch in Zukunft sagen).
    ……naja aber das ist ja alles nur aus Versicherungstechnischen Gründen!

  2. @ Lommox
    Kann ich s nachhvollziehen? Ich glaube nicht so ganz. Wenn wir in den USA lebe würden, wo horrende Summen von Firmen/Unternehmen wegen abstrusester Vorfälle erklagt werden, könnt ich es nachvollziehen.

    Schließlich gibt s einige Krankheiten die man als Patient haben kann ohne das man es weiß. Ich denk da nur an ne Hep C oder was auch immer. Nach jeder Operation sollt ne Totalinfektion des Raumes in dem ein Patient operiert wurde stattfinden. Nach der Logik der Aussage dieses Zahnarztes scheint es damit aber nicht so genau genommen zu werden.
    Zudem . . . ist das Argument „für den Fall das mal ein Patient ankommt,sich irgendwo mit HIV angesteckt hat und dann versucht es dem Kieferchirurg anzulasten“. schlicht und einfach schwachsinnig. Woher soll ein Patient den ein Arzt nach einem HIV Patienten behandelt wird, wissen das der Patient vor ihm HIV Positiv war?

    Stellt die Sprechstundenhile nachdem ein Patient der HIV + war n Schild in der Praxis auf:

    Achtung Achtung Unser Zahnarzt hat heute einen HIV positiven Menschen behandelt!!!

  3. @alivenkickn

    zuersteinmal…
    …der letzte Satz meines Beitrags war ironisch gemeint,das hätte ich evtl. deutlicher machen können.

    Ansonsten teile ich deine Meinung bezüglich „…Krankheiten die man als Patient haben kann ohne das man es weiß.“ …dann weiß es nämlich auch der Kieferchirurg nicht und es wäre nicht Aktenkundig…

    …und auch wenn wir glücklicherweise nicht in den USA leben, gibt es hier leider Patienten, vor allem aber Versicherungen die wahrscheinlich versuchen würden sich das Geld da zu holen wo sie es nur irgendwie kriegen können…

    Im Falle eines Prozesses,wenn er also gezwungen wäre nachzuweisen wann wer behandelt worden wäre,könnte er diese besondere Hygiene nachweisen…

  4. Also ich setz mich bei keinem Zahnarzt mehr auf den Stuhl von dem ich nicht ein aktuelles Testergebnis gesehen habe. Basta! Viel zu gefährlich!

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