In Frankreich wird eine Datenbank eingeführt, mit der ‚potenzielle Störer‘ überwacht werden sollen. Auch sexuelle Orientierung und HIV-Status werden gespeichert.
Der französische Inlands-Geheimdienst DCRI soll zukünftig Personen ab 13 Jahren (!) in einer Datenbank speichern, wenn ihr Verhalten für die Zukunft eine mögliche Störung der öffentlichen Ordnung befürchten lässt. Dabei soll die Speicherung von Fotos, Körper- und Wesensmerkmalen, Adressen und anderen Daten zulässig sein. Edvige, so soll die neue Datenbank heißen (Exploitation Documentaire et Valorisation de l’Information Genérale), wurde am 27. Juni mit einem Dekret angeordnet. Unklar ist bisher, wer alles Zugang zu den Daten haben soll.
Die Maßnahme, die sich vor allem gegen die Gewalt von Jugendlichen in den Vorstädten richten soll, stößt auf Bedenken und Proteste. Die französische Datenschutzbehörde CNIL machte zahlreiche Einwände geltend. Doch Proteste kommen bei weitem nicht nur bei Datenschützern. Die Liga für Menschenrechte sprach von bereits einem ‚orwellschen Plan‘.
Schwulen- und Lesbenorganisationen beklagen insbesondere, dass auch Daten zur sexuellen Orientierung enthalten sein sollen. Zudem wird auch der HIV-Serostatus gespeichert.
Ein Vertreter des Innenministeriums hat mehrfach die Speicherung von sexueller Orientierung und HIV-Status bestätigt.
ACT UP Paris spricht von einem Rückfall in soziale Kontrolle wie in den 1950er Jahren und beteiligt sich an von der Nichtregierungsorganisation RAS koordinierten breiten Protesten gegen Edvige (Unterstützung des Protest-Aufrufs gegen Edvige hier). Zu den Unterzeichnern des Protests gegen Edvige gehören u.a. Aides (franz. Aidshilfe) , Amnesty International Frankreich, Attac, zahlreiche Gewerkschafts-Abteilungen und zahlreiche Lesben-, Schwulen- und Transgender-Gruppen und SNEG (Vereinigung schwuler Unternehmen).
Dokumente:
Dekret Nr. 2008-632 über Edvige
Nachtrag 24.07.2008: Le Monde berichtet (auf frz.) „Edvige beunruhigt Homosexuellen-Menschenrechts-Organisationen“ und Tetu hat eine Direktorin des CNIL (eine Art Datenschutz-Behörde) im Interview: „Fichier Edvige: l’interview de la Cnil“
Nachtrag 25.7.: Michèle Alliot-Marie, französische Innenministerin, rechtfertigt die Speicherung von Daten zu Gesundheit und sexueller Orientierung
Nachtrag 03.09.2008: gegen Edvige formiert sich weiter der Widerstand. „Ein Regen an Einsprüchen vor dem Conseil d’Etat“, berichtet Tetu (der Conseil d’Etat ist das oberste französische Verwaltungsgericht). Alle Einsprüche zielen auf die Annulation des Dekrets, mit dem Edvige beschlossen wurde. Der Conseil d’Etat wird bis Ende Dezember 2008 über die Zulässigkeit des Dekrets für Edvige entscheiden.
Was mich immer mehr ins Grübeln bringt: Bei all dieser Datensammelwut, egal ob bei der Einreise in die USA oder wie jetzt hier am Beispiel Frankreich dargestellt, wird als Begründung immer auf die Bekämpfung von Terrorismus oder sonstiger Gewalt abgestellt.
Welche Aussagekraft die einzelnen Daten haben, wird nie erläuert. Warum ist es für die Gewaltbekämpfung interessant, ob jemand schwul oder HIV+ ist. Bisher ist jedenfalls noch nicht die These vertreten worden, dass Schwule oder HIV+ besonders Gewaltbereit seien. Und auch als Terroristen sind sie noch nicht besonders aufgefallen. Warum also genau diese Fragen? Welches (Täter-)Profil oder Suchraster soll da erstellt werden? Wird vielleicht ein neuer schwuler Aufstand (à la Stonewall) befürchtet?
@ TheGayDissenter:
in Frankreich ist für edvige m.w. nicht begründung der terror von außen, sondern primär die unruhen, die in den letzten jahren in den vorstädten waren. stadt die ursachen zu beseitigen (jobs, fehlende lebensperspektiven, armut …) wird nun überwacht.
hiv und sexuelle orientierung sind nur zwei daten unter (erschreckend) vielen. in dem interview auf tetu sagt der sprecher des innenministeriums, es gehe nicht singulär um die daten zu sex.orientierung oder hiv.
sie würden nicht per se gespeichert, sondern ihre speicherung sei vorgesehen für den fall, das besondere aktivitäten dies erforderlich machten. als beispiel nannte er wenn ich’s recht verstehe ‚militantisme‘ (das hört sich schlimm an, aber im frz., ist schon act up = militantisme) und zb gewaltsames eindringen bei einer demo in ein ministerium. dann würden auch gesundheitsdaten gespeichert. dito daten über sexuelle orientierung.
riecht also tatsächlich ein wenig danach als fürchteten sie ein neues stonewall.
das problem liegt u.a. darin – wer einmal die speicherung dieser daten prinzipiell ermöglicht, wird kaum wieder davon ablassen …
übrigens, das ganze ist ne frechheit. edvige = Hedwig – so hieß meine oma. sowas macht man doch nicht, die gute alte omi …
nachtrag: im gesetz, das die grundlage für das edvige-dekret ist, steht „«il est interdit de collecter ou de traiter des données à caractère personnel […] relatives à la santé ou à la vie sexuelle [des personnes]». laut sprecher von Michèle Alliot-Marie (innenministerin).
das würde heissen, die sammlung genau dieser daten (sex.orientierung, hiv) ist unzulässig.
etwas verwirrend …
Ich frage mich ja immer noch, wie all diese Daten zusammengeschnüffelt werden sollen.
Also angenommen, am Rande einer Anit-Iran-Demo randalieren ein paar Jungs in – sagen wir mal – dem örtlichen bureau des contributions directes. Sie werden festgenommen.
Dann wird also erstmal ein rundum Gesundheitscheck gemacht und eine Homo-Test, oder wie muss ich mir das vorstellen?
die sollen wohl u.a. im konkreten einsatzfall gesammelt werden. also – person bei homo-demo aufgefallen = in datensatz kommt „schwul“ mit rein … person bei act up-demo dito „hiv“ – so hab ich das verstanden
und – glaubst du dass homos bei den steuer-eintreibern demonstrieren? ;-))
Nee, aber ich kenne keine anderen französischen Behördenbezeichnungen… 😉
lach … das ist ja wieder typisch. typisch ;-))