Sexualität und Gesundheit brauchen Datenschutz

Vorratsdatenspeicherung gefährdet den Datenschutz – der gerade auch für Schwule und Lesben, sowie HIV-Positive von besonderer Bedeutung ist. Am 12. September findet in Berlin eine Groß-Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung statt.

„Sexualität und Gesundheit brauchen Datenschutz“, betont die Deutsche Aids-Hilfe. Doch genau dieser Datenschutz ist in Gefahr. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist seit 1. Januar 2008 in Kraft. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz (34.000 Beschwerdeführer) läuft derzeit.

‚Nach einem Gesetz, das CDU, CSU und SPD am 9. November 2007 gegen die Stimmen von FDP, Grüne und Linke beschlossen haben, ist seit 2008 nachvollziehbar, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS wird auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten. Entgeltliche Anonymisierungsdienste sind verboten. … Die Aufzeichnung von Informationen über die Kommunikation, Bewegung und Mediennutzung jedes Bürgers stellt die bislang größte Gefahr für unser Recht auf ein selbstbestimmtes und privates Leben dar.‘ (AK Vorratsdatenspeicherung)

Auch Schwule und Lesben, auch Menschen mit HIV sind davon direkt betroffen.

Vorratsdatenspeicheurng - Meine Sexualität geht dich nichts an Wolfgang
Vorratsdatenspeicherung - Meine Sexualität geht dich nichts an, Wolfgang

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung nennt Beispiele, wie auch Schwule und Lesben direkt von der Vorratsdatenspeicherung betroffen sein könnten:

Was bedeutet es wohl für einen Jugendlichen, wenn schon der erste Anruf bei einer Coming-out-Hotline dauerhaft protokolliert wird?
Kann es einem nicht bange werden, wenn der Staat die anfallenden Kommunikationsdaten laut aktuellem Gesetzesentwurf selbst zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten auswertet?
Könnte es vielleicht sein, dass Schwule in Polen lieber auf ein Chat-Profil bei einem Kontaktportal verzichten, wenn sie wissen, dass der örtliche Polizist dies im Zweifel selbst noch nach 15 Jahren über die Bestätigungs-E-Mail erfahren könnte?

Wer der Ansicht ist, eine Vorratsdatenspeicherung könne doch nichts wesentlich Gefährliches produzieren, sie zu einem kleinen Experiment eingeladen, einem Versuch namens „open trace“:

open trace ist eine Art online-  ‚Fingerabdruck-Browser‘. Die Initiatoren:

„Alle Spuren, die du im Laufe der Zeit im Internet hinterlassen, werden dir angezeigt. Und was diese Spuren über dich verraten, kannst du dir jederzeit auswerten lassen. Der digitale Fingerabdruck ist mehr, als nur ein geflügeltes Wort.“

Auf http://open-trace.de/ kann ausprobiert werden, welche Spuren das eigene Surfverhalten im Internet hinterlässt – ein lohnenswertes, sehr aufschlussreiches Experiment (das keine Installation von Programmen o.ä. erfordert), gerade wenn man etwas länger sein gewohntes Internetverhalten über open trace macht (z.B. Feeds lesen, Blaue Seiten, Facebook & co.).

Erschrocken über die Ergebnisse? Nachdenklich geworden?
Nicht umsonst betont auch die Deutscher Aids-Hilfe „‚Freiheit statt Angst‘ – Vorratsdatenspeicherung gefährdet HIV-Prävention“.

Samstag, dem 12. September 2009 wird unter dem Motto „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!“ eine Großdemonstration in Berlin stattfinden. Treffpunkt: 15.00 am Potsdamer Platz

weitere Informationen:
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung: Überwachung und Homosexualität
Deutsche AIDS-Hilfe 02.11.2007: Geplante Vorrats-Datenspeicherung gefährdet Online-Beratung der Aidshilfen
Deutsche AIDS-Hilfe 09.10.2008: „Freiheit statt Angst“ – Vorratsdatenspeicherung gefährdet HIV-Prävention
Sachstand zur Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung
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Rosa Listen in Leder ?

Zum Wochenende gibt’s zwei Lesetipps, beide über frische Irrungen und Wirrungen aus der Welt der „Lederszene“:

‚Samstag ist ein guter Tag …‘ berichtet über
– ein Ledertreffen mit Ausweis-Pflicht (ja, sowas gibt’s – in Hamburg, im Jahr 2009), und
– eine keusche Wahl zum ‚International Mr. Leather“, auf der jegliche Propagierung von Bareback verboten ist (ja, das gibt’s noch, auch 2009, Jahre nach den Bareback-Debatten hierzulande, ein Jahr nach EKAF, in Chicago).

siehe auch
LifeLube 17.07.2009: IML makes history
LifeLube 17.07.2009: IML says no to bareback merch
thesword.com 16.07.2009: IML Founder Chuck Renslow Responds
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ex-Edvige: Dekret jetzt ohne personenbezogene Homo-Daten? (akt.)

Frankreichs Innenministerin Michèle Alliot-Marie scheint nach massiven Protesten einen Rückzieher zu machen. In der umstrittenen Datei ‚Edvige‚ wird überarbeitet und sollen zukünftig doch keine personenbezogenen Daten zu Homosexualität gespeichert werden. Ein neues Dekret soll in Kürze vorgelegt werden.

Am Donnerstag, 18. September kündigte Michèle Alliot-Marie, die französische Innenministerin, ein neues Edvige-Dekret an. Personendaten sollen demzufolge nicht mehr in der Datei ‚Edvige‘, sondern vor Ort in den Präfekturen gespeichert werden. Informationen zur Homosexualität sollen nur noch über Organisationen, nicht mehr über Personen gespeichert werden. Über die Speicherung von Daten zu HIV nach dem neuen Dekret wurde bisher nichts bekannt.

Bereits am Dienstag (9.9.) abends hatte sich die Entwicklung angekündigt. Sarkozy hatte angesichts der Proteste und Klagen gegen Edvige zu einem Krisentreffen in den Elysée-Palast gebeten. Zuvor hatten selbst Minister aus Sarkozys Kabinett Zweifel an Edvige geäußert (Verteidigungsminister Hervé Morin und Rama Yade, Staatsministerin im Auswärtigen Amt).

Am Wochenende 13./14.9. tauchten dann erste Spekulationen auf, ein neues Edvige betreffendes Dekret befinde sich bereits in konkreter Vorbereitung und werde kurzfristig vorgelegt. Diese neue Version werde keine Angaben mehr enthalten zu sexueller Orientierung und HIV-Status. Abgeordnete forderten u.a. statt eines Dekrets ein Gesetz für Edvige.

Innenministerin Alliot-Marie hatte ‚Edvige‘ eigentlich ohne große Debatten durchsetzen wollen. Bisher hatte die Regierung nur zugestanden, über Edvige sei unzureichend informiert worden. Inhaltliche Fehler oder Probleme hingegen waren bisher nicht zugestanden worden. Immer wieder rechtfertigte sie ihr Dekret.

Staatspräsident Sakozy hingegen wurde wegen der Proteste zunehmend unruhig und betonte am 11.9., er hoffe auf baldige klarstellende Entscheidungen in den nächsten Tagen. Er kommentierte, alles was (bei Edvige) für die Sicherheit Frankreichs nicht erforderlich sei, könne doch entfallen. Dies galt bereits als Anzeichen anstehender inhaltlicher Modifikationen.

Im Rahmen von Edvige sollten ursprünglich u.a. auch Daten zu sexueller Orientierung sowie Gesundheit (auch HIV-Status) gespeichert werden.

Die Proteste gegen Edvige gingen durch nahezu die gesamte französische Gesellschaft. Schwulen- und Lesbengruppen fürchteten neuer ‚Rosa Listen‘, Aids-Gruppen protestierten gegen die Speicherung von HIV-Daten.

Nach den immer stärker werdenden Protesten erklärte Alliot-Marie ihre Bereitschaft, Aufbewahrungszeiten mancher Daten zu verkürzen.

Für den 16. Oktober ist eine große Protest-Demonstration in Paris geplant.

Die französische Schwulenzeitschrift Tetu enthüllte inzwischen, dass Daten zu Homosexualität längst gespeichert werden …

Nachtrag 20.9.2008: Edvige heißt nicht mehr Edvige … (Le Monde über ex-Edvige, danke an M.!) und gespeichert werden sollen nun ’nur noch‘ die Daten von ‚Personen, die als Bedrohung für die öffentliche Ordnung gelten‘.
Nachtrag 23.9.2008: SOS Rassisme fordert, auch keine Daten zur ethnischen Abstammung zu speichern.
Nachtrag 29.9.2008: Edvige heißt nun EDVIRSP – doch Kritik bleibt
Nachtrag 01.10.2008: die Bewegung „Non à Edvige“ hält ihren Aufruf zur Großdemonstration am 16.10.2008 in Paris aufrecht
Nachtrag 10.10.2008: Mit der Vorlage von Edvirsp wird Edvige zurückgezogen, dies hat das französische Innenministerium klargestellt.
Nachtrag 20.11.2008: ‚Cette fois, ‚Edvige‘ est bien morte‘

Der zumindest halbe Rückzieher, den die französische Regierung nun macht, zeigt einmal mehr, wie sehr sich zivilgesellschaftliches Engagement auszahlen kann. Ausschlaggebend für diesen teilweisen Rückzug waren nicht zuletzt die massiven Proteste eines äußerst breit angelegten Bündnisses von Gewerkschaften über politische Gruppierungen bis zu Schwulen- und Lesbengruppen sowie Aids-Organisationen.

… und, sorry, (fast) alle Links zeigen diesesmal auf französischsprachige Seiten … themenbedingt …

Frankreich: neue Rosa Listen auch für Schwule & Lesben, HIV-Positive?

In Frankreich wird eine Datenbank eingeführt, mit der ‚potenzielle Störer‘ überwacht werden sollen. Auch sexuelle Orientierung und HIV-Status werden gespeichert.

Der französische Inlands-Geheimdienst DCRI soll zukünftig Personen ab 13 Jahren (!) in einer Datenbank  speichern, wenn ihr Verhalten für die Zukunft eine mögliche Störung der öffentlichen Ordnung  befürchten lässt. Dabei soll die Speicherung von Fotos, Körper- und Wesensmerkmalen, Adressen und anderen Daten zulässig sein. Edvige, so soll die neue Datenbank heißen (Exploitation Documentaire et Valorisation de l’Information Genérale), wurde am 27. Juni mit einem Dekret angeordnet.  Unklar ist bisher, wer alles Zugang zu den Daten haben soll.

Die Maßnahme, die sich vor allem gegen die Gewalt von Jugendlichen in den Vorstädten richten soll, stößt auf Bedenken und Proteste. Die französische Datenschutzbehörde CNIL machte zahlreiche Einwände geltend. Doch Proteste kommen bei weitem nicht nur bei Datenschützern. Die Liga für Menschenrechte sprach von bereits einem ‚orwellschen Plan‘.

Schwulen- und Lesbenorganisationen beklagen insbesondere, dass auch Daten zur sexuellen Orientierung enthalten sein sollen. Zudem wird auch der HIV-Serostatus gespeichert.
Ein Vertreter des Innenministeriums hat mehrfach die Speicherung von sexueller Orientierung und HIV-Status bestätigt.

ACT UP Paris spricht von einem Rückfall in soziale Kontrolle wie in den 1950er Jahren und  beteiligt sich an von der Nichtregierungsorganisation RAS koordinierten breiten Protesten gegen Edvige (Unterstützung des Protest-Aufrufs gegen Edvige hier). Zu den Unterzeichnern des Protests gegen Edvige gehören u.a. Aides (franz. Aidshilfe) , Amnesty International Frankreich, Attac, zahlreiche Gewerkschafts-Abteilungen und zahlreiche Lesben-, Schwulen- und Transgender-Gruppen und SNEG (Vereinigung schwuler Unternehmen).

Dokumente:
Dekret Nr. 2008-632 über Edvige

Nachtrag 24.07.2008: Le Monde berichtet (auf frz.) „Edvige beunruhigt Homosexuellen-Menschenrechts-Organisationen“ und Tetu hat eine Direktorin des CNIL (eine Art Datenschutz-Behörde) im Interview: „Fichier Edvige: l’interview de la Cnil“
Nachtrag 25.7.: Michèle Alliot-Marie, französische Innenministerin, rechtfertigt die Speicherung von Daten zu Gesundheit und sexueller Orientierung
Nachtrag 03.09.2008: gegen Edvige formiert sich weiter der Widerstand. „Ein Regen an Einsprüchen vor dem Conseil d’Etat“, berichtet Tetu (der Conseil d’Etat ist das oberste französische Verwaltungsgericht). Alle Einsprüche zielen auf die Annulation des Dekrets, mit dem Edvige beschlossen wurde. Der Conseil d’Etat wird bis Ende Dezember 2008 über die Zulässigkeit des Dekrets für Edvige entscheiden.