Jahreswechsel 2011 (Teil 1): Blick zurück nach vorn

2011 wird Aids 30. Im März 1981 geht Gaetan Dougas (‚patient zero‘) wegen brauner Flecken zum Arzt, die später als Kaposi Sarkom diagnostiziert werden. Und der erste wissenschaftliche Aufsatz über das, was später Aids genannt wird, erscheint. 2011 hat aber auch das Erfolgskonzept hochwirksamer antiretroviraler Therapien Jubiläum – vor 15 Jahren war ‚Vancouver‘.

Zahlreiche Ereignisse jähren sich im Jahr 2011. Jahreswechsel – Blick zurück und Blick nach vorn. Heute: der Rückblick – was geschah vor zehn, fünfzehn, zwanzig, ja vor fünfundzwanzig oder dreißig Jahren zum Thema HIV / Aids? Welche bedeutenden Anlässe, welche Gedenk-Tage jähren sich 2011?

Im zweiten Teil am 6. Januar folgt dann ein Blick nach vorn – welche Themen könnten 2011 von großer Bedeutung sein?

15 Jahre Vancouver – der große Durchbruch

Der wohl wichtigste Event, der sich 2011 zum 15. Mal ‚jährt‘: die Aids-Konferenz von Vancouver. In Vancouver fand vom 7. bis 12. Juli 1996 unter dem Motto „One World, One Hope“ die XI. Internationale Aids-Konferenz statt.
Doch diese Konferenz war mehr als „nur“ eine „normale“ Aids-Konferenz. Vancouver wurde schnell zum Synonym für einen neuen  Aufbruch, für neue Hoffnung. Für eine neuen Wirkstoffklasse, die Proteasehemmer. Statt nur wenige Monate wirksamer Medikamente wie bis dahin gab es mit Vancouver den lange erhofften, erwarteten Durchbruch, wirksame Dreier-Kombinationen. Medikamente verschiedener Wirkstoffklassen mit einander kombiniert erreichten eine bis dahin fast undenkbare Wirksamkeit. Beinahe schon tot Geglaubte standen wieder auf, hatten plötzlich wieder Leben vor sich (darunter auch der Initiator von ondamaris).
Vancouver war und ist Synonym für Hoffnung – dass es doch gibt, was lange unmöglich schien: (Über-) Leben mit HIV und Aids. Und so wurde die Aids-Konferenz in Vancouver 1996 im Nachhinein auch zu dem, was lange undenkbar schien: dem Ende des großen Sterbens.

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Rückblicke

1981 – vor 30 Jahren

Der kanadische Flugbegleiter Gaetan Dugas aus Quebec City geht wegen auffälliger brauner Flecken auf der Haut zum Arzt. Wegen dieses Kaposi Sarkoms muss Dugas bald seinen Beruf aufgeben. Er stirbt am 30.3.1984. Dugas wird später lange Zeit als “Patient Null” (patient zero) bezeichnet, von dem die Epidemie ausgegangen sein soll.
Der Wissenschaftler Michael Gottlieb informiert im Juni in einem Bericht im  “Morbidity and Mortality Weekly Report” (MMWR) über eine ungewöhnliche Konstellation von Pilzinfektionen und Lungenentzündungen (PcP) bei fünf ansonsten scheinbar völlig gesunden jungen schwulen Männern aus Los Angeles. Offenbar ist das Immunsystem bei den Männern zusammengebrochen. Dieser Bericht gilt als die erste wissenschaftliche Veröffentlichung zu Aids.
Im New York Native erscheint im November ein Artikel von Michael Callen und Richard Berkowitz “Wir wissen, wer wir sind: Zwei schwule Männer erklären der Promiskuität den Krieg”.

1986

In der DDR wird beim Minister für Gesundheitswesen die ‘AIDS-Beraterkommission’ eingerichtet. Zu ihrem führenden Kopf avanciert schnell Prof. Dr. Niels Sönnichsen.
Erstmals wird ein HIV-infizierter Drogengebraucher in einer Stockholmer Seuchenklinik in Zwangsquarantäne gehalten.
Am 1. Januar bezieht die Deutsche AIDS-Hilfe DAH ihre ersten eigenen Arbeitsräume in der Berliner Straße 37 in Berlin.
Mit der Bekanntgabe der NIH, das bisher gegen Krebs (wirkungslos) eingesetzte Medikament AZT könne eventuell den Krankheitsverlauf verlangsamen, nimmt die AIDS-Forschung eine entscheidende Wende: erstmals zeichnet sich ein Medikament gegen HIV ab.
Die Internationale Kommission für Virus-Taxonomie benennt LAV und HTLV III um in “Human Immuno Deficiency Virus” (HIV). DAH und BVH (Bundesverband Homosexualität) veranstalten am 4. Juni einen “Aktionstag gegen Zwangsmaßnahmen” der Bayrischen Regierung.
Die DAH veröffentlicht das weltweit erste Unterrichtsmaterial zu HIV/Aids, das bald vom schweizerischen Bundesamt für Gesundheitswesen sowie vom österreichischen Gesundheitsministerium übernommen wird.
Rolf Rosenbrock veröffentlicht sein Buch “AIDS kann schneller besiegt werden” und prägt damit in der Folgezeit wesentlich die HIV/Aids-Prävention in Deutschland mit.

1991 – vor 20 Jahren

Vor zwanzig Jahren streiten sich Robert Gallo und Luc Montagnier darum, wem von beiden die Ehre der ersten Entdeckung des Humanen Immondefizienz-Virus HIV gebührt.
Das von der Künstlergruppe Visual AIDS in New York entwickelte Red Ribbon wird als internationales “AIDS Awareness” – Symbol eingeführt.
Auf Initiative des Referates ‘Medizin und Gesundheitspolitik’ der DAH wird die EATG European Aids Treatment Group gegründet.
Der Orden der Schwestern der Perpetuellen IndulgenzACT UP Deutschland wird gegründet (Mutterhaus in Berlin).
Aktivisten protestieren im September 1991 mit einer Stör-Aktion im Dom zu Fulda anlässlich des Abschluss-Gottesdienstes der Bischofskonferenz lautstark gegen die Positionen der katholischen Kirche zu Aids.
Mit ddI (Didanosin, Handelsname Videx®) wird im Oktober 1991 das zweite Medikament gegen Aids in den USA zugelassen.
Am 20. Juni stirbt Tennisprofi Michael Westphal an den Folgen von Aids. Der Schauspieler Brad Davis (u.a. Fassbinders ‚Querelle‘) stirbt am 8. September 1991. Am 7. November 1991 erklärte der Basketballstar ‚Magic‘ Earvin Johnson, dass er HIV-positiv ist.

1996

Vor fünfzehn Jahren wird UNAIDS als Aids-Organisation der Vereinten Nationen gegründet.
Deutsche Aids-Stiftung ‘positiv leben’ und nationale AIDS-Stiftung schließen sich zur ‘Deutschen AIDS-Stiftung’ zusammen.
Die Ära der HAART (highly active antiretroviral therapy) beginnt (siehe oben Konferenz von Vancouver).
Das New York Times Magazine betont in einem Artikel mit dem Titel “The End of AIDS: The Twilight of an Epidemic” die Hoffnungen, die mit den neuen Proteasehemmern verbunden sind.

2001 – vor 10 Jahren

Vor zehn Jahren bekommt Südafrika nach einer Einigung mit 39 Pharmaunternehmen Rechtssicherheit – kostengünstige generische Versionen von Aids-Medikamenten könne im Land vertrieben werden.
Am 1. Juni 2001 stirbt Nkosi Johnson im Alter von 12 Jahren an den Folgen von AIDS. Weltweit bekannt geworden war der südafrikanische Junge während der Welt- AIDS-Konferenz in Durban, als er mit seiner Botschaft ans Mikrofon trat “Wir sind normale menschliche Wesen. Wir können laufen, wir können sprechen.”
Parallel zum 8. Deutschen AIDS-Kongress findet vom 4. bis 7. Juli 2001 in Berlin die erste Veranstaltung unter dem Namen “Positive Begegnungen” statt.
Nach den Terror-Anschlägen auf das World-Trade-Center am 11.9.2001 befasst sich in einer Rede vor der United Nations University in Tokio am 2. Oktober 2001 UNAIDS-Direktor Peter Piot mit dem Zusammenhang zwischen AIDS und Sicherheit.

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Gedenken

Im Jahr 2011 jähren sich zahlreiche Todestage. Genannt seien nur – stellvertretend für viel zu viele weitere – Oliver Trautwein († 13.2.1996) und Ingo Schmitz († 22.5.1996) sowie Ronald M. Schernikau († 20.10.1991), Dieter Runze († 25.2.1991) und Freddy Mercury († 24.11.1991).

Ein Gedenk-Tag ist mir persönlich besonders: Am 20. August 1996 starb Rio Reiser – der Mensch, der immer wieder unvergleichliche Worte fand …

Und die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen,
die Spuren der Verzweiflung wird der Wind verweh’n.
Die durstigen Lippen wird der Regen trösten
und die längst verlor’n Geglaubten
werden von den Toten aufersteh’n.

(Text und Musik: Rio Reiser und R.P.S. Lanrue / Ton Steine Scherben, Land in Sicht, 1975)

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