Selbstzahler-Tarife bereiten Patienten, auch HIV-Positiven, in der Schweiz Probleme – plötzlich stehen sie vor hohen Medikamenten-Rechnungen von mehreren Tausend Franken. Krankenversicherer geraten in Verdacht, sich auf diese Weise ihrer ‚teuren‘ Versicherten entledigen zu wollen.
„Das macht dann 7.500 Franken“, spricht der freundliche Apotheker und lächelt. Er kann ja nichts dafür – dass der Patient, der gerade seine HIV-Medikamente bei ihm abholt, bei einem Krankenversicherer ist, der einen ‚Selbstzahler-Tarif‘ hat. Der HIV-Positive hingegen steht vor einem Problem: woher eben auf die Schnelle 7.500 Franken nehmen?
So könnte es für einen HIV-Positiven in der Schweiz ab 1. Januar aussehen. W.B., wie ihn der Tagesanzeiger nennt, ist in einer Krankenversicherung, die ihren Tarif ab kommendem Jahr auf Selbstzahler umstellt. Die Folge: in der Apotheke wird er seine (hochpreisigen) Aids-Medikamente zukünftig zunächst selbst bezahlen müssen, bevor er die Rechnung dem Versicherer zur Erstattung einreicht – und wartet, bis das Geld bei ihm eingeht, genannt werden drei Wochen als Bearbeitunsgzeit.
Die betreffende Krankenkasse begründet ihre Umstellung damit, man wolle „die Eigenverantwortung der Patienten fördern“. Experten vermuten andere Beweggründe: Kostensenkung. Oder das Vergraulen „teurer“ Patienten.
Das Blog ‚Pharmama‘ nennt inzwischen bereits sechs Krankenkassen, die in der Schweiz auf derartige Selbstzahler-Tarife umgestellt haben. In der Schweiz ist eine grundlegende Krankenversicherung gesetzlich Pflicht, ergänzbar um freiwillige Zusatzversicherungen. Zahlreiche private Anbieter konkurrieren. Die Beiträge sehen i.d.R. eine Kostenbeteiligung der Patienten vor.
In der Gesundheitspolitik (insbes. französischsprachiger Länder und der Schweiz) werden derartige Selbstzahler-Tarife auch als ‚tiers garant‘ oder TG bezeichnet. Der Versicherer (tiers = Dritter, hier: Krankenversicherung) garantiert (grant) die Kostendeckung bei diesen TG-Tarifen, der Versicherte zahlt aber zuerst selbst, bekommt anschließend erstattet – ggf. nach Abzug einer Selbstbeteiligung. TG-Tarife stehen im Gegensatz zu ‚tiers payant‘ – Tarifen (TP), bei denen Arzt und Apotheker direkt mit der Kasse abrechnen (wie in Deutschland bei der gesetzlichen Krankenversicherung bisher üblich).
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Auch in der deutschen Gesundheitspolitik wird die Einführung von Selbstzahler-Tarifen überlegt. Der Bericht aus der Schweiz zeigt eindrücklich, dass Patienten (insbesondere auch chronisch Kranke) hier wachsam sein sollten. Das Beispiel macht bewusst, was es in der Praxis bedeuten kann, wenn Politiker vermeintlich „die Eigenverantwortung der Patienten fördern“ wollen.
Erfahrungsberichte aus der Schweiz zu Selbstzahler-Tarifen kommen oft zu einem einfachen Schluss, wie ein Beispiel des Präsidenten der Ärztegesellschaft Solothurn zeigt: „Der Tiers payant wird von den Versicherern bevorzugt, der Tiers garant von der Ärzteschaft.“
Und die Patienten? Die stehen zwischen allen Stühlen und im Zweifelsfall vor großen Problemen. Sie werden laut Ärztepräsident „von beiden Seiten mit Informationsmaterial eingedeckt – und, wie entsprechende Fragen am Ende der Sprechstunde immer wieder zeigen, haben viele von ihnen Mühe, dieses Problem richtig zu verstehen und zu werten.“
weitere Informationen:
Tagesanzeiger 20.10.2010: Wie eine Krankenkasse ihre teuren Patienten vergrault
Pharmamas Blog 20.10.2010: Wie eine Krankenkasse ihre (teuren) Kunden vergrault
Christoph Ramstein, Präsident der Gesellschaft der Ärztinnen und Ärzte
des Kantons Solothurn (GAeSO): Tiers garant versus Tiers payant –
Dichtung und Wahrheit (pdf)
Aids-Hilfe Schweiz 16.11.2010: Krankenkasse wechseln lohnt sich für viele HIV-Positive
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