Schweiz: Zugang von Sans Papier zur Gesundheitsversorgung ist eine Notwendigkeit!

Ab Oktober wird in England der Zugang zur HIV-Therapie kostenlos für Sans Papiers. Gesundheitsexperten rechtfertigen diesen Entschluss mit Vorteilen der öffentlichen Gesundheit. In der Schweiz unterstehen Sans Papier dem Krankenversicherungsobligatorium. Wie ein Bericht des Bundesrates nun aber festhält, gibt es Probleme.

Da Sans Papiers dem in der Schweiz geltenden Obligatorium des Krankenversicherungsschutzes unterstehen, haben auch sie Zugang zur Schweizerischen Gesundheitsversorgung und somit zu HIV-Therapien. Erhebungen deuten aber darauf hin, dass ein grosser Teil der Sans Papiers über keinen Versicherungsschutz verfügt. Dies stellt nun auch ein Bericht des Bundesrates fest. Hauptgrund für die fehlende Krankenversicherung ist neben fehlender finanzieller Mittel zur Bezahlung der Prämien die Angst vor Entdeckung des illegalen Aufenthalts.

Die Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit sind klar: Arztbesuche werden aufgeschoben, bis sie aus gesundheitlichen Gründen unumgänglich sind und aufwändige Behandlungen nach sich ziehen. Das ist sowohl für die betroffenen Personen wie für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten wie HIV oder TB bedeutsam.

Diese Diskrepanz zwischen gesetzlichem Anspruch und Realität hat der Bundesrat in seinem Bericht erkannt und fordert unter anderem, dass der Grad der Versicherungsdeckung von Sans Papiers erhöht und dass Sans Papiers und andere Versicherte durch die Krankenversicherer gleichbehandelt werden. Die Aids-Hilfe Schweiz begrüsst das Engagement des Bundesrates und fordert nun Massnahmen.

In einem wegweisenden Entscheid hat die englische Regierung diesen Schritt unternommen: Ab Oktober erhalten Sans Papiers kostenlosen Zugang zu HIV-Therapien. Im Unterschied zum Schweizerischen System müssen Versicherte in England keine Prämien bezahlen. Die Präsidentin der Aids-Hilfe Schweiz und Nationalrätin Doris Fiala ist letzte Woche als Berichterstatterin in der Kommission Migration und Flüchtlingswesen des Europarates gewählt worden und wird in ihrer Funktion einen Bericht zur Situation von HIV und Migranten in Europa erstellen. HIV und Migration sind Themen, die die europäische Gemeinschaft gemeinsam anpacken müssen.

(Medienmitteilung der Aids-Hilfe Schweiz)

Versicherungen für HIV-positive Menschen in der Schweiz nach wie vor keine Selbstverständlichkeit

Versicherungen für HIV-positive Menschen in der Schweiz nach wie vor keine Selbstverständlichkeit

HIV-positive Menschen werden diskriminiert, besonders häufig bei Versicherungen am Arbeitsplatz. Das zeigt die aktuelle Diskriminierungsmeldung der Aids-Hilfe Schweiz. Die Abschaffung von unbegründeten Ausschlüssen aus Versicherungen könnte dies verhindern.

Drei von vier HIV-positive Menschen in der Schweiz gehen einer geregelten Arbeit nach. Dank der Behandlungserfolge ist HIV heute eine chronische Krankheit und HIV-positive Menschen leisten ihren Beitrag zur Wirtschaft. Und trotzdem werden sie diskriminiert.

Das zeigt die aktuelle Diskriminierungsmeldung der Aids-Hilfe Schweiz. Benachteiligungen von HIV-positiven Menschen am Arbeitsplatz und bei Versicherungen sind besonders häufig. Rund 46% der im ersten Halbjahr gemeldeten Fälle betreffen den Arbeitsplatz oder damit zusammenhängende Versicherungen – das sind nach wie vor zu viele.

Da ist der Fall von Reto M. (Name geändert). Mit der Absicht, den Betrieb seiner Eltern zu übernehmen, wollte er eine Einzeltaggeldversicherung als Absicherung abschliessen. Diese wurde ihm wegen HIV verweigert. Reto M. kam in Erklärungsnotstand, wussten doch seine Eltern nichts von seiner Infektion. Nicht nur seine berufliche Zukunft stand auf dem Spiel, er musste auch befürchten, dass seine HIV-Infektion bekannt wurde. Dank der Intervention der Aids-Hilfe Schweiz konnte eine Versicherung gefunden werden, die keinen generellen Ausschluss infolge HIV anbrachte. Doch Reto M. ist kein Einzelfall.

Die Abschaffung von unbegründeten Versicherungsausschlüssen könnte die Situation von HIV-positiven Menschen deutlich verbessern. „Wir erfahren immer wieder von HIV-positiven Menschen, dass sie aufgrund ihrer HIV-Infektion in ihrer Karriere behindert werden. Dafür besteht heute kein vernünftiger Grund. Gerade in der heutigen Wirtschaftskrise sind Benachteiligungen von HIV-positiven Arbeitnehmern schädlich und kontraproduktiv.“, sagt Harry Witzthum, Mitglied der Geschäftsleitung der Aids-Hilfe Schweiz.

Die Aids-Hilfe Schweiz ist die nationale Meldestelle für Diskriminierungen im HIV/Aids Bereich und meldet die ihr gemeldeten Fälle zweimal jährlich der Eidgenössischen Kommission für sexuelle Gesundheit. Sie interveniert bei Fällen von Diskriminierungen, berät HIV-positive Menschen in Rechtsfällen kostenlos und setzt sich dafür ein, dass politische, gesellschaftliche und gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Diskriminierung verhindern.

Diskriminierungsfälle in der Schweiz

Im 2011 wurden der Aids-Hilfe Schweiz 84 Diskriminierungsfälle oder Datenschutzverletzungen im Bereich HIV/Aids gemeldet, das ist eine Zunahme von 40% gegenüber 2007, als die nationale Meldestelle eingerichtet wurde. 27 davon betrafen den Bereich der Erwerbstätigkeit, 19 Sozialversicherungen, 16 Privatversicherungen, weitere das Ausländerrecht (2), Einreise- und Aufenthalt (2), das Strafrecht (4) sowie diverse (2). 9 Fälle von Datenschutzverletzungen wurden gemeldet und 3 aus dem Gesundheitswesen.

80 – 100 Fälle werden der Aids-Hilfe Schweiz jedes Jahr gemeldet. Dies ist aber nur die Spitze des Eisberges. Eine Normalisierung im Umgang mit HIV-positiven Menschen ist noch in weiter Ferne.

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(Medienmitteilung der Aids-Hilfe Schweiz)

Aids-Hilfe beider Basel: Kriminalisierung ist kontraproduktiv

Kriminalisierung sei aus Sicht der Prävention kontraptroduktiv, betont Franziska Reinhard, die neu gewählte Präsidentin der Aids-Hilfe beider Basel:

„Eine einseitige Schuldzuweisung ist in der Regel sowieso falsch. Normalerweise braucht es für ungeschützten Geschlechtsverkehr immer zwei. … Aus Sicht der Prävention hilft eine Kriminalisierung nicht weiter und ist eher kontraproduktiv.“

Franziska Reinhard ist neu gewählte Präsidentin der Aids-Hilfe beider Basel. Sie arbeitet rein ehrenamtlich ohne Bezüge.

Die neu gewählte Präsidentin der Aids-Hilfe Schweiz, Doris Fialla, hatte erst am Jahresanfnag mit ihren Bezügen für Diskussionen gesorgt (die anschließend von 50.000 auf 30.000 sFr gekürzt wurden). Zudem waren Darstellungen der Aids-Hilfe Schweiz von ‚Positive [als] armen, ausgegrenzten leidenden Menschen mit HIV/AIDS, die sich verstecken müssen, ihre Stellen verlieren und eine ungleich hohe Selbstmordrate haben‘ auf Proteste gestossen.

Tageswoche.ch 08.06.2012: Aids Hilfe – «Kriminalisierung hilft nicht weiter»

Schweiz: neues Epidemiegesetz verabschiedet – keine Anklage HIV-Positiver mehr wegen „vorsätzlicher oder fahrlässiger Verbreitung einer gefährlichen übertragbaren menschlichen Krankheit“ (akt.3)

HIV-Positive können zukünftig in der Schweiz nicht mehr (wie bisher möglich) wegen „vorsätzlicher oder fahrlässiger Verbreitung einer gefährlichen übertragbaren menschlichen Krankheit“ angeklagt werden.

Der Schweizer Nationalrat hatte der Revision des Epidemiegesetzes schon am 8. März 2012 mit 119 zu 40 Stimmen zugestimmt. Heute (1. Juni 2012) stimmte nun auch der Ständerat der Revision zu („Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG) (BBl 2011 311)“).

In der Folge wird §231 des Schweizer Strafgesetzbuches revidiert; der neue Text soll lauten „Wer vorsätzlich aus gemeiner Gesinnung eine gefährliche übertragbare menschliche Krankheit verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft.“ Dies solle zukünftig nur noch für Fälle von Bioterrorismus gelten. Für HIV kann dieser Paragraph zukünftig nicht mehr angewandt werden.

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Aktualisierung
01.06.2012, 17:30: Die DAH weist in ihrer Meldung darauf hin, dass „die Veränderung des Gesetzes allerdings nicht die Abschaffung der Strafbarkeit von tatsächlichen oder potenziellen HIV-Übertragungen [bedeutet], die nach wie vor als Körperverletzung geahndet werden können. Die zusätzliche Anwendung des Epidemiegesetzes hat bisher aber häufig zu einem höheren Strafmaß geführt.“
02.06.2012, 10:00: Am 12. Juni 2012 findet noch eine abschliessende Bereinigung der Differenzen des Epidemiegesetzes zwischen Nationalrat und Ständerat statt. (Dank an Michèle für diesen und weitere Hinwiese!)

15.06.2012, 09:30: Die Aids-Hilfe Schweiz weist auf folgende Termin-Verschiebung hin: „Beschluss zum neuen Epidemiengesetz verschoben
Nachdem der Nationalrat in der Frühjahrssession die Totalrevision des Epidemiengesetzes beraten und damit eine Änderung von Art. 231 StGB (Übertragung einer gefährlichen menschlichen Krankheit) beschlossen hat, debattierte auch der Ständerat über das Epidemiengesetz und ist dem Vorschlag des Nationalrats weitgehend gefolgt.
Eine Differenzbereinigung, welche auf den 12. Juni im Nationalrat vorgesehen war, wurde auf die Herbstsession verschoben. Deshalb können wir erst nach Abschluss dieses Verfahrens definitiv sagen, wie der Artikel in Zukunft genau lauten wird. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der einvernehmlich ungeschützte Sexualkontakt, d.h. wenn die Sexualpartnerin oder der Sexualpartner über die HIV-Infektion Bescheid weiss, nicht mehr strafbar sein wird.“

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weitere Informationen:
DAH 09.03.2012: Schweiz: HIV-Übertragung soll nicht mehr nach Epidemiengesetz bestraft werden
Sitzungsprotokoll der Nationalratssitzung vom 8.3.2012
HIV Justice Network 0ß9.03.2012: Switzerland: New Law on Epidemics only criminalising intentional transmission passed in lower house
DAH 01.06.2012: Schweiz: HIV-Übertragung wird nicht mehr nach Epidemiegesetz bestraft
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Kurz notiert … März 2012

23. März 2012: US-Präsident Obama nominiert Jim Yong Kim, Präsident der Elite-Universität Dartmouth und früher Direktor für Aids-Bekämpfung bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, als neuen Chef der Weltbank.

21. März 2012: Die Aids-Hilfe Mannheim stellte 2010 ihre Arbeit ein, befindet sich in Insolvenz. Nun gründete sich neu das „Kompetenzzentrum zu sexuell übertragbaren Infektionen. Mannheim“ KOSI.MA

19. März 2012: „“Man muss auch mal ein Risiko eingehen“, sagt Michael Stich – in Zusammenhang mit Geldanlage..

14. März 2012: In mehreren Studien wurden Wechselwirkungen zwischen HIV-Medikamenten und neuen Medikamenten gegen Hepatitis C untersucht.

10. März 2012: Die Zertifizierungsstelle für gemeinnützige, Spenden sammelnde Organisationen in der Schweiz entscheidet am 19. März über einen etwaigen Entzug des ZEWO-Gütesiegels für die Aids-Hilfe Schweiz. Fiala erklärt am 17.3., sie sei bereit auf ihr Salär zu verzichten. ZEWO und AHS erzielten am 19.3.2012 eine Einigung unter Reduzierung des Gehalts von Fiala auf 30.000 sFr. Kommentatoren konstatieren denoch einen „Reputationsschaden für die Aids-Hilfe“ Schweiz.

09. März 2012: HIV-Infizierte sollen in der Schweiz nicht mehr wegen „vorsätzlicher oder fahrlässiger Verbreitung einer gefährlichen übertragbaren menschlichen Krankheit“ angeklagt werden können, dies sieht ein Entwurf zum neuen Schweizer Epidemiegesetz vor.

Nach einem Führungswechsel beim GFATM gibt Entwicklungsminmister Niebel einen Teil der Mittel frei.

07. März 2012: In den USA ist das Early Access Program für den experimentellen Integrasehememr Dolutegravir gestartet.

Richard Lugner ist nach dessen Aussagen zu Homosexualität und HIV von Keszler vom Life Ball 2012 ausgeladen worden.

05. März 2012: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat ihre Richtlinien für die Verwendung von Statinen bei gleichzeitger Einnahme von HIV- oder HCV- Proteasehemmern aktualisiert.

01. März 2012: Das Amt des Präsidenten der Aids-Hilfe Schweiz war einst ehrenamtlich. Die neue Präsidentin Fiala trat das Amt unter der Bedingung einer ‚Entschädigung‘ von 50.000 Franken an – und gerät in die Kritik. Ihre Vorgängerin erhielt 15.000 sFr. Die Aids-Hilfe Schweiz reagierte mit einer Pressemitteilung.

Schweiz: HIV-positive Frau zu zwei Jahren Haft verurteilt (akt.2)

Das Obergericht Zürich hat heute (23.03.2012) eine HIV-positive Frau zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die 33-jährigen Frau wurde wegen mehrfach versuchter schwerer Körperverletzung und mehrfach versuchten Verbreitens von menschlicher Krankheit verurteilt.

Die aus Kenia stammende Frau soll ab 2005 mit zwei Männern über einen Zeitraum von drei Jahren Sex ohne Verwendung von Kondomen gehabt haben. Ein heute 30 Jahre alter aus Sierra Lerone stammender Mann sowie ein heute 34-jähriger Mann aus Dominica sollen sich dabei mit HIV infiziert haben.

In erster Instanz war die Frau bereits im Juli 2011 vom Bezirksgericht zu drei Jahren bedingter Freiheitsstrafe verurteilt worden. Sie habe von ihrer HIV-Infektion gewusst, ihre Sexpartner jedoch nicht informiert. Damals drohte ihr die Abschiebung – das Urteil wurde jedoch nicht rechtskräftig, da sie Berufung einlegte.

Das Obergericht Zürich vermeldet auf seiner Internetseite zu der Verhandlung (Geschäftszeichen SB110627-O):

„Die Beschuldigte habe den Geschädigten 1 nicht über ihre HIV-Infektion aufgeklärt, obwohl sie mit ihm regelmässig ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt habe. Den Geschädigten 2 habe sie durch ungeschützten Geschlechtsverkehr mit HIV angesteckt, obwohl sie um ihre Infektion gewusst habe.
Berufung der Beschuldigten gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 10. Abteilung, vom 7. Juli 2011 (DG110018)“

Die Frau hatte im Oktober 2005 bei einem Krankenhaus-Aufenthalt von ihrer HIV-Infektion erfahren. Es tue ihr leid, dass die Männer mit HIV infiziert seien, betonte sie im Prozess erneut. Allerdings habe sie ihre Sexpartner aufgefordert, Kondome zu benutzen, dies hätten diese jedoch unterlassen.

Ob die Frau antiretrovirale Medikamente einnimmt, und ob diese Therapie erfolgreich (Viruslast unter der Nachweisgrenze) ist, wird in den bisherigen Medienberichten nicht erwähnt.

In der aktuellen Verhandlung vor dem Obergericht wurde nur der ‚zweite‘ Fall des Mannes aus Dominica verhandelt.

Erst jüngst hatte die Deutsche Aids-Hilfe gefordert, die Strafbarkeit der HIV-Übertragung zu beenden und eine Resolution mit dem Titel “Keine Kriminalisierung von Menschen mit HIV!”verabschiedet. Internationale Experten hatten Anfang März 20121 die Deklaration von Oslo verfasst, die inzwischen von annähernd 1.300 Personen und Organisationen (darunter auch die Deutsche Aids-Hilfe) unterzeichnet wurde.

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Aktualisierung
23.03.2012: Laut Artikel des ‚Tagesanzeiger‘ haben sich beide Männer schon vor Oktober 2005 mit HIV infiziert – demnach bevor die Frau selbst von ihrer HIV-Infektion erfuhr.
24.03.2012: Die NZZ bemerkt „Der Infizierte hatte mehrere Male geltend gemacht, er wünsche nicht, dass seine Partnerin bestraft werde. Vermutlich ist ihm bewusst, was auch in Rechtsschriften zum Thema HIV und Strafrecht nachzulesen ist: «It takes two to tango.»“
20 minuten online bemerkt „Für eine günstige Prognose sprach vor allem die Tatsache, dass die Frau ihr Sexualverhalten seit der Strafuntersuchung radikal geändert hat.“
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weitere Informationen:
Tagesanzeiger 23.03.2012: Zwei Jahre Haft wegen Ansteckung mit Aids
Berner Zeitung 23.03.2012: Zwei Jahre Haft wegen Ansteckung mit Aids
NZZ 24.03.2012: HIV-Übertragung bestraft: Infizierte Frau beharrt nicht auf Kondomgebrauch – bedingte Freiheitsstrafe
termabox 24.03.2012: Wenn das ungewollte „Kind“ plötzlich HIV heißt
29 minuten online 24.03.2012: Frau steckt Liebhaber mit HIV an
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Wir sind nicht nur Leidende und Opfer, wir gestalten unser Leben selbst !

offener Brief an Herrn Kohlbacher, Geschäftsleiter der Aids-Hilfe Schweiz:

Sehr geehrter Herr Kohlbacher

Ihr Interview im Tagesanzeiger vom 2.März 2012 veranlasst mich Ihnen offen und öffentlich zu schreiben. Ich schreibe Ihnen persönlich, als HIV-positive Frau und als AIDS-Aktivistin.

Darf ich Sie fragen mit welchen Zahlen Sie Ihre Aussage betreffend den grossen psychischen Problemen von Menschen mit HIV und AIDS, und der hohen Selbstmordrate, in der Schweiz belegen? Meines Wissens sind immerhin rund 70% der Menschen mit HIV und AIDS berufstätig, was sich mit grossen psychischen Problemen eher schwierig gestalten würde.

Ich stosse mich enorm an dieser einseitigen Darstellung von Lebensrealitäten von Menschen mit HIV und AIDS im Jahre 2012. Wir sind nicht nur Leidende und Opfer, wir gestalten unser Leben durchaus selbst und auch erfolgreich. Selbstverständlich ist das gesellschaftliche Stigma, durch Unwissenheit und Vorurteile, nach wie vor hoch und es gibt vieles an Ungleichbehandlung und Diskriminierung. Nach wie vor werden Menschen mit HIV und AIDS kriminalisiert und in Versicherungsfragen unnötig benachteiligt. Auch im privaten Leben gibt es immer wieder Unschönes zu erleben – aber Sie scheinen mir hier doch sehr zu einseitig zu kommunizieren.

Ich gehe davon aus, dass diese Darstellung der Aids-Hilfe Schweiz (und den erhofften Spenden) und ihrer Legitimation als Patientenorganisation dienlich sein soll.

Davon habe ich nach 18 Jahren AIDS-Aktivismus nun endgültig genug. Menschen mit HIV und AIDS haben der Aids-Hilfe über Jahrzehnte Glaubwürdigkeit verschafft, die ihr längst nicht mehr gebührt. Nebenbei: Wissen die Spendenden denn, dass nur ein Teil der Spenden, seit Jahren (!), Menschen mit HIV und AIDS in Form von Direkthilfe oder Projekten zu Gute kommt? Vielmehr wird damit die Geschäftstelle (33%) und die Primärprävention (24%+15%) unverhältnismässig hoch berappt. Tatsächlich bezahlt das BAG Ihnen keine Gelder für Menschen mit HIV/AIDS, aber Sie scheinen zu vergessen, dass dies das BSV bis anhin immer tat! (Immerhin geht dies aus der Jahresrechnung 2010 der Aids-Hilfe Schweiz hervor (pdf).

Das dauernde Hochhalten der armen, ausgegrenzten leidenden Menschen mit HIV/AIDS, die sich verstecken müssen, ihre Stellen verlieren und eine ungleich hohe Selbstmordrate haben, fördert wohl eher die Ausgrenzung anstatt die Inklusion, eventuell noch Mitleid und Spendengelder und nicht zu unterschätzen das Selbststigma.

Kurz es beleidigt mich und andere Menschen mit HIV und AIDS in der Schweiz.
Unsere Realitäten sind um einiges vielfältiger lebendiger und selbstbewusster!

Wir sind Teil der Gesellschaft- wir müssen es nicht erst noch werden. Und wir lassen uns nicht dauernd zu Opfern stilisieren, damit die Aids-Hilfe weiterhin behaupten kann, wir bräuchten sie, während es doch genau umgekehrt zu sein scheint. Ich hoffe in Zukunft verzichten sie auf solche Augenwischereien und werden immerhin denen, die sie angeblich vertreten, etwas gerechter in ihrer öfftenlichen Kommunikation. Ansonsten wäre es endlich an der Zeit öffentlich klar zu bekennen, dass die Aids-Hilfe eine Service-Organisation ist welche allerhöchstens Stellvertretung praktiziert und vorallem Menschen mit HIV und AIDS zur eigenen Glaubwürdigkeit braucht bzw. für Stellenprozente, Subventionen und Spendenaquise instrumentalisiert.

Beste Grüsse

Michèle Meyer
AIDS-Aktivistin

HIV-Alarm? Infektionswelle? Und was sagt meine Oma dazu?

„HIV-Alarm“, gellen die Schlagzeilen. Was ist da los? Die Leserin, der Leser mag (soll?) erschrecken – was ist denn jetzt wieder los? Drohen neue Infektionswellen, gar ein Rückfall in die furchtbaren alten Aids-Zeiten? Ist es schon wieder so furchtbar? Schauen wir einmal nach …

HIV-Alarm in St. Gallen„, gellt es aus dem Internet-Nachrichten des Schweizer Fernsehens, „Präventionsstellen in Sorge“. „Deutlich mehr HIV-Infektionen“ berichtet das St. Galler Tageblatt, der ‚Bote der Ur-Schweiz‘ hingegen erkennt nüchtern eine „Häufung von HIV-Infektionen in St. Gallen“.  Ein „neuer Infektionsherd“ lauert, sorge laut Schweizer Fernsehen „für Schlagzeilen“. Es muss also tatsächlich schlimm sein. Vielleicht sehr schlimm? Es sieht so aus. „Überdurchschnittlich viele HIV-Ansteckungen in St. Gallen„, vermelden die TV-Nachrichten des gleichen Senders.

Hören wir genauer hin, lesen wir nach, halten wir inne.

Wer ist betroffen? „Auffällig viele homosexuelle Männer“ seien es, melden die TV-Nachrichten. Und, schlimmer noch, es geht um Männer die sich teiweise „bei männlichen Prostituierten angesteckt“ hätten. Waren da etwa gewissenlose Stricher am Werk? Und unschuldige Opfer, die mit HIV infiziert wurden? Eine Meldung immerhin, die das Kantonsspital später korrigiert – genauer dementiert und in das Gegenteil korrigiert (ohne dass die Pressemeldung des Kantons korrigiert wurde): „Im Bericht von SF-DRS wird gesagt, dass eine Quelle für diese Infektionen ein Mann sei, der sich prostituiere. Dies entspricht aber nicht unseren Informationen. Wir wissen, dass mindestens ein Mann, der Sex gegen Geld anbietet, auch Opfer dieser Infektionswelle geworden ist. Den umgekehrten Weg haben wir bisher nicht nachgewiesen bei diesen neu diagnostizierten Personen.“

Wer schlägt Alarm? Besorgte Präventions-Arbeiter, oder eine lokale Aids-Hilfe? Irritierte oder hilflose Patienten? Besorgte Krankenkassen? Nein,keiner davon. „Die Staatskanzlei im Kanton St. Gallen schlägt Alarm“, berichtet der TV-Beitrag. Die Staatskanzlei.

Und worum geht es? Genau, es geht, wie es das Kantonsspital vermeldet, um „Handlungsbedarf“. „Der [Kantons-; d. Verf.] Arzt bietet darum in der Schwulenszene von St. Gallen derzeit Tests vor Ort an“, berichten die Nachrichten, „mobile Teams in Saunas, Bars und Discos“. Das Kantonsspital meldet auch den Hintergrund: „Grund für die Information waren die Ergebnisse der Abklärung von frischen HIV Diagnosen in diesen Wochen. Es zeigte sich nicht nur, dass ein grosser Teil der neuen Diagnosen auf eine kürzlich zurückliegende Infektion zurückzuführen sei, sondern auch dass ein grosser Teil der frisch infizierten Personen mit demselben Virus angesteckt wurden.“ Auch hier wieder: „viermal mehr Patienten“ werden beklagt.

Aber – wie viele Menschen sind denn nun von dieser „Welle“ betroffen in St. Gallen? Der TV-Beitrag weiß zu berichten von „deutlich mehr“ Ansteckungen. Und die TV-Nachrichten konkretisieren „Viermal mehr Personen als im Vorjahr“ seien betroffen. Viermal so viele, das sieht schlimm aus, sehr schlimm. Und der St. Galler Chefarzt befürchtet sogar, „dass sich noch weitere Männer angesteckt haben“. Die Zahlen können also steigen, immer weiter steigen. Das klingt ganz furchtbar.

Schauen wir einmal in die Zahlen. Schließlich schlagen die Nachrichten doch Alarm, sprechen vone einer Infektionswelle, die duch St. Gallen rolle. Um wie viele HIV-Neudiagnosen geht es denn? Moment – die Zahlen werden ja in den Berichten zunächst gar nicht genannt. Viermal so viel – das klingt gewaltig, es muss schlimm hergehen in St. Gallen. Aber – viermal so viel von was, von welchem Ausgangswert? Haben sich in St. Gallen gerade Hunderte, womöglich Tausende mit HIV infiziert?

Die Medienbrichte basieren auf einer Pressemitteilung des Kantons St. Gallen „Gehäufte HIV-Infektionen in der Ost-Schweiz„. Auch hier ist die Rede von „deutlich mehr HIV-Infektionen“ (und, nebenbei, wieder und bisher unkorrigiert vom „Umfeld von käuflichem Sex“). Es folgen Verweise auf Safer-Sex-Regeln und den HIV-Test – aber keine konkreten Zahlen. Wir bleiben ratlos. Zumal auch das Kantonsspital auf seiner Seite von „viermal mehr Patienten“ spricht – aber keine absoluten Zahlen nennt.

Dann suchen wir einmal die Zahlen. Nach den grellen Schlagzeilen blendet der TV-Beitrag kurz eine Grafik ein, eine Grafik des Kantonsspitals „Neueintritt ambulanter Patienten mit HIV-Infektion“. Bei genauerem Betrachten (die Stop-Taste hilft) ist zu erkennen: im vergangenen Jahr wurden am Kantonsspital St. Gallen pro Monat durchschnittlich ein bis fünf  neue HIV-Patienten aufgenommen (im Januar 2011 vier; über das Jahr durchschnittlich drei). Im Januar 2012 aber „ist die Zahl explodiert“ – es kamen 13 neue HIV-Patienten. 13 – einzig noch DRS1 regional vermeldet diese absolute Zahl in einer kurzen Notiz.

Einen HIV-Test zu propagieren, gerade wenn es risikobehaftete Sitautionen oder Konstellationen gegeben hat, das mag gut und sinnvoll sein. Aber – rechtfertigt das alarmistische Schlagzeilen von „HIV-Alarm“ und „Infektionswelle“?

Oder ertönt hier ‚Begleit-Musik‘, gar ein Ablenkungs-Manöver? Schließlich wird in St. Gallen gerade auch eine Klage verhandelt, Ehemann und Tochter einer an den Folgen ihrer HIV-Infektion verstorbenen Frau verklagen eine Ärztin, die Unterlassung eines HIV-Tests während der Schwangerschaft habe den Tod der Frau verursacht; sie fordern 1,5 Mio. Schweizer Franken Schadenersatz.

Wurden große Schlagzeilen produziert, um ‚mal wieder in den Medien zu sein‘? Oder ‚um auch mal was mit MSM zu machen (und nicht mit serodifferenten heterosexuellen Paaren)? (Was, nebenbei, die Frage aufwirft, warum werden nun zwar Schwule (MSM) angesprochen, sich auf HIV testen zu lassen – nicht aber die Sexworker (Stricher), die gezielt mit in die Berichte eingebracht wurden?)

Viele Frage. Es bleibt der bittere Eindruck von effekthascherischen Schlagzeilen, die die Frage nach dem Grund aufwerfen.
Mir kommen Erinnerungen an den „Schock zu Neujahr: Tausende absichtlich mit HIV infiziert – oder doch nicht?

Ohne einen Anstieg der Zahlen verharmlosen zu wollen – mich erinnert diese Art, Schlagzeilen zu generieren an meine Oma.
Die hätte, wenn jemich kleine Zahlen gaaanz gross aufgeblasen hätte, gesagt „Junge nun hör mal auf aus einer Mücke einen Elefanten zu machen“, und ergänzt „nun laß mal die Kirche im Dorf“.


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Nachtrag:
27.02-2012, 10:15: „HIV-Massentests für Schwule“ kündigt die NZZ an. „Die schnelle Verbreitung des HI-Virus in St. Gallen hat mit dem sexuellen Verhalten von schwulen Männern zu tun.“

Doris Fiala ist neue Präsidentin der Aids-Hilfe Schweiz

An ihrer ausserordentlichen Generalversammlung vom 21. Januar 2012 in Bern haben die Mitglieder der Aids-Hilfe Schweiz einen neuen Vorstand gewählt und das Präsidium neu besetzt. Die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala ist neue Präsidentin der Aids-Hilfe Schweiz.

Doris Fiala (Foto: fiala.ch)
Doris Fiala (Foto: fiala.ch)

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(Pressemitteilung der Aids-Hilfe Schweiz)

Aids-Hilfe Schweiz zum Welt-Aids-Tag: Gegen Diskriminierung im Arbeitsleben

Die Aids-Hilfe Schweiz ihre Kampagne zum Welt-Aids-Tag 2011 „Gegen Diskriminierung im Arbeitsleben“

Die bewährte Kampagne der Aids-Hilfe Schweiz mit prominenten Schweizer Persönlichkeiten geht in die nächste Runde. Dieses Jahr mit einem neuen Schwerpunkt: HIV und Arbeit. Neu konnte Tally Elfassi-Weijl, Gründerin und Inhaberin des Schweizer Fashionlabels TALLY WEiJL, für die Kampagne gewonnen werden.

„Gegen Diskriminierung im Arbeitsleben“ lautet das Motto der diesjährigen Kampagne. Neu konnte Tally Elfassi-Weijl, Inhaberin und Gründerin des Fashionlabels TALLY WEiJL mit 3000 Mitarbeitenden, als Testimonial gewonnen werden. Mit ihrer Aussage: „Totally tally ist, wenn HIV-positive Menschen gleiche Chancen haben“, spricht sie sich gegen Diskriminierung von HIV-positiven Menschen am Arbeitsplatz aus. Wie in den vergangenen Jahren werden zudem Rapper Stress, der Zürcher Sänger Michael von der Heide und das Tessiner Model Xenia Tchoumitcheva den Betrachter mit einer persönlichen Aussage zu HIV konfrontieren.

70 Prozent der HIV-positiven Menschen arbeiten
25’000 Menschen in der Schweiz leben mit HIV. 70 Prozent der HIV-positiven Menschen in der Schweiz arbeiten. Zwei Drittel davon Vollzeit. Dank der in den letzten Jahren stark verbesserten Therapien ist die Mehrheit der HIV-positiven Menschen arbeitsfähig. Doch eine Normalisierung ist in weiter Ferne: Unrechtmässige Kündigungen, Mobbing durch Vorgesetzte oder Kollegen, mangelnde Versicherungsleistungen und Datenschutzverletzungen sind in vielen Unternehmen an der Tagesordnung. Im Vorfeld des Welt-Aids-Tages vom 1. Dezember 2011 will die Aids-Hilfe Schweiz mit ihrer Kampagne auf die Situation von HIV-positiven Menschen im Arbeitsleben aufmerksam machen und die Öffentlichkeit für die Problematik sensibilisieren.

Workplace-Policy verhindert Diskriminierungen
Als weiteren Teil der Zusammenarbeit mit der Aids-Hilfe Schweiz hat das Unternehmen TALLY WEiJL sein bestehendes Arbeitsplatzreglement angepasst und um HIV erweitert. Das Reglement wird weltweit umgesetzt. „Durch die Anpassung unseres Arbeitsplatzreglements können wir ganz konkret etwas unternehmen und Diskriminierungen wegen HIV in unserem Unternehmen verhindern“, erklärt Tally Elfassi-Weijl das Engagement.

Mit einer Workplace Policy zu HIV verpflichtet sich ein Unternehmen beispielsweise, im Bewerbungsverfahren den HIV-Status nicht abzufragen, die Datenschutzbestimmungen einzuhalten und seine Angestellten vor diskriminierenden Handlungen zu schützen.

Die Welt-Aids-Tag-Kampagne der Aids-Hilfe Schweiz ist ab sofort auf Plakaten in der ganzen Schweiz, in öffentlichen Verkehrsmitteln in einigen Städten und als Spots im Fernsehen zu sehen.

Dossier „Gegen Diskriminierung im Arbeitsleben“

Veranstaltungskalender Welt-Aids-Tag

Downloads Plakatsujets

(Pressemitteilung der Aids-Hilfe Schweiz)

Schweiz: Diskriminierungen von HIV-positiven Menschen sind am Arbeitsplatz besonders häufig

HIV-positive Menschen werden diskriminiert, besonders häufig am Arbeitsplatz. Dies zeigt die aktuelle Diskriminierungsmeldung der Aids-Hilfe Schweiz. Ein Antidiskriminierungsgesetz könnte Abhilfe schaffen.

HIV/Aids ist heute eine chronische Krankheit. Dank der in den letzten Jahren stark verbesserten Therapien arbeiten heute 70% der HIV-positiven Menschen. Zwei Drittel der HIV-positiven Erwerbstätigen bekleiden eine 100-%-Stelle. Ist also alles gut?

Bei weitem nicht. Das zeigt die aktuelle Diskriminierungsmeldung der Aids-Hilfe Schweiz. Diskriminierungen und Datenschutzverletzungen von HIV-positiven Menschen am Arbeitsplatz sind besonders häufig.

Da ist der Fall von Marianne B. (Name geändert). Ihr wurde ihre Arbeitsstelle gekündigt, kurz nachdem ihr Chef von ihrer HIV-Infektion erfahren hat. Die Kündigung war klar missbräuchlich. Aufgrund der traumatischen Erfahrung hat Marianne B. die Arbeitsstelle verlassen und die Diskriminierung später gemeldet, aber von einer Klage abgesehen. Dank der Intervention der Aids-Hilfe Schweiz hat die Firma der Frau zumindest eine Abfindung bezahlt.

Ein Antidiskriminierungsgesetz, wie es in vielen europäischen Ländern vorhanden ist, würde die rechtliche Situation für HIV-positiven Menschen entscheidend verbessern. „Wir erleben immer wieder, dass die Rechtslage in der Schweiz HIV-positive Menschen daran hindert, ihr Recht einzufordern“, sagt Aids-Hilfe-Juristin Caroline Suter. „Die Umkehr der Beweislast, also dass der Arbeitgeber zeigen müsste, dass er nicht missbräuchlich gehandelt hat, wäre ein grosser Schritt.“

Die Aids-Hilfe Schweiz ist die eidgenössische Meldestelle für Diskriminierungen im HIV/Aids-Bereich und meldet die ihr bekannten Fälle zwei Mal jährlich der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen. Sie interveniert bei Fällen von Diskriminierungen, berät HIV-positive Menschen in Rechtsfällen kostenlos und setzt sich dafür ein, dass politische, gesellschaftliche und gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Diskriminierungen verhindern.

(Medien-Mitteilung der Aids-Hilfe Schweiz)

Sex and crime, einmal anders!

Heute schreibe ich einen ganz persönlichen Kommentar

Am 10. Juni findet in Zürich die dritte Artist Charity Night statt. Was als größte AIDS Charity der Schweiz gepriesen wird.

Ein kurzer Rückblick: an der ersten Artist Charity Night im 2009 waren wir als Vertreter von Lhive geladene Gäste. Wir hatten versucht mit den Veranstaltern im Vorfeld und am Event selbst in Kontakt zu treten, mit dem Ziel, dass Menschen mit HIV/AIDS einen Beitrag an dem Event leisten könnten.
Hier ein kurzes Video im Blick zur ersten Charity Night im 2009 : http://www.blick.ch/people/schweiz/artis-charity-2009-123446

Unser Wunsch wurde zwar lächelnd entgegengenommen, aber es war anscheinend uninteressant, denn es kam zu keiner Veränderung und im Jahr 2010 verzichteten wir darauf, schon nur daran zu denken, teilzunehmen!
Unterdessen hatten auch wir verstanden, dass die Veranstaltung auf Primär-Prävention abzielt und Solidarität nur etwas mit dem Portefeuille zu tun hat.

Nun folgt also Veranstaltung Nummer drei. Motto, Covergirl und Botschaft scheinen ein wunderbares Beispiel von Prävention als Motor für Diskriminierung zu sein.

Aber macht Euch selbst ein Bild:
„Das Motto “GALACTIKA” entsteht aus dem Gedanken der “Liebes-Botschaft” und ist angelehnt an den Film Barbarella.
Barbarella ist Astronavigatrice und der Gruß vom Erdpräsidenten zu ihr und retour ist:

Sieg der Liebe
Mit diesem Motto wollen wir den “Sieg der Liebe” vermitteln. Es geht darum zu vermitteln, dass Liebe auch Respekt bedeutet.
Respekt, indem man seinen Lebens- und/oder Liebespartner und sich selbst schützt.
Zudem ist das Thema total sexy und stylisch. Ideal für eine super Party.“
zu sehen hier auf diesem Plakat der Veranstaltung: http://www.artistcharitynight.ch/basic/key_2011.jpg

Ich bin geneigt zu sagen:“ Aha^^“ .
Doch nach einem tiefem Atemzug folgt, was folgen muss:
Sonst geht’s noch? Was ist das? Ein bewaffnetes Sexobjekt? Super. Gratulation an die Macher. Also liebe Heten, bewaffnet euch im Namen der Liebe gegen diese grauenhaften Viren ( oder sollte ich sagen Virenträger?). Vom Frauenbild ganz zu schweigen, ich glaube es versteht sich von selbst, dass dies nicht dem meinem entspricht!

Ja, richtig, ich koche vor Wut und hätte ungemein Lust, den Anlass als intergalaktische Virenschleuder zu besuchen. ( Als ob ich welche zum verschleudern hätte, im Zeitalter der Nicht-Nachweisbarkeit … )

Übrigens: der Erlös kommt zu 60% dem lighthouse zu gute. Aber dazu gerne ein andernmal.

Summa summarum habe ich den Eindruck: eine Glitzer-Glimmer Veranstaltung für HIV-Negative, um nebst fun, ein bisschen schlechtes Gewissen zu beruhigen und Geld dafür locker zu machen, um unter sich zu bleiben und Menschen mit HIV/AIDS zu diskriminieren. Ganz einfach: Sex and crime, einmal anders!

Kurz notiert … Februar 2011

27. Februar 2011: Der deutsche Zahlungsstopp bedroht nach internen Berechnungen des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria mindestens 43.000 Leben.

25. Februar 2011: Die US-Medikamentenbehörde FDA hat die Packungsbeilage von Kaletra® hinsichtlich Frühgeborener überarbeitet. Die Packungsbeilage für Viracept® (Nelfinavir) wurde um Wechselwirkungs-Angaben für Warfarin ergänzt.

23. Februar 2011: Pharmaunternehmen entschädigen Bluter mit Hepatitis C.

21. Februar 2011: Nur gut ein Fünftel der HIV-Positiven in der Ukraine erhält antiretrovirale Therapie – und selbst sie sehen sich jetzt massiven Versorgungsproblemen ausgesetzt.

19. Februar 2011: Die bisher detaillierteste dreidimensionale Darstellung von HIV durch ein Team des russischen Unternehmens Visual Science gewann in der Kategorie ‚Illustration‘ den Preis der ‚International Science and Engineering Visualization Challenge 2010‘.

18. Februar 2011: Die Bestimmung von CD4-Zellzahlen ist elementar, u.a. für Therapieentscheidungen. Für Positive in nicht oder weniger industrialisierten Staaten sind kostengünstige Tests besonders wichtig. Doch ein Medizintechnik-Konzern macht Probleme.

16. Februar 2011: Der Impfstoff Silgard/Gardasil kann bei jungen Männern das Entstehen von Feigwarzen deutlich vermindern.

15. Februar 2011: ACT UP Paris demonstriert vor dem französischen Pharma-Verband LEEM dafür, dass zwei neue Substanzen gegen Hepatitis C auch an Menschen getestet werden, die mit HIV und Hepatitis C koinfiziert sind.

In Südafrika beginnt eine Phase-IIb-Studie mit Sutherlandia frutescens (Ballonerbse). Sutherlandia wird in Südafrika als traditionelle Medizin eingesetzt (und ist auch einigen Positiven hierzulande seit langem bekannt). Die Studie des ‚South African Herbal Science and Medicine Institute‘ (SAHSMI) soll die Pflanze auf ihr Potential zur Behandlung von Begleiteffekten der HIV-Infektion untersuchen.

14. Februar 2011: Auf der Berlinale, die vom 10. bis 20. Februar 2011 in Berlin stattfindet, laufen auch Filme zu HIV / Aids: u.a. „We were here“ sowie der erste chinesische Dokumentarfilm zu HIV „Be together“.

11. Februar 2011: ‚Würden die (US-amerikanischen Medikamentenbehörden) FDA ein Verhütungsmittel zulassen, dass zu 44% wirkt?‘, weist Aids Healthcare Foundation auf viele Fragen zur derzeitigen Situation bei PrEP hin.

10. Februar 2011: Cornelia Yzer, bisher Cheffin des Verbands forschender Pharmaunternehmen (VfA), beendet ihre Tätigkeit Ende Juni 2011 – nach Medienberichten ’nicht ganz freiwillig‘.

HIV kann die Immunabwehr von Neugeborenen auch schwächen, ohne dass diese mit HIV infiziert werden, stellt eine US-Studie fest.

In Los Angeles sollen mit einer städtischen Vorschrift Porno-Produzenten zur Kondom-Verwendung bei Porno-Dreharbeiten gezwungen werden.

08. Februar 2011: Jugendliche in der Schweiz schützen sich besser vor einer HIV-Infektion. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit.

Eine kleine Studie in den USA untersucht, ob Disulfiram (Handelsname Antabuse®) geeignet ist HIV aus viralen Reservoirs auszuwaschen.

07. Februar 2010: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat Lopinavir / Ritonavir (Handelsname Kaletra®) in eine ‚watch list‘ wegen möglicher Sicherheitsprobleme bei Neugeborenen aufgenommen.

Tesamorelin (Handelsname Egrifta®) soll zukünftig in Europa nach Unterzeichnung eines entsprechenden Lizenzabkommens vom spanischen Unternehmen Ferrer International vermarktet werden.

Mord wegen HIV? Brachte ein 55 Jahre alter Frührentner zwei Cruiser um, weil er nach einer HIV-Infektion Schwule hasste?

06. Februar 2011: Kürzungen bei Krankenversicherungs-Programmen in den USA – laufen immer mehr US-Amerikaner mit geringem Einkommen Gefahr, keine wirksame HIV-Therapie mehr zu bekommen? Regan Hofmann sorgt sich in der Huffington Post über „The Alarming State of AIDS in America„.

Ein HIV-positiver Ugander befürchtet, aus Großbritannien nach Uganda abgeschoben zu werden – und dort um sein Leben fürchten zu müssen.

04. Februar 2011: Nach Vorwürfen der Zweckentfremdung von Mittel kündigt der Präsident des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose Michel Kazatchkine, an, die Zahl seiner Mitarbeiter, die für die Abwicklung der Hilfszahlungen zuständig sind, zu erhöhen

03. Februar2011: Erstmals seit Beginn der Aids-Krise ist in San Francisco die Mehrzahl der Menschen, die mit einer Aids-Diagnose leben, über 50 Jahre alt. 53% aller Menschen, bei denen im Jahr 2010 Aids diagnostiziert wurde, seien 50 Jahre oder älter gewesen, berichtet der Bay Area Reporter.

01. Februar 2011: Der Pharmakonzern Gilead hat die Laufzeit einer Phase-III-Studie seines experimentellen Integrasehemmers Elvitegravir auf Empfehlung der US-Medikamentenbehörde FDA von 48 auf 96 Wochen verlängert.

Schweiz: Methode zur Ermittlung des HIV-Ansteckungs-Zeitpunkts entwickelt

Forschende der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie haben eine einfache Methode entwickelt, um abzuschätzen, wann sich ein Patient mit HIV infiziert hat. Diesen Zeitpunkt zu kennen kann für die Behandlung wichtig sein und hilft, den Verlauf der Epidemie besser zu verstehen.

Ärzte wissen häufig nicht, wann sich ein Patient mit HIV angesteckt hat. Den genauen Zeitpunkt können sie nur bis etwa acht Wochen nach der Infektion – während deren akuten Phase – ermitteln. Macht jemand erst später einen HIV-Test, musste bisher unklar bleiben, ob die Übertragung vor drei Monaten oder vor zehn Jahren stattfand. Nun haben vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Forschende eine einfache Methode gefunden, um den geschätzten Ansteckungszeitraum zumindest einzugrenzen.

Wichtig für Studien zur Ausbreitung der Krankheit
Angaben zum Ansteckungszeitpunkt bringen laut Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich verschiedene Vorteile. Der Arzt kann zum Beispiel einfacher abschätzen, wie rasch die Krankheit fortschreitet – und den Behandlungsbeginn entsprechend anpassen. Und in epidemiologischen Studien lässt sich mit höherer Sicherheit voraussagen, wann Übertragungen stattgefunden haben, wie sich also die Krankheit ausgebreitet hat.

Zusammen mit Kollegen der ETH Zürich nutzten die Forschenden der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie Daten aus dem Resistenztest, der bei HIV-Positiven sowieso routinemässig durchgeführt wird. Dabei wird das Erbgut der Viren untersucht um herauszufinden, gegen welche Medikamente sie resistent sind. Wenn der Patient verschiedene HIV-Stämme in sich trägt, liefert der Test an einigen Positionen im Viruserbgut kein eindeutiges Ergebnis.

Abfallprodukt des Resistenztests
«Während langer Zeit galt die Unschärfe im Viruserbgut als Abfallprodukt des Tests», sagt Günthard. «Aber wir fragten uns, ob sie ein Mass für die Vielfalt der Viren im Blut sein könnte.» Weil die Virenvielfalt aus der Vermehrung und der Evolution der Erreger im Körper resultiert und über die Jahre hinweg zunimmt, könnte die Unschärfe im Viruserbgut daher Informationen über die Infektionsdauer enthalten. Günthard und sein Team prüften diese Vermutung, indem sie die Resistenztestdaten mit einer früheren, rudimentären Berechnungsmethode des Ansteckungszeitpunkts verglichen. Zudem gibt es bei einigen Patientengruppen genauere Angaben zur Infektionszeit: etwa, wenn jemand sich in der akuten Infektionsphase testen liess, oder vor und nach der Infektion je einen HIV-Test machte.

In der im Fachmagazin «Clinical Infectious Diseases» publizierten Studie (*) zeigen die Forschenden, dass der Anteil der uneindeutigen Stellen in den genetischen Sequenzen der Viren tatsächlich in den ersten etwa acht Jahren nach der Ansteckung gleichmässig ansteigt; dann wird die Kurve flacher. Um den Infektionszeitpunkt genau vorauszusagen, ist die neue Methode zwar noch zu wenig exakt. Doch den Forschenden gelang es, einen Schwellenwert zu bestimmen, ab dem die Infektion mit 99-prozentiger Sicherheit länger als ein Jahr zurückliegt.

(*) Roger D. Kouyos, Viktor von Wyl, Sabine Yerly, Jürg Böni, Philip Rieder, Beda Joos, Patrick Taffé , Cyril Shah, Philippe Bürgisser, Thomas Klimkait, Rainer Weber, Bernard Hirschel, Matthias Cavassini, Andri Rauch, Manuel Battegay, Pietro L. Vernazza, Enos Bernasconi, Bruno Ledergerber, Sebastian Bonhoeffer, Huldrych F. Günthard and the Swiss HIV Cohort Study (2011). Ambiguous Nucleotide Calls From Population-based Sequencing of HIV-1 are a Marker for Viral Diversity and the Age of Infection. Clinical Infectious Diseases online. doi: 10.1093/cid/ciq164 (als PDF beim SNF erhältlich; E-Mail: pri@snf.ch)

(Medienmitteilung des SNF)

Tätowieren wäre effizienter und ehrlicher

Die Schweiz will versuchen, die Zahl der Neuinfektionen mit HIV bis 2017 zu halbieren. Ein Mittel dabei unter anderen soll die Information von Kontaktpersonen sein – vom zuständigen Leiter der Sektion Aids des Bundesamts für Gesundheit als „kultureller Wandel“ bezeichnet.

Dazu ein persönlicher Kommentar von Michèle Meyer:

Tätowieren wäre effizienter und ehrlicher

Als Präsidentin von Lhive, der Organisation von Menschen mit HIV und AIDS in der Schweiz, als AIDS-Aktivistin und Bürgerin dieses Landes, werde ich die Verlautbarung von Roger Staub und dem BAG zum neuen nationalen Programm HIV & STI, nicht unkommentiert lassen können. Ich knorze seit Tagen an einer Stellungnahme. Ich bin zutiefst schockiert über die Allmachtsphantasien (Halbierung der Ansteckungen! )und die unsägliche Vorstellung von „kulturellem Wandel im Umgang mit Krankheiten“ Die R. Staub propagiert.

Kultureller Wandel
Als weiteres Ziel hat sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) einen «kulturellen Wandel» im Umgang mit den Krankheiten gesetzt, wie Roger Staub, zuständig für Prävention und Promotion im BAG, sagte. «Es soll selbstverständlich sein, dass ( HIV) positiv getestete Personen freiwillig ihre Angehörigen informieren», erklärte er.
Im Zusammenarbeit mit Organisationen und Fachstellen will das BAG künftig die Angehörigen von Patienten informieren – allerdings nur, falls diese einverstanden sind.
Staub berichtete von einem Angebot für Homosexuelle der Zürcher Aids-Hilfe: Werde ein Mann in der Anlaufstelle «Checkpoint» positiv auf HIV getestet, biete die Stelle an, sämtliche Sexualpartner per SMS oder E-Mail zu informieren. So sollen weitere Ansteckungen vermieden werden. [Quelle Tagesanzeiger]

Warum ist uns dies nicht schon lange eingefallen?!

Einfacher geht’s doch nicht:

Wir lassen uns von den Aids-Hilfen einfach fremd-outen, per SMS.

Die Handynummern unserer SexualpartnerInnen geben wir blind vertrauend an Sozialarbeiter weiter und fertig ist das Jammern rund um das Coming-out und all die Ängste vor Ausgrenzung , Ablehnung, Diskriminierung und Kriminalisierung! Ganz zu schweigen vom mühseligen Prozess der Selbstakzeptanz. Wir sind befreit!

Die SMS-Empfänger werden sich auch bestimmt nicht wundern, wenn das Handy surrt und folgende mögliche Textnachricht unverhofft hereinflattert:

:“ Guten Tag, Sie hatten kondomlosen Sex mit einer/ einem HIV-Infizierten. Dreimal dürfen Sie raten wer es war! Bitte testen sie sich anonym in nützlicher Frist. Wir senden Ihnen gerne einen Reminder. Sollten Sie sich infiziert haben, begrüßen wir sie herzlich in der Gruppe der Marginalisierten und weisen darauf hin, dass sie die Möglichkeit haben ihren „ Anstecker“ anzuzeigen. Behandeln Sie diese Informationen bitte vertraulich. Ihre Aids-Hilfe. „

Was logischerweise darauf folgen muss, ist, dass wir in Zukunft auch unsere aktuellen Sexualpartner melden und wenn möglich schon vor dem ersten Date per SMS aufklären lassen. Schließlich gehört unsere Sexualität vom Moment der HIV-Diagnose nicht mehr uns; Sozialarbeiter, Institutionen und Ämter müssen wissen was wir mit wem wann und wie „ gruusiges“ machen! Denn nur so können sie adäquat auf diese konstante Bedrohungen antworten und Negativen-Hilfe vom Schreibtisch aus tätigen.

Apropos: Mir scheint diese SMS-Outing Geschichte geradezu ein klassischer Fall von Schreibtischtäterei zu sein. Ob da mal einer MSM verkehrtherum geschrieben hat und es so zur zündenden Idee kam?

Coming-out ist nun Beratersache, Partnerinformation nennt es sich hübsch. Ja und natürlich nur freiwillig. Wobei diese Freiwilligkeit ja zur Selbstverständlichkeit erklärt werden soll.

Tätowieren wäre effizienter und ehrlicher.

Ich konstatiere: Dies ist das Ende der Solidarität, das Ende der Aids-Hilfen und das Ende vom Mär des AIDS-Aktivisten Roger Staub. Er unterwandert zielstrebig die Mündigkeit und Freiheit des einzelnen um seine Allmachtsphantasien voranzutreiben und die Aids-Hilfe ist das aufführende Organ.

Gekauft. Geschenkt.

Ich distanziere mich hiermit von diesem sogenannten „ kulturellem Wandel“, sowie von dessen Urheber und seinen Mitläufern und Zudienern.

Ich bin überzeugt, dass der kulturelle Wandel, den es anzustreben gilt nicht mit Fremd-outing beginnt und endet (oder ist etwa Nachbetreuung vorgesehen?!) sondern nur durch Entdiskriminierung und Entkriminalisierung beginnen kann!

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siehe auch:
DAH-Blog 07.12.2010: HIV-SMS vom Schweizer Amt wirbelt Staub auf
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Krankenversicherung Schweiz: ‚Selbstzahler‘ (nicht nur mit HIV) vor Problemen

Selbstzahler-Tarife bereiten Patienten, auch HIV-Positiven, in der Schweiz Probleme – plötzlich stehen sie vor hohen Medikamenten-Rechnungen von mehreren Tausend Franken. Krankenversicherer geraten in Verdacht, sich auf diese Weise ihrer ‚teuren‘ Versicherten entledigen zu wollen.

„Das macht dann 7.500 Franken“, spricht der freundliche Apotheker und lächelt. Er kann ja nichts dafür – dass der Patient, der gerade seine HIV-Medikamente bei ihm abholt, bei einem Krankenversicherer ist, der einen ‚Selbstzahler-Tarif‘ hat. Der HIV-Positive hingegen steht vor einem Problem: woher eben auf die Schnelle 7.500 Franken nehmen?

So könnte es für einen HIV-Positiven in der Schweiz ab 1. Januar aussehen. W.B., wie ihn der Tagesanzeiger nennt, ist in einer Krankenversicherung, die ihren Tarif ab kommendem Jahr auf Selbstzahler umstellt. Die Folge: in der Apotheke wird er seine (hochpreisigen) Aids-Medikamente zukünftig zunächst selbst bezahlen müssen, bevor er die Rechnung dem Versicherer zur Erstattung einreicht – und wartet, bis das Geld bei ihm eingeht, genannt werden drei Wochen als Bearbeitunsgzeit.

Die betreffende Krankenkasse begründet ihre Umstellung damit, man wolle „die Eigenverantwortung der Patienten fördern“. Experten vermuten andere Beweggründe: Kostensenkung. Oder das Vergraulen „teurer“ Patienten.

Das Blog ‚Pharmama‘ nennt inzwischen bereits sechs Krankenkassen, die in der Schweiz auf derartige Selbstzahler-Tarife umgestellt haben. In der Schweiz ist eine grundlegende Krankenversicherung gesetzlich Pflicht, ergänzbar um freiwillige Zusatzversicherungen. Zahlreiche private Anbieter konkurrieren. Die Beiträge sehen i.d.R. eine Kostenbeteiligung der Patienten vor.

In der Gesundheitspolitik (insbes. französischsprachiger Länder und der Schweiz) werden derartige Selbstzahler-Tarife auch als ‚tiers garant‘ oder TG bezeichnet. Der Versicherer (tiers = Dritter, hier: Krankenversicherung) garantiert (grant) die Kostendeckung bei diesen TG-Tarifen, der Versicherte zahlt aber zuerst selbst, bekommt anschließend erstattet – ggf. nach Abzug einer Selbstbeteiligung. TG-Tarife stehen im Gegensatz zu ‚tiers payant‘ – Tarifen (TP), bei denen Arzt und Apotheker direkt mit der Kasse abrechnen (wie in Deutschland bei der gesetzlichen Krankenversicherung bisher üblich).

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Auch in der deutschen Gesundheitspolitik wird die Einführung von Selbstzahler-Tarifen überlegt. Der Bericht aus der Schweiz zeigt eindrücklich, dass Patienten (insbesondere auch chronisch Kranke) hier wachsam sein sollten. Das Beispiel macht bewusst, was es in der Praxis bedeuten kann, wenn Politiker vermeintlich „die Eigenverantwortung der Patienten fördern“ wollen.

Erfahrungsberichte aus der Schweiz zu Selbstzahler-Tarifen kommen oft zu einem einfachen Schluss, wie ein Beispiel des Präsidenten der Ärztegesellschaft Solothurn zeigt: „Der Tiers payant wird von den Versicherern bevorzugt, der Tiers garant von der Ärzteschaft.“

Und die Patienten? Die stehen zwischen allen Stühlen und im Zweifelsfall vor großen Problemen. Sie werden laut Ärztepräsident „von beiden Seiten mit Informationsmaterial eingedeckt – und, wie entsprechende Fragen am Ende der Sprechstunde immer wieder zeigen, haben viele von ihnen Mühe, dieses Problem richtig zu verstehen und zu werten.“

weitere Informationen:
Tagesanzeiger 20.10.2010: Wie eine Krankenkasse ihre teuren Patienten vergrault
Pharmamas Blog 20.10.2010: Wie eine Krankenkasse ihre (teuren) Kunden vergrault
Christoph Ramstein, Präsident der Gesellschaft der Ärztinnen und Ärzte
des Kantons Solothurn (GAeSO): Tiers garant versus Tiers payant –
Dichtung und Wahrheit (pdf)
Aids-Hilfe Schweiz 16.11.2010: Krankenkasse wechseln lohnt sich für viele HIV-Positive
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