HIV vor Gericht: 1 – alles eine Frage der Abstammung

In Strafverfahren vor Gericht, in denen es um die Frage geht, ob ein Angeklagter eine Person mit HIV infiziert hat, kommt zunehmend ein Verfahren zur Anwendung, mit dem die Verwandtschaft zweier HI-Viren untersucht werden kann.

Zahlreiche Positive wurden in den vergangenen Monaten wegen Übertragung von HIV verurteilt, besonders in Großbritannien (siehe u.a. hier und hier). Bei den meisten Prozessen in Großbritannien spielte ein recht neues Untersuchungsverfahren eine wesentliche Rolle, die phylogenetische Analyse.

Strafverfahren mit dem Vorwurf der HIV-Übertragung haben in der Regel ein Problem: für die Vorgänge beim Zeitpunkt der Infektion gibt es keinen Zeugen (der bezeugen könnte, dass A den oder die B infiziert hat). Deswegen müssen die Verfahren auf Indizien und andere Beweisverfahren zurückgreifen.

Hier kommt die phylogenetische Analyse ins Spiel: mit Hilfe einer phylogenetischen (übers.: stammesgeschichtlichen) Analyse kann untersucht werden, wie eng verwandt zwei HIV-Varianten miteinander sind (dargestellt über einen so genannten phylogenetischen Baum).

Bereits seit längerem spielt diese phylogenetische Untersuchung eine wesentliche Rolle bei der Beurteilung einer HIV-Übertragung durch Bluttransfusionen (pdf hier, Literatur u.a. hier).

In jüngster Zeit jedoch beginnen sie auch in zivilrechtliche Verfahren Einzug zu halten: mithilfe phylogenetischer Analysen kann in einem Verfahren wegen HIV-Infektion auch untersucht werden, wie eng z.B. das HIV eines Angeklagten und des Klägers miteinander verwandt sind.
Anwälte und Staatsanwaltschaft könnten also versucht sein, diese Methode zu benutzen, um ihr Beweisproblem zu lösen – die Ergebnisse einer phylogenetischen Analyse als vermeintlicher ‚Beweis‘, dass der Beklagte den Kläger infiziert haben müsse.

Diese Idee ist keineswegs ein Hirngespinst – in Großbritannien wurden bereits zahlreiche Prozesse wegen absichtlicher oder fahrlässiger HIV-Infektion geführt, in denen die phylogenetische Analyse eines der wesentlichen Beweisverfahren war. Staatsanwaltschaften versuchten, mit Hilfe der Ergebnisse einer phylogenetischen Untersuchung die Vorgänge rund um die in Frage stehende Infektionskette zu rekonstruieren.

Dieses Untersuchungsverfahren wird jedoch wird nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland angewandt. So soll ein Labor in Mecklenburg-Vorpommern mit diesen Untersuchung bereits große Umsätze machen.

Dass die Folgen dieser neuartigen Untersuchungsmethode gravierend sein können, zeigt wiederum der Blick nach Großbritannien: hier hat dieses Verfahren inzwischen drastische Auswirkungen. In einem Großteil der Fälle, die vor Gericht landen, erklären sich die Angeklagten schon vorab für schuldig, um so zumindest auf mildernde Umstände (und damit ein niedrigeres Strafmaß) wegen ihres Geständnisses hoffen zu können.

Die phylogenetische Analyse der HIV-Verwandtschaft kann also die Situation in Strafprozessen u.U. gravierend verändern. Aber – ist also alles nur „eine Frage der Abstammung“? Ist es in Zukunft nur noch die Frage einer biochemischen Analyse, um eine Infektion(skette) nachzuweisen? Dazu mehr im zweiten Teil des Artikels.

5 Gedanken zu „HIV vor Gericht: 1 – alles eine Frage der Abstammung“

  1. Hi Ulli,

    ich sehe in dem Verfahren eigentlich keine Gefahr, da es durchaus auch Vorteile bringt: Unschuldig Angeklagte können damit ihr Aussage bekräftigen jemanden nicht infiziert zu haben, oder medizinisches Personal/Ärzte können eine HI-Infektion bei ihnen als Arbeitsunfall dokumentieren, um später Geld/Rente von der Berufsgenossenschaft zu bekommen.

    Lg Kalle

  2. @ kalle:
    zunächst einmal verändert sich mit einem derartigen verfahren (das ja bisher kaum bekannt ist) die situation drastisch – darauf möchte ich aufmerksam machen.

    was arbeitsunfälle etc angeht, hast du recht, das ist analog zu der transfusions-lage und sicher für die betroffenen hilfreich

    gefährlich könnte es allerdings werden, wenn aus den phylogenetischen daten schlüsse gezogen werden, die das verfahren gar nicht hergibt – nämlich über eine infektionskette …
    dazu mehr morgen im zweiten teil

    lg ulli

  3. @Ulli: ich kenne so ein Verfahren schon länger, weiss aber nicht, ob es sich genau um dieses handelt. Schon vor ein paar Jahren habe ich einer Person zugestimmt, meine Viren mit den seinigen zu vergleichen, um eine Verwandtschaft festzustellen. Leider konnte ich ihm damit nicht helfen, aber seither weiss ich, dass es diese Möglichkeit gibt. Wie aussagekräftig allerdings diese Methode ist, kann ich nicht beurteilen. Bin gespannt auf Teil 2,

    lg Kalle

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