Mit Justitia gegen Positive?

Sind es nur Zufälle? Oder mehren sich die Anzeichen, dass auch in Deutschland vermehrt mit juristischen Mitteln gegen HIV-Positive vorgegangen werden soll?
justitia
Einige Fälle in jüngster Zeit veranlassen zum Nachdenken.

In Großbritannien und einigen skandinavischen Ländern wird bereits seit einigen Jahren vermehrt das Mittel des Strafrechts gegen Positive eingesetzt. In jüngster Zeit gab es nun auch in Deutschland einige bemerkenswerte Fälle, in denen Positive Gegenstand juristischer Ermittlungen wurden:

Der Fall „Barmer“
Die Siegessäule berichtet in ihrer September-Ausgabe über mehrere Fälle, in denen die Barmer Ersatzkasse bei ihr krankenversicherte Positive angefragt hat mit der Bitte anzugeben, bei wem sie sich mit HIV infiziert hätten.
Auf Nachfrage und Beschwerde des HIV-/Aids-Wohnprojekts ZiK bestätigte die Barmer, ja, sie habe diesbezüglich nachgefragt, Ziel seien mögliche Regressforderungen. Sie sei sich zwar der Problematik der haftungsrechtlichen Prüfung bewusst, glaube aber zu Regress-Versuchen verpflichtet zu sein.
Regress heißt in diesem Fall: die Barmer versucht, ausfindig zu machen, wer den bei ihr versicherten Patienten infiziert haben könnte – um dem dann etwa die Behandlungs- und weiteren Folge-Kosten aufzubürden?
Sollen hier wieder einseitig Positive zur Verantwortung gezogen werden? Als gäbe es nicht eine beidseitige Verantwortung, auch beim Thema Safer Sex? Versucht hier eine Krankenkasse (etwa als „vorgeschobener Versuchsballon“?), eine Drohkulisse auszubauen? Oder drohen echte finanzielle Regress-Versuche gegen Positive?

Der Fall „Memmingen“
Aus Süddeutschland wird der Fall der Verurteilung eines Positiven wegen gefährlicher Körperverletzung gemeldet.
Das Landgericht Memmingen verurteilte am 27. Juni 2006 einen HIV-Positiven zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Ihm wurde vorgeworfen, im Frühjahr 2004 einen Sex-Partner zumindest bedingt vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben (Körperverletzung).

Ein Tötungsvorsatz wurde im konkreten Fall nicht unterstellt. Das Teilgeständnis des Angeklagten wurde strafmildernd gewertet; zu Lasten des Angeklagten wurde hingegen gewertet, dass er wahrheitswidrig seine eigene HIV-Infektion verleugnet hatte (erhebliche kriminelle Energie). Gutachter im Prozess war Prof. Goebel (München).

Die Situation in Großbritannien
In Großbritannien ist es in den vergangenen Jahren bereits zu zahlreichen Verurteilungen von Positiven u.a. wegen Körperverletzung gekommen.

Erst vor kurzem (Mitte September) wurde ein 43jähriger Brite (die britische Presse nannte in Berichten seinen vollen Namen und Adresse!) zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, mit einer 49jährige britische Frau (die in der darauf folgenden Zeit HIV-positiv getestet wurde) ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, ohne sie über seine HIV-Infektion aufzuklären. Psychische Probleme des Angeklagten wurden als nicht urteilsrelevant erachtet.

Dieser Fall war bereits der neunte Fall einer Verurteilung eines Positiven in Großbritannien wegen HIV-Übertragung. Von den ersten acht Fällen kamen nur zwei zur Verhandlung vor Gericht, in den übrigen sechs Fällen lagen vorher Schuld-Erklärungen vor. Die sieben ersten Fälle betrafen heterosexuelle Männer und Frauen, denen eine bewusste Infektion eines Sexpartners vorgeworfen wurde.

Ende Juli wurde erstmals auch ein schwuler Mann wegen bewusster Infektion verurteilt. Er hatte sich anfangs aufgrund virologischer Daten (und dem Rat seiner Verteidiger) selbst für schuldig erklärt. Ein Widerruf dieses Geständnisses wurde dann nicht für glaubwürdig erachtet.
Anfang August war erstmals in Großbritannien ein schwuler Mann vom Vorwurf der bewussten Infektion eines Sexpartners freigesprochen worden. Sein Verteidiger hatte mithilfe von Gutachtern nachweisen können, dass mit größter Wahrscheinlichkeit das HIV des Angeklagten keine Verwandtschaft mit dem HIV des Klägers haben kann (er also seine Infektion bei einem anderen Partner erworben haben müsse).

Beachtenswert ist, dass britische Gerichte in letzter Zeit vermehrt virologische Gutachten für die Urteilsfindung heranziehen. Virologisch kann nachgewiesen werden, ob zwischen zwei Varianten von HIV (zum Beispiel dem des Klägers und dem des Angeklagten) eine genetische Verwandtschaft besteht und wie eng diese ist.

Die britische Staatsanwaltschaft (Crown Prosecution Service) hat inzwischen einen Entwurf für Richtlinien erstellt und zur öffentlichen Diskussion gestellt. Diese Richtlinien sollen zukünftig regeln, wie die Staatsanwaltschaften mit Fällen umgehen, in denen die sexuelle Übertragung von Infektionskrankheiten (u.a. HIV) schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen hervorruft. Vor Abfassung des Entwurfs waren u.a. auch HIV-Ärzte sowie Aids-Gruppen konsultiert worden.

15 Gedanken zu „Mit Justitia gegen Positive?“

  1. @ Barmer

    In meinem Fall und dem meines Freundes wurde von der Barmer EK schon im Juni 1998 die beschriebene „Regressprüfung“ vorgenommen und wurden ohne uns in Kenntnis zu setzen die behandelnden Hausärzte angeschrieben.

    In einem persönlichen Gesprächmit dem Geschäftsführer der BEK wurde diese Kritik auch mitgeteilt. Die Ergebnisse des Gespräches wurden vom Geschäftsführer verschriftlicht und zu diesem Puntk lese ich: „.. Allein aus der Sorge heraus, die Versicherten mit der Fragestellung seelisch zu belasten oder sogar zum ersten Mal von der Infizierung zu informieren, richteten wir unsere Fragen nicht an Sie, sondern an den behandelnden Arzt.“
    Für das weitere Vorgehen seitens der BEK Wuppertal wurde zugesagt, erst mit dem behandelnden Arzt telefonsich zu klären, „ob sein Patient bereits Kenntnis von der Erkrankung erlangt hat und ob ihm zugemutet werden kann, die schadensrechtlichen Fragen der Kasse zu beantworten. Ist dies der Fall, wenden wir uns … an den Versicherten.“ Und weiter: „Wir versichern Ihnen nochmals ausdrücklich, daß die Kasse grundsätzlich keine Daten über HIV-Infizierte erhebt und speichert.“

    Das beschriebene Vorgehen der BEK ist also schon ca. 10 jahre alt. Mir ist aus all den Jahren nicht bekannt, dass HIV-Positiven, die sich über sexuellem Weg mit HIV angesteckt haben, in Regreß genommen wurden.

    Trotzdem sollte man dieses Vorgehen der BEK weiterhin sorgsam beobachten.

  2. @ michael:
    das ist ja drastisch und spannend – und mir ist spontan erstmal unklar, welche rechtsgrundlage denn die bek damals dafür hatte (sowohl für ihr verlangen nach regress-prüfung als auch für den direkten kontakt mit dem arzt)

    klasse, dass dies durch dich mal dokumentiert ist – so zeichnet sich immer mehr ab, dass dies keine isolierten einzelfällen sein könnten, sondern vielleicht eine sich aufbauende strategie …

    auch mir ist kein konkreter regress-fall bekannt – aber angesichts der derzeitig sich abzeichnenden paradigmen-wechsel hin zu schaden und schuld sollte dies thema auf der ‚watchlist‘ bleiben

    danke!
    lg ulli

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