Tätowieren wäre effizienter und ehrlicher

Die Schweiz will versuchen, die Zahl der Neuinfektionen mit HIV bis 2017 zu halbieren. Ein Mittel dabei unter anderen soll die Information von Kontaktpersonen sein – vom zuständigen Leiter der Sektion Aids des Bundesamts für Gesundheit als „kultureller Wandel“ bezeichnet.

Dazu ein persönlicher Kommentar von Michèle Meyer:

Tätowieren wäre effizienter und ehrlicher

Als Präsidentin von Lhive, der Organisation von Menschen mit HIV und AIDS in der Schweiz, als AIDS-Aktivistin und Bürgerin dieses Landes, werde ich die Verlautbarung von Roger Staub und dem BAG zum neuen nationalen Programm HIV & STI, nicht unkommentiert lassen können. Ich knorze seit Tagen an einer Stellungnahme. Ich bin zutiefst schockiert über die Allmachtsphantasien (Halbierung der Ansteckungen! )und die unsägliche Vorstellung von „kulturellem Wandel im Umgang mit Krankheiten“ Die R. Staub propagiert.

Kultureller Wandel
Als weiteres Ziel hat sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) einen «kulturellen Wandel» im Umgang mit den Krankheiten gesetzt, wie Roger Staub, zuständig für Prävention und Promotion im BAG, sagte. «Es soll selbstverständlich sein, dass ( HIV) positiv getestete Personen freiwillig ihre Angehörigen informieren», erklärte er.
Im Zusammenarbeit mit Organisationen und Fachstellen will das BAG künftig die Angehörigen von Patienten informieren – allerdings nur, falls diese einverstanden sind.
Staub berichtete von einem Angebot für Homosexuelle der Zürcher Aids-Hilfe: Werde ein Mann in der Anlaufstelle «Checkpoint» positiv auf HIV getestet, biete die Stelle an, sämtliche Sexualpartner per SMS oder E-Mail zu informieren. So sollen weitere Ansteckungen vermieden werden. [Quelle Tagesanzeiger]

Warum ist uns dies nicht schon lange eingefallen?!

Einfacher geht’s doch nicht:

Wir lassen uns von den Aids-Hilfen einfach fremd-outen, per SMS.

Die Handynummern unserer SexualpartnerInnen geben wir blind vertrauend an Sozialarbeiter weiter und fertig ist das Jammern rund um das Coming-out und all die Ängste vor Ausgrenzung , Ablehnung, Diskriminierung und Kriminalisierung! Ganz zu schweigen vom mühseligen Prozess der Selbstakzeptanz. Wir sind befreit!

Die SMS-Empfänger werden sich auch bestimmt nicht wundern, wenn das Handy surrt und folgende mögliche Textnachricht unverhofft hereinflattert:

:“ Guten Tag, Sie hatten kondomlosen Sex mit einer/ einem HIV-Infizierten. Dreimal dürfen Sie raten wer es war! Bitte testen sie sich anonym in nützlicher Frist. Wir senden Ihnen gerne einen Reminder. Sollten Sie sich infiziert haben, begrüßen wir sie herzlich in der Gruppe der Marginalisierten und weisen darauf hin, dass sie die Möglichkeit haben ihren „ Anstecker“ anzuzeigen. Behandeln Sie diese Informationen bitte vertraulich. Ihre Aids-Hilfe. „

Was logischerweise darauf folgen muss, ist, dass wir in Zukunft auch unsere aktuellen Sexualpartner melden und wenn möglich schon vor dem ersten Date per SMS aufklären lassen. Schließlich gehört unsere Sexualität vom Moment der HIV-Diagnose nicht mehr uns; Sozialarbeiter, Institutionen und Ämter müssen wissen was wir mit wem wann und wie „ gruusiges“ machen! Denn nur so können sie adäquat auf diese konstante Bedrohungen antworten und Negativen-Hilfe vom Schreibtisch aus tätigen.

Apropos: Mir scheint diese SMS-Outing Geschichte geradezu ein klassischer Fall von Schreibtischtäterei zu sein. Ob da mal einer MSM verkehrtherum geschrieben hat und es so zur zündenden Idee kam?

Coming-out ist nun Beratersache, Partnerinformation nennt es sich hübsch. Ja und natürlich nur freiwillig. Wobei diese Freiwilligkeit ja zur Selbstverständlichkeit erklärt werden soll.

Tätowieren wäre effizienter und ehrlicher.

Ich konstatiere: Dies ist das Ende der Solidarität, das Ende der Aids-Hilfen und das Ende vom Mär des AIDS-Aktivisten Roger Staub. Er unterwandert zielstrebig die Mündigkeit und Freiheit des einzelnen um seine Allmachtsphantasien voranzutreiben und die Aids-Hilfe ist das aufführende Organ.

Gekauft. Geschenkt.

Ich distanziere mich hiermit von diesem sogenannten „ kulturellem Wandel“, sowie von dessen Urheber und seinen Mitläufern und Zudienern.

Ich bin überzeugt, dass der kulturelle Wandel, den es anzustreben gilt nicht mit Fremd-outing beginnt und endet (oder ist etwa Nachbetreuung vorgesehen?!) sondern nur durch Entdiskriminierung und Entkriminalisierung beginnen kann!

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siehe auch:
DAH-Blog 07.12.2010: HIV-SMS vom Schweizer Amt wirbelt Staub auf
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5 Gedanken zu „Tätowieren wäre effizienter und ehrlicher“

  1. Ich möchte noch auf einen anderen Gesichtspunkt hinweisen:

    Wenn jemand, mit dem ich Sex hatte, anfängt meine Kontaktdaten zu verteilen, womöglich noch irgendwelchen sogenannten AIDS-Hilfen zugänglich zu machen, dann wäre mir das, ganz vorsichtig formuliert, nicht recht.

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