Quebec: Freispruch für HIV- positive Frau – die bewegende Geschichte von Diane

Eine HIV-positive Frau aus Québec, in erster Instanz verurteilt wegen vermeintlichem ungeschütztem Sex mit ihrem Partner, wurde in zweiter Instanz freigesprochen. Eine Geschichte um Liebe, Beziehung und Gewalt in der Beziehung- und den Umgang von Gerichten mit HIV-Positiven.

Diane (nicht ihr tatsächlicher Name) wurde in Québec 2008 angeklagt und verurteilt, weil sie ihrem ehemaligen Partner, mit dem sie vier Jahre zusammen war, nicht vor dem Sex ihren Serostatus mitgeteilt hatte. Im Dezember 2010 wurde sie vom Berufungsgericht freigesprochen.

Diane hatte sich vermutlich bei ihrem vorigen Partner und Ehemann mit HIV infiziert. Seit 1988 war sie mit ihm verheiratet, 1991 starb ihr Ehemann an den Folgen von Aids. Beide wussten bis zu dieser Zeit nicht von ihren HIV-Infektionen. 1991, kurz vor dem Tod seines Vaters,  kam ihr gemeinsamer Sohn zur Welt; er ist HIV-negativ.

Diane plante für den Fall ihrer möglichen (und zur damaligen Zeit angesichts nicht sehr wirksamer Therapien nicht unwahrscheinlichen) Erkrankung und eines etwaigen Todes – sie bemühte sich z.B. um mögliche Pflegeeltern für ihren Sohn. Doch sie lebt, länger als sie selbst es ursprünglich für möglich gehalten hatte – und lernte im Sommer 2000, am Rand eines Fußballspiels ihres Sohnes, einen Mann kennen, Vater eines Mitschülers ihres Sohnes. Eine Beziehung entwickelte sich.

Diane besprach sich die ganze Zeit über mit ihren Ärzten, nahm antiretrovirale Therapien – und als ihre Beziehung auch sexuell wurde, schützte sie sich. Ihre Ärzte hatten ihr, wie jeder HIV-positiven Person, gesagt, wenn sie für Schutz (Kondom) Sorge trage, sei in ihrer Situation der Partner nicht gefährdet, sondern in jedem Fall auf der sicheren Seite. Entsprechend verhielt sie sich – und teilte ihren Serostatus zu Beginn ihrer Beziehung (vor dem ersten Sex) dem neuen Partner zunächst nicht mit. Sie sorgte sich -ihr neuer Partner war selbst Vater eines Mitschülers ihres Sohnes- vor allem auch, bei einem unüberlegten Bekanntwerden ihres HIV-Status könne ihr Sohn diskriminiert werden.

Bevor beide zum zweiten Mal mit einander intim wurden, informierte sie ihren neuen Partner über ihren HIV-Status – er hatte begonnen von großer Liebe und gemeinsamer Zukunft zu sprechen. Er reagierte zunächst schockiert, mehrere Wochen hatten sie keinen Kontakt. Dann nahm er erneut Kontakt zu ihr auf, erklärte ihr seine Liebe, er wolle mit ihr zusammen leben. Ihr Serostatus war offensichtlich kein Hindernis.

Drei Jahre, bis 2003, lebten sie als Paar glücklich zusammen. Dann verschlechterte sich ihre Beziehung gravierend. ihr Partner wurde zunehmend kontrollierend, beschimpfte sie, stritt um die Erziehung ihres Sohnes. Schließlich beendete Diane von sich aus die Beziehung.

Ihr ehemaliger Partner wollte sich scheinbar mit dem Ende der Beziehung nicht abfinden. Im Dezember 2004 erwachte sie im Krankenhaus – wo sie eingeliefert worden war, mit Verletzungen an Kopf, Gesicht und Hals. Ihr Sohn, selbst am Arm verletzt beim Versuch seine Mutter zu schützen, hatte den Notruf gerufen, ihr damit das Leben gerettet.

Ihr ehemaliger Partner wurde für diese Aggression 2005 angeklagt und verurteilt. Kurz vor Verkünden des Urteils enthüllte er – offenbar in einem verzweifelten Versuch, freigesprochen zu werden – vor Gericht, dass Diane HIV-Positiv ist. Er warf ihr vor, beim ersten Kontakt ungeschützten Sex mit ihm gehabt zu haben, und ihm ihrem Serostatus nicht offenbart zu haben.

Diane, selbst Opfer der gewalttätigen Angriffe ihres (HIV-negativen) Ex-Partners, wurde nun wegen „krimineller Aggression“ angeklagt. 2008 wurde sie vom Gericht Saint-Valentin für schuldig befunden und zu zwölf Monaten Haft verurteilt. Der Richter hielt sie, obwohl sie sogar ihre gesamten medizinischen Akten und Berichte ihrer HIV-Spezialisten vorgelegt hatte, für nicht glaubwürdig. In seinem Urteil verkündet er zwei ‚fundamentale Verantwortungen‘ HIV-Positiver (in Kanada): ihrer Partner/innen vor Sex umfassend über ihren Gesundheitszustand zu informieren, und alles zu unternehmen, damit sexuelle Kontakte das kleinste nur denkbare Risiko bedeuten.

Am 14. März soll Diane ihre Haftstrafe antreten – ihr damals 17 Jahre alter Sohn würde allein bleiben müssen, bei Freunden. Sie hat einen Zusammenbruch, wird ins Krankenhaus eingeliefert. Ihr Anwalt beschließt kurz darauf mit ihrer Zustimmung, Berufung gegen das Urteil einzulegen.

Am 13. Dezember 2010 wird ihr Fall in Berufung erneut verhandelt, vor dem ‚Cour d’appel‘ von Québec. Das Berufungsgericht stellt fest, ein Fakt sei in der ersten Instanz nicht berücksichtigt worden – ihre Viruslast sei im fraglichen Jahr 2000 bereits unter der Nachweisgrenze gewesen. Selbst Mediziner hatten bestätigt, dass in diesem Fall das Infektionsrisiko „sehr minimal“ gewesen sei. Diane wird einstimmig freigesprochen.

Ihre Geschichte erzählte Diane exklusiv der kanadischen Positiven-Organisation und -Plattform ‚Fréquence VIH‘. Diane wurde bei ihrem Rechtsstreit stark unterstützt von der Gruppe COCQ-SIDA (Coalition des organismes communautaires québécois). Beide Gruppen unterstützen Diane auch beim Sammeln von Spenden für ihre Prozess-Kosten bzw. mit einem Rechtsanwalt. Sie bezeichneten den Fall als ‚herausragendes Beispiel für die Diskriminierung HIV-Positiver‘.

Einer ihrer Anwälte forderte nach dem Urteil den kanadischen Gesetzgeber auf, nun das kanadische Strafgesetz an die neuen Realitäten (Viruslast / Infektiosität) anzupassen und zu präzisieren, wann überhaupt noch strafrechtliche Verfolgung möglich sei.

.

weitere Informationen:
seronet.fr 15.12.2010: Pénalisation: un acquittement au Québec qui fait date
COCQ-SIDA
Fréquence VIH
Interview mit Diane auf Fréquence VIH (html, dort ‚document audio‘)
Fréquence VIH: Défendre „Diane“, c’est aussi nous défendre toutes et tous
Canadian HIV/Aids Legal Network
.