Kanada: HIV-Positiver für unbegrenzte Zeit in Haft ? (akt.)

Ein HIV-positiver Mann muss in Kanada evtl. zeitlich unbegrenzt in Haft bleiben, falls sich die Staatsanwaltschaft mit einem Antrag durchsetzt, ihn zum „gefährlichen Straftäter“ zu erklären.

2009 wurde der HIV-positive Johnston Aziga des Mordes für schuldig befunden. Die Staatsanwaltschaft bemüht nun derzeit sich im Rahmen eines „dangerous offender hearing“ darum, Aziga als „gefährlichen Straftäter“ feststellen zu lassen. Dies würde ihr erlauben, Aziga für unbegrenzte Zeit in Haft zu halten.

Der inzwischen 54jährige Johnson Aziga war 2009 des zweifachen Mordes für schuldig befunden worden. Er befindet sich seit seiner Festnahme am 30. August 2003 in Haft.

Der aus Uganda stammende Aziga weiß seit 1996 von seiner HIV-Infektion. Nach kanadischem Recht ist er durch eine Anweisung der Gesundheitsbehörden seit 2002 verpflichtet, seine SexpartnerInnen von seiner HIV-Infektion zu informieren und Kondome zu verwenden. Er hatte dennoch fortgesetzt kondomlosen Sex mit verschiedenen Frauen. Trotz  Fragen seiner Sex-Partnerinnen nach HIV sagte er ihnen bewusst nichts von seiner Infektion.

Von elf  Sexpartnerinnen sind inzwischen sieben HIV-positiv, vier wurden HIV-negativ getestet. Zwei 49 und 51 Jahre alte Frauen verstarben inzwischen an Aids-bedingten Krebserkrankungen.

Aziga gab in der Anhörung zur Frage, ob er als gefährlicher Straftäter erklärt werden solle,  an, ein Hoden-Hochstand sei Ursache seines Verhaltens. Medien zitieren einen von der Staatsanwaltschaft eingeschalteten forensischen Psychiater

„I asked Mr. Aziga why he thought he found himself where he was and he reported that his difficulties have root in the fact that he was born with one undescended testicle. He said that because of this abnormality he hid sexual information about himself all his life.“

Azigas Anwalt betonte, sein Mandant sei in der Haft fortgesetzter Stigmatisierung als HIV-Positiver ausgesetzt.

Der Presse zufolge war der Prozess gegen Aziga in Kanada der erste Fall einer Verurteilung wegen Mordes aufgrund HIV-Infektion. Die derzeitige Anhörung könnte bis Ende Mai dauern. Sollte er daraufhin als „gefährlicher Straftäter“ erklärt werden, würde dies nach kanadischem Recht ermöglichen, ihn für unbegrenzte Zeit in Haft zu halten.  Erstmals nach Ablauf von sieben Jahren hätte er das Recht, die Aussetzung der Strafe zu beantragen (danach alle 2 Jahre). Sollte die Kommission für Haftentlassungen ihn jeweils nicht reif für eine Haftentlassung befinden, müsste er bis an das Ende seines Lebens in Haft bleiben.

Eine zeitlich unbegrenzte Haft („echtes ‚Lebenslänglich'“) wäre in Deutschland nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1977 zufolge muss jedem Verurteilten grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, irgendwann wieder die Freiheit zu erlangen:

„Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden.“

Mit Urteil vom 4. Mai 20211 hat das Bundesverfassungsgericht zudem alle bestehenden Regelungen zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt. Zuvor hatte bereits am 13. Januar 2011 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt, dass die Sicherungsverwahrung gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Artikel 5 § 1 Europäische Menschenrechtskonvention) verstößt.

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Aktualisierung
04. August 2011, 09:00
: Aziga wurde zum „gefährlichen Straftäter“ (dangerous offender) erklärt. Damit verbleibt er vermutlich lebenslang in Haft, berichtet criminal HIV transmission.

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weitere Informationen:
The Canadian Press 11.05.2011: Man guilty of HIV transmission murders blames problems on undescended testicle
The Star 10.05.2011: Man guilty of HIV transmission murders blames problems on undescended testicle
The Spec 11.05.2011: Aziga: A sex offender unlike any other
Montreal Gazette 10.05.2011: Dangerous offender hearing set for man whose HIV killed
Bundesverfassungsgericht: BVerfGE 45, 187 – Lebenslange Freiheitsstrafe
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