wegen HIV gekündigter Chemielaborant: Klage abgewiesen (akt.2)

Die Klage eines Chemielaboranten, der wegen HIV gekündigt wurde, ist in erster Instanz abgewiesen worden, erfuhr ondamaris von einer mit dem Vorgang vertraute Person.

Ein 24jähriger Chemie-Laborant war innerhalb seiner Probezeit fristlos gekündigt worden – wegen seiner HIV-Infektion. Man müsse die eigenen Kunden schützen, schließlich sei eine Ansteckung nie völlig auszuschließen, begründete der Arbeitgeber.

Der Gekündigte hatte hiergegen Klage erhoben. Die Klage wurde nach der mündlichen Verhandlung am 21. Juli 2011 nun in erster Instanz abgewiesen.

Sowohl die Deutsche Aids-Hilfe DAH als auch die Berliner Aids-Hilfe hatten die Kündigung wegen HIV kritisiert. DAH-Geschäftsführerin Silke Klumb hatte betont „Für uns als Deutsche AIDS-Hilfe ist klar, dass sich der Diskriminierungsschutz auch auf Behinderungen bezieht, die durch eine HIV-Infektion entstanden sind.“

Ob der Kläger Berufung gegen das Urteil einlegt, ist bisher nicht bekannt. Der Kläger und sein Anwalt beabsichtigen, nach Eingang der schriftlichen Urteilsbegründung Berufung einzulegen.

Dien Deutsche Aids-Hilfe kritisierte die Entscheidung des Gerichts. DAH-Vorstandsmitglied Winfried Holz: „Das Arbeitsgericht hat die Gelegenheit verpasst, Rechtsgeschichte zu schreiben. Es hätte bei dieser Gelegenheit klar stellen können, dass auch Menschen mit HIV und andere chronisch Kranke durch das AGG vor Diskriminierung geschützt sind.“

siehe auch
DAH 03.08.2011: Kündigung wegen HIV in der Probezeit: Klage in erster Instanz abgewiesen
DAH 04.08.2011: Deutsche AIDS-Hilfe kritisiert Entscheidung des Berliner Arbeitsgerichts: Entlassung wegen HIV ist rechtswidrig

RBB-Beitrag 21.09.2011, 22:15 Uhr (Transkript): Kündigung wegen HIV-Infektion – Diskriminierung am Arbeitsplatz?
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5 Gedanken zu „wegen HIV gekündigter Chemielaborant: Klage abgewiesen (akt.2)“

  1. Das Arbeitsgericht hat massgeblich darauf abgestellt, dass die Kündigung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung hin überprüft werden könne, weil der Arbeitnehmer noch keine sechs Monate beschäftigt gewesen sei und das Kündigungsschutzgesetz daher keine Anwendung finde.

    Die Kündigung sei auch nicht willkürlich ausgesprochen worden, weil die vom Arbeitgeber für sie angeführten Gründe nachvollziehbar seien. Der Arbeitgeber habe den Arbeitnehmer zudem nicht wegen einer Behinderung diskriminiert und müsse daher auch eine Entschädigung nicht zahlen. Die bloße HIV-Infektion führe nicht zu einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und stelle daher keine Behinderung im Rechtssinne dar (ArbG Berlin, Urteil vom 21.7.2011, 17 Ca 1102/11).

    Der Arbeitgeber hatte vor allem geltend gemacht, die Kündigung sei aus Gründen der Arbeitssicherheit unumgänglich gewesen.

    Hier eröffnet sich unmittelbar ein Handlungsaufrag an die Deutsche AIDS-Hilfe: sie sollte noch einmal den aktuellen Stand der Problematik „Arbeitssicheriheit und HIV“ breitenwirksam vermitteln.

    Hier hat das Gericht sich nicht sachverständig beraten lassen, weil es die Argumentation für „nachvollziehbar“ gehalten hat. Nur mit einer breiten medialen Aufklärung kann verhindert werden, dass derartige Fehlbewertungen sich halten. Die Deutsche AIDS-Gesellschaft und mehrere virologische Fachgesellschaften haben angekündigt, demnächst eine Stellungnahme für HIV-Infizierte im Gesundheitswesen zu erarbeiten. Diese sollte nach bisher bekannt gewordener Ansicht der DAH empfehlen, dass HIV-Infizierte mit einer Virusmenge von weniger als 50 HIV-RNA-Kopien pro Milliliter Blut auch übertragungsträchtige Tätigkeiten ausführen können sowie individuelle Schutzmaßnahmen und regelmäßige Kontrollen der Virusmenge im Blut vornehmen sollten.

    Es besteht die Gefahr, dass mit diesem Fokus die (noch) nicht therapierten HIV-Infizierten wieder aus dem Blick geraten. Die neue Diskriminierungslinie verläuft dann bei den 50-Kopien.

    Wichtig ist es, die Diskussion um die wenigen übertragungsträchtigen Tätigkeiten generell erneut aufzugreifen, um auch für Juristen nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Grenzziehung zwischen „nachvollziehbar“ und „irrational“ leicht zugänglich zur Verfügung zu stellen und zu verhindern, dass aus den 50-Kopien eine arbeitsrechtliche Fifty-Fifty-Chance wird.

    Man darf gespannt sein, ob das Landesarbeitsgericht hier näheren Aufklärungsbedarf sieht und ggf. auch ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten einholt, oder blosse Befürchtungen bereits für „nachvollziehbar“ hält.

    Der Arbeitnehmer war bei hier einem Pharmaunternehmen als Chemisch-Technischer Assistent beschäftigt. Bei einer Untersuchung durch den Betriebsarzt wurde festgestellt worden, dass er HIV-positiv war.

    Bei einem Pharmaunternehmen dürfte aber nur der aktuelle wissenschaftlich begründete Standard als „nachvollziehbar“ durchgehen. Eine HIV-Infektion mit Viruslast auch über 50-Kopien kann bei dem bekannten Berufsbild des Chemisch-Technischen Assistenten keinerlei berufsbedingte Fremdgefährdung begründen. Hier wäre wiederum eine berufskundliche Expertise hilfreich, da deratige Kenntnisse bei den Sozialgerichten regelmäßig vorhanden sind, bei den Arbeitsgerichten aber – wie man sieht – leider nicht immer.

    Man darf gespannt sein, wie das Landesarbeitsgericht dies alles beurteilen wird……

    – Rechtsanwalt Meinulf Krön –

  2. …zur Info – die Leiterin der Antidiskriminiertungsstelle fordert das Richtige…….

    http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2011/nl_04_2011/nl_04_im_blickpunkt.html

    „Fünf Jahre AGG – Fünf Forderungen der ADS

    Datum
    17.08.2011

    Anlässlich des fünften Jahrestags stellt Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, fünf Forderungen zur Verbesserung des Diskriminierungsschutzes in Deutschland.

    1. Klagerecht für Verbände und die Antidiskriminierungsstelle

    Laut AGG müssen Betroffene in Deutschland persönlich klagen. Nur wenige Menschen trauen sich aber, gegen den eigenen Arbeitgeber oder Vermieter vor Gericht zu ziehen. Auch schrecken viele wegen der Kosten einer Klage davor zurück. Oft haben Diskriminierungen deshalb keine Konsequenzen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes kann im Fall einer Diskriminierung zwar Arbeitgeber, Vermieter oder Versicherungen anschreiben, um eine gütliche Einigung zu erzielen. Sie kann jedoch nicht juristisch gegen sie vorgehen, wenn sie sich darauf nicht einlassen.

    2. Härtere Sanktionen bei Diskriminierung

    Die Wirksamkeit von Diskriminierungsverboten steht und fällt mit Sanktionen im Diskriminierungsfall. Die ADS fordert, Sanktionen gemäß den europäischen Vorgaben zu verhängen. Diese besagen: Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

    3. Verlängerung der Fristen im AGG

    Bisher sieht das AGG vor, dass Menschen, die diskriminiert wurden, innerhalb von zwei Monaten ihre Ansprüche nach dem AGG schriftlich geltend machen müssen. Oft wenden sich allerdings Menschen an die Antidiskriminierungsstelle, die Monate vorher diskriminiert wurden und nicht wussten, dass oder wie man sich wehren kann. In vielen Fällen erschweren diese engen Fristen auch eine gütliche Einigung, weil die Betroffenen gezwungen sind, sofort mit einer Klage zu drohen. Wenn die ADS eine gütliche Einigung anstrebt, müssen für die Betroffenen zudem die Fristen ausgesetzt werden.

    4. Politik und Verwaltung: Diskriminierung verhindern – Vielfalt stärken

    Politik und Verwaltung müssen stärker gegen Diskriminierung vorgehen und Chancengleichheit umsetzen. Gesetze und Verordnungen müssen auf diskriminierende Regelungen hin überprüft werden. Beispielsweise müssen Altersgrenzen abgebaut, Vielfalt im öffentlichen Dienst gefördert und Barrieren für Menschen mit Behinderungen in Ämtern und Behörden weiter konsequent abgebaut werden.

    5. Diskriminierungsschutz für chronisch Kranke

    Bisher ist es umstritten, ob chronische Krankheiten rechtlich als Behinderung zu bewerten sind und betroffene Menschen durch das AGG vor Diskriminierung geschützt sind. Es muss ein Weg gefunden werden, Menschen mit HIV, Diabetes oder Multipler Sklerose vor Diskriminierung zu schützen.“

  3. ….was patrick nicht mitteilt:

    „Das RBB-Magazin „Klartext“ wollte heute über die Entlassung des HIV-positiven Ch…

    DAH-Facebook Gruppe – 24.08.2011 – 12:19

    Das RBB-Magazin „Klartext“ wollte heute über die Entlassung des HIV-positiven Chemielaboranten Sebastian F. berichten. Der Beitrag musste aber nach Auskunft der Redaktion leider verschoben werden. Er läuft nun voraussichtlich in der nächsten Ausgabe von „Klartext“ in zwei Wochen.“

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