„Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen“

Am 1. Dezember 2011 lud der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg in die Handelskammer Hamburg zum Welt-Aids-Tags-Empfang. Dieses Jahr war der Empfang dem Schwerpunkt-Thema „HIV und Arbeit“ gewidmet. Im Folgenden als Dokumentation die Ansprache von Rechtsanwalt Jacob Hösl, Köln:

„Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen“

Sehr geehrte Frau Senatorin Prüfer-Storcks,
sehr geehrter Herr Hanck, liebe Gaby Wirtz,
sehr geehrte Damen und Herren,

ganz herzlichen Dank für die Einladung zum Senatsempfang der Freien und Hansestadt Hamburg anlässlich des Welt-Aids-Tages 2011 und, was in diesem Jahr besonders bedeutsam ist, hier in der Handelskammer Hamburg. Ich habe noch nie anlässlich eines Welt-Aids-Tages eine Ansprache gehalten und betrachte dies somit auch als besondere Ehre. Eine Ansprache zum Anlass des Welt-Aids-Tages zum Thema HIV und Arbeit ist sehr zeitgemäß und ich hoffe, ich werde dem Thema gerecht.

Der Welt-Aids-Tag ist traditionell der Tag des Gedächtnisses an die an Aids Verstorbenen. Vielerorts wird dieser Tag mit Gedenkfeierlichkeiten begangen. Der Welt-Aids-Tag ist der Tag des Mitgefühls der Menschen hier in Deutschland und in der Welt mit den Menschen mit HIV und Aids. Die Menschen zeigen durch ihre Spenden an die verschiedensten Aids-Hilfe-Organisationen ihre Anteilnahme und Solidarität. Auch ich denke an diesem Tag – mehr als sonst – an meine verstorbenen Freunde, meine verstorbenen drei Mitbewohner in meiner früheren WG, und besonders an meinen besten Freund Claus Gillmann, der sich an einem wunderschönen sonnigen Augustmorgen 1994 von uns verabschiedet hat und der mir die Ehre hat zuteil werden lassen, diesen sich tief in meiner Erinnerung eingegrabenen intimsten Moment seines Lebens mit ihm teilen zu dürfen. Der Welt-Aids-Tag ist – jedenfalls bislang – der Tag des „Alten Aids“.

Der Welt-Aids-Tag ist Jahr für Jahr auch der Tag, an dem wir an diese Zeit durch Bilder erinnert werden.

Fast Jahr für Jahr sehen wir – nahezu gebetsmühlenartig – den Film „Philadelphia“ am 1.12. im Fernsehprogramm. Und: ich sehe ihn mir auch immer wieder an. So sehr ich versuche, mich gegen die durch die dramatische Inszenierung geschickt gesteuerten Emotionen zu wehren, so sehr haben sie immer wieder auch bei mir ihre Wirkung. Auch in mir werden die Bilder von damals wachgerufen. Sie bewegen und erschüttern mich alljährlich aufs Neue zutiefst. Gleichzeitig merke ich, so eigenartig das klingen mag, wie mich doch die Sehnsucht nach diesen Gefühlen der Intimität und Solidarität in der damaligen Schicksalsgemeinschaft nach wie vor in zahlreichen Momenten immer wieder einfängt. Und ich denke, dass dies auch seine Bedeutung hat und wir diese Emotionen nicht verleugnen sollten, denn sie sind ein wichtiger Motor für das was wir tun und sie zeigen uns ein Verständnis für unsere heutige Situation, die Schwierigkeiten beim Übergang zum „neuen Aids“.

Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich ausgerechnet diesen Film erwähne, der ja alles andere als unumstritten ist. Ich erwähne diesen Film, weil ich auf der UNAIDS-Konferenz zur Kriminalisierung der HIV-Exposition im August dieses Jahres den Rechtsanwalt und Professor Scott Burris aus Philadelphia kennen lernen durfte. Anlässlich eines abendlichen Hotel-Bar-Gesprächs stellte sich heraus, dass er seinerzeit der juristische Berater der Filmproduktion gewesen ist und er hat ein wenig hierüber erzählt. Es handelt sich nämlich neben dem Umstand, dass es ein „Tränen-Drama“ ist auch um einen Film über HIV und Arbeit und über HIV und Diskriminierung in der Arbeitswelt. Und dies zu der Zeit des „Alten Aids“. Er erzählte, dass damals das zentrale Anliegen der Produktion war, eine Antidiskriminierungsbotschaft zugunsten der Menschen mit HIV und Aids auszusenden. Eine Botschaft an die Gesellschaft, an uns, Menschen mit HIV nicht auszuschließen, und dass der geeignetste „Trägerstoff“ einer solchen Botschaft der Bereich „Arbeit“ war. Arbeit und Beschäftigung sind und waren schon immer die zentralen, die Existenz sichernden Bereiche unseres Zusammenlebens. Hier sollte es hin, hier sollte die Botschaft platziert werden. Im Kern der menschlichen Überlebensbedingung.
Am Ende des Films spricht die Jury des Gerichts gewissermaßen als Verkörperung von uns allen ihren Richtspruch, der nichts anderes sagt, als: „Menschen mit HIV, Menschen mit Aids, gehören zu uns. Wir alle schützen sie und wir sorgen dafür, dass sie arbeiten und somit leben können!“ In diesem Bekenntnis liegt für mich die eigentliche – von dem Hollywood-Sentiment der Inszenierung etwas distanzierte – Aussage des Films.

Von den in Deutschland mit HIV lebenden Menschen befinden sich ca. 80 % in Beschäftigung und Arbeit. Dies ist ein durchaus zufriedenstellender Zahlen-Befund. Was ist es also, was uns beim Thema HIV und Arbeit umtreibt? Weshalb betrachten die Fachorganisationen dies als ein zentrales gesellschaftpolitisches Anliegen bei der Unterstützung von Menschen mit HIV in unserer Gesellschaft?

Vielleicht dienen ein paar wenige reale Geschichten, die ich nur beispielhaft anführen will, sich der Problematik von Menschen mit HIV im Arbeitsleben zu nähern.

Da ist zum Beispiel die des jungen Mannes, der als Late-Presenter schwer krank ins Krankenhaus kam, dann mehrere Monate krank war und darüber seinen alten Job verloren hatte. Als er nach einigen Monaten wieder gesund war, bewarb er sich für einen Büro-Job bei der GEZ, der Gebührenbeinzugszentrale des öffentlich-rechtlichen Fernsehens – dies sei betont. Im Zuge seiner HIV-bedingten Erkrankung hatte er den Schwerbehindertenstatus erlangt. Nach Unterschrift der Arbeitsverträge – man suchte als öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber Schwerbehinderte – hierauf angesprochen, teilte der junge, selbstbewusste schwule Mann, der in der Zeit des „neuen Aids“ seine HIV-Infektion mit rationaler Gelassenheit trug, seinem zukünftigen Arbeitgeber mit, dass die Schwerbehinderung sich auf seine HIV-Infektion beziehe. Der junge Mann erhielt die Kündigung des Arbeitsvertrages in der Probezeit, noch bevor er überhaupt das erste Mal an seinem Schreibtisch saß. Später sagte er mir, dass er niemals mehr in seinem Leben an seinem Arbeitsplatz oder in einem Bewerbungsverfahren irgendjemandem von seiner HIV-Infektion etwas erzählen werde. Ich hatte auch das Gefühl, dass dieses Erlebnis nach langer Zeit schwerer und lebensbedrohlicher Krankheit ihr Übriges getan hat, um aus dem jungen heiteren Rheinländer einen tief verletzten Mann zu machen, der HIV in seiner ganzen gesundheitlichen und sozialen Brutalität innerhalb weniger Wochen hat kennen lernen müssen.

Die meisten der Beratungen, die ich in meiner beruflichen Praxis in diesem Zusammenhang durchführe, ranken sich um die Frage des Umgangs mit der HIV-Infektion im Arbeitsverhältnis, insbesondere bei der Bewerbung und betriebsärztlichen Untersuchung und der Verbeamtung.

Erst letzte Woche war ein junger Rettungsassistent mit seinem Freund bei mir, dessen existenzielles Anliegen es war, zu klären, ob der BG-Arzt, der die HIV-Infektion kurz zuvor diagnostizierte, diese seinem Arbeitgeber mitteilen würde bzw. ob dieser auf anderem Wege hiervon erfahren könnte. So existenziell dies für ihn war, so auffällig gelassen waren er und sein Freund im Umgang der HIV-Infektion selbst und beide sahen sehr klar die medizinischen Normalitäten bei HIV. Sie empfanden dieses Ereignis zwar als „ärgerlich“, weil es ein Sex-Unfall gewesen sein musste, aber keinesfalls als Weltuntergang. Allerdings wäre diese Information beim Arbeitgeber in den Augen beider sehr wohl ein „Weltuntergang“. Ich weiß aber auch von einem HIV-infizierten Chef einer Firma, dass er existenziell fürchtet, dass seine Mitarbeiter erfahren könnten, dass er HIV-positiv ist.

Natürlich höre ich auch immer wieder gute Geschichten. Tolle Erlebnisse der Solidarität von Arbeitgebern und Vorgesetzten. Dies hat auch sein Gewicht und bildet unsere Gesellschaft ebenso ab, wie die abschreckenden Geschichten und Alpträume für die Betroffenen. Der aus meiner Sicht bedeutendste Fall spielt in Süddeutschland, wo ein Unfall-Chirurg trotz HIV-Infektion und zusätzlich einer Hepatitis-C-Infektion weiterhin seinen Dienst versehen konnte. Unter Einbeziehung verschiedener Fachleute, so auch von Jens Jarke hier aus Hamburg, unter Beteiligung der örtlichen Gesundheitsbehörden und des Gesundheitsministeriums des Landes konnte erreicht werden, dass ein HIV- und HCV-positiver Arzt seinen Beruf weiter ausüben kann. Dies war möglich, weil rationale Betrachtung und Besonnenheit dazu geführt hat, dass alle Beteiligten Risiken für Patienten ausschließen konnten. Erwähnen muss man allerdings, dass der Betriebsarzt auf ausdrücklichen und inständigen Wunsch des Betreffenden in die Klärung nicht einbezogen wurde, weil er auf jeden Fall vermeiden wollte, dass sein Arbeitgeber oder auch nur irgendjemand am Arbeitsplatz hiervon erfährt.

Was haben aber diese Fälle gemeinsam? Es geht immer um Geheimnis und Heimlichkeit. Jeder Mensch, der HIV-infiziert ist, und im Arbeitsleben steht, setzt sich mit der Frage auseinander, ob er seine HIV-Infektion offenbaren muss oder kann und welche Folgen dies für ihn haben würde. Nahezu alle Menschen mit HIV gehen mit ihrer Infektion im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses als Geheimnis um.

Was HIV im Arbeitsleben so schwierig macht, wie natürlich in anderen Lebensbereichen auch, ist die diffuse irrationale Angst zu vieler Menschen vor einer HIV-Infektion – und allem Abgründigen, was man hiermit noch verbindet. Um diese Angst für sich greifbar zu machen, projezieren und personalisieren sie sie in Menschen mit HIV hinein. Dieser Bedrohung wollen sich HIV-Positive verständlicherweise nicht aussetzen. Gemessen an den vielen 1000 Beschäftigungsverhältnissen, in denen Menschen mit HIV arbeiten, gibt es natürlich nicht viele „Fälle“, wie ich sie oben beschrieben habe. Aber die wenigen bekannten Geschichten wirken neben zahlreichen anderen Faktoren, die das Leben von Menschen mit HIV erschweren, tief im Inneren aller Menschen mit HIV. Und natürlich spüren auch alle Menschen mit HIV, dass „die anderen Angst vor ihnen haben“. Sie können sich ja auch an ihre eigenen Ängste erinnern, bevor sie selbst infiziert waren.

Es scheint aber so, dass auch die anderen gar nichts hiervon wissen wollen, damit der Arbeitsalltag reibungslos und effizient funktioniert. Sanktioniert wird also derjenige, der ohne irgendeine Gefahr für Dritte darzustellen, die Unverfrorenheit besitzt, den anderen diese diffuse Angst vor Augen zu halten und sie damit in ihrer „heilen Welt“ zu „stören“.

Es verwundert also nicht, wenn in der Patientenzeitschaft HIV-Life der Fa. Abbot für Menschen mit HIV in einem Beitrag mit dem Titel: „Ganz schön knifflig – HIV am Arbeitsplatz aus Arbeitgebersicht“ im Ergebnis zwar Solidarität für Menschen mit HIV eingefordert wird, aber andererseits ausgiebig und ausschließlich die Problematik des offenen Umgangs mit der HIV-Infektion am Arbeitsplatz aus Sicht der Arbeitgeber betrachtet wird und für Verständnis des Arbeitgebers geworben wird, wenn er zwar kein Problem hat, jemanden mit HIV zu beschäftigen, aber es doch nicht sein müsse, das vor Kollegen oder – noch schlimmer – vor Kunden an die große Glocke zu hängen, weil die könnten ja schlecht informiert sein und dann Angst haben oder Kunden könnten gar weg bleiben.

Es ist schwierig, zu orten, was mich oder uns an diesen Geschichten irritiert und aufmerksam werden lässt. Ich muss kaum erwähnen, dass bis auf ganz wenige sehr spezielle Tätigkeiten HIV im Arbeitsleben völlig irrelevant ist. Man könnte sich begnügen mit der Aussage des Juristen, arbeitsrechtlich gelte für Menschen mit HIV nicht anderes als für die ohne HIV und dies könnte gerichtlich auch durchgesetzt werden. Ich könnte Ihnen sagen, dass gesundheitliche Probleme eines Mitarbeiters solange uninteressant für den Arbeitgeber zu bleiben haben, solange sie seine Leistungsfähigkeit nicht betreffen und andere nicht in Gefahr bringen. Ich könnte Ihnen auch sagen, dass der Arzt, der Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis durchführt, sich bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit an der konkreten Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses zu orientieren hat und dass er darüber hinaus auch gegenüber dem Arbeitgeber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.

Dies scheint mir allerdings nicht den Kern des Problems zu treffen. Das umso mehr, als ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass heute im Vergleich zu früher zur Zeit des „alten Aids“ Angst und die Abstoßung von Menschen mit HIV stärker ist als zuvor. Oder vielleicht bringen sie mich einfach nur mehr auf als früher, weil alles was wir über heute über HIV wissen, rechtfertigt Situationen und Gefühle, wie ich sie beschrieben habe unter keinem einzigen rationalen Gesichtspunkt.

Der Kern des Problems von Menschen mit HIV im Arbeitsleben liegt, so scheint es mir, in eben besagtem Geheimnis, das diese um ihre Infektion gleichsam machen müssen. Wer ein Geheimnis um etwas macht, was ihn betrifft und was für ihn gleichzeitig so lebenswichtig und existenziell ist, fürchtet also, wie gesehen, berechtigterweise Nachteile, wenn er dies offenbart. Dieser Befund, der möglicherweise etwas banal daherkommt, hat indes eine bedeutsame Dimension, wenn es um HIV geht. Nicht nur, dass Menschen mit HIV ab dem Zeitpunkt, ab dem sie ihre Infektion kennen, von vormals offenen und aufrichtigen Menschen gleichsam in einer existenziellen Notlage zu lebenslangen „Lügnern“ werden müssen, die sie zuvor nie waren und auch nie sein wollten. Und fast noch beunruhigender erscheint mir, dass wir in dieser Gesellschaft sogar wünschen, dass sie Lügner und Geheimnisträger bleiben. Wir scheinen uns nicht mit diffusen – real nicht existierenden – Gefahren auseinandersetzen zu wollen und stoßen diejenigen ab, die uns mit unserer Angst konfrontieren. Und, was es besonders schlimm macht, richtet sich dies gegen Menschen, mit denen wir zusammen leben.

Neben den Einschränkungen in der Sexualität, die bei HIV natürlich augenfällig sind, besteht gerade in der gesellschaftlich und vor allem im Arbeitsleben erforderlichen „Diskretion“ und ständigen Achtsamkeit, das Geheimnis nicht lüften zu müssen oder von dritter Seite nicht lüften zu lassen, die nahezu neurotische Lebenssituation, in der sich Menschen mit HIV fortwährend befinden. Das ist weder ein guter Zustand für die Menschen mit HIV, sondern auch nicht gut für den Zustand unserer zivilen und eigentlich aufgeklärten Gesellschaft.

Es war auch kein gutes Zeichen, als die Bundesregierung, obwohl ihr eigenes Gesundheitsministerium befürwortete, die HIV-Infektion als Diskriminierungsmerkmal in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzunehmen, hier keinen Handlungsbedarf sah. Es wird dem deklaratorischen Charakter gerade dieses Gesetzes nicht gerecht, wenn Menschen mit HIV, die zu denjenigen gehören, vor denen die Allgemeinbevölkerung am meisten Angst hat und sich ihnen gegenüber das meiste herausnimmt, nicht unter den Schutz dieses Gesetzes gestellt werden.

Hilfreich ist, dass nunmehr, nach gut 25 Jahren HIV und Aids, sich die medizinischen Aids-Fachorganisationen und der Nationale Aids-Beirat entschlossen haben, sich fachlich zu HIV im Arbeitsleben in medizinischen Empfehlungen zu äußern. Ich hoffe, dies wird Menschen mit HIV helfen, sich selbstbewusster gegen irrationale und ablehnende Haltungen in ihrem Arbeitsumfeld zur Wehr zu setzen. Außerdem müssten wir die Arbeitsrichter entsprechend weiterbilden, damit in Entscheidungen, wie erst jüngst beim Arbeitsgericht Berlin, sich ein Arbeitgeber bei einer Kündigung nicht mehr erfolgreich auf ein diffuses Restrisiko berufen kann, das sich weltweit noch nie verwirklicht hat und deshalb in Wahrheit gar nicht existiert.

Wir sind in den letzten 25 Jahren medizinisch im Bereich HIV sehr weit gekommen. Menschen mit HIV können ein nahezu beschwerdefreies Leben führen und erreichen nach heutigen Erkenntnissen wohl ein nahezu normales Lebensalter. Das bedeutet aber auch, dass alle diese Menschen, wie alle anderen Menschen auch, ein normales Arbeitsleben bis zum gesetzlichen Rentenalter oder möglicherweise darüber hinaus, haben werden und auch haben müssen, denn natürlich müssen auch Menschen mit HIV, wie auch alle anderen, arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen. Das ist eine lange, und für Menschen mit HIV auch eine wegen des Geheimnisses, das sie hüten müssen, dauerhaft schwierige Zeit.

Solange dies so ist und solange wir solche Fälle wie ich sie beschrieben habe, immer wieder und auch heute noch erleben müssen, solange haben wir die Aids-Krise, wenn auch heute medizinisch „gut im Griff“, alles andere als überwunden. Ich wünsche mir eine durch Handlungen begründete Erneuerung des Bekenntnisses: „Menschen mit HIV, Menschen mit Aids, gehören zu uns. Wir alle schützen sie und wir sorgen dafür, dass sie arbeiten und somit leben können!“

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine kleine Geschichte erzählen: Mir erzählte neulich jemand von einer Begebenheit in der Universitätsklinik, wo er behandelt wurde. Er hatte ein wahrscheinlich mit seiner HIV-Infektion zusammenhängendes Non-Hodgkin-Lymphom, eine Art Lymphdrüsenkrebs, das sich durch eine ganz beträchtliche Lymphknotenschwellung in der Achsel sogar äußerlich zeigte. Bei der Voruntersuchung zur Entnahme einer Gewebeprobe in der Achsel trug ein junger Arzt in der Facharztausbildung zum Chirurgen doppelte Gummihandschuhe. Ich betone, es ging ausschließlich um das äußere Abtasten der Schwellung. Der Patient wies sodann den Oberarzt darauf hin, er möge seinem jungen Kollegen doch bitte erläutern, dass er sich beim äußeren Abtasten einer Schwellung unter keinen erdenklichen Gesichtspunkten mit HIV infizieren könne und es hätte doch zu hygienischen Zwecken weiß Gott gereicht, ein einfaches Paar Handschuhe zu tragen. Dieser hielt dem Patienten entgegen, er müsse doch für die Ängste seiner jungen Kollegen Verständnis haben. Hierauf erwiderte der Patient, nein, das habe er nicht und das wolle er auch nicht mehr. Er wolle nicht mehr, nur weil er selbst HIV-infiziert ist, Verständnis für die irrationalen und unbegründeten Ängste aller Anderen haben. Er sei es leid. Es sei deren Aufgabe, sich damit zu beschäftigen.

Meine Damen und Herren, er hat recht. Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen. Unabhängig von HIV dürfen Kranke nicht verantwortlich gemacht werden für die unbegründete Furcht der Gesunden. Eigentlich, so meine ich, müssten wir diesen Gesellschaftzustand überwunden haben.

Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, mich beunruhigt eines wirklich sehr: Wenn HIV und Aids eines Tages kein medizinisches Problem mehr sein werden, die Zeit in der wir heute leben als diejenige gelten wird, in der die aufgeklärte und zivile Gesellschaft von den Menschen mit HIV beschämt wurde.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

5 Gedanken zu „„Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen““

  1. Nein wir sind nicht verantwortlich für die unbegründete Ängste. Die Verantworlichen sind Behörden, Politiker und Einrichtungen die nich verstehen können oder wollen, das es ein großes Defizit in der Aufklärung gibt. Klar „Kondome schützen!“ ist eine wichtige Kampagne und auch die dies Jahr zum WAT lafende Kampagne mit verschiedenen Betroffenenbildern nebst Text „HIV POSITIV, …?“ ist wichtig und kommt hoffentlich auch bei der „gesunden“ Bevölkerung an. Wo aber bleiben Plakete und Werbeeinblendungen wie und wo man sich nicht infizieren kann?!

    Wie wäre eine Aktion „Hier hat ein HIV-Positiver gessesen!“ (gestanden, gegessen, getrunken oder was auch immer). Einfach mal wenn man das nächste mal ein Café, Restaurant, U-Bahn oder was auch immer verläßt einen entsprechenden Zettel hinterlassen. Ich stelle mir das spannend vor, man sollte beobachten wie lange es dauert bis dieser Platz von jemand anderen neu belegt wird.

    Ich danke Jacob Hösl für diesen Beitrag

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