wegen HIV gekündigter Chemielaborant: morgen Berufungs-Verhandlung

Vor dem Landesarbeitsgericht Berlin wird morgen in einer Berufungsverhandlung über die Kündigung eines Chemielaboranten wegen seiner HIV-Infektion entschieden.

Ein 24-jähriger Chemielaborant wurde von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt, wegen seiner HIV-Infektion. Zudem erhielt er ein sofortiges Hausverbot. Man habe das Wohl der eigenen Kunden zu berücksichtigen, so damals der Arbeitgeber, ein Pharmaunternehmen. In erster Instanz verlor der Chemielaborant vor dem Berliner Arbeitsgericht im Juli 2011 – dies erklärte die Kündigung für rechtens. Am morgigen Freitag, 13.1.2012 erfolgt nun die Entscheidung in der Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin.

Das Arbeitsgericht Berlin begründete die Abweisung der Klage in erster Instzanz u.a. damit, dass es verständlich sei, dass die Firma jedes Restrisiko ausschließen wolle. Eine außergerichtliche Einigung war zuvor am Kläger gescheitert; er fühle sich im Recht, betonte er.

Die Bestätigung der Kündigung in erster Instanz war von der Deutschen Aids-Hilfe scharf kritisiert worden. DAH-Vorstand Tino Henn:

„Menschen mit HIV wegen ihrer Infektion zu entlassen ist ein schwerer Fall von Diskriminierung. Wir hoffen sehr, dass das Gericht in der zweiten Instanz klarstellt: HIV ist kein Kündigungsgrund! Da das Kündigungsschutzgesetz in der Probezeit nicht greift, brauchen wir hier die klare Aussage des Gerichts, dass Menschen mit HIV durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschützt sind.“

Gegenstand der Berufungs-Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht wird u.a. sein, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Anwendung findet. Es untersagt Diskriminierung aufgrund von Behinderung, hierunter fiele auch eine Kündigung, auch in der Probezeit. Die HIV-Infektion wird im AGG nicht explizit genannt. In einigen Staaten Europas wird eine HIV-Infektion als chronische nicht heibare Erkrankung einer Behinderung gleichgestellt.
Zudem fordert die Deutsche Aids-Hilfe, das AGG zu ändern und chronische Erkrankungen explizit zu nennen. Dies schaffe juristische Klarheit.

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weitere Informationen:
FAZ 10.01.2012: HIV am Arbeitsplatz – Restrisiko Kündigung
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„Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen“

Am 1. Dezember 2011 lud der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg in die Handelskammer Hamburg zum Welt-Aids-Tags-Empfang. Dieses Jahr war der Empfang dem Schwerpunkt-Thema „HIV und Arbeit“ gewidmet. Im Folgenden als Dokumentation die Ansprache von Rechtsanwalt Jacob Hösl, Köln:

„Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen“

Sehr geehrte Frau Senatorin Prüfer-Storcks,
sehr geehrter Herr Hanck, liebe Gaby Wirtz,
sehr geehrte Damen und Herren,

ganz herzlichen Dank für die Einladung zum Senatsempfang der Freien und Hansestadt Hamburg anlässlich des Welt-Aids-Tages 2011 und, was in diesem Jahr besonders bedeutsam ist, hier in der Handelskammer Hamburg. Ich habe noch nie anlässlich eines Welt-Aids-Tages eine Ansprache gehalten und betrachte dies somit auch als besondere Ehre. Eine Ansprache zum Anlass des Welt-Aids-Tages zum Thema HIV und Arbeit ist sehr zeitgemäß und ich hoffe, ich werde dem Thema gerecht.

Der Welt-Aids-Tag ist traditionell der Tag des Gedächtnisses an die an Aids Verstorbenen. Vielerorts wird dieser Tag mit Gedenkfeierlichkeiten begangen. Der Welt-Aids-Tag ist der Tag des Mitgefühls der Menschen hier in Deutschland und in der Welt mit den Menschen mit HIV und Aids. Die Menschen zeigen durch ihre Spenden an die verschiedensten Aids-Hilfe-Organisationen ihre Anteilnahme und Solidarität. Auch ich denke an diesem Tag – mehr als sonst – an meine verstorbenen Freunde, meine verstorbenen drei Mitbewohner in meiner früheren WG, und besonders an meinen besten Freund Claus Gillmann, der sich an einem wunderschönen sonnigen Augustmorgen 1994 von uns verabschiedet hat und der mir die Ehre hat zuteil werden lassen, diesen sich tief in meiner Erinnerung eingegrabenen intimsten Moment seines Lebens mit ihm teilen zu dürfen. Der Welt-Aids-Tag ist – jedenfalls bislang – der Tag des „Alten Aids“.

Der Welt-Aids-Tag ist Jahr für Jahr auch der Tag, an dem wir an diese Zeit durch Bilder erinnert werden.

Fast Jahr für Jahr sehen wir – nahezu gebetsmühlenartig – den Film „Philadelphia“ am 1.12. im Fernsehprogramm. Und: ich sehe ihn mir auch immer wieder an. So sehr ich versuche, mich gegen die durch die dramatische Inszenierung geschickt gesteuerten Emotionen zu wehren, so sehr haben sie immer wieder auch bei mir ihre Wirkung. Auch in mir werden die Bilder von damals wachgerufen. Sie bewegen und erschüttern mich alljährlich aufs Neue zutiefst. Gleichzeitig merke ich, so eigenartig das klingen mag, wie mich doch die Sehnsucht nach diesen Gefühlen der Intimität und Solidarität in der damaligen Schicksalsgemeinschaft nach wie vor in zahlreichen Momenten immer wieder einfängt. Und ich denke, dass dies auch seine Bedeutung hat und wir diese Emotionen nicht verleugnen sollten, denn sie sind ein wichtiger Motor für das was wir tun und sie zeigen uns ein Verständnis für unsere heutige Situation, die Schwierigkeiten beim Übergang zum „neuen Aids“.

Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich ausgerechnet diesen Film erwähne, der ja alles andere als unumstritten ist. Ich erwähne diesen Film, weil ich auf der UNAIDS-Konferenz zur Kriminalisierung der HIV-Exposition im August dieses Jahres den Rechtsanwalt und Professor Scott Burris aus Philadelphia kennen lernen durfte. Anlässlich eines abendlichen Hotel-Bar-Gesprächs stellte sich heraus, dass er seinerzeit der juristische Berater der Filmproduktion gewesen ist und er hat ein wenig hierüber erzählt. Es handelt sich nämlich neben dem Umstand, dass es ein „Tränen-Drama“ ist auch um einen Film über HIV und Arbeit und über HIV und Diskriminierung in der Arbeitswelt. Und dies zu der Zeit des „Alten Aids“. Er erzählte, dass damals das zentrale Anliegen der Produktion war, eine Antidiskriminierungsbotschaft zugunsten der Menschen mit HIV und Aids auszusenden. Eine Botschaft an die Gesellschaft, an uns, Menschen mit HIV nicht auszuschließen, und dass der geeignetste „Trägerstoff“ einer solchen Botschaft der Bereich „Arbeit“ war. Arbeit und Beschäftigung sind und waren schon immer die zentralen, die Existenz sichernden Bereiche unseres Zusammenlebens. Hier sollte es hin, hier sollte die Botschaft platziert werden. Im Kern der menschlichen Überlebensbedingung.
Am Ende des Films spricht die Jury des Gerichts gewissermaßen als Verkörperung von uns allen ihren Richtspruch, der nichts anderes sagt, als: „Menschen mit HIV, Menschen mit Aids, gehören zu uns. Wir alle schützen sie und wir sorgen dafür, dass sie arbeiten und somit leben können!“ In diesem Bekenntnis liegt für mich die eigentliche – von dem Hollywood-Sentiment der Inszenierung etwas distanzierte – Aussage des Films.

Von den in Deutschland mit HIV lebenden Menschen befinden sich ca. 80 % in Beschäftigung und Arbeit. Dies ist ein durchaus zufriedenstellender Zahlen-Befund. Was ist es also, was uns beim Thema HIV und Arbeit umtreibt? Weshalb betrachten die Fachorganisationen dies als ein zentrales gesellschaftpolitisches Anliegen bei der Unterstützung von Menschen mit HIV in unserer Gesellschaft?

Vielleicht dienen ein paar wenige reale Geschichten, die ich nur beispielhaft anführen will, sich der Problematik von Menschen mit HIV im Arbeitsleben zu nähern.

Da ist zum Beispiel die des jungen Mannes, der als Late-Presenter schwer krank ins Krankenhaus kam, dann mehrere Monate krank war und darüber seinen alten Job verloren hatte. Als er nach einigen Monaten wieder gesund war, bewarb er sich für einen Büro-Job bei der GEZ, der Gebührenbeinzugszentrale des öffentlich-rechtlichen Fernsehens – dies sei betont. Im Zuge seiner HIV-bedingten Erkrankung hatte er den Schwerbehindertenstatus erlangt. Nach Unterschrift der Arbeitsverträge – man suchte als öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber Schwerbehinderte – hierauf angesprochen, teilte der junge, selbstbewusste schwule Mann, der in der Zeit des „neuen Aids“ seine HIV-Infektion mit rationaler Gelassenheit trug, seinem zukünftigen Arbeitgeber mit, dass die Schwerbehinderung sich auf seine HIV-Infektion beziehe. Der junge Mann erhielt die Kündigung des Arbeitsvertrages in der Probezeit, noch bevor er überhaupt das erste Mal an seinem Schreibtisch saß. Später sagte er mir, dass er niemals mehr in seinem Leben an seinem Arbeitsplatz oder in einem Bewerbungsverfahren irgendjemandem von seiner HIV-Infektion etwas erzählen werde. Ich hatte auch das Gefühl, dass dieses Erlebnis nach langer Zeit schwerer und lebensbedrohlicher Krankheit ihr Übriges getan hat, um aus dem jungen heiteren Rheinländer einen tief verletzten Mann zu machen, der HIV in seiner ganzen gesundheitlichen und sozialen Brutalität innerhalb weniger Wochen hat kennen lernen müssen.

Die meisten der Beratungen, die ich in meiner beruflichen Praxis in diesem Zusammenhang durchführe, ranken sich um die Frage des Umgangs mit der HIV-Infektion im Arbeitsverhältnis, insbesondere bei der Bewerbung und betriebsärztlichen Untersuchung und der Verbeamtung.

Erst letzte Woche war ein junger Rettungsassistent mit seinem Freund bei mir, dessen existenzielles Anliegen es war, zu klären, ob der BG-Arzt, der die HIV-Infektion kurz zuvor diagnostizierte, diese seinem Arbeitgeber mitteilen würde bzw. ob dieser auf anderem Wege hiervon erfahren könnte. So existenziell dies für ihn war, so auffällig gelassen waren er und sein Freund im Umgang der HIV-Infektion selbst und beide sahen sehr klar die medizinischen Normalitäten bei HIV. Sie empfanden dieses Ereignis zwar als „ärgerlich“, weil es ein Sex-Unfall gewesen sein musste, aber keinesfalls als Weltuntergang. Allerdings wäre diese Information beim Arbeitgeber in den Augen beider sehr wohl ein „Weltuntergang“. Ich weiß aber auch von einem HIV-infizierten Chef einer Firma, dass er existenziell fürchtet, dass seine Mitarbeiter erfahren könnten, dass er HIV-positiv ist.

Natürlich höre ich auch immer wieder gute Geschichten. Tolle Erlebnisse der Solidarität von Arbeitgebern und Vorgesetzten. Dies hat auch sein Gewicht und bildet unsere Gesellschaft ebenso ab, wie die abschreckenden Geschichten und Alpträume für die Betroffenen. Der aus meiner Sicht bedeutendste Fall spielt in Süddeutschland, wo ein Unfall-Chirurg trotz HIV-Infektion und zusätzlich einer Hepatitis-C-Infektion weiterhin seinen Dienst versehen konnte. Unter Einbeziehung verschiedener Fachleute, so auch von Jens Jarke hier aus Hamburg, unter Beteiligung der örtlichen Gesundheitsbehörden und des Gesundheitsministeriums des Landes konnte erreicht werden, dass ein HIV- und HCV-positiver Arzt seinen Beruf weiter ausüben kann. Dies war möglich, weil rationale Betrachtung und Besonnenheit dazu geführt hat, dass alle Beteiligten Risiken für Patienten ausschließen konnten. Erwähnen muss man allerdings, dass der Betriebsarzt auf ausdrücklichen und inständigen Wunsch des Betreffenden in die Klärung nicht einbezogen wurde, weil er auf jeden Fall vermeiden wollte, dass sein Arbeitgeber oder auch nur irgendjemand am Arbeitsplatz hiervon erfährt.

Was haben aber diese Fälle gemeinsam? Es geht immer um Geheimnis und Heimlichkeit. Jeder Mensch, der HIV-infiziert ist, und im Arbeitsleben steht, setzt sich mit der Frage auseinander, ob er seine HIV-Infektion offenbaren muss oder kann und welche Folgen dies für ihn haben würde. Nahezu alle Menschen mit HIV gehen mit ihrer Infektion im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses als Geheimnis um.

Was HIV im Arbeitsleben so schwierig macht, wie natürlich in anderen Lebensbereichen auch, ist die diffuse irrationale Angst zu vieler Menschen vor einer HIV-Infektion – und allem Abgründigen, was man hiermit noch verbindet. Um diese Angst für sich greifbar zu machen, projezieren und personalisieren sie sie in Menschen mit HIV hinein. Dieser Bedrohung wollen sich HIV-Positive verständlicherweise nicht aussetzen. Gemessen an den vielen 1000 Beschäftigungsverhältnissen, in denen Menschen mit HIV arbeiten, gibt es natürlich nicht viele „Fälle“, wie ich sie oben beschrieben habe. Aber die wenigen bekannten Geschichten wirken neben zahlreichen anderen Faktoren, die das Leben von Menschen mit HIV erschweren, tief im Inneren aller Menschen mit HIV. Und natürlich spüren auch alle Menschen mit HIV, dass „die anderen Angst vor ihnen haben“. Sie können sich ja auch an ihre eigenen Ängste erinnern, bevor sie selbst infiziert waren.

Es scheint aber so, dass auch die anderen gar nichts hiervon wissen wollen, damit der Arbeitsalltag reibungslos und effizient funktioniert. Sanktioniert wird also derjenige, der ohne irgendeine Gefahr für Dritte darzustellen, die Unverfrorenheit besitzt, den anderen diese diffuse Angst vor Augen zu halten und sie damit in ihrer „heilen Welt“ zu „stören“.

Es verwundert also nicht, wenn in der Patientenzeitschaft HIV-Life der Fa. Abbot für Menschen mit HIV in einem Beitrag mit dem Titel: „Ganz schön knifflig – HIV am Arbeitsplatz aus Arbeitgebersicht“ im Ergebnis zwar Solidarität für Menschen mit HIV eingefordert wird, aber andererseits ausgiebig und ausschließlich die Problematik des offenen Umgangs mit der HIV-Infektion am Arbeitsplatz aus Sicht der Arbeitgeber betrachtet wird und für Verständnis des Arbeitgebers geworben wird, wenn er zwar kein Problem hat, jemanden mit HIV zu beschäftigen, aber es doch nicht sein müsse, das vor Kollegen oder – noch schlimmer – vor Kunden an die große Glocke zu hängen, weil die könnten ja schlecht informiert sein und dann Angst haben oder Kunden könnten gar weg bleiben.

Es ist schwierig, zu orten, was mich oder uns an diesen Geschichten irritiert und aufmerksam werden lässt. Ich muss kaum erwähnen, dass bis auf ganz wenige sehr spezielle Tätigkeiten HIV im Arbeitsleben völlig irrelevant ist. Man könnte sich begnügen mit der Aussage des Juristen, arbeitsrechtlich gelte für Menschen mit HIV nicht anderes als für die ohne HIV und dies könnte gerichtlich auch durchgesetzt werden. Ich könnte Ihnen sagen, dass gesundheitliche Probleme eines Mitarbeiters solange uninteressant für den Arbeitgeber zu bleiben haben, solange sie seine Leistungsfähigkeit nicht betreffen und andere nicht in Gefahr bringen. Ich könnte Ihnen auch sagen, dass der Arzt, der Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis durchführt, sich bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit an der konkreten Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses zu orientieren hat und dass er darüber hinaus auch gegenüber dem Arbeitgeber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.

Dies scheint mir allerdings nicht den Kern des Problems zu treffen. Das umso mehr, als ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass heute im Vergleich zu früher zur Zeit des „alten Aids“ Angst und die Abstoßung von Menschen mit HIV stärker ist als zuvor. Oder vielleicht bringen sie mich einfach nur mehr auf als früher, weil alles was wir über heute über HIV wissen, rechtfertigt Situationen und Gefühle, wie ich sie beschrieben habe unter keinem einzigen rationalen Gesichtspunkt.

Der Kern des Problems von Menschen mit HIV im Arbeitsleben liegt, so scheint es mir, in eben besagtem Geheimnis, das diese um ihre Infektion gleichsam machen müssen. Wer ein Geheimnis um etwas macht, was ihn betrifft und was für ihn gleichzeitig so lebenswichtig und existenziell ist, fürchtet also, wie gesehen, berechtigterweise Nachteile, wenn er dies offenbart. Dieser Befund, der möglicherweise etwas banal daherkommt, hat indes eine bedeutsame Dimension, wenn es um HIV geht. Nicht nur, dass Menschen mit HIV ab dem Zeitpunkt, ab dem sie ihre Infektion kennen, von vormals offenen und aufrichtigen Menschen gleichsam in einer existenziellen Notlage zu lebenslangen „Lügnern“ werden müssen, die sie zuvor nie waren und auch nie sein wollten. Und fast noch beunruhigender erscheint mir, dass wir in dieser Gesellschaft sogar wünschen, dass sie Lügner und Geheimnisträger bleiben. Wir scheinen uns nicht mit diffusen – real nicht existierenden – Gefahren auseinandersetzen zu wollen und stoßen diejenigen ab, die uns mit unserer Angst konfrontieren. Und, was es besonders schlimm macht, richtet sich dies gegen Menschen, mit denen wir zusammen leben.

Neben den Einschränkungen in der Sexualität, die bei HIV natürlich augenfällig sind, besteht gerade in der gesellschaftlich und vor allem im Arbeitsleben erforderlichen „Diskretion“ und ständigen Achtsamkeit, das Geheimnis nicht lüften zu müssen oder von dritter Seite nicht lüften zu lassen, die nahezu neurotische Lebenssituation, in der sich Menschen mit HIV fortwährend befinden. Das ist weder ein guter Zustand für die Menschen mit HIV, sondern auch nicht gut für den Zustand unserer zivilen und eigentlich aufgeklärten Gesellschaft.

Es war auch kein gutes Zeichen, als die Bundesregierung, obwohl ihr eigenes Gesundheitsministerium befürwortete, die HIV-Infektion als Diskriminierungsmerkmal in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzunehmen, hier keinen Handlungsbedarf sah. Es wird dem deklaratorischen Charakter gerade dieses Gesetzes nicht gerecht, wenn Menschen mit HIV, die zu denjenigen gehören, vor denen die Allgemeinbevölkerung am meisten Angst hat und sich ihnen gegenüber das meiste herausnimmt, nicht unter den Schutz dieses Gesetzes gestellt werden.

Hilfreich ist, dass nunmehr, nach gut 25 Jahren HIV und Aids, sich die medizinischen Aids-Fachorganisationen und der Nationale Aids-Beirat entschlossen haben, sich fachlich zu HIV im Arbeitsleben in medizinischen Empfehlungen zu äußern. Ich hoffe, dies wird Menschen mit HIV helfen, sich selbstbewusster gegen irrationale und ablehnende Haltungen in ihrem Arbeitsumfeld zur Wehr zu setzen. Außerdem müssten wir die Arbeitsrichter entsprechend weiterbilden, damit in Entscheidungen, wie erst jüngst beim Arbeitsgericht Berlin, sich ein Arbeitgeber bei einer Kündigung nicht mehr erfolgreich auf ein diffuses Restrisiko berufen kann, das sich weltweit noch nie verwirklicht hat und deshalb in Wahrheit gar nicht existiert.

Wir sind in den letzten 25 Jahren medizinisch im Bereich HIV sehr weit gekommen. Menschen mit HIV können ein nahezu beschwerdefreies Leben führen und erreichen nach heutigen Erkenntnissen wohl ein nahezu normales Lebensalter. Das bedeutet aber auch, dass alle diese Menschen, wie alle anderen Menschen auch, ein normales Arbeitsleben bis zum gesetzlichen Rentenalter oder möglicherweise darüber hinaus, haben werden und auch haben müssen, denn natürlich müssen auch Menschen mit HIV, wie auch alle anderen, arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen. Das ist eine lange, und für Menschen mit HIV auch eine wegen des Geheimnisses, das sie hüten müssen, dauerhaft schwierige Zeit.

Solange dies so ist und solange wir solche Fälle wie ich sie beschrieben habe, immer wieder und auch heute noch erleben müssen, solange haben wir die Aids-Krise, wenn auch heute medizinisch „gut im Griff“, alles andere als überwunden. Ich wünsche mir eine durch Handlungen begründete Erneuerung des Bekenntnisses: „Menschen mit HIV, Menschen mit Aids, gehören zu uns. Wir alle schützen sie und wir sorgen dafür, dass sie arbeiten und somit leben können!“

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine kleine Geschichte erzählen: Mir erzählte neulich jemand von einer Begebenheit in der Universitätsklinik, wo er behandelt wurde. Er hatte ein wahrscheinlich mit seiner HIV-Infektion zusammenhängendes Non-Hodgkin-Lymphom, eine Art Lymphdrüsenkrebs, das sich durch eine ganz beträchtliche Lymphknotenschwellung in der Achsel sogar äußerlich zeigte. Bei der Voruntersuchung zur Entnahme einer Gewebeprobe in der Achsel trug ein junger Arzt in der Facharztausbildung zum Chirurgen doppelte Gummihandschuhe. Ich betone, es ging ausschließlich um das äußere Abtasten der Schwellung. Der Patient wies sodann den Oberarzt darauf hin, er möge seinem jungen Kollegen doch bitte erläutern, dass er sich beim äußeren Abtasten einer Schwellung unter keinen erdenklichen Gesichtspunkten mit HIV infizieren könne und es hätte doch zu hygienischen Zwecken weiß Gott gereicht, ein einfaches Paar Handschuhe zu tragen. Dieser hielt dem Patienten entgegen, er müsse doch für die Ängste seiner jungen Kollegen Verständnis haben. Hierauf erwiderte der Patient, nein, das habe er nicht und das wolle er auch nicht mehr. Er wolle nicht mehr, nur weil er selbst HIV-infiziert ist, Verständnis für die irrationalen und unbegründeten Ängste aller Anderen haben. Er sei es leid. Es sei deren Aufgabe, sich damit zu beschäftigen.

Meine Damen und Herren, er hat recht. Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen. Unabhängig von HIV dürfen Kranke nicht verantwortlich gemacht werden für die unbegründete Furcht der Gesunden. Eigentlich, so meine ich, müssten wir diesen Gesellschaftzustand überwunden haben.

Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, mich beunruhigt eines wirklich sehr: Wenn HIV und Aids eines Tages kein medizinisches Problem mehr sein werden, die Zeit in der wir heute leben als diejenige gelten wird, in der die aufgeklärte und zivile Gesellschaft von den Menschen mit HIV beschämt wurde.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Kurz notiert … Oktober 2011 / 1

12. Oktober 2011: Patienten, die unter normalen Kriterien als übergewichtig bezeichnet werden würden, erreichten 12 Monate nach Beginn einer antiretroviralen Therapie die größten Anstiege der CD4-Zell-Zahlen, berichten US-Forscher.

11. Oktober 2011: Die Pharmakonzerne Gilead und Boehringer Ingelheim haben am 5. Oktober eine Vereinbarung unterzeichnet, nach der Gilead die exklusiven Rechte an der Weiterentwicklung der Boehringer-Substanzen einer neuen Klasse, der ’non-catalytic site Integrase Inhibitoren‘ (NCINIs) erhält. Boehringer wolle sich auf andere Substanzen in seiner Entwicklungs-Pipeline, besonders gegen Hepatitis C, konzentrieren, teilte das unternehmen mit.

Das Unternehmen Theratechnologies hat eine weitere Substanz entdeckt, die es auf Wirksamkeit gegen Lipodystrophie untersuchen will. Die neue Substanz soll breiter und elichter einsetzbar sein als das ebenfalls vom Unternehmen entwickelte Tesamorelin.

08. Oktober 2011: Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) fordert die Aufnahme von chronischen Krankheiten ins AGG.

05. Oktober 2011: Der frühere Vizepräsident des russischen Ölkonzerns Yukos Wassili Aleksanian ist einem russischen Medienbericht zufolge am 3,. Oktober an den Folgen von Aids gestorben.

01. Oktober 2011: Der Arm mit oralem Tenofovir wurde in der VOICE-Studie (Vaginal and Oral Interventions to Control the Epidemic) vorzeitig gestoppt. Das Data and Safety Monitoring Board der PrEP– /HIV-Präventions-Studie kam zu dem Schluss, dass selbst bei Fortsetzung der Studie bis zum vorgesehenen End-Zeitpunkt Tenofovir oral keinen Unterschied zu Plazebo zeigen werde.

Die Zahl der Hepatitis-C-Infektionen in den USA könnte um über eine Million zu niedrig geschätzt sein, glauben Epidemiologen.

„Jeder hat das Recht auf Sex ohne Kondom, auch Menschen mit HIV“ – Forderungen und Positionen aus dem Workshop „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“

Im Rahmen des 144. Bundesweiten Positiventreffens fand am 29. Juni 2011 im Waldschlößchen ein Workshop zum Thema ‚Kriminalisierung von Menschen mit HIV‘ statt. Die Teilnehmer erarbeiteten gemeinsam mit dem Workshop-Leiter RA Jacob Hösl eine Resolution, die im Folgenden dokumentiert ist:

Forderungen und Positionen aus dem Workshop „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“ am 29.6.2011 im Rahmen des 144. HIV-Positiven-Treffens

Forderungen und Positionen aus dem Workshop „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“ am 29.6.2011 im Rahmen des 144. HIV-Positiven-Treffens im Waldschlösschen Gleichen-Reinhausen, gerichtet an die Aidshilfeorganisationen, allen voran an die Deutsche Aids-Hilfe. Sie mögen sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mittel dafür einsetzen.

Denn nicht akzeptabel, ärgerlich und verletzend ist das Bild von Sexualität, wie es leider seit Jahren, zum Teil wider besseres Wissen, in Öffentlichkeitskampagnen verbreitet wird. Diese müssen ehrlicher und zur Änderung der falschen Bilder zunächst auch provokanter werden. Das ist nötig, weil das „alte Aids“ heute eher Schreckgespenst denn Wirklichkeit ist, was aber bei den meisten Menschen noch nicht angekommen ist.

Viele von uns sind nicht mehr ansteckend.

Weitgehender Konsens unter den Teilnehmern herrschte über Folgendes:

1. Es gibt keine Sicherheit, auch nicht beim Sex.

2. Die Selbstbestimmtheit der „HIV-Negativen“ im Sexualverhalten muss gestärkt werden.

3. Jeder hat das Recht auf Sex ohne Kondom, auch Menschen mit HIV.

4. Die Unwissenheit über HIV muss beseitigt werden, das Wissen muss verbreitet werden, etwa über die tatsächliche Infektiosität.

5. Die Angst „HIV = Sex + Tod“ muss genommen werden.

6. HIV-Positive müssen antidiskriminierungsrechtlich geschützt werden.

7. Geld für Antidiskriminierungskampagnen muss bereitgestellt werden.

Arbeitsgericht Berlin weist Klage gegen Kündigung wegen HIV-Infektion ab

Zumm Fall des wegen HIV gekündigten Chemie-Laboranten, dessen Klage abgewiesen wurde, als Dokumentation eine Pressemitteuilung des Arbeitsgerichts Berlin:

Arbeitsgericht Berlin weist Klage gegen Kündigung wegen HIV-Infektion ab

Der Arbeitnehmer ist HIV-infiziert und wurde von dem Arbeitgeber, einem Pharmaunternehmen, als Chemisch-Technischer Assistent beschäftigt. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis in der Probezeit wegen der HIV-Infektion.

Der Arbeitnehmer hat die Kündigung für unwirksam gehalten. Die bloße Infektion mit dem HI-Virus könne nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen. Zudem habe der Arbeitgeber ihn durch die Kündigung wegen einer Behinderung diskriminiert und sei daher nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet. Der Arbeitgeber hat demgegenüber geltend gemacht, dass die Kündigung noch in der Probezeit erfolgt sei; sie sei zudem aus Gründen der Arbeitssicherheit unumgänglich gewesen. Eine Diskriminierung des Arbeitnehmers sei nicht erfolgt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Kündigung könne nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung hin überprüft werden, weil der Arbeitnehmer noch keine sechs Monate beschäftigt gewesen sei und das Kündigungsschutzgesetz daher keine Anwendung finde. Die Kündigung sei auch nicht willkürlich ausgesprochen worden, weil die vom Arbeitgeber für sie angeführten Gründe nachvollziehbar seien. Der Arbeitgeber habe den Kläger zudem nicht wegen einer Behinderung diskriminiert und müsse daher auch eine Entschädigung nicht zahlen. Die bloße HIV-Infektion führe nicht zu einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und stelle daher keine Behinderung im Rechtssinne dar.

Gegen das Urteil kann Berufung bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 21. Juli 2011 – 17 Ca 1102/11

(Pressemitteilung Arbeitsgericht Berlin)

Schweiz: Pharmakonzern führt Arbeitsplatzreglement zu HIV/Aids ein

Johnson & Johnson Schweiz führt neu eine HIV Workplace Policy ein. In Zusammenarbeit mit der Aids-Hilfe Schweiz hat das Unternehmen ein solches Arbeitsplatzreglement erarbeitet. Es tritt ab sofort in Kraft und hat Gültigkeit für die rund 3‘600 Mitarbeitenden des Unternehmens in der Schweiz.

Ein wichtiges Instrument gegen Diskriminierungen von HIV-positiven Personen am Arbeitsplatz ist ein Arbeitsplatzreglement zu HIV/Aids. Mit Johnson & Johnson hat ein weiterer wichtiger Arbeitgeber in der Schweiz eine solche Workplace Policy in Zusammenarbeit mit der Aids-Hilfe Schweiz entwickelt und eingeführt. Johnson & Johnson schützt mit dieser Massnahme ihre 3‘600 Mitarbeitenden wirksam vor Diskriminierungen und setzt sich für Menschen mit einer chronischen Krankheit ein.

„Wir freuen uns sehr über diesen Entscheid von Johnson & Johnson“, sagt Daniel Bruttin, Geschäftsführer der Aids-Hilfe Schweiz. „Die Firma setzt damit ein Zeichen, dass die Diskriminierung von HIV-positiven Menschen nicht toleriert wird“. Carine Brouillon Managing Director von Janssen, der Pharma-Division von Johnson & Johnson ergänzt: „Als sozial verantwortlich handelndes Unternehmen war es für uns selbstverständlich, diesem wichtigen Anliegen auch bei uns ein grösseres Bewusstsein zu verschaffen“.

Dank der in den letzten Jahren stark verbesserten Therapien arbeiten heute 70 Prozent der HIV-positiven Menschen. Zwei Drittel der HIV-positiven Erwerbstätigen bekleiden Vollzeitstellen. Doch eine Normalisierung ist in weiter Ferne: Unrechtmässige Kündigungen, Mobbing durch Vorgesetzte oder Kollegen, mangelnde Versicherungsleistungen und Datenschutzverletzungen sind in vielen Unternehmen an der Tagesordnung. Mit einer Workplace Policy verpflichtet sich ein Unternehmen beispielsweise, im Bewerbungsverfahren den HIV-Status nicht abzufragen, die Datenschutzbestimmungen einzuhalten und seine Angestellten vor diskriminierenden Handlungen zu schützen.

Ein weiter wichtiger Schritt im Diskriminierungsschutz wäre ein Antidiskriminierungsgesetz, wie es in vielen europäischen Ländern vorhanden ist. „Wir erleben immer wieder, dass die Rechtslage in der Schweiz HIV-positive Menschen daran hindert, ihr Recht einzufordern“, sagt Aids-Hilfe-Juristin Caroline Suter. „Die Umkehr der Beweislast, also dass der Arbeitgeber zeigen müsste, dass er nicht missbräuchlich gehandelt hat, wäre ein grosser Schritt.“

(Medienmitteilung der Aids-Hilfe Schweiz)

HIV-positiver Chemie-Laborant – „zum Wohle der Kunden“ gekündigt (akt.2)

Man habe den Chemie-Laboranten wegen seiner HIV-Infektion kündigen müssen, zum Wohl der eigenen Kunden. So argumentiert ein Berliner Medikamenten-Hersteller. Nun muss das Arbeitsgericht Berlin entscheiden.

Er war während seiner Probezeit fristlos gekündigt worden, der 24jährige Chemie-Laborant – wegen seiner HIV-Infektion. Man müsse die eigenen Kunden schützen, schließlich sei eine Ansteckung nie völlig auszuschließen, begründete der Arbeitgeber. Der Chemie-Laborant war in der Qualitätskontrolle tätig und hatte eigenen Angaben zufolge nie Kundenkontakt.

Am 21. Juli 2011 wurde der Fall vor dem Berliner Arbeitsgericht verhandelt. Im Mittelpunkt: die Frage, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (früher: Anti-Diskriminierungs-Gesetz) anzuwenden ist. Ist eine HIV-bedingte Immunschwäche juristisch eine Behinderung?

Die Richterin vertagte die Entscheidung zunächst. Eine gütliche Einigung hatte der Kläger abgelehnt.

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Aktualisierung
25.07.2011, 17:30
: Die Berliner Aids-Hilfe betont in einer Pressemitteilung, eine HIV-Infektion sei kein Kündigungsgrund. Uli Meurer, Vorstandsmitglied der Berliner Aids-Hilfe e.V.: „Wir kritisieren die Kündigung und Begründung des Arbeitgebers auf das Schärfste. Eine HIV-Infektion ist kein Kündigungsgrund. Von HIV-positiven Menschen geht keine Gefahr im alltäglichen Umgang miteinander oder am Arbeitsplatz aus. Im vorliegenden Fall ist die Begründung, Sebastian F.* stelle eine potentielle Gefahr für die Kunden des Unternehmens dar, eine haarsträubende Fehleinschätzung. Eine Weitergabe der Infektion ist im geschilderten Fall völlig auszuschließen.“
„Wer ein Unternehmen führt und Personalverantwortung trägt, hat im Rahmen der Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern die Verpflichtung sich zu informieren. Wäre der Personalverantwortliche dieser Pflicht nachgekommen, wüsste er, dass HIV kein Beschäftigungshindernis darstellt. Wer HIV-Positive auf Grund seiner eigenen Uninformiertheit ausgrenzt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er dazu geeignet ist, Personalverantwortung zu tragen.“
*Name geändert
25.07.2011, 19:00: Die Geschäftsführerin der Deutschen Aids-Hilfe, Silke Klumb, betont in einer Stellungnahme: „Auch wenn HIV-Infektionen oder chronische Erkrankungen nicht explizit im Gesetzestext vorkommen: Für uns als Deutsche AIDS-Hilfe ist klar, dass sich der Diskriminierungsschutz auch auf Behinderungen bezieht, die durch eine HIV-Infektion entstanden sind. So sieht es übrigens auch das Bundesministerium für Gesundheit in seinem Bericht zum Aktionsplan zur Umsetzung HIV/AIDS-Bekämpfungsstrategie der Bundesregierung.“

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weitere Informationen:
taz 21.07.2011: Wegen HIV während der Probezeit rausgeschmissen
DAH 25.07.2011: Kündigung in der Probezeit nach positivem HIV-Test
diego62 25.07.2011: Ist HIV ein Kündigungsgrund?
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Schweiz: Diskriminierungen von HIV-positiven Menschen sind am Arbeitsplatz besonders häufig

HIV-positive Menschen werden diskriminiert, besonders häufig am Arbeitsplatz. Dies zeigt die aktuelle Diskriminierungsmeldung der Aids-Hilfe Schweiz. Ein Antidiskriminierungsgesetz könnte Abhilfe schaffen.

HIV/Aids ist heute eine chronische Krankheit. Dank der in den letzten Jahren stark verbesserten Therapien arbeiten heute 70% der HIV-positiven Menschen. Zwei Drittel der HIV-positiven Erwerbstätigen bekleiden eine 100-%-Stelle. Ist also alles gut?

Bei weitem nicht. Das zeigt die aktuelle Diskriminierungsmeldung der Aids-Hilfe Schweiz. Diskriminierungen und Datenschutzverletzungen von HIV-positiven Menschen am Arbeitsplatz sind besonders häufig.

Da ist der Fall von Marianne B. (Name geändert). Ihr wurde ihre Arbeitsstelle gekündigt, kurz nachdem ihr Chef von ihrer HIV-Infektion erfahren hat. Die Kündigung war klar missbräuchlich. Aufgrund der traumatischen Erfahrung hat Marianne B. die Arbeitsstelle verlassen und die Diskriminierung später gemeldet, aber von einer Klage abgesehen. Dank der Intervention der Aids-Hilfe Schweiz hat die Firma der Frau zumindest eine Abfindung bezahlt.

Ein Antidiskriminierungsgesetz, wie es in vielen europäischen Ländern vorhanden ist, würde die rechtliche Situation für HIV-positiven Menschen entscheidend verbessern. „Wir erleben immer wieder, dass die Rechtslage in der Schweiz HIV-positive Menschen daran hindert, ihr Recht einzufordern“, sagt Aids-Hilfe-Juristin Caroline Suter. „Die Umkehr der Beweislast, also dass der Arbeitgeber zeigen müsste, dass er nicht missbräuchlich gehandelt hat, wäre ein grosser Schritt.“

Die Aids-Hilfe Schweiz ist die eidgenössische Meldestelle für Diskriminierungen im HIV/Aids-Bereich und meldet die ihr bekannten Fälle zwei Mal jährlich der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen. Sie interveniert bei Fällen von Diskriminierungen, berät HIV-positive Menschen in Rechtsfällen kostenlos und setzt sich dafür ein, dass politische, gesellschaftliche und gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Diskriminierungen verhindern.

(Medien-Mitteilung der Aids-Hilfe Schweiz)

HIV-positiver Arbeitnehmer erstreitet Entschädigung wegen Diskriminierung

Ein HIV-Positiver hat gegen seinen Berliner Arbeitgeber eine Entschädigung erstritten. Er war bei einer internen Stellenausschreibung trotz Bewerbung nicht berücksichtigt worden.

Eine Stelle im Unternehmen war neu zu besetzen und wurde intern ausgeschrieben. Ein HIV-positiver Mitarbeiter bewarb sich, ebenso wie mehrere weitere Kollegen. Alle Bewerber wurden zu Gesprächen eingeladen – alle außer einem, dem HIV-positiven Mitarbeiter.

Dem Betriebsrat des Unternehmens wurden alle Bewerbungsunterlagen vorgelegt – außer denen eines Bewerbers. Wiederum des HIV-positiven Mitarbeiters. Dadurch verlor der Mitarbeiter zudem noch eine wichtige Möglichkeit: er ist schwerbehindert, hätte bei gleicher Qualifikation gute Chancen auf die besser bezahlte Position gehabt.

Ein eindeutiger Fall von Diskriminierung, so das Gericht. Wegen Verstoßes gegen das AGG (Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, bekannt auch als Anti-Diskriminierungsgesetz) verurteilte das Landesarbeitsgericht Berlin den Arbeitgeber zur Zahlung von 1.000 Euro Entschädigung.

Der Mitarbeiter konnte belegen, dass seine Bewerbung aufgrund seiner Behinderung nicht adäquat berücksichtigt wurde. Hätte er belegen können, dass er bei entsprechender Berücksichtigung die neue Position bekommen hätte, die Entschädigung wäre vermutlich noch deutlich höher ausgefallen.

Das ‚Betriebsrat Blog‘, das die (nicht publizierte) Entscheidung öffentlich machte, weist darauf hin, das Urteil sei

„einer der ersten Fälle, wenn nicht sogar der erste Fall, bei dem das AGG zugunsten eines Menschen mit HIV wirkte. Es setzt damit ein Zeichen für Menschen mit HIV und Aids, die aufgrund ihrer Erkrankung und der Ansichten der Gesellschaft bezüglich dieser Krankheit im Berufs- und Alltagsleben Gefahr laufen, ständig diskriminiert zu werden.“

weitere Informationen:
Landesarbeitsgericht Berlin, Az. 12 Sa 1385/08 (Urteil nicht veröffentlicht)
Betriebsrat Blog 19.08.2010: HIV-Positiver erstreitet Entschädigung wegen Diskriminierung
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Europäisches Parlament: Deutscher Behindertenrat begrüßt Entscheidung für Antidiskriminierungs- Richtlinie

„Wir begrüßen, dass das Europäische Parlament mit deutlicher Mehrheit für die Antidiskriminierungsrichtlinie gestimmt hat“, erklärt Hannelore Loskill, Sprecherin des Deutschen Behindertenrates, zur Entscheidung aus Brüssel, die Richtlinie zur Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung anzuerkennen. Mit 363 zu 266 stimmten die Abgeordneten dafür, die Gleichbehandlung in Zukunft auch außerhalb des Arbeitsplatzes zu europäischem Recht zu erheben.

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“Als Aktionsbündnis für die Rechte der Menschen mit Behinderungen ist es dem Deutschen Behindertenrat ein großes Anliegen, dass behinderte Menschen europaweit auf einheitlich hohem Niveau vor Diskriminierung geschützt werden. In Zusammenhang mit der gerade in Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention werden die Chancen für behinderte Menschen immer besser, uneingeschränkt am Leben in der Gesellschaft teilzunehmen“, so Hannelore Loskill weiter.

Die neue umfassende Richtlinie über Gleichbehandlung verbietet Diskriminierung in einer Reihe von Bereichen außerhalb des Arbeitsmarktes, unter anderem aufgrund einer Behinderung beim Zugang zu Sozialschutz, sozialen Vergünstigungen, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Auch Telekommunikation und elektronische Kommunikation, Finanzdienstleistungen, Kultur und Freizeit, Verkehrsmittel sowie sonstige öffentliche Räume und Einrichtungen sollen nach dem Willen der Abgeordneten darunter fallen.

(Pressemitteilung von BAG Selbsthilfe / Deutscher Behindertenrat)

Hinterbliebenenrente: Kläger setzt sich durch

Das Verwaltungsgericht München hat einem überlebenden Lebenspartner Recht gegeben, der ein Versorgungswerk auf eine Hinterbliebenenrente verklagte. Vorausgegangen war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs.

Herr M. lebt seit Jahren mit seinem Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Sein Partner verstirbt. Er beantragt beim (in diesem Fall zuständigen) Versorgungswerk der deutschen Bühnen (VddB) eine Hinterbliebenen-Rente. Doch das VddB lehnt den Antrag ab – nur Ehegatten würden eine Hinterbliebenen-Rente erhalten, so die Begründung.

Herr M. will sich damit nicht zufrieden geben. Vor dem Bayrischen Verwaltungsgericht klagt er gegen den VddB. Das Gericht legt den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, der bitte die Frage klären möge, wie in diesem Fall die Antidiskriminierungs-Richtlinie der Europäischen Union anzuwenden sei.

Und der EuGH urteilte. Das sei diskriminierend, meint zunächst der Generalanwalt des EuGH. Das Verhalten des betroffenen Versorgungswerks verstoße gegen die Antidiskriminierungs-Richtlinie der Europäischen Union. der EuGH schloss sich dieser Sichtweise mit Urteil vom 01.04.2008 (C-267/06) an, „für den Fall bejaht, dass sich der Kläger hinsichtlich der Hinterbliebenenrente in einer Lage befindet, die mit der hinterbliebener Ehegatten vergleichbar ist. “

Nun gibt es ‚Neues in der Rechtssache Maruko‚: „Diese Frage hat das Verwaltungsgericht München jetzt mit Urteil vom 30.10.2008 – Az. M 12 K 08.1484 – bejaht. Das Urteil wird am 14.12.2008 rechtskräftig, sofern die Gegenseite nicht wider Erwarten beim Verwaltungsgerichtshof  München Berufung einlegt“, berichtet nun der LSVD.

Manfred Bruns, Sprecher des LSVD, kommentiert zur Bedeutung des Urteils für Lesben und Schwule:

„Viele Lesben und Schwule haben sich gegen ihre Benachteiligung beim Arbeitsentgelt (Familienzuschlag, Beihilfe, Hinterbliebenenpension, betriebliche Hinterbliebenenrenten) gewehrt. Ich empfehle allen, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen sind, dringend, Abschriften des neuen Urteils des Verwaltungsgerichts München den Stellen zu übersenden, bei denen die Verfahren anhängig sind.“

Der LSVD bietet die Urteile auf seinem Internetangebot zum Download an.