Düsseldorf: Aidshilfe-Mitarbeiter als Terror-Verdächtiger festgenommen (akt.7)

Ein 31jähriger Mann aus Düsseldorf ist unter dem Verdacht festgenommen worden, die rechtsextreme Terror-Gruppe ‚NSU‘ unterstützt zu haben. Er gab bisher an, aus der rechten Szene ausgestiegen zu sein; seit einigen Jahren arbeitet er bei der Aids-Hilfe Düsseldorf.

Am Mittwoch, 1. Februar 2012 wurde der 31jährige Carsten S. in seiner Düsseldorfer Wohnung festgenommen. Er soll die Zwickauer Terror-Zelle unterstützt haben, so der Vorwurf der Ermittler. Er befindet sich derzeit (1.2., 14:00 Uhr) auf dem Weg nach Karlsruhe und soll heute noch beim Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof BGH in Karlsruhe vorgeführt werden.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wird er verdächtigt, Beihilfe zu sechs vollendeten und einem weiteren versuchten Mord geleistet zu haben. Er soll eine Waffe und Munition geliefert haben.

Er soll, berichtet ‚Spiegel online‘, in den Jahren 1999 und 2000 Mitglied des rechtsextremen ‚Thüringer Heimatschutzes‘ gewesen und bis 2003 weiterhin Kontakte in rechtsextreme Kreise unterhalten haben.

Carsten S. hingegen sprach bisher Berichten zugolge von einem Aussteiog aus der rechtsradikalen Szene im Jahr 2000. Dem schwulen Internetportal queer.de erklärte er durch seinen Anwalt u.a. „“Seitdem habe ich mich davon distanziert und verabscheue jegliche Art von rechtem, rassistischem und extremistischem Gedankengut.“ Er arbeitete die letzten Jahre in der HIV-Prävention der Düsseldorfer Aids-Hilfe.

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Aktualisierung
01.02.2012, 20:00: Die Düsseldorfer Aids-Hilfe wurde laut Pressemitteilung „von der Verhaftung überrascht und erfuhr aus den Medien davon. Die Vorstände, Geschäftsführung und Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins und seine Projekte distanzieren sich mit aller Deutlichkeit von der rechten Szene und ihrem Gedankengut. Ihr Beileid gehört den Opfern und Hinterbliebenen aller Terroranschläge.“
Queer.de berichtet von der Pressekonferenz der Aids-Hilfe Düsseldorf, Geschäftsführer Peter von der Forst habe betont, Carsten S. sei ein zuverlässiger Mitarbeiter gewesen. Man habe seinen Ausstieg aus der rechten Szene geglaubt und ihm eine Chance geben wollen.
Die Staatsanwaltschaft betont, er „habe billigend in Kauf genommen“, dass die Schusswaffe für rechtsextremistische Staftaten benutzt wurde.
Das Jugendzentrum PULS erklärte in einer Pressemitteilung „Die Vorstände, Geschäftsführung und Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins distanzieren sich mit aller Deutlichkeit von der rechten Szene und ihrem Gedankengut. Ihr Beileid gehört den Opfern und Hinterbliebenen aller Terroranschläge.“

01.02.2012, 20:45: Jan Bielicki und Hans Leyendecker sprechen in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ von „Er war so dicht dran an der Zwickauer Terrorzelle wie kein anderer Helfer – und schien dann ganz weit weg gewesen zu sein.“. Sie weisen darauf hin, bei der angeblich von Carsten S. gekauften Waffe könne es sich nicht um diejenige handeln (Ceska), mit der die Morde verübt wurden.

02.02.2012, 08:30: Am späten Abend des 1.2.2012 ordnete der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe Untersuchungshaft an. Die ‚Tagesschau‘ berichtete, Carsten S. habe „umfangreich ausgesagt“.

03.02.2012, 18:45: Die taz weist darauf hin „Nichts spricht aber dafür, dass Carsten S. sein neues Leben in Nordrhein-Westfalen nur vorgetäuscht hat. Selbst der gewöhnlich gut informierten Antifa in Düsseldorf liegen „keinerlei Hinweise“ vor, dass er „in seiner Düsseldorfer Zeit Kontakte in die Neonazi-Szene hatte oder noch mit dieser sympathisierte“.“
„Das er [Carsten S.; d.Verf.] von den Morden wusste, gilt als unwahrscheinlich“, stellen Jan Bielicki und Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung fest. „Er hat sich, davon sind die Fahnder überzeugt, im Jahr 2000 von seiner rechten Vergangenheit gelöst. … Aber bis 2003 soll er private Kontakte zu früheren Kameraden gepflegt haben.“ Sie zitieren einen Fahnder „Der Mann betrachtet sein erstes Leben wie ein Fremder.“
„Wieviel wusste Carsten S.?“, fragt Norbert Blech auf queer.de und seziert die Vorgänge rund um den GSG 9 – Einsatz und die Verhaftung, hinterfragt auch seinen Einsatz bei der Aids-Hilfe Düsseldorf und dem Jugendzentrum Puls. Und er wirft eine der zukünftig vielleicht wesentlichen Fragen auf: „Die Verhaftung, die ihm sein zweites, mühsam wie erfolgeich aufgebautes Leben vermutlich zerstört hat. War das, zu diesem Zeitpunkt, notwendig und angemessen?“

10.02.2012, 15:45: Die ‚Zeit‘ zitiert Aussagen von Ermittlern über Carsten S.: „Der macht reinen Tisch. … Er mogelt nicht rum“ und betont „Des Gepäcks der Vergangenheit entledigte sich S. allein, ohne Aussteigerhilfe, so zumindest sieht es derzeit aus.“

23.02.2012, 15:45: Die Düsseldorfer Aids-Hilfe und Carsten S. haben das Arbeitsverhältnis in Absprache mit Vorstand und Geschäftsführung der Aids-Hilfe sowie dem Anwalt von Carsten S. einvernehmlich beendet. Die Aids-Hilfe Düsseldorf in einer Pressemitteilung: „So war es auch in Carsten S. Sinne, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Er möchte damit mögliche Nachteile von der AIDS-Hilfe und den Menschen, für die er in Projekten tätig war, abwenden.“ Carsten S. befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft.
19:00: Spiegel online und Süddeutsche berichten unterdessen, Carsten S. solle die wichtigste Mordwaffe Ende 1999 besorgt und übergeben haben. Dies habe er gegenüber den Ermittlern eingeräumt. „Carsten S. ist jetzt einer von dreizehn angeblichen Helfern und Unterstützern der Zelle, aber keiner packt so aus wie er“, berichtet die SZ.

25.02.2012, 19:00: Hans Leyendecker fragt in der SZ: „Der Fall des Carsten S. ist ein komplizierter Fall. Hat er wirklich nicht ahnen können, was die Jenaer Bombenbauer mit einer Waffe machen wollten? “

29.05.2012, 21:00: Am Dienstag, 29. Mai 2012 hat die Bundesanwaltschaft den Haftbefehl gegen Carsten S. aufgehoben. Er wurde aus der Untersuchungshaft freigelassen. Er ist weiterhin der Beihilfe zum Mord verdächtig, über eine etwaige Anklageerhebung ist bisher nicht entscheiden.

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siehe auch Kommentar: “Wir setzen auf einsichts- und lernfähige Menschen”

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weitere Informationen:

Spiegel online 01.02.2012: Zwickauer Zelle: GSG 9 nimmt weiteren mutmaßlichen Terrorhelfer fest
queer.dde 01.02.2012: Düsseldorf: Szenemitarbeiter wegen Terror-Verdachts festgenommen
Der Westen Recherche-Blog 24.01.2012: NSU-Rechtsterroristen: Eine Spur in den Westen
Ruhrbarone 24.01.2012: Ehemaliger mutmaßlicher NSU Helfer arbeitet heute bei der AIDS-Hilfe Düsseldorf
frank laubenburg 25.01.2012: Unterstützung neonazistischen Terrors ist keine Jugendsünde: Düsseldorfer Carsten S. muss zur Aufklärung beitragen
Antifaschistische Linke Düsseldorf 25.01.2012: Pressemitteilung: Düsseldorfer war Kontaktmann zum rechtsterroristischen NSU?
SpON 02.01.2012: Das Desaster von Chemnitz
Bild 26.01.2012: Angeblicher NSU-Unterstützer beteuert Unschuld
Inqueery.de 01.02.2012: „Dringend verdächtigt“
Aids-Hilfe Düsseldorf 01.02.2012: Stellungnahme Verhaftung Mitarbeiter
PULS 01.02.2012: Mitarbeiter des Jugendzentrums „PULS“ verhaftet.
SZ 01.02.2012: GSG 9 verhaftet früheren NPD-Funktionär – Eingeholt von der braunen Vergangenheit
Spiegel online 01.02.2012: Mutmaßlicher Terrorhelfer Carsten S. – Der lange Schatten der braunen Vergangenheit
taz 02.02.2012: Von der Vergangenheit eingeholt
Jan Bielicki, Hans Leyendecker: Ein Aussteiger packt aus – Der Beschuldigte Carsten S. gilt als wichtiger Zeuge. in: Süddeutsche Zeitung 3. Februar 2012
Norbert Blech queer.de 03.02.2012: Ermittlungen zum Terror-Trio – Wieviel wusste Carsten S.?
Zeit 09.02.2012: Die zwei Leben des Carsten S.
Aids-Hilfe Düsseldorf 23.02.2012: Arbeitsverhältnis mit Carsten S. wurde beendet
queer.de 23.02.2012: U-Haft mit Folgen: Carsten S. ist jetzt arbeitslos
SpON 23.02.2012: Carsten S. besorgte Mordwaffe der Terrorzelle
SZ 23.02.2012: Der Weg der Mordwaffe
SZ 25.02.2012: Carsten S. – Kontaktmann zum Terrortrio
queer.de 29.05.2012: Carsten S. aus U-Haft entlassen
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4 Gedanken zu „Düsseldorf: Aidshilfe-Mitarbeiter als Terror-Verdächtiger festgenommen (akt.7)“

  1. „Man habe seinen Ausstieg aus der rechten Szene geglaubt und ihm eine Chance geben wollen.“
    Geht’s vielleicht noch naiver?
    Zumindest eines kann man sagen: AIDS Hilfe Düsseldorf hat sich wie der politischen Mainstream verhalten. Nur wundern sollte man sich dann nicht unbedingt, wenn man bedenkt wie blauäugig der Mainstream dem Rechtsextremismus gegenüber tritt..

    Und wo findet sich ein Ausdruck des Bedauerns? Beileid ist kein Ersatz dafür.

  2. @ Beobachter: Kritik ist gut aber Vorverurteilung schadet – und was wir bisher zu lesen und hören bekamen, reicht noch zu keiner sachgerechten Urteilsbildung aus. Alle – auch die Medien – tun ja so, als ob sie alle Geheimberichte kennen würden.
    Die Berichterstattung der taz gestern fand ich noch am angemessensten: http://www.taz.de/Terrortruppe-NSU/!86945
    Erst die nächsten Tage werden mehr Klarheit bringen.

  3. @termabox:
    Der TAZ Artikel beschreibt die Schwierigkeiten der Integration von Rechtsextremisten, die ein anderes Leben führen wollen. Nur ihre Verantwortung für Aufklärung sollte unabhängig von persönlicher Schuld nicht bagatellisiert werden. Und da gibt es Versäumnisse wohin man schaut.
    Das Nicht-Wahrhaben-Wollen der Verstrickung solcher Personen in Kriminalität und Terror hat auch System. Leider habe auch diese Gefahr unterschätzt. Umso mehr bedaure ich meine, mir zuvor unbewusst gebliebene, Verharmlosung und Verstrickung von Rechtsextremisten. Wieso sollte dies für eine AIDS-Hilfe nicht auch zutreffen? So habe ich @Beobachter verstanden.

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