DAH: Respekt und Solidarität für Einräumen einer zweiten Chance (akt.)

Der Düsseldorfer Aidshilfe gebührt Respekt und Solidarität dafür, dass sie das Prinzip der Resozialisierung ernst genommen und einem Anfang Februar verhafteten, nach eigenen Angaben aus der rechten Szene ausgesteigenen Mitarbeiter eine zweite Chance gegeben hat. Dies betont die Deutsche Aids-Hilfe in einer aktuellen Mitteilung.

Am 1. Februar wurde Carsten S., Mitarbeiter der Düsseldorfer Aids-Hilfe, von GSG-9-Truppen wegen Terror-Verdacht festgenommen. Carsten S. selbst hatte zuvor davon gesprochen, bereits im Jahr 2000 aus der rechten Szene ausgestiegen zu sein (auch Hans Leyendecker bemerkt in der Süddeutschen Zeitung am 3.2.2012: „Er hat sich, davon sind die Fahnder überzeugt, im Jahr 2000 von seiner rechten Vergangenheit gelöst“). Die Düsseldorfer Aids-Hilfe geriet unter medialen Druck, Fragen wurden laut, auch warum und warum sie ihn wo beschäftigt hat.

Manuel Izdebski (Foto: DAH)
Manuel Izdebski (Foto: DAH)

Im aktuellen Verbandsnewsletter der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) vom 9.2.2012 schreibt Manuel Izdebski (seit Oktober 2011 Mitglied im Bundesvorstand der DAH):

„Im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe sind wir einhellig der Meinung, dass sich die Düsseldorfer Aidshilfe nichts vorzuwerfen hat. Es ehrt die Kolleginnen und Kollegen, dass sie einem jungen Mann, der glaubwürdig seinen Ausstieg aus der rechten Szene vollzogen hatte, eine zweite Chance einräumen wollten. Nun holt ihn die Vergangenheit ein, und ein Gericht wird über Schuld oder Unschuld zu befinden haben, sofern es zur Anklage kommt.
Als Verband stehen wir nicht nur durch Lippenbekenntnisse zum Prinzip der Resozialisierung. Dieses Prinzip gilt auch für Anhänger der rechten Szene, wenn sie Abkehr geleistet haben und Reue zeigen. Wie sonst will man den vornehmlich jungen Männern, die für das rechte Gedankengut empfänglich sind, einen Weg zurück in die Gesellschaft ebnen? Und warum sollte sich der Ausstieg sonst für sie lohnen?
Nichts anderes haben die Kolleg_innen der AIDS-Hilfe Düsseldorf getan – und dafür verdienen sie ausdrücklich unseren Respekt und unsere Solidarität!“

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Aktualisierung
13.02.2012, 07:30: „Wir stehen ausdrücklich zu der Entscheidung der Aids Hilfe Düsseldorf, Carsten S. eine Chance zum Ausstieg aus der rechten Szene zu geben, und würden die Kollegen auch bei künftigen Entscheidungen dahingehend stärken“, äußert Patrick Maas, Geschäftsführer der Aids-Hilfe NRW, in der FAS (12.2.).

„Wir setzen auf einsichts- und lernfähige Menschen“

Düsseldorf Januar 2012: Spezialkräfte der GSG-9 verhaften einen Aidshilfe-Mitarbeiter unter dem Verdacht, die rechtsextreme Terror-Gruppe ‘NSU’ unterstützt zu haben. Wie kommt ein (ehemaliger) Rechtsextremer zur Aids-Hilfe?

Die Aids-Hilfe Düsseldorf hat sich in Reaktion auf die Verhaftung in einer Presseerklärung „von der rechten Szene und ihrem Gedankengut“ distanziert. Bei vielen Mitgliedern, Klienten und Angestellten hat die Verhaftung vermutlich Bestürzung ausgelöst, Fragen aufgeworfen. Die Aids-Hilfe Düsseldorf steht derzeit zudem unter erheblichem medialem Druck. Partner in Politik ebenso wie Unterstützer und Geldgeber haben Erwartungen, fordern vermutlich klare Worte. Insofern ist die Distanzierung der Aids-Hilfe Düsseldorf verständlich, vermutlich auch richtig, vielleicht sogar hinreichend.

Dies ist sie jedoch nicht für den Dachverband, die Deutsche Aids-Hilfe (die sich bisher außer in Form einer Übernahme der Düsseldorfer Presseerklärung nicht zu dem Vorgang geäußert hat).

„Recht auf Selbstbestimmung, Teilhabe und Solidarität“ und „verantwortungsvoll und solidarisch mit den Bedrohten und Betroffenen umgehen“ – Werte wie diese stehen im Mittelpunkt es Grundverständnisses von Aidshilfe, so formuliert im Leitbild der Deutschen Aids-Hilfe. „Deshalb setzen wir in unserer Arbeit auf das verantwortliche Handeln vernunftbegabter, einsichts- und lernfähiger, freier und gleichberechtigter Menschen“.

Politischer Extremismus egal welcher Richtung (insbesondere, aber nicht nur in seiner gewaltbereiten Form) ebenso wie religiöser Fundamentalismus (egal welcher Glaubensrichtung) bedrohen und gefährden diese Werte, diese Basis der Arbeit von Aidshilfe. Schon aus diesem Grund muss Aidshilfe in ihrem Reden und Handeln immer auch ihre Werte reflektieren und sich aktiv für sie einsetzen.

Sich von Extremismus und Fundamentalismus zu distanzieren, aktiv gegen sie und für Freiheit und Solidarität einzusetzen sollte also zum Wesen des Handelns von Aidshilfe gehören.

Ein Distanzieren von Extremismus und Fundamentalismus – wie es jetzt die Aids-Hilfe Düsseldorf gemacht hat – ist somit nicht nur verständlich. Es sollte für jede Aidshilfe selbstverständlich sein.

Distanzierung darf jedoch nicht alles sein. Aktive Schritte des Engagements gegen Extremismus sind erforderlich. Dieses Engagement darf nicht nur Lippenbekenntnis sein, es muss reales Handeln beinhalten.

Hierzu gehört dann auch, Aussteigern aus dem Extremismus, aktuell: der rechten Szene, eine reale Chance zu geben, eine Chance auf Neubeginn, auf einen persönlichen, menschlichen wie auch beruflichen Neuanfang.

Chance auf Neuanfang für Aussteiger, dies ist gesellschaftlich wie politisch wichtig im Engagement gegen Extremismus und Fundamentalismus. Und hier ist selbstverständlich auch Aidshilfe gefordert. Chancen geben, dies beinhaltet auch: Risiken eingehen. Risiko und der Umgang mit Chancen und Risiken – Themenfelder, die für Aidshilfe nichts Unbekanntes sind.

Dass die Aids-Hilfe Düsseldorf einem Aussteiger aus der rechten Szene diese Chance auf Neuanfang gegeben hat, ist also nur konsequent. Und es ist zu begrüßen.

Die Deutsche Aids-Hilfe ist gefordert, nicht nur das Selbstverständliche zu sagen, die Distanzierung von Extremismus und Gewalt. Sondern auch das Unbequemere:

Es ist wichtig, Aussteigern eine Chance auf Neuanfang zu geben.
Die Aids-Hilfe Düsseldorf hat, indem sie Carsten S. diese Chance auf Neuanfang gab, eine mutigen, einen richtigen Schritt gemacht.
Einen Schritt im Sinn der Werte von Aidshilfe. Ein Schritt, den der Dachverband begrüßen und unterstützen sollte.

Wie heisst es im Leitbild der Deutschen Aids-Hilfe?
„Deshalb setzen wir in unserer Arbeit auf das verantwortliche Handeln vernunftbegabter, einsichts- und lernfähiger, freier und gleichberechtigter Menschen“.


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siehe auch ondamaris 10.02.2012: DAH: Respekt und Solidarität für Einräumen einer zweiten Chance

Düsseldorf: Aidshilfe-Mitarbeiter als Terror-Verdächtiger festgenommen (akt.7)

Ein 31jähriger Mann aus Düsseldorf ist unter dem Verdacht festgenommen worden, die rechtsextreme Terror-Gruppe ‚NSU‘ unterstützt zu haben. Er gab bisher an, aus der rechten Szene ausgestiegen zu sein; seit einigen Jahren arbeitet er bei der Aids-Hilfe Düsseldorf.

Am Mittwoch, 1. Februar 2012 wurde der 31jährige Carsten S. in seiner Düsseldorfer Wohnung festgenommen. Er soll die Zwickauer Terror-Zelle unterstützt haben, so der Vorwurf der Ermittler. Er befindet sich derzeit (1.2., 14:00 Uhr) auf dem Weg nach Karlsruhe und soll heute noch beim Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof BGH in Karlsruhe vorgeführt werden.

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wird er verdächtigt, Beihilfe zu sechs vollendeten und einem weiteren versuchten Mord geleistet zu haben. Er soll eine Waffe und Munition geliefert haben.

Er soll, berichtet ‚Spiegel online‘, in den Jahren 1999 und 2000 Mitglied des rechtsextremen ‚Thüringer Heimatschutzes‘ gewesen und bis 2003 weiterhin Kontakte in rechtsextreme Kreise unterhalten haben.

Carsten S. hingegen sprach bisher Berichten zugolge von einem Aussteiog aus der rechtsradikalen Szene im Jahr 2000. Dem schwulen Internetportal queer.de erklärte er durch seinen Anwalt u.a. „“Seitdem habe ich mich davon distanziert und verabscheue jegliche Art von rechtem, rassistischem und extremistischem Gedankengut.“ Er arbeitete die letzten Jahre in der HIV-Prävention der Düsseldorfer Aids-Hilfe.

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Aktualisierung
01.02.2012, 20:00: Die Düsseldorfer Aids-Hilfe wurde laut Pressemitteilung „von der Verhaftung überrascht und erfuhr aus den Medien davon. Die Vorstände, Geschäftsführung und Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins und seine Projekte distanzieren sich mit aller Deutlichkeit von der rechten Szene und ihrem Gedankengut. Ihr Beileid gehört den Opfern und Hinterbliebenen aller Terroranschläge.“
Queer.de berichtet von der Pressekonferenz der Aids-Hilfe Düsseldorf, Geschäftsführer Peter von der Forst habe betont, Carsten S. sei ein zuverlässiger Mitarbeiter gewesen. Man habe seinen Ausstieg aus der rechten Szene geglaubt und ihm eine Chance geben wollen.
Die Staatsanwaltschaft betont, er „habe billigend in Kauf genommen“, dass die Schusswaffe für rechtsextremistische Staftaten benutzt wurde.
Das Jugendzentrum PULS erklärte in einer Pressemitteilung „Die Vorstände, Geschäftsführung und Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins distanzieren sich mit aller Deutlichkeit von der rechten Szene und ihrem Gedankengut. Ihr Beileid gehört den Opfern und Hinterbliebenen aller Terroranschläge.“

01.02.2012, 20:45: Jan Bielicki und Hans Leyendecker sprechen in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ von „Er war so dicht dran an der Zwickauer Terrorzelle wie kein anderer Helfer – und schien dann ganz weit weg gewesen zu sein.“. Sie weisen darauf hin, bei der angeblich von Carsten S. gekauften Waffe könne es sich nicht um diejenige handeln (Ceska), mit der die Morde verübt wurden.

02.02.2012, 08:30: Am späten Abend des 1.2.2012 ordnete der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe Untersuchungshaft an. Die ‚Tagesschau‘ berichtete, Carsten S. habe „umfangreich ausgesagt“.

03.02.2012, 18:45: Die taz weist darauf hin „Nichts spricht aber dafür, dass Carsten S. sein neues Leben in Nordrhein-Westfalen nur vorgetäuscht hat. Selbst der gewöhnlich gut informierten Antifa in Düsseldorf liegen „keinerlei Hinweise“ vor, dass er „in seiner Düsseldorfer Zeit Kontakte in die Neonazi-Szene hatte oder noch mit dieser sympathisierte“.“
„Das er [Carsten S.; d.Verf.] von den Morden wusste, gilt als unwahrscheinlich“, stellen Jan Bielicki und Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung fest. „Er hat sich, davon sind die Fahnder überzeugt, im Jahr 2000 von seiner rechten Vergangenheit gelöst. … Aber bis 2003 soll er private Kontakte zu früheren Kameraden gepflegt haben.“ Sie zitieren einen Fahnder „Der Mann betrachtet sein erstes Leben wie ein Fremder.“
„Wieviel wusste Carsten S.?“, fragt Norbert Blech auf queer.de und seziert die Vorgänge rund um den GSG 9 – Einsatz und die Verhaftung, hinterfragt auch seinen Einsatz bei der Aids-Hilfe Düsseldorf und dem Jugendzentrum Puls. Und er wirft eine der zukünftig vielleicht wesentlichen Fragen auf: „Die Verhaftung, die ihm sein zweites, mühsam wie erfolgeich aufgebautes Leben vermutlich zerstört hat. War das, zu diesem Zeitpunkt, notwendig und angemessen?“

10.02.2012, 15:45: Die ‚Zeit‘ zitiert Aussagen von Ermittlern über Carsten S.: „Der macht reinen Tisch. … Er mogelt nicht rum“ und betont „Des Gepäcks der Vergangenheit entledigte sich S. allein, ohne Aussteigerhilfe, so zumindest sieht es derzeit aus.“

23.02.2012, 15:45: Die Düsseldorfer Aids-Hilfe und Carsten S. haben das Arbeitsverhältnis in Absprache mit Vorstand und Geschäftsführung der Aids-Hilfe sowie dem Anwalt von Carsten S. einvernehmlich beendet. Die Aids-Hilfe Düsseldorf in einer Pressemitteilung: „So war es auch in Carsten S. Sinne, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Er möchte damit mögliche Nachteile von der AIDS-Hilfe und den Menschen, für die er in Projekten tätig war, abwenden.“ Carsten S. befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft.
19:00: Spiegel online und Süddeutsche berichten unterdessen, Carsten S. solle die wichtigste Mordwaffe Ende 1999 besorgt und übergeben haben. Dies habe er gegenüber den Ermittlern eingeräumt. „Carsten S. ist jetzt einer von dreizehn angeblichen Helfern und Unterstützern der Zelle, aber keiner packt so aus wie er“, berichtet die SZ.

25.02.2012, 19:00: Hans Leyendecker fragt in der SZ: „Der Fall des Carsten S. ist ein komplizierter Fall. Hat er wirklich nicht ahnen können, was die Jenaer Bombenbauer mit einer Waffe machen wollten? “

29.05.2012, 21:00: Am Dienstag, 29. Mai 2012 hat die Bundesanwaltschaft den Haftbefehl gegen Carsten S. aufgehoben. Er wurde aus der Untersuchungshaft freigelassen. Er ist weiterhin der Beihilfe zum Mord verdächtig, über eine etwaige Anklageerhebung ist bisher nicht entscheiden.

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siehe auch Kommentar: “Wir setzen auf einsichts- und lernfähige Menschen”

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weitere Informationen:

Spiegel online 01.02.2012: Zwickauer Zelle: GSG 9 nimmt weiteren mutmaßlichen Terrorhelfer fest
queer.dde 01.02.2012: Düsseldorf: Szenemitarbeiter wegen Terror-Verdachts festgenommen
Der Westen Recherche-Blog 24.01.2012: NSU-Rechtsterroristen: Eine Spur in den Westen
Ruhrbarone 24.01.2012: Ehemaliger mutmaßlicher NSU Helfer arbeitet heute bei der AIDS-Hilfe Düsseldorf
frank laubenburg 25.01.2012: Unterstützung neonazistischen Terrors ist keine Jugendsünde: Düsseldorfer Carsten S. muss zur Aufklärung beitragen
Antifaschistische Linke Düsseldorf 25.01.2012: Pressemitteilung: Düsseldorfer war Kontaktmann zum rechtsterroristischen NSU?
SpON 02.01.2012: Das Desaster von Chemnitz
Bild 26.01.2012: Angeblicher NSU-Unterstützer beteuert Unschuld
Inqueery.de 01.02.2012: „Dringend verdächtigt“
Aids-Hilfe Düsseldorf 01.02.2012: Stellungnahme Verhaftung Mitarbeiter
PULS 01.02.2012: Mitarbeiter des Jugendzentrums „PULS“ verhaftet.
SZ 01.02.2012: GSG 9 verhaftet früheren NPD-Funktionär – Eingeholt von der braunen Vergangenheit
Spiegel online 01.02.2012: Mutmaßlicher Terrorhelfer Carsten S. – Der lange Schatten der braunen Vergangenheit
taz 02.02.2012: Von der Vergangenheit eingeholt
Jan Bielicki, Hans Leyendecker: Ein Aussteiger packt aus – Der Beschuldigte Carsten S. gilt als wichtiger Zeuge. in: Süddeutsche Zeitung 3. Februar 2012
Norbert Blech queer.de 03.02.2012: Ermittlungen zum Terror-Trio – Wieviel wusste Carsten S.?
Zeit 09.02.2012: Die zwei Leben des Carsten S.
Aids-Hilfe Düsseldorf 23.02.2012: Arbeitsverhältnis mit Carsten S. wurde beendet
queer.de 23.02.2012: U-Haft mit Folgen: Carsten S. ist jetzt arbeitslos
SpON 23.02.2012: Carsten S. besorgte Mordwaffe der Terrorzelle
SZ 23.02.2012: Der Weg der Mordwaffe
SZ 25.02.2012: Carsten S. – Kontaktmann zum Terrortrio
queer.de 29.05.2012: Carsten S. aus U-Haft entlassen
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