Isoliertes Leben, schlechte Versorgungssituation, Gefahr von Diskriminierung und Stigmatisierung – die Situation von HIV-Positiven ‚auf dem Land‘ ist u.U. nicht einfach. Dies wurde bei einer Podiumsdiskussion am 13.9.2008 deutlich.
„Ein Ausflug in’s Grüne?„, unter diesem Titel lud eine Veranstaltung im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ am 13. September 2009 zu Diskussionen über die Lebens- und Versorgungssituation von HIV-Positiven auf dem Land. Auf dem Podium diskutierten unter Moderation von Bettina Hintsche (HIV-Schwerpunktpraxis, Berlin) der HIV- und Aids-Seelsorger Ernst-Friedrich Heider (Hannover), Dr. Thoms Seidel (Uniklinik Jena) und Roy Rietentidt (Aidshilfe Westmecklenburg).
HIV-Patienten auf dem Land leben oftmals sehr isoliert, betonte B. Hintsche, alles sei sehr familiär, vieles werde schnell weiter erzählt – da drohe mit HIV schnell Isolierung. E.-F. Heider ergänzte, dies treffe nicht nur HIV-Positive – selbst wenn man sich um HIV-Positive kümmere, Aids-Hilfen besuche, werde man sofort leicht mit Aids in Verbindung gebracht, ein Spießrutenlauf drohe.
Diese Wahrnehmung forderte den Protest einer Zuhörerin heraus, die betonte, es gebe nicht ‚das Land‘, sondern auch dort gebe es vielfältige Erfahrungen, auch auf dem Land sie ein angenehmes Leben als HIV-positive Frau möglich, so ihre Erfahrung. Dies erfordere allerdings ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein.
Prof. Seidel, der über die Situation in Thüringen und an der Uniklinik Jena berichtete, betonte hier seien auch die Ärzte selbst gefragt, die sich die Frage stellen müssten wie sie sich mehr dafür einsetzen könnten dass Positive zuversichtlicher werden und allgemein die Situation in Sachen HIV auf dem Land sich verändere.
Über erstaunliche Erfahrungen auf dem Land berichtete Roy Rietentidt von der Aidshilfe Westmecklenburg (Wismar). So habe man 2006 geplant, den ‚missio aids truck‘ nach Wismar zu holen. Der Vertrag sei bereits abgeschlossen gewesen – wurde jedoch gekündigt, nachdem missio bewusst wurde, dass der Veranstaltungsort ein Schwulen- und Lesbenzentrum sei.
Widrige Umstände seien jedoch auch ‚hausgemacht‘. So habe die Aidshilfe Werstmecklenburg vom Land z.B. die Vorgabe bekommen, auf den Fahrzeugen den Schriftzug ‚Aids-Beratung‘ anzubringen. Die gerade angesichts der bereits dargestellten Situation erforderliche Diskretion auf dem Land sei dadurch unmöglich, einer Stigmatisierung von Klienten werde potenziell Vorschub geleistet. Erst nach massiven Internventionen sei nun mit abnehmbaren Magnetschildern ein gangbarer Mittelweg gefunden worden.
Zur HIV-Versorgung merkte Rietentidt an, viele Ärzte hätten vermutlich eine nur sehr geringe Motivation zu HIV-Fortbildungen, schon da sich dies für sie finanziell nicht rechne.
Rietentidt sprach sich dafür aus, Versorgungsstrukturen zu schaffen zur Gewährleistung einer angemessenen Behandlungssituation, z.B. eine Einrichtung von Schwerpunkt-Praxen mit kompetenten Ärzten. Die Patienten bräuchten jetzt Hilfe, nicht erst in 5 Jahren – mit diesem Argument betonte er die Notwendigkeit, jetzt zu handeln, statt weiter auf Gespräche mit Ärztefunktionären, Weiterbildung etc. zu setzen.
Dies sei rein aus dem Aids-Bereich heraus schwierig – andererseits träten auch bei anderen Indikationen ähnliche Problemstellungen auf. Aus diesem Grund arbeite er an einem Netzwerk mit Vertretern mehrerer Erkrankungen (z.B. Onkologie) zur gemeinsamen Problemlösung.
Intensiv war in der Veranstaltung wahrzunehmen, wie stark die Lebenssituation von Menschen mit HIV und Aids auf dem Land in einigen Regionen eingeschränkt ist, wie ‚unter aller Würde‘ sich die Versorgungssituation teilweise darstellt. ‚Lieber kein zu langer ‚Ausflug ins Grüne‘, kann da fast nur das Resüme lauten …
Viele Probleme wurden benannt – leider aber meist auch nicht mehr. Einen hohen Anteil an ‚late diagnosis‘ auf dem Land zu monieren z.B. ist das eine – spannender wäre es, hier auch nach Lösungsansätzen zu suchen, wie dem begegnet werden kann. Dabei werden innovative Lösungsansätze durchaus auch ‚auf dem Land‘ entwickelt: spannende Versuche einer Kooperation mit Vertretern verschiedener Gruppen scheinen z.B. ein spannender Ansatz zu sein, neue Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Wie schade zudem, dass in dieser Veranstaltung wieder einmal der Mythos von den verantwortungslosen Schwulen heruntergebetet werden musste … von eine Podiums-Teilnehmer …
diesem „mythos von den verantwortungslosen schwulen“ sollte man auf einen der nächsten kongresse – veranstaltungen – wirklich mal einen eigenen workshop widmen. schon in einem deiner anderen beiträge kam ja auch so ein verallgemeinernder einwurf rüber, der alle über einen kamm schert. das dies natürlich der stigmatiseriung und den vorurteilen abträglich ist liegt auf der hand. mich wundert es das da keiner lauthals protestiert hat