Podiumsdiskussion HIV & Alter

‚Älter werden mit HIV‘ – eine nicht nur medizinische Herausforderung, sondern auch viele Positive bewegendes Thema, wie eine Podiumsdiskussion am 13. September in Berlin zeigte.

Im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ fand am Samstag, 13.9.2008 eine Podiumsdiskussion unter dem Thema ‚HIV und Alter – Herausforderungen aus medizinischer und psychosozialer Sicht‚ satt. Es diskutierten unter Moderation von Stefan Reck (Berlin): Dr. Christoph Mayr (Berlin), Hardy Selzer (Berlin), Michael Jähme (Köln) und Torsten Denter (AVK Berlin).

Podiumsdiskussion HIV und Alter
Podiumsdiskussion HIV und Alter

Dr. Mayr berichtet ausführlich insbesondere über die medizinische Situation bezüglich HIV und Alter. Alter, das heißt dabei medizinisch: über 50 Jahre alt zu sein…
Die CDC (Centers for Disease Control, USA) berichten über eine 5fache Zunahme des Anteils der Menschen über 50 Jahren an der Gesamtzahl der Menschen mit HIV von 1990 bis 2000. Einer der Gründe ist eine eigentlich erfreuliche Errungenschaft: während Positive früher eine vergleichsweise kurze Lebenserwartung hatten, ist diese seit Zeiten erfolgreicher Therapien deutlich gestiegen. Zudem steigt die Zahl der HIV-Neudiagnosen bei Menschen über 50 Jahre.

Gesundheitliche Probleme im Kontext von HIV und Alter bewegen sich potenziell in einem Feld. das durch die Begriffe HIV/Aids, Kombitherapien mit ihren Neben- und Langzeitwirkungen, physiologische Folgen des Alterns sowie Komorbiditäten (zusätzlich zur Grunderkrankung vorliegende Erkrankungen) beschreiben lässt.
Dabei sei zu beachten, dass der virologische Therapieerfolg (Veränderung der Viruslast) einer wirksamen Kombitherapie im Alter durchaus mit dem in jüngerem Lebensalter vergleichbar sei, die Adhärenz sei oftmals sogar besser als bei jüngeren Menschen. Allerdings sei die immunologische Wirkung (Veränderung der CD4/CD8-Werte) oftmals nicht vergleichbar gut, u.a. da das Immunsystem allgemein im Alter schwächer werde (z.B. verringerte Thymus-Funktion, geringere Anzahl naiver Zellen).

Wichtige Komorbiditäten im Kontext HIV und Alter seien u.a. koronare Herzerkrankungen, das metabolische Syndrom / Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Osteopenie und Osteoporose, Malignome sowie Demenz und neuropsychologische Störungen. Diese Komorbiditäten haben bei HIV eine besondere Bedeutung, da sie tendenziell (im Vergleich zu nicht HIV-Infizierten) mit HIV häufiger auftreten.

Koronare Herzerkrankungen seien allerdings gut vorhersehbar, betonte Dr. Mayr. Wichtig seien hierbei wenige, konkret benennbare Faktoren: Alter, LDL- und HDL-Cholesterin, Triglyceride, Diabetes mellitus, familiäre Belastung, Blutdruck und insbesondere auch Rauchen.

Mit der Bemerkung „es ist nicht nur die Frage, wie alt wir werden, sondern auch wie wir alt werden“ illustrierte Dr. Mayr die Bedeutung, die Sport für ein gesünderes längeres Leben mit HIV haben kann.

In der Versorgung Positiver müsse sich der Arzt zunehmend auch den ‚ganz normalen‘ internistischen Erkrankungen zuwenden und auch hier kompetent sein. Für eine Betreuung HIV-positiver Patienten komme der adäquaten Krebs-Vorsorge zudem eine immer stärkere Bedeutung zu. Insbesondere die Zahl der nicht-HIV-definierenden Krebserkrankungen steige an.

Michael Jähme forderte Positive dazu auf, mehr an Fragen des Alterns zu denken, und selbst aktiver zu werden, auch dem eigenen Arzt gegenüber.

Torsten Denter wies darauf hin, dass im psychologischen Bereich bisher kaum Fakten zum Thema HIV und Alter vorliegen. Die Frage stelle sich, was ist die ’natürliche Angst vor dem Älterwerden‘,  und was sei zusätzlich durch HIV bedingt? Wichtig sei hierbei auch die Frage der selbst-Aktivität, des nicht Verharrens in Rückzug und Isolation, sondern der eigenen Aktivierung.

„Mein Körper ist alt, aber ich fühle mich noch nicht alt!“, darauf wies eine weibliche Zuhörerin hin. Sie beschrieb damit weit mehr als ’nur‘ ein etwaiges Gefühl, dass ‚gefühltes Alter‘ und ‚Ausweis-Alter‘ nicht überein stimmen. Besonders bei positiven Frauen mehren sich Hinweise, dass der körperliche Alterungsprozess in früherem Stadium und ausgeprägter als bei nicht HIV-infizierten Frauen einsetzt.

Eine „zunehmende seelische Erschöpfung“ wurde aus dem Publikum betont. In der Diskussion entspann sich daraus auch die Frage, wie gehen wir in unseren eigenen Communities mit einander (und  mit ‚Alter‘) um, sowie das Spannungsfeld ‚ausgegrenzt werden‘ vs. ’sich selbst ausgrenzen‘.

Die große Anzahl an Teilnehmern wie besonders auch die intensiven Diskussionen zeigten deutlich, dass das Thema ‚HIV und Alter‘, das auf medizinischen Kongressen bereits seit einiger Zeit intensiver diskutiert wird, inzwischen auch bei den Positiven massiv angekommen ist. Es besteht deutlicher Informations- und Diskussions-Bedarf, dieser Eindruck lag auf der Hand.

weitere Informationen:
HIV und Alter
Vortrag von Dr. Mayr als pdf hier
Ein Text von Michael Jähme ‚HIV und Aids werden alt“ als pdf hier
Bericht über die Workshops ‚HIV und Alter‘ I und II sowie ‚Alles unter einem Dach – In Würde alt werden‚ bei alivenkickn
Blog-Posts von Termabox ‚Jenseits der Miflife-Krise – Alt werden mit HIV‚ sowie über eine bundesweite Studie zum Thema ‚älter werden mit HIV‘.

22 Gedanken zu „Podiumsdiskussion HIV & Alter“

  1. hallo ulli

    yeap . . genauso war s. du hast den inhalt sehr gut wiedergegeben. 🙂 meinen hut zieh . . . . 😉
    zusammen ergänzt man sich sehr gut. so finde ich sollte – kann – und muß es sein . . . .

    lg dennis

  2. @ Dennis:
    moin & danke!
    ja das schätze ich ja auch so am bloggen – dass vielfalt sichtbar werden und verschiedene meinungen und wahrnehmungen sich ergänzen, mit einander in dialog kommen können.
    werd mal auch deinen beitrag zum wohnprojekt in berlin noch ergänzen 😉
    lg ulli

  3. @ Ulli

    Marco Pulver ist – sollte sich „Bedarf“ irgendwo in Deutschland herausstellen ein ähnliches Projekt in die Wege zu leiten – gerne bereit das Konzept (das um einiges ausführlicher ist als die Präsentation die als pdf datei aufrufbar ist) zur „Regenbogenvilla“ pers vorzustellen und dazu ausführlich Stellung zu nehmen. Er – das Team hat da wirklich Pionierarbeit geleistet. Die Erfahrungen insbesondere was die Finanzierung und “ vermeintliche Schwierigkeiten“ mit der Nachbarschaft des Hauses in de Niebuhrstr betrifft (die alle aus dem Weg geräumt worden sind da sie das geringste „Problem“ waren) stellt er gerne pers zu jederzeit an jedem Ort in Deutschand zur Vefügung.

    wenn man sich vor Augen hält das seit der Idee „Regenbogenvilla – Leben unter einem Dach“ bis zur Realisierung grad mal 5 Jahre ins Land gegangen sind . . dann ist das mehr als erstaunlich.

  4. Das von mir erstellte Script unter den Vorträgen bei „HIV im Dialog“ war zunächst gar nicht zur Veröffentlichugn gedacht, ist aber auf Anregung der Veranstalter doch mit meiner Zustimmung (mit den leider noch vorhandenen kleinen stilistischen Fehlern) als Datei eingestellt worden.
    Ich arbeite an einer Überarbeitung und Vertiefung des Themas.

    In der Aktuellen Ausgabe von HIV&more wird mitgeteilt, dass im 3. Quartal 2008 eine deutsche Studie zu medizinischen und auch einigen psychosozialen Aspekten des „alt werden mit HIV“ beginnen wird.
    Die Studie unter Leitung der DAGNÄ trägt die Bezeichnung 50/2010
    http://www.hivandmore.de/archiv/2008-3/FoBiBWolfJaeg.shtml

    es grüßt die termabox

  5. — “Mein Körper ist alt, aber ich fühle mich noch nicht alt!”, darauf wies eine weibliche Zuhörerin hin. Sie beschrieb damit weit mehr als ‘nur’ ein etwaiges Gefühl, dass ‘gefühltes Alter’ und ‘Ausweis-Alter’ nicht überein stimmen.
    … sagte sie. Und ich als Mann sage es auch: eine ekelhafte Situation, wenn der Körper „wegrutscht“, die Beine plötzlich nicht mehr vorhanden zu sein scheinen, der Magen … usw … usw ….
    Ich habe oft mit meinen Ärzten darüber versucht zu diskutieren. Alle, ausnahmslos, haben mich mit Überraschung und Hilflosigkeit angesehen: sie wussten auch nicht besser als ich, wo es sich um allgemeine Alterserscheinungen handelt – oder Tritherapie-Einflüsse und dergl. Ich selbst habe manchmal Mühe eine Trennung zu erkennen. Mein Kopf ist heute nicht älter als 50, – mein Körper hat diese seit Ewigkeiten hinter sich. Seien wir ehrlich: die Libido ausgenommen, von der ich mich damals, als die Positivität klar war, gerne getrennt hätte.
    Seltsamer Weise: psychologische Probleme – bei den ersten Anzeichen – wurden und werden bestimmt in Ecken abgedrängt (keine Zeit dazu) – und verschwinden dort auch. Ja, es ist nicht immer leicht …
    Dennis hat Recht: nur 5 Jahre bis zur Regenbogenvilla ….. Unglaublich. Und BRAVO.

  6. @ Ulysse:
    diese diskrepanz zwischen körper-alter und gefühltem alter berichten viele langzeit-positive und positive in höherem lebensalter. leider konzentriert sich die medizinische forschung bisher eher auf bekannte (und gut erfassbare) bereich die koronare herzerkrankungen etc – diese diskrepanz hingegen scheint eher erst seit kurzem auch von medizinern zumindest wahrgenommen zu werden.

  7. “Mein Körper ist alt, aber ich fühle mich noch nicht alt!”, darauf wies eine weibliche Zuhörerin hin. Sie beschrieb damit weit mehr als ‘nur’ ein etwaiges Gefühl, dass ‘gefühltes Alter’ und ‘Ausweis-Alter’ nicht überein stimmen.
    … sagte sie. Und ich als Mann sage es auch: eine ekelhafte Situation, wenn der Körper “wegrutscht”, die Beine plötzlich nicht mehr vorhanden zu sein scheinen, der Magen … usw … usw ….

    mhhhhhhhhhhhhh . . . . . . . was für mich in dieser aussage duchklingt ist ein vergleich – eine interpretaion mit dem was man gemeinhin mit dem alter verbindet. so wie ich es verstehe handelt es sich doch um das ergebnis von HIV – medikamenten – neben und auswirkungen auf den körper – etc. mit anderen worten – wir – viele von uns machen völlig neue erfahrungen und versuchen diese anhand von vorhandenen bildern zu trasportieren bzw uns anderen verstädnlich zu machen. es ist doch so wie man man eine neue frucht entdeckt und versucht ihr aussehen, geruch und den geschmack anhand von bekannten zu beschreiben. das bleibt aber immer ein unvollkomenes unterfangen.

    ich bin 58 – und weiß nicht wie man sich „mit 58 fühlt wenn man nicht hiv + ist“ weil ich seit 25 hiv + bin.
    in bekannten bildern gesprochen – ich fühle mich manchmal hellwach – lebendig – beweglich – bin in der lage mich sofort auf neue situationen einzulassen und einzugehen – gedanklich und auch in der kommunikation mit anderen . . .

    und dann gibt es tage – da fühle ich mich leer – ausgelaugt – müde – unbweglich. mein gefühl sagt mir dann das dieses gefühl u.a. auf hiv – und die auswirkungen der medis auf mich unter holistischem standpunkt betrachtet zurückzuführen ist. dann sage ich mir – das ist eine tatsache – das ist so.

  8. @ dennis:
    mein lieber, du hast selbst an der veranstaltung teilgenommen.
    das was die zuhörerin beschreibt, ist eine beobachtung, die insbesondere viele frauen machen … und die wir als männer auch akzeptieren sollten. nicht alles ist bei hiv bei männlein und weiblein gleicht …

  9. Dank für diese Diskussion. Denn: ich mache am 1.10. eine „hôpital du jour“ = Generaluntersuchung. Die oben aufgeworfenen Themen, und das sind einige, könnten dabei mit den Ärtzen diskutiert werden. Mal sehen …

  10. @Ulli
    . . .ich hab doch nicht in frage gestellt das sie sich so fühlt wie sie es beschrieben hat. ich hab mir nur die pfilosofische frage gestellt wie es ist „sich alt zu fühlen“ wenn ich noch niemals nich alt war und ergo nich weiß wie sich alt fühlen anfühlt“. :rolleyes 🙂

  11. @ Dennis:
    d’accord. mir war nur wichtig zu betonen, dass es frauenspezifische symptomatiken gibt, bei deren beurteilung männer sich vielleciht ein wenig zurück halten sollten und frauen raum geben sollten, ihre wahrnehmung darzustellen

  12. Pingback: 50/2010 - Bundesweite Studie zum “älter werden mit HIV” geht an den Start « Termabox
  13. ich schliesse mich dem bescheidenen rat an, weil ich eine „luxusvilla“ für einen auserwählten kreis nicht als vorzeigeprojekt betrachte.
    sie ist aber sich ein denkanstoss, der hoffentlich für neue projekte genutzt wird.

  14. ich bin auch dabei *lach*

    ich brauch nur eine wohnung, in der ich mich wohl fühle. wenn es eine luxusvilla sein sollte, hab ich auch nix dagegen.

    nette menschen dabei natürlich vorausgesetzt 😉

  15. „luxusvilla für n auserwählten kreis“ . . . .wenn s ne versiffte bude wär die man dem verein angeboten hätte und dieser im sinne von “ besser als gar nix“ darauf zurückgegriffen hätt . . . . . wär s . . .diskriminierend . . .entwürdigend und weiß der geier welch kreative kommentar interpretationen dann das licht der welt erblickt hätten . . .

    zusammen leben mit netten menschen – gemeinsam alt werden – sich wohl fühlen . . . und wenn s denn nen schloß ist in dem dies möglich – realisierbar ist . . fein . . . . . . . .

    und für shaveskin ließe sich bestimmt n renovierungs – sanierungsbedürftiger geräteschuppen finden aus dem man was machen könnt . . . 😉

  16. Pingback: Generation 50pluspositiv / 50pp - Publikationen (akt.) « Termabox

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