Die Heilung von HIV rückt wieder auf die wissenschaftliche Agenda – doch in Form einer ‚funktionellen Heilung‘, bei der die Infizierten HIV-positiv bleiben.
In den deutschen Medien, aber auch von Aidshilfen und Positiven bisher weitgehend unbemerkt, wird das Thema ‚Heilung von der HIV-Infektion‘ wieder Gegenstand wissenschaftlicher Debatten: Heilung sei ’not an impossible dream‘, heißt es auf der 17. Welt-Aids-Konferenz in Mexico Stadt.
Bisher konzentrierte sich die medizinische Forschung zu HIV und Aids weitgehend auf medikamentöse Therapien. Die hochwirksamen Kombinationstherapien (HAART) haben große Erfolge erreicht, HIV-Infizierte leben dank moderner Medikamente länger und besser, ihre Infektiosität sinkt drastisch. In Industriestaaten wird die HIV-Infektion gelegentlich fast als ‚chronische Erkrankung‘ betrachtet.
Eines jedoch haben selbst beste Therapien nicht erreicht, können es nicht erreichen: die Entfernung von HIV aus den Infizierten, die Heilung. Die modernen Therapien können die Vermehrung von HIV weitestgehend verhindern – und dennoch, die Patienten bleiben HIV-positiv.
Heilung von HIV, das galt für die Masse der Aids-Forscher (wie auch der Positiven) in den letzten Jahren als ‚absurdes Szenario fern ab jeder Realität‘.
Doch in Zeiten von Rückschlägen bei der Forschung nach HIV-Impfstoffen und -Mikrobiziden rückt die Heilung erneut auf die Agenda der Forscher. Wie jüngst auf der 12. Welt-Aids-Konferenz in Mexico Stadt. Dort sprach Anthony Fauci über – Heilung.
Von Heilung redet eben der Anthony Fauci, der noch im Juli 2007 am Rande eines Aids-Kongresses in Sydney forderte „Hören Sie endlich auf, von einer Heilung von Aids zu reden!“ (siehe ‚Heilungsverbot‚). Anthony Fauci ist seit 1984 Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases NIAID und Aids-Berater der US-Regierung.
Eine übrraschende Wendung zunächst. Doch die Heilung, von der Fauci spricht, bezeichnet er als ‚functional cure‚, als ‚funktionelle Heilung‘.
Faucis Hypothese: es sei ein Zustand anzustreben, in dem HIV-Positive ohne Kombitherapien und dennoch symptomfrei leben können – nachdem sie vorher sehr frühzeitig und aggressiv mit neueren antiretroviralen Medikamenten behandelt wurden.
Fauci spricht wörtlich von Heilung als:
„treatment of a disease such that no patient any longer needs to continue therapy“.
und skizziert sein Konzept mit den Worten
„You treat with aggressive ARV early on, you preserve a substantial level of specific immune response, you get prolonged suppression of viral load, you either add drugs or not, give HIV specific immunotherapy or not, and you have continual attrition of the HIV reservoir. And ultimately, carefully in a controlled manner discontinue therapy to see if the prolonged suppression of viral rebound will occur by preserved and amplified anti-HIV immune responses.“ (Quelle für beide Statements: Transscript der Session, s.u.)
Fauci konzentrierte sich in seiner Rede weitgehend auf diese Art der Heilung, die ‚functional cure‘, während er die eigentliche Heilung, die Eradikation (Entfernung von HIV) kaum thematisierte (er erwähnt nur kurz die Vision einer ‚mikrobiologischen Eradikation‘ als ’sterilizing cure‘ für einige wenige Positive). Fauci hält sein Konzept prinzipiell für realisierbar, entsprechende erste Studien (mit dem Zwischenziel einer Intensivierung der Therapie) seien bereits in Durchführung, betonte er.
Diese ‚functional cure‘, die Fauci vorschlägt, so erfreulich und verlockend sie klingt, sie hat einige Haken und Ösen.
So setzt sie zunächst voraus, dass eine intensive und frühzeitige antiretrovirale Therapie erfolgt – mit Medikamenten, die bisher noch nicht zur Verfügung stehen, mit Folgen und Nebenwirkungen, die derzeit noch unbekannt sind (und von denen angesichts seiner Forderung nach ‚aggressiver‘ Behandlung nicht anzunehmen ist, dass sie vernachlässigbar gering sein werden).
Zudem, der Begriff der ‚frühzeitigen‘ Behandlung bedingt, dass diese Strategie für einen Großteil der bereits heute mit HIV infizierten Menschen diese Strategie nicht zur Verfügung stehen dürfte, da sie schon zu lange HIV-infiziert sind. Gefragt wäre hingegen eine sehr frühe Diagnose der HIV-Infektion.
Ebenso setzt Faucis Ansatz neben der frühen Diagnose die konkrete Verfügbarkeit aggressiver Therapie voraus – zwei Ausgangsbedingung, die nur in wenigen Staaten gegeben sein dürften, sicherlich kaum in Staaten, die besonders stark von HIV betroffen sind wie Subsahara-Afrika.
Und diejenigen Menschen, für die diese Strategie in Betracht kommt, bleiben nach derzeitigem Verständnis weiterhin HIV-positiv. Mit allen Folgen, die an diesem Serostatus hängen.
Faucis ‚Heilungs-Ansatz‘ der ‚functional cure‘ erweist sich bei näherem Betrachten als ein zwar spannender Lösungsansatz, der jedoch zum einen keine eigentliche Heilung darstellt (die Patienten bleiben HIV-positiv), und zum anderen schon angesichts der praktischen Verfügbarkeit früher Diagnose und höchstwirksamer aggressiver Therapie nur für einen kleinen Personenkreis in reichen Industriestaaten in Frage kommen dürfte.
Das ‚vergessene Wort Heilung‚ gehört wieder dauerhaft auf die Agenda statt (bis auf gelegentliche Hypes) in der Versenkung zu verschwinden. ‚Zeitenwende 2008‚, das heißt nicht nur EKAF-Statement, sondern auch mehr Mut, wieder Heilung zu fordern.
Wenn nun selbst prominente Aids-Forscher wieder den Begriff der Heilung thematisieren, wird umso wichtiger, dass auch Positive selbst wieder die Forderung nach Heilung ihrer HIV-Infektion in Diskussionen einbringen. Wer, wenn nicht wir?, diese Frage steht nun umso mehr im Raum.
Die Debatte darf dabei jedoch nicht einseitig -entsprechend Faucis ’neuer Linie‘- auf eine Pseudo-Heilung nach vorheriger massiver Chemotherapie verkürzt werden (so sehr auch diese ein Durchbruch wäre), auf eine Pseudo-Heilung, die zudem wohl nur in den reichen Industriestaaten verfügbar wäre.
Auch die Eradikation, die reale Heilung muss weiter auf der Agenda bleiben. Wenn Heilung, dann (als Ziel) möglichst auch vollständig!
weitere Informationen:
Anthony Fauci sprach am 6.8.2008 in der Session „Looking to the Future – the Epidemic in 2031 and New Directions in Aids Research“ zum Thema „The Fuure of Aids Research“, Session als Mitschrift, Video und Podcats hier verfügbar (in englischer Sprache)
Nachtrag 30.10.2008: einen lesenswerten Überblick über die Frage und Probleme einer Heilung von HIV bietet ein mehrseitiger Artikel im Scientific American (Oktober 2008) „25 Years Later: Can HIV Be Cured?“
kommt mir irgendwie etwas wirr vor . . . .
dennoch . . . . . der aspekt „Heilung“ dem mehr bedeutung innewohnt als nur die eradikation von viren ist ein aspekt dem was HIV betrifft viel zu wenig rechnung getragen wird. vor jahren als ich mich auf grund heftigster nebenwirkungen meiner ersten hiv kombi die in einer depression endeten in der psychosomatischen abteilung habichtswaldklinik in kassel auf eine psychotherapeutische behandlung eingelassen hatte traf ich dort sehr viele tumor patienten. durch einige von ihnen und insbesondere durch die „querdenkende pragmatische art der leitung dieser klinik die vielen aspekten der heilung gegenüber offenstehen und in ihr konzept mit einbeziehen“ wurde ich auf O. Carl Simonton aufmerksam. http://www.simonton.de/
als alter materialist der nur an das glaubt was er be – greifen kann wurde mir sehr schnell klar das heilung weitaus komplexer ist als die inhalte meiner schubladen mir weis machen wollten.
das fatale daran ist das man schon sehr früh zu beginn von hiv in deutschland erkannte das hiv mehr als nur den medizinischen aspekt rechnung tragen beinhaltet. dem aspekt der seele – der psyche gerecht zu werden da fehlten die fachkräfte . . und daran hat sich bis heute nicht viel geändert.
@ dennis:
zustimmung, dass die psychischen / seelischen folgen zu oft außer acht gelassen werden.
dennoch ändert dies nichts daran, dass ich denke ziel sollte es sein, irgendwann wieder ‚virenfrei‘ sein zu können 🙂