Über Scheren, Vergessene Heilung und Defätismus

„Virale Schere“, „Heilung von HIV“ geht es plötzlich und unvermittelt durch die Medienwelten. Die beteiligten Forscher berichteten auch in Science über ihre Arbeit.

Wissenschaftlern aus Dresden und Hamburg gelang ein vermeintlicher Durchbruch gegen HIV. Ihnen sei es gelungen, mithilfe eines auf HIV zugeschnittenen Enzyms (Rekombinase) direkt gegen das in Zellen integrierte Provirus vorzugehen. Mit dem Enzym als „Schere“ sei es gelungen, provirale HIV-DNA aus dem Genom infizierter Zellen komplett zu entfernen.

Immerhin, das Wort Heilung ist damit doch einmal auf der Agenda. Hatten sich Ärzte, Politiker und nicht zuletzt Positive schon auf ein Leben mit permanenter Therapie eingestellt, kommt jetzt doch ein verloren geglaubtes Ziel wieder vor Augen: Heilung.
HIV ganz aus dem Körper entfernen.
Viele glauben ja längst nicht mehr daran.

Doch auch wenn eine Heilung von HIV weiterhin noch Zukunftsmusik ist (und keinerlei Anlass zu etwaiger neuer Sorglosigkeit) – immerhin ist das Thema Heilung mal wieder auf der Agenda.

Ja, ich weiss. Viele Fragezeichen.
Solch eine aufmerksamkeitsheischende Pressemitteilung ist natürlich einem aktuell stattfindenden Kongress zu schulden.
Alles nur Petrischale. Auf den Menschen übertragbar? Bis zu einer in der Praxis anwendbaren Lösung, wenn die denn machbar ist, wird es noch viele Jahre brauchen.
Und wenn es nicht widerstreitende kommerzielle Interessen gibt.

Und – die ‚DNA-Schere‘ ist ein ganz anderes Prinzip der Intervention als bisherige Chemotherapien gegen HIV. Erstmals würde mit Biotechnologie vorgegangen werden.
Brauchen wir eine neue Debatte über den Einsatz von Gentechnik, hier gegen HIV? Über Machbarkeit und Grenzen, Ethik, Verantwortung und Risiken? Oder ist ‚jedes Mittel recht‘?

Und dann kommen da ja auch noch einige defätistische Gedanken. Wenn eine Heilung möglich wäre – was wird aus all den Aids-Hilfen? Und aus all dem homosexuellen Pharmareferentinnen? Und stürzen Positive in tiefe Sinnkrisen, wenn sie ihr HIV nicht mehr haben?
Aber mit solch despektierlichen Überlegungen warte ich wohl besser, bis es soweit ist …

11 Gedanken zu „Über Scheren, Vergessene Heilung und Defätismus“

  1. Wir hatten dieses Thema gestern in unserer positiven Selbsthilfegruppe. Zwei ganze Stunden lang. Schön, immer wieder zu sehen, wie du alles so kurz und klar zusammenfassen kannst.
    LG Sabine

  2. @ anonyme Sabine:
    na – danke! und schön, dass Positive wieder über das Thema ‚Heilung‘ diskutieren …
    lg

  3. Hi Ulli,

    ein interessanter Artikel, bei dem ich allerdings erst Wikipedia bemühen musste, um „Defätismus“ zu klären. Der Begriff trifft vielleicht meine Haltung zu den Pressemeldungen ein wenig, obwohl ich anderen die Hoffnung auf Heilung nicht nehmen möchte.

    Vielmehr brauche ich sie für mich nicht, um zufrieden mit HIV zu leben. Sie wäre eher ein spätes Geschenk, quasi als Dank für die durchstandene Zeit.

    Schön finde ich, dass man durch Begriffe wie „Heilung“ noch Aufmerksamkeit in unserer schnelllebigen Zeit erzeugen kann, die sich von den übrigen Nachrichten und Informationen hervorhebt. Leider nur kurz, dann gerät der Gedanke wieder in Vergessenheit. Prinzipiell müsste er ständig verfolgt und eingefordert werden, doch fehlt dieser Aktivismus momentan auch bei anderen Problemen…

    Liebe Grüsse Kalle

  4. @ kalle:
    genau darum geht’s mir ja – wieso soll sich irgendjeamdn auf der welt, sei es pharma, forscher oder politiker, um ‚heilung von hiv‘ kümmern, wenn Positive das schon selbst gar nicht zu wollen scheinen? auf diese seltsame situation wollte ich aufmerksam machen…
    lg

  5. @ carsten:
    schön kurz und bündig – so liebe ich das .-)
    nur – auf deutsch klingt das so seltsam, ‚wir wollen heilung‘, oder?
    lg

  6. Nach besagter Diskussion kam heraus, das mindestens, die Hälfte gar nichts an ihrer Situation ändern wollen, eine Heilung quasi gar nicht so recht wäre, ´weil man hat sich eingerichtet und jetzt weiß man was man hat´, ein Viertel nicht daran glaubt und nur ein Viertel tatsächlich dafür plädierte – nachdem sogar Brockmeyer Interviews zum ´Lichtblick im Tunnel´gegeben hatte, am Ball zu bleiben und kontinuierlich Transparenz zur Entwicklung in Richtung Heilung einzufordern. LG Sabine

  7. dann stellt sich die frage nach der identität- wer bin ich ohne virus?
    und nach der perspektive, dem sinn- was ist nun mein lebensinhalt, für was steh ich ein, an was soll ich leiden?
    die ganzen jahre stigma und selbststigma….dahin.
    ganz persönlich:
    ich würd mich einmalmehr neu einrichten- nur- ich bin mir abschiede&neuanfänge schon vor der infektion gewohnt gewesen, rythmisch wiederkehrend, als not-wendiger lebensbestandteil.

    zudem: bei aller „normalisierung“, auch ganz persönlicher ausprägung, es wäre die logische konsequenz: denn BRAUCHEN, tu ich das ding längst nicht mehr.

    aber, bleiben wir auf dem boden…alle 5jahre (?) geht mal wieder das gespenst um, kurz vor ihm oder hinter ihm das andere namens impfung- realität ist es bis jetzt nicht.

    übrigens: danke für deine kommentare- mich freut die „begenung“
    michèle

  8. Ich will nur ein geheilt werden !!!!!!!!
    HIV pos sollten entscheiden ob Sie geheilt werden möchten oder nicht.
    Was ist mein leben wert im Gegensatz zu der Industrie ??
    was bin ich als Mensch und Bürger wert ?

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