positiv 2008 – länger leben, aber verarmt?

Die Lebenssituation vieler Menschen mit HIV hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Hierzu trugen und tragen viele Faktoren bei, von der Einführung von Hartz IV über Veränderungen (Verschlechterungen) bei Erwerbsminderungsrenten und sehr niedrigen Rentenerhöhungen in den vergangenen Jahren bis zur Streichung früher bei Sozialhilfe gewährten Mehrbedarfs.

Die Folge: überall in Deutschland lebt ein nennenswerter Anteil der Menschen mit HIV in Armut oder nahe an der Armutsgrenze.

Aus Bremen berichtet jetzt die regionale Ausgabe der taz genaueres über die ökonomische Situation von Menschen mit HIV und Aids im Stadtstaat:

„Als „schwierig“ bezeichnet der Senat die soziale Situation von Aidskranken in Bremen. Probleme mit „ökonomischen Druck und unzureichender Tagesstruktur“ hätten zwar die meisten chronisch Kranken, die mit wenig Geld auskommen müssten, so der Senat in einer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion „Die Linke“. Für Aidskranke beziehungsweise HIV-Positive habe sich aber die Situation in den letzten Jahren wegen der verbesserten Behandlungsmöglichkeiten verschärft. Die PatientInnen würden heute länger leben bei „relativ stabiler Gesundheit“, so der Senat. Die Folge: „Das Zeitfenster vergrößert sich, in dem die Kranken mit relativ geringem Einkommen leben müssen.““

Klingt das zynisch? Nun leben sie länger, und dann in Armut? Nein, meint der Vertreter der örtlichen Aidshilfe.

„Ein solcher Satz sei nicht zynisch, sondern Realität, sagt Thomas Fenkl von der Aidshilfe Bremen, die seit 2003 keine öffentlichen Mittel mehr bekommt. Viele Betroffene hätten sich sehr jung angesteckt, deshalb hätten sie kaum Rücklagen noch ausreichend Ansprüche aus den Sozialversicherungen erworben.“

(beide Zitate taz Bremen vom 16.10.2008).
Der Bremer Senat hatte geantwortet auf eine Kleine Anfrage  der Fraktion Die Linke ‚Soziale Situation von Menschen mit HIV und Aids‘ vom 1.9.2008 (Text der Anfrage der Fraktion Die Linke hier, der Antwort des Bremer Senats als pdf hier).

In seiner Antwort führt der Bremer Senat weiterhin aus:

„Ökonomischer Druck und unzureichende Tagesstruktur sind für viele PatientInnen ein häufig genanntes Problem. … Die finanziellen Probleme wachsen und werden sehr schnell spürbar …“

Bundesweit liegen leider wenige schlüssige Daten zur Armut bei HIV vor. Die Deutsche Aids-Stiftung, eine der wichtigsten Anlaufstellen Positiver für Unterstützung, berichtet:

„Bei HIV und AIDS ist die materielle Not der Betroffenen besonders ausgeprägt. Dies hat vor allem mit dem Alter – oder besser gesagt mit der Jugend – der Menschen zu tun, die an AIDS erkranken. Die Mehrzahl der HIV-positiven Menschen sind zum Zeitpunkt der AIDS-Diagnose jünger als 40 Jahre. … Die Gesundheitsreform, das Hartz IV-Gesetz und dessen Folgegesetze haben auf die Bezieher von Arbeitslosengeld II und Grundsicherung negative Auswirkungen.“

In den Anträgen an die Stiftung (DAS) , in denen um Einzelfall-Hilfe ersucht wird, spiegelt sich die verschärfte ökonomische Situation. Seit dem Verabschieden von Gesundheitsreform und Hartz IV steigt die Zahl der Anträge auf Einzelfallhilfe deutlich. Der Abschied von der bedarfsorientierten Nothilfe hat die Situation weiter verschärft.
Erst jüngst beim Meeting ‚HIV kontrovers‘ berichtete die DAS darüber, dass sich aus den Anträgen an die Stiftung geradezu ein Trend ergebe, dass die Stiftung für negative Folgen der Gesundheits- und Sozialreformen einspringen müsse.

Eine Verbesserung, ein Wille zur Änderung scheint derzeit politisch nicht in Sicht.

Im Gegensatz zu Staaten z.B. südlich der Sahara ist Aids in Deutschland keine Erkrankung der Armen. Aber auch hierzulande ist HIV eine Erkrankung, die oft arm macht.
Schon 2002 warnte die deutsche Aids-Stiftung „AIDS wurde aber für etliche Erkrankte zu einer Krankheit, die arm macht. Durch geplante Änderungen am System der sozialen Sicherung könnte sich diese Tendenz noch verstärken.“
Die damals kritisierten Änderungen sind vorgenommen worden. Der „Trend zur Armut“ hat sich verschärft. Es wird Zeit, dass Aidshilfen und Politik sich dieses Themas annehmen.

4 Gedanken zu „positiv 2008 – länger leben, aber verarmt?“

  1. @ondamaris

    Inhaltlich kann ich Deinen Ausführungen nur zustimmen, Deiner Anregung – deinen frommen Wunsch Es wird Zeit, dass Aidshilfen und Politik sich dieses Themas annehmen“ werde ich in mein Abendgebet mit einschließen.

    „Eine Verbesserung, ein Wille zur Änderung scheint derzeit politisch nicht in Sicht.“ Und da wird auch in Zukunft nichts passieren. Hier – wäre ist die „Selbsthilfe“ – sind die „Betroffenen“ gefragt. Das es viele HIV Positive gibt die mit finanziellen MIttel in Höhe von HartzIV Niveau leben – überleben müssen ist bekannt. Also steht hier die Frage des Engagements auf Grund dieser Notwendigkeit im Vordergrund. Vorausgesetzt er/sie empfindet seinen Zustand als veränderungswürdig – veränderungs notwendig.

    Eine geeignete Plattform um dieses Thema zu kommunizieren wäre z.b. die Positive Begegnugn 2009 In Stuttgart. Wenn ich mir jedoch das Programm anschaue, dann komme ich nicht umhin festzustellen das das Thema: „HIV Positiv und Arm in Deutschland“ kein Thema ist. Das Thema ist nicht intellektuell genug – möglicherweise zu banal.

    Zwar gibt es einen Workshop „Wie positHIV sind wir eigentlich? – Identitätspolitik“ Aber schon die Fragestellungen sind so abgehoben, das ich mich ernsthaft frage ob nicht ein Studium als Voraussetzung für eine Teilnahme sinnvoll wäre.

    Die Frage die z.b. in diesem Workshop aufgeworfen wird “ Brauchen wir im Zeitalter knapper Mittel und immer restriktiverer Politik nicht auch – Bündnispartner/innen außerhalb der „HIV/Aids-Community“? impliziert für mich das man die „Knappen MIttel“ – und Hartz IV ist knapp wenn man davon leben muß als gegeben und von Gott gewollt somit unabänderlich hinnimmt.
    Auf den Veranstaltung an denen ich bislang teilgenommen habe wurde zwar immer festgestellt wie schwierig es ist mit einer geringen Rente auf Sozialhilfeniveau – jetzt Hartz IV zu leben . . aber das war s auch schon. Es wurde konstatiert das es so ist. Punktum – fertig – aus.

    Von der Selbsthilfe – den vorhandenen Netzwerken und deren Sprecher bzw Delegierten die ja im Delegiertenrat der DAH sitzen und angehört werden, muß – so stellt es sich für mich dar in dieser Hinsicht nichts geschehen sein. Das heißt aus den Reihen der Selbsthilfe – der bestehenden Netzwerke und deren jeweiligen Mitglieder wurde nichts laut das darauf schließen läßt das hier ein Manko – ein Mangel vorhanden ist. Insofern stelle ich jetzt einfach mal die provokante These in den Raum das es so schlimm um die finanzielle Situation des Einzelnen HIV Positiven nicht bestellt sein kann.

    Und komm mir jetzt bloß keiner und sage mir: Ei dann komm doch zu unseren Veranstaltung und bring dich ein.
    Ein Einbringen in bestehende Netzwerke oder Vorschläge zu unterbreiten bedingen mindestens schon mal 10 Jahre teilgenommen zu haben um zu sagen: Hallo ich bin auch hier. Mehr wie einmal bin ich einfach nur dumm angemacht worden wenn ich mich einbrachte bzw nur schon erdreistete zu fragen: He habt ihr ein Protokoll – eine Info im Netz von eurer letzten Veranstaltung. Da bekam ich dann so intelligente Antworten wie: Ei dann komm doch zur nächsten Veranstaltung dann weiß du was wir so machen.

  2. danke für den bericht, aber ich schliesse mich dennis an, es wird sich nichts ändern, solange nur eigene mittelkürzungen der aids-hilfen beklagt werden, aber die sozialisation der betroffenen seit jahren mutwillig ausgeklammert wird.
    und das liegt nicht nur am geld, sondern an der fehlenden bereitschaft sich mit wirklicher betroffenen-arbeit zu beschäftigen, stattdessen begnügt man sich mit zahlreichen doppel- und dreifachangeboten.
    es liegt aber auch an den betroffenen selbst, die entweder gar nicht oder fast nur konsumorientiert die aids-hilfen bemühen.
    in zeiten immer knapper werdender kassen, die ja nicht nur hiv-positive/aids-kranke betreffen müssen für diese zielgruppe neue, allerdings schon längst bekannte, konzepte angegangen werden.
    z.b. TAUSCHRINGE, in denen die betroffenen dienstleistungen, erfahrungen, jobs, kultur, feedbacks, anerkennung, soziale kontakte, zugehörigkeit, ein aktiv werden… sammeln und erleben können.
    es würde eine wirkliche community mit gegenseitigem geben und nehmen entstehen.
    ich sage das, um nicht immer nur zu meckern, aber umsetzen kann man das eben nur, wenn man bereit ist, dafür zu ARBEITEN!

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