Günter Verheugen, der für Unternehmens- und Industriepolitik zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, hat seinen industriefreundlichen Gesetzesvorschlag zur europäischen Arzneimittelrichtlinie durchgesetzt.
Via Internet und mit gedrucktem Material soll sich die Pharmaindustrie künftig mit Informationen zu Gesundheit, Krankheit und rezeptpflichtigen Arzneimitteln direkt an Verbraucherinnen und Verbraucher richten dürfen. Der Industriekommissar öffnet damit die Schleusen für eine Flut zweifelhafter und von kommerziellen Interessen gesteuerter „Informationen“. Wird Verheugens Gesetzesvorschlag vom EU-Parlament angenommen, geht der VerbraucherInnenschutz endgültig unter.
Was als eine Harmonisierung und Vereinfachung der EU-Regeln zur Bereitstellung von PatientInneninformation gedacht war, entpuppt sich nun als ein Regelwerk mit gravierenden Folgen. Es ist ein Freibrief für verkaufsfördernde Veröffentlichungen der Arzneimittelhersteller zu ihren eigenen teuren Produkten. Das geht auf Kosten gut wirksamer preiswerter Generika. Darüber hinaus bedeutet eine vernünftige Therapie oft mehr, als einfach nur Medikamente zu geben. Zwar sind im Gesetzentwurf auf Druck der Kommissarin für Gesundheit und Verbraucherschutz einige Schutzklauseln eingefügt worden. Diese werden jedoch durch vage formulierte Ausnahmeregeln wieder durchlöchert. So kann z.B. die Vorabkontrolle der Information durch die Behörden auch durch eine freiwillige Selbstkontrolle der Industrie ersetzt werden.(1)
Bis heute ist es nicht gelungen, sachgerechte Aussagen systematisch von Werbung zu trennen. Daher gibt es im Sinne des VerbraucherInnenschutzes nur eine angemessene Reaktion: Verständliche und vergleichende Informationen für Patientinnen und Patienten zu rezeptpflichtigen Arzneimitteln dürfen nur von neutralen und unabhängigen Institutionen bereitgestellt werden.
Hierfür machen sich die UnterzeichnerInnen der gemeinsamen Stellungnahme: „PatientInnen nicht im Regen stehen lassen – für eine industrieunabhängige Patienteninformation“ stark.(2)
Europa genießt in Bezug auf VerbraucherInnenschutz weltweit ein hohes Ansehen. Die Europa-ParlamentarierInnen sind aufgerufen, sich dieser Vorbildfunktion bewusst zu werden und dem Schutz der PatientInnen Priorität vor Wirtschaftsinteressen einzuräumen. Es heißt jetzt zu handeln: Denn wer die Geister ruft, wird sie häufig – wie der vielzitierte Zauberlehrling von Goethe – nicht wieder los.
Sollte das Werbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel in der Europäischen Union fallen, hätte das nicht nur negative Folgen für die VerbraucherInnen hierzulande. Wir befürchten für die Dritte Welt noch weit gravierendere Auswirkungen, da entsprechende Verbote auch in diesen Ländern dann nicht mehr zu halten wären. Wo bereits jetzt viele Menschen keinen Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln haben, würde Werbung für neue teure Präparate eine sinnvolle Versorgung stark behindern.
gemeinsame Presseerklärung von BUKO Pharma-Kampagne • BundesArbeitsGemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen • Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. • Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention • IPPNW – Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Internationale Ärzte in sozialer Verantwortung • verein demokratischer ärztinnen und ärzte • Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten
(1) http://ec.europa.eu/enterprise/pharmaceuticals/pharmacos/pharmpack_en.htm
(2) http://www.bukopharma.de/index.php?page=stellungnahmen
weiterführende Informationen:
Die EU-Kommission informiert über ihr ‚pharmaceutical package‘
Mitteilung der Kommission diesbezüglich an das Europa-Parlament (pdf, deutsch)
die Details: Vorschlag der Kommission hinsichtlich ‚Verbraucherinformation‘ (directive pdf, regulation pdf, beide englisch)
Nachtrag:
28.01.2009: Verheugens Vorhaben scheint anachronistisch, wenn zutrifft, was die FAZ meldet: „Der [US-] Kongress plant, die direkt an Verbraucher gerichtete Werbung von Pharmakonzernen einzuschränken.“ (FAZ 28.01.2009, S. 21 „Wall Street erwartet weitere Pharma-Zusammenschlüsse“)
06.03.2009 Ärztezeitung: Bundesrat gegen Arzneimittelwerbung
14.03.2009 aerzteblatt.de: Richtlinienvorschlag zur Patienteninformation droht das Aus
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