Pharma-Werbung – weniger sympathisch, weniger Vertrauen erweckend?

Wird eine Anzeige als von der Pharma-Industrie geschaltet wahrgenommen, kann dies einher gehen mit reduziertem Vertrauen und Sympathie, zeigt eine US-Studie.

Die Forscher untersuchten in den USA Eltern (544) von Jungen im Alter zwischen 11 und 17 Jahren, die an einem online-Experiment teilnahmen. Sie sahen eine Anzeige, die für eine Impfung gegen Humane Papilloma-Viren bei Jungen wirbt; der (hypothetischen) Werbung wurde auf Zufalls-Basis ein Logo zugeordnet. Während des Betrachtens der Anzeige sollten die Eltern die Anzeige beurteilen hinsichtlich Vertrauen, Sympathie sowie Motivation für eine HPV-Impfung.

Wer schaltete die (hypothetische) Anzeige? 62% der Teilnehmer identifizierten die Anzeige die sie jeweils sahen korrekt als von der Pharma-Industrie geschaltet, bei anderen Quellen lag die Rate korrekter Identifizierung nur bei 25%. Eltern, die eine Anzeige ohne Logo betrachtet hatten, hielten diese zu 60% für eine Anzeige der Pharma-Industrie.

Bei denjenigen Eltern, die die Quelle der Anzeige korrekt identifiziert hatten, führte eine als Pharma-Anzeige identifizierte Werbung zu einer verminderten Motivation, ihren Sohn impfen zu lassen; diese Assoziation ging einher mit vermindertem Vertrauen in und Sympathie für die jeweilige Anzeige.

Das Resümee der Forscher im BMJ unter anderem: Organisationen der Gesundheitsförderung sollten darauf achten, dass ihre Anzeigen nicht für von der Pharma-Industrie gesponsorte Anzeigen gehalten werden:

„Parents were more accurate in identifying drug company advertisements, primarily because they tended to assume any advertisement was from a drug company. Public health organizations may need to take special measures to ensure their messages are not perceived as sponsored by drug companies.“

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Reichsreklame-Messe, welche hier augenblicklich eine grosszügige Ausstellung unterhält. Der "Konditor" als Reklame einer Tortenfabrik. Quelle: Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 102-01344
Reichsreklame-Messe, welche hier augenblicklich eine grosszügige Ausstellung unterhält. Der "Konditor" als Reklame einer Tortenfabrik. Quelle: Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 102-01344

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Eine Untersuchung, die – übertragen auf HIV/Aids – zu denken geben sollte. Nicht nur der Pharma-Industrie, sondern auch manchen Aids-Organisationen – welche Werbe-Optik verwende ich in Anzeigen, bei Aids-Kampagnen? Wie wichtig ist es, eine klarer, eigene unverwechselbare Identität zu haben? Wie viel Pharma-Nähe tut gut? Wie viel Sponsoring tut der eigenen Glaubwürdigkeit gut?

Und die auch zu weiterem Nachdenken inspirieren könnte. Welche Auswirkungen können welche Formen der Zusammenarbeit mit Pharma-Industrie z.B. für Aids- Selbsthilfegruppen haben? Fördern sie Sympathie und eigene Glaubwürdigkeit – oder tragen sie gar potentiell zu deren Erosion bei?

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Pepper JK, Reiter PL, McRee AL, Brewer NT.: Advertisements Promoting Human Papillomavirus Vaccine for Adolescent Boys: Does Source Matter? (zuerst online veröffentlicht in Sex Transm Infect 1 June 2012 vol. 88 no. 4 264-265 ; Abstract auf PubMed; veröffentlicht im BMJ [via CDC NPIN]; Beispiel-Anzeige auf BMJ als pdf hier)

„Werbung für ein HIV-Portal“

Immer wieder werden an ondamaris Anfragen nach Werbung, „Marketing-Kooperationen“, gern fertig vorbereiteten „redaktionellen Beiträgen“ oder schlicht Schleichwerbung gerichtet – am 12.04.2010 kam z.B. eine Anfrage nach Werbung für ein „Portal für HIV-infizierte homosexuelle Männer“.
Zur Information der Leser als Dokumentation:

Hallo zusammen,
ich hab eine Anfrage von einem neuen Kunden, der seine Webseite bewerben möchte. Hierbei geht es um das Thema HIV bei homosexuellen Männern. In einem ersten Schritt möchte der Kunde User mithilfe eines Fragebogens befragen um darauf aufbauend sein Portal optimal gestalten zu können. Im zweiten Schritt soll dann das Portal direkt beworben wird. Die Webseite richtet sich an HIV-infizierte homosexuelle Männer.
Hierzu wollte ich einmal fragen, ob und welche Werbemittel bei euch geschaltet werden können und wie die Preise dafür sind. Neben den Standardformaten ist auch ein Newsletter von Interesse, genau wie Mobile Apps, falls ihr solche anbietet. Weiterhin würde ich gerne wissen, ob auch ein Aufklärungsspecial möglich wäre und/oder irgendeine andere Möglichkeit besteht, auf den Fragebogen von ihrer Seite aus hinzuweisen?
Zeitraum wäre für den „Fragebogen“ Mitte Mai bis Juli und für die „Bewerbung des HIV-Portals“ Juli bis Ende Dezember.
Das Angebot brauche ich bis morgen abend. Bitte integrieren Sie neben den Preisen auch AdImpressions bzw. Abonnenten (NL), mögliche Rabatte und Skonto.
Danke und viele Grüße,

Wie alle bisherigen Anfragenden erhielt auch diese Agentur die Antwort, dass ondamaris werbefrei ist und möglichst bleiben soll.

USA: Gilead wegen Werbung für Aids-Medikament verwarnt

Die US-Medikamentenbehörde FDA hat den Pharmahersteller Gilead verwarnt – wegen dessen US-Werbung für das Aids-MedikamentTruvada.

Gilead Pharmaceuticals wurde von der US-Medikamentenbehörde verwarnt aufgrund einer direkt an Patienten gerichteten Werbung für das Aids-Medikament ‚Truvada‘ ®. Die FDA kritisieren diese Werbung als irreführend:

The Print Ad is false or misleading because it represents or suggests that Truvada is better or more effective than has been demonstrated by substantial evidence or substantial clinical experience.

Die kritisierte Anzeige zeige eine Frau,. die das Medikament nehme und, so der Brief

„appears to be happy and in good health“

Die FDA kritisierten auch den Gesamteindruck der Werbung:

„Moreover, the totality of the claims and presentations in the Print Ad misleadingly implies that patients can preserve their “hopes and dreams” and “plan for long-term success” (i.e., preservation of their activities of daily living, academic performance, work productivity, and social and emotional functioning) without interference from HIV infection or from treatment with Truvada. FDA is not aware of substantial evidence or substantial clinical experience to support this implication.“

Die FDA forderten Gilead auf, die kritisierte Werbung sofort einzustellen. Eine Unternehmenssprecherin betonte, man nehme die FDA-Warnung ernst und werde der FDA direkt antworten.

weitere Informationen:
FDA: Brief an Gilead
RHI 07.03.2010: UPDATE 2-U.S. FDA warns Gilead, Biogen over drug promotions
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20 Organisationen in Europa fordern: gute Patientinnen-Information statt versteckte Pharma-Werbung

29 europäische und nationale Organisationen fordern den neu gewählten EU-Kommissar Dalli auf, den Gesetzentwurf zu Patienteninformation komplett umzuschreiben, damit er den Interessen der VerbraucherInnen an guter PatientInneninformation gerecht wird.

Die Organisationen nehmen den Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz John Dalli beim Wort, der zusagte, den Gesetzesvorschlag noch einmal kritisch zu überprüfen. Mitunterzeichner des Aufrufs sind das internationale Netzwerk HAI, bei dem die Pharma-Kampagne Mitglied ist und die Internationale Gesellschaft der unabhängigen Arzneimittelzeitschriften (ISDB), deren Präsidenten die Pharma-Kampagne derzeit stellt.

Der Gesetzesvorschlag war im Dezember 2008 noch unter der Führung des Generaldirektorates Unternehmen und Industrie in den parlamentarischen Prozess gebracht worden und würde es der Pharmaindustrie erlauben, direkt mit VerbraucherInnen über Gesundheit, Krankheit und rezeptpflichtige Arzneimittel zu kommunizieren. Der Entwurf wurde von unabhängigen ÄrztInnen-, VerbraucherInnen- und PatientInnenorganisationen als einseitig und nicht zielführend kritisiert. Dabei wurde besonders hervorgehoben, dass die Pharmaindustrie wegen ihrer kommerziellen Interessen nicht als eine verlässliche Quelle von unabhängiger Information angesehen werden kann. Auch der EU-Ministerrat (die Versammlung aller EU-GesundheitsministerInnen) lehnte die Vorschläge der Kommission ab.

Nach Auffassung der 29 Organisationen sollten sich die Mitglieder des Europäischen Parlamentes mit dem vorliegenden Gesetzesvorschlag gar nicht erst beschäftigen, sondern von der Kommission einen komplett neuen Vorschlag verlangen, der die Bedürfnisse der europäischen BürgerInnen nach unabhängiger, vergleichender und ausgewogener Gesundheitsinformation erfüllt.

Dazu machen die Organisationen fünf konkrete Vorschläge, wie Gesundheitsinformationen im Sinne der VerbraucherInnen verbessert werden können:
· Den Beipackzettel besser lesbar und Nutzen und Schaden aussagekräftig darstellen.
· Verbesserung der Kommunikation zwischen PatientInnen und Arzt /Ärztin.
· Nationale Behörden stellen Gesundheitsinformationen aktiv und transparent zur Verfügung. Dazu gehört auch der öffentliche Zugang zu Daten zur Wirksamkeit und Nutzen von Arzneimitteln und anderen Gesundheitsprodukten.
· Entwicklung, Vernetzung und Stärkung bereits existierender Quellen unabhängiger Gesundheitsinformationen.
· Schärfere Kontrolle von Verstößen gegen das Heilmittelwerbegesetz sowie eine wirksame Ahndung von Verstößen.

(Pressemitteilung BuKo Pharmakampagne vom 15.03.2010)
Pressemitteilung komplett, englische Version (pdf)

Werbefilm-Preis für Aids-Spot

Ein Aids-Präventionsspot aus der Schweiz wurde beim Wettbewerb deutschsprachiger Werbeclips Spotlight mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

Spotlight ist ein Wettbewerb für deutschsprachige Werbespots und -filme. Der Wettbewerb wird seit 1998 jährlich durchgeführt und findet seit 2010 in Mannheim statt.

Neben den Preisen der Fach-Jury (in mehreren Kategorien sowie im Hauptwettbewerb und im Studenten-Wettbewerb) werden auch Publikumspreise verliehen. Und während die Fachjury z.B. den Spot einer Baumarkt-Kette prämierte, entschied sich das Publikum am 5. März 2010 für einen Aids-Spot:

Prämiert wurde mit dem Spotlight-Publikumspreis in der Kategorie ‚TV und Kino‘ ein Spot der Aids-Prävention aus der Schweiz. Bemerkenswert: in der Kürze liegt die Würze – der Spot währt nur wenige Sekunden. Der kurze Handlungsablauf: Mann trifft Frau (resp. Frau trifft Mann), beide gehen in’s Bett mit einander – und die Frage, war’s zu schnell für ein Kondom?

Aids-Präventionspot 'Bus' (Screenshot)
Aids-Präventionspot 'Bus' (Screenshot)

Der Spot wurde produziert von Euro RSCG Zürich im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit der Schweiz im Rahmen der Kampagne ‚Stop Aids‘ /  ‚Love Life‘.

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weitere Informationen:
spotlight: Die Bilanz 2010
der prmierte Spot ‚Bus‘ auf www.stopaids.ch ( -> TV-Spots -> Bus TV )
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USA: Pharma-Konzern erneut wegen AIDS-Werbung abgemahnt

Die US-Medikamentenbehörde FDA hat den Pharmakonzern Abbott verwarnt. Eine Werbe-DVD des Konzerns für ein Aids-Medikament betone die Wirksamkeit übermäßig und verharmlose Nebenwirkungen.

Earvin ‚Magic‘ Johnson sollte Patienten über die Vorzüge von Kaletra ‚informieren‘. Der ehemalige US-Basketball-Star Magic Johnson ist offen HIV-positiv.
Auf einer Werbe-DVD des Pharmakonzerns Abbott wurde Magic Johnson interviewt. Elfeinhalb Minuten berichtete der inzwischen 49jährige ehemalige NBA-Star dort von den Vorteilen von Kaletra®, einem Aids-Medikament des Konzerns. Auf Risiken und Nebenwirkungen von Kaletra® hingegen wurde erst nach dem Interview am Ende des Films im Nachspann hingewiesen.

Der US-Medikamentenbehörde FDA (Food and Drug Administration) missfielen die „Informationen“ der DVD. In dem Video würden die schwerwiegenden Nebenwirkungen (z.B. auch Medikamenten-Wechselwirkungen) minimiert und die Wirksamkeit übermäßig dargestellt, so die Behörde.

Wörtlich heißt es in dem FDA-Schreiben „The promotional DVD minimizes the serious risks of the drug, overstates the efficacy of Kaletra, and includes unsubstantiated claims.“ Die Verstöße seien schwerwiegend, so der Abteilungsleiter „drug marketing“ der FDA.

Zudem kritisierte die FDA Aussagen in der Werbe-DVD, Magic Johnsons HIV sei seit 5 Jahren, seit er das beworbene Medikament nehme, nicht mehr nachweisbar. Dies suggeriere, auch allen oder vielen anderen Positiven würde es mit dem Medikament so ergehen. Persönliche Erfahrungen einer Person seinen hingegen kein allgemeingültiger Nachweis; der FDA seien keine Studien bekannt, die zeigten, dass bei therapie-erfahrenen Erwachsenen Kaletra® fünf oder mehr Jahre lang effektiv wirke.

Kaletra® ist dem Wirtschaftsdienst Bloomberg zufolge das zweitwichtigste Produkt des Pharmakonzerns und trage mit Umsätzen von 1,47 Milliarden US-$ (2008) allein zu 5% zu den gesamten Erträgen des Konzerns bei.

Der Pharmakonzern hat die Verwendung der DVD eigenen Angaben zufolge bereits eingestellt. Man wolle mit der FDA zusammenarbeiten, um auf die Bedenken einzugehen, so ein Unternehmenssprecher. Das Video war auf der US-Website des Konzerns allerdings noch mindestens bis 10. Juli 2009 abrufbar.

Bereits im Oktober 2004 war Abbott von der FDA verwarnt worden, nachdem eine Anzeige für Kaletra® keine Informationen zu Risiken und Nebenwirkungen enthielt, und zudem suggerierte, HIV-Positive die das Medikamente einnehmen würden für mindestens 5 Jahr gesund bleiben.

Die FDA zeigten sich besorgt, dass der Pharmakonzern weiterhin Werbung für sein Medikament mache, die fehlleitend sei und gegen Bundesrecht verstoße. Abbott wurde aufgefordert einen Plan vorzulegen, wie zukünftig wahrheitsgemäße, nicht fehlleitende und komplette Botschaften sichergestellt werden sollen.

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weitere Informationen:
POZ 24.07.2009: FDA Warns Abbott Over Kaletra Ad Featuring Magic Johnson
Bloomberg 22.07.2009: Abbott Warned Over Drug Ad Featuring ‘Magic’ Johnson
„Warning Letter“ der FDA an Abbott vom 14.07.2009 (pdf)
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Aids macht sexy?

Macht Aids etwa sexy? Oder die Aids-Medikamente? So manche Pharma-Werbung scheint den Eindruck zu erwecken – nun auch beim CSD.

Viel zu selten wird diskutiert, welche Rolle Pharma-Werbung für Aids-Medikamente (da nach Heilmittelwerbegesetz untersagt, oft mühsam verbrämt als „Image-Werbung“ für das Engagement des jeweiligen Unternehmens) spielt. Welche Bilder sie vermittelt, welche Wirkungen und Folgen diese Bilder zeitigen.

Der geschätzte Blogger-Kollege Clamix hat beim Besuch des Kölner CSDs auch Beobachtungen zum Auftreten der Pharmaindustrie gemacht und seinen Eindruck auf den Punkt gebracht:

„Ein vom HIV-Medikamenten-Hersteller Abbott gesponsorter Wagen hat ein besonders erfolgreiches Casting schöner, durchtrainierter Tanzkörper hinbekommen. Ein echter Hingucker! Fast wünscht man sich, auch infiziert zu sein, um endlich diese Pillen schlucken zu dürfen.“

Aids macht sexy?
Attraktive Pillen?
Harmloses Aids?
Die Realität: alles andere als das.

Aids-Medikamenten-Werbung, die mit den Realitäten des Lebens mit HIV nicht viel zu tun hat. Die falsche Bilder vermittelt, verharmlost. Aids-Medikamenten-Werbung, wie wir sie aus den USA seit dem legendären „strunzigen Proteasehemmer-Bergsteiger“ (natürlich nur fit dank xyz) kennen, wie sie leider immer mehr auch hier Einzug hält.

Solcherlei verharmlosende, beschönigende, irreführende Bilder füllen bereits seit langem die Seiten zahlloser Homo-Magazine, besonders der gratis-Blättchen. Im übelsten Fall noch gekoppelt mit einem Artikel im Heft, der selbstverständlich nicht als „Werbung“ deklariert ist, vielmehr auf den unbefangenen, wenig kritischen Leser als redaktioneller Artikel scheinen mag (und wohl auch soll).

Dass solcherlei nun auch noch als „Party-Wagen“ in CSDs auftaucht, macht diese falschen, in die Irre führenden Bilder nicht besser, ganz im Gegenteil.

Ob es sich lohnt, mit der Pharmaindustrie über ihre Werbepraxis zu sprechen? Ich hab da meine Zweifel.

Aber CSD-Veranstalter: ein CSD-Veranstalter, der meint, sich für seine Communities einzusetzen, sollte sich fragen, ob nach Körperpflege, Bier und Fitnessriegel nun auch Pharmawerbung „einfach so“ tatsächlich Bestandteil eines CSDs sein sollte. Vor allem, wenn sie verharmlosende Bilder propagiert, die Gefahr laufen, erfolgreiche Präventionsbemühungen zu konterkarieren.

Und es wird erneut deutlich, warum das Vorhaben der EU, an Patienten gerichtete Pharma-Werbung zu erlauben, mit allergrößter Skepsis zu sehen ist.

Weitere Informationen:
Clamix 06.07.2009: Christopher Street Day
Steven Milverton 08.07.2009: CSD Köln: Laute(r) Einfallslosigkeit
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„Ich mach’s auch ohne“ – ein Fall für den Werberat?

„Ich mach’s auch ohne“ wirbt die Telekom auf einigen öffentlichen Telefonen. Ein Aufruf zur Körperverletzung, findet ein eifriger Werbekaufmann, und will diese Werbung stoppen.

Es geht nur um bargeldloses Telefonieren – der erste Eindruck allerdings mag anderes suggerieren. „Ich mach’s auch ohne“ – das könnte auch wie ein frecher Gegenentwurf zu kondomisiertem Gemüse der HIV-Prävention klingen.

Oder macht die Telekom neuerdings „Aids-Prävention in EKAF-Zeiten“ … ?

Die Werbung der Telekom läuft scheinbar schon seit einem Jahr …

Kommentar von Basicthinking: “Das ist das beste Beispiel für billigstes Marketing auf Kosten aller.”

Die ganze Story bei basicthinking.

weitere Informationen:
basicthinking 17.06.2009: “Ich mach’s auch ohne!” – oder: Ein Mann nimmt’s mit der Telekom auf
nw-news.de 17.06.2009: „Diese Werbung ist sexistisch“
queer.de 19.06.2009: Sex-Telekomspruch verärgert Werbefachmann
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Verdeckte Werbung der Pharma-Industrie

Macht die Pharmaindustrie in Blogs und Foren verdeckt Werbung für ihre Produkte? Hinter manchem Forums-Beitrag könnte sich ein PR-Mitarbeiter verbergen …

In den USA soll die direkt an Verbraucher gerichtete Werbung von Pharmaunternehmen eingeschränkt werden. Ganz anders in Europa – hier wird auf bestreben von EU-Kommissar Günther Verheugen vermutlich zukünftig das so genannte „direct-to-consumer-advertising“ (dtca) zugelassen. Seitens der Pharmaindustrie vermutlich ‚verbrauchergerichtete Information‘ genannt.

Welche Wege die Pharmaindustrie derzeit schon geht, um verdeckt Werbung für ihre Produkte zu machen, zeigt folgendes Zitat:

„In Blogs und Foren von Patientenorganisationen wirbt die Pharmaindustrie verdeckt für ihre Produkte. PR-Mitarbeiter melden sich dort als Betroffene an und berichten von ihren guten Erfahrungen mit den Medikamenten ihrer Auftraggeber. Für echte Patienten ist dies nicht transparent. Obwohl das Sponsoring von Selbsthilfegruppen vor einigen Jahren Medienthema war, wird diese neue Dimension von schmutzigem Marketing nicht thematisiert.“

berichtet Christiane Schulzki-Haddouti auf koop-tech unter dem Titel ‚10+ vernachlässigte Themen des jahres 2008‚ über die Initiative Nachrichtenaufklärung und ihre Auswahl der am meisten vernachlässigten Themen.

Für Betreiber von Blogs und Foren sollte dies erneuter Hinweis und Ansporn sein, zurückhaltend mit Kommentaren und Forums-Beiträgen umzugehen, bei denen einzelne Produkte gelobt werden.
Dass offen gelegt werden sollte, wenn ein Blog-Betreiber oder -Autor Verbindungen mit der Pharma-Industrie hat, sollte sich von selbst verstehen.
Lesern von Blogs und Foren sollte bewusst sein,  dass auch in Foren, die „für uns“ gemacht sind / scheinen, durchaus hinter so manchem Beitrag ein ökonomisches Interesse stecken kann, vielleicht statt eines Mit-Patienten in Wirklichkeit ein Marketing-Mitarbeiter.

Die Geister die ich rief … Pharmaindustrie darf VerbraucherInnen künftig eu-weit über Arzneimittel ‚informieren‘ (akt.)

Günter Verheugen, der für Unternehmens- und Industriepolitik zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, hat seinen industriefreundlichen Gesetzesvorschlag zur europäischen Arzneimittelrichtlinie durchgesetzt.

Via Internet und mit gedrucktem Material soll sich die Pharmaindustrie künftig mit Informationen zu Gesundheit, Krankheit und rezeptpflichtigen Arzneimitteln direkt an Verbraucherinnen und Verbraucher richten dürfen. Der Industriekommissar öffnet damit die Schleusen für eine Flut zweifelhafter und von kommerziellen Interessen gesteuerter „Informationen“. Wird Verheugens Gesetzesvorschlag vom EU-Parlament angenommen, geht der VerbraucherInnenschutz endgültig unter.

Was als eine Harmonisierung und Vereinfachung der EU-Regeln zur Bereitstellung von PatientInneninformation gedacht war, entpuppt sich nun als ein Regelwerk mit gravierenden Folgen. Es ist ein Freibrief für verkaufsfördernde Veröffentlichungen der Arzneimittelhersteller zu ihren eigenen teuren Produkten. Das geht auf Kosten gut wirksamer preiswerter Generika. Darüber hinaus bedeutet eine vernünftige Therapie oft mehr, als einfach nur Medikamente zu geben. Zwar sind im Gesetzentwurf auf Druck der Kommissarin für Gesundheit und Verbraucherschutz einige Schutzklauseln eingefügt worden. Diese werden jedoch durch vage formulierte Ausnahmeregeln wieder durchlöchert. So kann z.B. die Vorabkontrolle der Information durch die Behörden auch durch eine freiwillige Selbstkontrolle der Industrie ersetzt werden.(1)

Bis heute ist es nicht gelungen, sachgerechte Aussagen systematisch von Werbung zu trennen. Daher gibt es im Sinne des VerbraucherInnenschutzes nur eine angemessene Reaktion: Verständliche und vergleichende Informationen für Patientinnen und Patienten zu rezeptpflichtigen Arzneimitteln dürfen nur von neutralen und unabhängigen Institutionen bereitgestellt werden.

Hierfür machen sich die UnterzeichnerInnen der gemeinsamen Stellungnahme: „PatientInnen nicht im Regen stehen lassen – für eine industrieunabhängige Patienteninformation“ stark.(2)

Europa genießt in Bezug auf VerbraucherInnenschutz weltweit ein hohes Ansehen. Die Europa-ParlamentarierInnen sind aufgerufen, sich dieser Vorbildfunktion bewusst zu werden und dem Schutz der PatientInnen Priorität vor Wirtschaftsinteressen einzuräumen. Es heißt jetzt zu handeln: Denn wer die Geister ruft, wird sie häufig – wie der vielzitierte Zauberlehrling von Goethe – nicht wieder los.

Sollte das Werbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel in der Europäischen Union fallen, hätte das nicht nur negative Folgen für die VerbraucherInnen hierzulande. Wir befürchten für die Dritte Welt noch weit gravierendere Auswirkungen, da entsprechende Verbote auch in diesen Ländern dann nicht mehr zu halten wären. Wo bereits jetzt viele Menschen keinen Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln haben, würde Werbung für neue teure Präparate eine sinnvolle Versorgung stark behindern.

gemeinsame Presseerklärung von BUKO Pharma-Kampagne • BundesArbeitsGemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen • Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. • Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention • IPPNW – Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Internationale Ärzte in sozialer Verantwortung • verein demokratischer ärztinnen und ärzte • Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten

(1) http://ec.europa.eu/enterprise/pharmaceuticals/pharmacos/pharmpack_en.htm
(2) http://www.bukopharma.de/index.php?page=stellungnahmen
weiterführende Informationen:
Die EU-Kommission informiert über ihr ‚pharmaceutical package‘
Mitteilung der Kommission diesbezüglich an das Europa-Parlament (pdf, deutsch)
die Details: Vorschlag der Kommission hinsichtlich ‚Verbraucherinformation‘ (directive pdf, regulation pdf, beide englisch)

Nachtrag:
28.01.2009: Verheugens Vorhaben scheint anachronistisch, wenn zutrifft, was die FAZ meldet: „Der [US-] Kongress plant, die direkt an Verbraucher gerichtete Werbung von Pharmakonzernen einzuschränken.“ (FAZ 28.01.2009, S. 21 „Wall Street erwartet weitere Pharma-Zusammenschlüsse“)
06.03.2009 Ärztezeitung: Bundesrat gegen Arzneimittelwerbung
14.03.2009 aerzteblatt.de: Richtlinienvorschlag zur Patienteninformation droht das Aus
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Aids-Werbung und die Realität des Lebens mit HIV

Einige Positive in Deutschland erhielten in den vergangenen Woche eine (teils von Dritten weitergeleitete) Email mit einem Angebot. 500 Euro für ein wenig Zeit und einige Fotos – für eine Aids-Anzeigen-Kampagne eines Pharmakonzerns.

Ein Beispiel, das einer der Empfänger der Mail zur Verfügung stellte :

„hallo potentielle modelle,
der xxxxxxxx ist so nett und leitet meine mail weiter.
ich bin eine freie fotografin aus xxx und habe freitag ein shooting für xxxxx xxxxx xxxx [Pharmakonzern, d.Verf.]. dafür suche ich modelle. ich würde gerne mit positiven modellen arbeiten und nicht irgendwelche modelle casten. das shooting beinhaltet ein schwarz-weiß portrait und ein bild aus eurer vergangeheit, um klarzumachen, dass das hiv medikament von xxx xxxx hilft, mit hiv und aids zu leben. das shooting findet … … … statt und wird ca. 2-3 stunden eurer zeit in anspruch nehmen. das modell sollte 25-40 jahre alt sein. die anzeige erscheint in den zielgruppenaffinen magazinen wie hinnerk, siegessäule, männer aktuell etc. als din a 4 anzeige. unter umständen werden anfang 2009 noch weitere geshootet werden. … … …. die gage wird 500 euro betragen. ich freue mich auf eure berwerbungen mit bild an post@xxxxxxxx ein bildbeispiel wie es dann aussehen soll seht ihr im anhang. liebe grüsse, die maren“

Beigefügte hatte ‚die Maren‘ der Mail noch ein Beispiel, ein Bild einer Publikums-Anzeige der Image-Kampagne des genannten Pharmakonzerns, ein hübscher, selbstverständlich gut und gesund aussehender junger Mann, vor zehn Jahren und heute. Ob es zeigt, wie es heute ist „mit HIV und Aids zu leben“, wie sie schreibt?

Das Anliegen, statt mit Modellen mit realen Patienten zu arbeiten, mag zunächst löblich erscheinen. Eine größere Authentizität, die vielleicht eher der Realität entspricht – und sicherlich dem Foto, vermutlich auch dem beworbenen Pharmakonzern zugute kommen könnte.
Doch – geht es darum wirklich?
Geht es wirklich darum, die Realität von Menschen mit HIV und Aids heute abzubilden?

Es wäre spannend zu erfahren, wie der Auftraggeber reagieren würde auf Motiv-Vorschläge für seine Anzeigen, die z.B.
– einen einst jungen gut aussehenden Mann zeigen, der nun an Lipodystrophie leidet, mit tief liegenden Augen, Falten im Gesicht, hängenden Lidern,
– oder mit einem Oberkörper voll Hautausschlägen auf dem vielleicht dennoch wohlgetrimmten Sixpack,
– oder, alternativ, mit einer massiven Fettansammlung im Bauch.
– Vielleicht auch ein Foto im Krankenhaus, nach dem Herzinfarkt, daneben seine Blutfett-Werte?

„Leben  mit HIV und Aids“ – darum geht es doch?

Die Email erlaubt einen kleinen Blick hinter das Zustandekommen einer solchen Kampagne. Und sie wirft Fragen auf.

Ob die ausgelobten 500 Euro ein fairer Preis für so viel Öffentlichkeit sind, mag jeder Empfänger der Mail für sich entscheiden. Die Ankündigung des Erscheinens „in zielgruppenaffinen Magazinen“ könnte sich nachher als Drohung erweisen …

Viel wichtiger scheint die Frage nach dem „Leben mit HIV und Aids“, zu dem Pharmakonzerne verhelfen, und der Frage, wie dieses dargestellt wird. Geht es der Photographin, geht es dem werbenden Pharmakonzern wirklich um die Realität des Lebens mit HIV? Oder nicht doch um die Form von ‚Wahrheit‘, wie sie die werbende Industrie gerne in ihren Anzeigen dargestellt hätte?
Die Lebenswirklichkeit von Menschen mit HIV und Aids interessiert hier vermutlich herzlich wenig – Ziel ist wahrscheinlich eher die manipulierte Wirklichkeit einer Werbe-‚Realität‘.

Geht es nicht auch hier eher darum, gerade ein schönes, ein beschönigendes Bild des Lebens mit HIV zu zeichnen, das unterschwellig auch signalisiert, ‚Jungs, so schlimm ist das alles gar nicht‘? ‚Da gibt’s doch was von …‘ ?
Die Email macht letztlich ein Angebot, das bei näherem Hinsehen (auf das Endprodukt) den Eindruck erwecken könnte, es gehe eher um ein (möglichst harmloses) Lifestyle-Medikament als um ein Medikament gegen Aids. Ein Beispiel mehr dafür, dass Medikamenten-Werbung (wenn auch als Image-Werbung verbrämt) Gefahr läuft zu einer Verharmlosung von HIV beizutragen. Und die Gefahr läuft, jegliche Präventions-Bemühungen durch Verharmlosung zu konterkarieren, zu gefährden.
Wie gut, dass das EU-Vorhaben der teilweisen Freigabe der Pharma-Werbung derzeit in der Warteschleife ist – möge es dort bleiben …

Nebenbei (und unabhängig vom konkreten Beispiel), derartige „Anzeigen“ sollen gelegentlich, so ist immer wieder zu hören, auch dazu genutzt werden, Pressemitteilungen oder vorgefertigte Artikel aus dem Haus des jeweiligen beworbenen Pharmakonzerns als (als redaktionell getarnten) Artikel im Heft unterzubringen. Frei nach dem Motto, wir schalten gerne bei Ihnen eine Anzeige zu dem und dem Preis – wenn Sie dann vielleicht folgenden Artikel bringen könnten? Hübsche Werbemotive sind da sicherlich hilfreich, als Dekoration für ‚Informationen‘ direkt aus der Marketing-Abteilung …

Pikant dabei, dass Auftraggeber ein Unternehmen ist, das durch eines seiner Medikamente an so manchem zerfurchten Gesicht eines Positiven nicht ganz unschuldig sein könnte. Aber das wäre ja schon zu viel Realität …

Nachtrag 29.10.2008: über Zerrbilder des Lebens mit HIV (diesmal in den Medien) berichtet koww „HIV/AIDS Betroffene müssen in das Schema der Allgemeinheit passen!?“

EU-Vorhaben mit Nebenwirkungen in der Warteschleife

Die gesundheitspolitische Erfolgsmeldung von heute besteht für Patienten in einer Abwesenheit, einem Fehlen – einem (zeitweisen) Rückzug.

Eigentlich hatte der Günther Verheugen (SPD), EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie und Vizepräsident der EU-Kommission, heute in Brüssel einen Gesetzentwurf vorlegen wollen. Einen Gesetzentwurf für mehr Patientensicherheit in Europa.

Günther Verheugen, EU-Industriekommissar (Foto: EU-Kommission)
Günther Verheugen, EU-Industriekommissar (Foto: EU-Kommission)

Mehr Patientensicherheit in Europa – das klingt vernünftig, hört sich nach einem begrüßens- und unterstützenswerten Projekt an.

Doch Verheugens Projekt war nicht gerade „frei von Nebenwirkungen“.
Ganz im Gegenteil. In seinem Gesetzesentwurf verbarg sich unter anderem auch das Vorhaben, Pharmaunternehmen in begrenztem Maß direkt an Patienten gerichtete Werbung für Medikamente zu erlauben. Wobei, Verheugen nennt dies -ähnlich wie die Pharmaindustrie- ‚Information‘.

Geht es um Information oder Werbung? Geht es um Information oder Desinformation?
Viele Experten, auch Vertreter von Patientengruppen sowie Ärzteorganisationen erwarten von ‚Informationen‘ der Pharmaindustrie nicht gerade ein interessen-neutrales Unterfangen, erst recht nicht wenn es direkt an Patienten gerichtet ist.

In Deutschland gilt bisher, dass Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente bei Patienten / Verbrauchern verboten ist. Ein Direktwerbeverbot, das Pharmahersteller jedoch immer wieder bereits heute trickreich zu unterlaufen versuchen.
Ein Werbeverbot, dass jedoch alles andere als grundlos ist. Medikamente sind nicht ein x-beliebiges zu bewerbendes und konsumierendes Wirtschaftsgut – sie sind Heilmittel für Menschen, die erkrankt sind, und sie sind bekanntermaßen oftmals nicht frei  von Risiken und Nebenwirkungen.

Gefragt ist satt die Risiken verschweigender, verharmlosender, schönfärbender Medikamenten-Werbung vielmehr unabhängige Arzneimittel-Information, sind korrekte, interessenneutrale Arzneimittel-Informationen im Internet und über andere Medien und Kanäle.Dass die Pharmaindustrie diese interessenneutralen Inforamtionen bereit stellt, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Schon ein Blick auf die Arzneimittel-‚Information‘ in den USA (wo Medikamenten-Werbung breit erlaubt ist) zeigt, welche Auswüchse uns drohen, würde sich Verheugens Vorschlag durchsetzen. Dort klettern gelegentlich strunzige junge Männer munter auf höchste Gipfel, selbstverständlich gut gebaut, muskulös und sonnengebräunt – und dass alles ‚völlig positiv‘, dank xxx, diesem tollen Aids-Medikament.
Die Folgen? Gerade auch im Aids-Bereich klagen Patienten- wie auch Präventionsorgansiationen seit langem über Aids-Medikamenten-Werbung, die HIV und Aids verharmlose. Patienten suggeriere, es sei doch eigentlich gar nicht so schlimm, sich mit HIV zu infizieren, ein, zwei Pillen am Tag, und schon gehe es wieder aufwärts …

Dennoch, Günther Verheugen beharrtt trotz aller bereits im Vorfeld geäußerten Proteste auf seinem Vorhaben, Werbung zuzulassen. Warum? Wessen Interessen vertritt Verheugen?
Verheugen ist EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie.
Nicht etwas EU-Kommissar für Patienten und Verbraucher.
Womit die Interessenlage bezeichnet sein dürfte.

Günther Verheugen war bereits 2006 als ‚Preisträger‘ für den „Worst EU Lobby Award“ nominiert – für „die Einrichtung von unausgewogenen Expertengruppen, die vor allem den Interessen großer Unternehmen dienen“ (pdf).

Verheugens Projekt ist heute nicht auf der Tagesordnung der EU-Kommission. Es wurde kurzfristig zurückgezogen, nachdem schon ein Mitte vergangener Woche vorgelegter Richtlinien-Entwurf zu massiven Protesten von verschiedensten Seiten kam.

Der zeitweise Rückzug Verheugens ist zu begrüßen. Wichtig bleibt, dass der Protest gegen Arzneimittel-Werbung für Patienten aufrecht erhalten bleibt – und dass auch die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung beibehält und weiterhin in Brüssel deutlich macht.

Nachtrag 15.11.2008: „Günter Verheugen bleibt bei seinen Plänen zur Aufhebung des Werbeverbots“, berichtet das Deutsche Ärzteblatt.
Nachtrag 25.11.2008: Verheugens Haltung ist auch in der EU-Kommission in der Kritik. Die EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou soll zukünftig für den Pharmabereich zuständig sein, wird gefordert (berichtet Stationäre Aufnahme)

Information oder Werbung? (Akt.)

Wieder einmal unternimmt die EU -weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit- einen neuen Anlauf in Sachen Patienteninformation zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Geht es um Information? Oder wieder nur um eine Lockerung eines begründeten Werbeverbots?

Es gehe ihr um „information to patients to ensure good-quality, objective, reliable and non promotional information on prescription-only medicinal products“, erklärt die E-Kommission in ihrem nun zur Diskussion gestellten ‚legal proposal‘.

Die neuen Bemühungen werden u.a. mit dem vermeintlichen Bedarf begründet, unterschiedliche Möglichkeiten und -regeln zu Medikamenten-Information in den Mitgliedsstaaten der EU zu harmonisieren. Ziel sei es, EU-weite Regeln (einen ‚legalen Rahmen‘) aufzustellen für an Patienten gerichtete Informationen durch diejenigen Unternehmen, die die Medikamente vermarkten. Dabei sollten die Interessen der Patienten an erster Stelle stehen, betont das Paper.

Um dies zu erreichen, werden in dem Paper einige ‚Schlüssel-Ideen‘ vorgestellt. So soll zwar das Direktwerbeverbot bestehen bleiben, gleichzeitig soll jedoch ein Rahmen definiert werden, innerhalb dessen die Industrie ‚informieren‘ darf.
Dabei definiert das Paper, alles was nicht Werbung sei, gelte als Information. Hierzu gehören, so das Paper, z.B. die Beipackzettel (Gebrauchsinformationen) und Fachinformationen, aber auch z.B. Informationen über Studien. Vergleiche, z.B. zwischen verschiedenen Medikamenten, sollen hingegen untersagt bleiben.

Solche Art ‚Informationen‘ solle die Pharmaindustrie z.B. durch TV- und Radiobeiträge verbreiten dürfen, aber auch durch Druckerzeugnisse oder Internetangebote. Zudem solle die Pharmaindustrie ‚individuelle Anfragen von Patienten‘ beantworten dürfen.

Begleitet werden solle diese Art ‚Information‘ durch Kontrollgremien auf EU- sowie nationaler Ebene. Diese sollten besetzt werden mit Vertretern u.a. der Ärzteschaft und von Patientenorganisationen sowie der Pharmaindustrie. Die EMEA (die u.a. für die Zulassung von Medikamenten zuständige Einrichtung der EU) soll hingegen über eine Zuarbeit an ein Beratungsgremium hinaus nicht beteiligt werden, da ‚eine wissenschaftliche Bewertung dieser Informationen nicht erforderlich‘ sei.

In Deutschland gilt bisher, dass Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente bei Patienten / Verbrauchern verboten ist. Ein Direktwerbeverbot, das Pharmahersteller jedoch immer wieder bereits heute trickreich zu unterlaufen versuchen.

Das ‚consultation paper‘ der EU ist online zu finden auf den Internetseiten der EU-Kommission Generaldirektion ‚Unternehmen und Industrie‘, Untergruppe ‚Pharmceuticals‘. Auf dieser Internetseite sollen später auch die eingegangenen Stellungnahmen veröffentlicht werden.
Zahlreiche Hintergrund-Informationen liefert der Artikel „Pharmawerbung in Patientenlöpfe‘ der BUKO Pharmakampagne (Rundbrief 05/2007, als pdf hier).

Bis zum 7. April 2008 können an der Thematik Interessierte ihre Anmerkungen und Kommentare zum Vorschlag der EU per Email richten an ulla.narhi@ec.europa.eu

Was bezweckt dieser erneute Vorstoß der EU-Kommission?
Bezeichnenderweise ist der Vorgang (wieder einmal) angesiedelt in der Generaldirektion ‚Unternehmen und Industrie‘, und zwar in der Untergruppe ‚Pharmazeutika‘ – nicht etwa in der Direktion ‚Gesundheit‘. Die pharmazeutische Industrie versucht ja immer wieder (wie z.B. 2002 in Deutschland, dokumentiert bei BuKopharma), das Direktwerbeverbot für Medikamente auszuhebeln oder mit ihm äußerst kreativ umzugehen.

Doch auch andere Gruppen scheinen Interesse an mehr ‚Information‘ (oder: Werbung?) für Medikamente zu haben. So fällt beim Lesen des Entwurfs auf, dass fast durchgängig eher die Sprache des Marketings, der Welt der Werber verwendet wird.

Geht es den Initiatoren des Papers um Information, um Patienten-Information? Oder geht es doch schlicht (aber versteckt) nur wieder um Werbung? Was steckt hinter dem immer wiederkehrenden ‚Informationsbedarf‘ der Pharmaindustrie?
Warum wird gerade die europäische Medikamentenbehörde EMEA aus dem Prozeß weitgehend ausgeschlossen, mit dem Hinweis, eine wissenschaftliche Bewertung der ‚Informationen‘ sei ja nicht mehr erforderlich? Während gleichzeitig mit geradezu kabarettistischem Talent betont wird, alles was nicht Werbung sei sei Information?

Kann die Pharmaindustrie selbst, mit ihren originären Vermarktungsinteressen, überhaupt Quelle seriöser, an den Interessen von Patienten orientierter Information sein? Oder führt diese Art der ‚Information‘ nur zu immer neuen ‚Pillen-Absurditäten‚? Wird gar ‚der Bock zum Gärtner gemacht‘?
Braucht es überhaupt neue Regelungen, um patientenorientierte neutrale Informationen bereitzustellen? Oder reichen nicht die bestehenden Möglichkeiten?

Kann Werbung für Arzneimittel sinnvoll sein?
Bisher gab es gute Gründe, das Direktwerbeverbot weiter beizubehalten. Diese gelten auch weiterhin. Was nicht gebraucht wird, ist Werbung für Medikamente.
Was hingegen zu fordern und unterstützen ist, sind unabhängige, verständliche, vertrauenswürdige und leicht zugängige Patienteninformationen – aber bitte aus neutraler Quelle.

Nachtrag 11.03.2008: VerbraucherInnenschutz bleibt auf der Strecke – Pressemitteilung der BUKO Pharmakampagne (als pdf hier)


Der ‚Informationsbedarf‘ der Pharmaindustrie

Die Pharma-Industrie scheint einen neuen Anlauf zu unternehmen, um doch noch das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu kippen. ‚Ran an die PatientInnen‘, scheint die Devise zu lauten.

Derzeit ist direkt an Patientinnen und Patienten gerichtete Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente in der EU untersagt (EU-Richtlinie 2001/81/EG, bes. Artikel 87 und 88).

Auf einer Tagung bestätigte laut ‚BuKo Pharmakampagne‚ der Sprecher des europäischen Pharmaindustrie-Verbandes EFPIA, seine Organisation strebe eine Änderung der betreffenden EU-Richtlinie an. Hintergrund der erneuten Bemühungen der Pharmaindustrie scheinen aktuelle Diskussionen über Patienteninformation zu sein.

Bereits im Jahr 2002 hatte die Pharmaindustrie mit beträchtlichem Aufwand versucht, das europäische Direktwerbe-Verbot zu kippen. Was damals erfolglos war, soll nun scheinbar erneut versucht werden.

Die BuKo Pharmakampagne beschreibt, warum dies nicht im Interesse von Patientinnen und Patienten ist: „PatientInnen brauchen zuverlässige, vergleichende und unabhängige Gesundheitsinformationen, die alle Behandlungsoptionen – auch die der Nicht-Behandlung – einschließen. Die Pharmaindustrie kann jedoch aufgrund ihrer kommerziellen Interessen keine unabhängigen Informationen liefern.“

Der Stern-Reporter Grill, Autor des Buches „Kranke Geschäfte – wie die Pharmaindustrie und manipuliert“ kommentiert: „Es gibt keine Branche, die seit Jahren so hohe Gewinne einfährt wie die Pharma-Branche – und es gibt keine Branche, die den Menschen so viel Sand über ihr wahres Geschäftsgebaren in die Augen streut.“ ((zitiert in Pharmabrief Nr. 6 September 2007))

Unabhängige, möglichst interessenneutrale Gesundheitsinformation ist möglich – sei es durch Patienten-Organisationen und Verbände, sei es mittels unabhängiger Instutute. Für beides gibt es zahlreiche in der Praxis bereits funktionierende Beispiele (wie z.B. Gesundheitsinformationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA oder des Verbraucherzentralen Bundesverbands, Gesundheitsinformationen einzelner Organisationen wie z.B. der Deutschen Aids-Hilfe, oder unabhängige Informationen wie Gesundheitsinformation.de des IQWiG). Diese positiven Ansätze könnten ausgebaut und weiter entwickelt werden.
Worin der Vorteil von Marketing oder ‚Information‘ liegen soll, mit der sich die Pharmaindustrie direkt an PatientInnen wenden will, bleibt unklar.

Zu welchen Auswüchsen es kommen kann, wenn die Pharmaindustrie direkt bei PatientInnen für Medikamente werben darf, lässt sich anschaulich seit vielen Jahren in den USA beobachten. Am Beispiel HIV/Aids: da erklommen z.B. kraftstrotzende junge Männer munter hohe Berge und verkünden dabei stolz, dies alles könnten sie nur dank ‚xyzivir‘ [siehe ein Beispiel hier].

Die Verordnung lebenswichtiger Medikamente, die auch mit Risiken und potenziellen Nebenwirkungen behaftet sind, ist m.E. kein Bereich, der einfach den Kräften des Marktes, vor allem auch von Marketing und Werbeversprechen überlassen werden darf.

Und wenn die Pharmaindustrie nun versuchen sollte, dies über das Hintertürchen der ‚Patienten-Information‘ doch noch zu erreichen – hieße das nicht tatsächlich, frage ich mich, den Bock zum Gärtner zu machen? Wer an den beworbenen Pillen munter (und satt) verdient, wie will der Patienten gleichzeitig neutral und sachgerecht informieren?
Wäre es stattdessen nicht sinnvoller, interessenneutrale und fachlich fundierte Informationen im Interesse von Patientinnen und Patienten zu fördern?

weitere Informationen:
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA
gesundheitsinformation.de – unabhängige und geprüfte Informationen zu Gesundheitsinformationen, erstellt vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
BuKo Pharmakampagne: Gegen den Einfluss der Pillenlobby
Pharmabrief / Pharmawerbung in Patientenköpfe (pdf)
Pharmabrief / Den Bock zum Gärtner machen? (pdf)
hiv-wechselwirkungen.de – Gesundheitsinformationen der Deutschen Aids-Hilfe