Ein Workshop der ‚Positiven Begegnungen 2009‘ befasste sich mit identity politics – mit der Frage „wie positHIV sind wir eigentlich?“
Identity politics sei ein Mittel gesellschaftlicher Gruppen, um sowohl gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern als auch zur Emanzipation beizutragen, erläuterte Carsten Schatz zu Beginn des Workshops.
Dabei gelte es, nicht zu einer erneuten Normierung zu kommen. Inwieweit führt die Verweigerung von normen zum Schaffen neuer Normen und daraus neuer Ausgrenzung? Diese Position der Kritiker der identity politics gelte es zu bedenken.
„Heute sind wir Menschen mit HIV und Aids ein bunter Haufen, eine heterogene Gruppe und die Herausforderungen und Chancen ergeben sich gerade aus unserer Vielfalt der kulturellen Hintergründe, des Eigensinns und Anders-Seins einer und eines Jeden.Die Gemeinsamkeit ergibt sich eigentlich ’nur‘ aus der Angst und dem damit verbundenen Stigma. … Einerseits möchten wir gleichwertig sein, integriert und akzeptiert, in der Norm verankert und andererseits ist unsere Vielfalt auch unser Reichtum und wir schätzen Eigensinn, Anders-Sein und die Kraft, mit Brüchen im Leben zu stehen. … Wie schaffen wir nicht neue normative Zwänge, sondern stärken uns an der Vielfalt?“ (aus der Workshop-Ausschreibung)
Die Grundhaltung, Vielfalt als Chance und Stärke zu erkennen, Unterschiedlichkeiten und die daraus resultierenden Auseinandersetzungen als notwendig und als Bereicherung zu erfahren ist so neu nicht – sie spiegelt sich neben sozialen Bewegungen auch in Management-Konzepten wie dem der ‚diversity‘.
Gibt es (bezüglich HIV) eine ‚positive Identität‘ nur, wenn die Person offen mit ihrer Infektion lebt? Oder gibt es auch so etwas wie eine ‚verborgene positive Identität‘?
Aufschlüsse dazu gab schon eine Arbeit in vier Gruppen: die bemerkenswerten Ergebnisse der Eigen- und Fremdwahrnehmung. „Wie nehmt ihr euch selbst, wie ‚die anderen‘ wahr?“, war die Frage an vier Gruppen, jeweils zwei von offen und zwei von nicht offen positiv lebenden Menschen.
In der Eigenwahrnehmung nicht offen positive lebender HIV-Positiver dominierten ‚Ängste‘, ‚Schuld‘, ‚Karrierekiller vermeiden‘ oder ‚Umfeld schützen‘ – aber auch die Chance ‚ohne Einschränkung frei leben‘, ‚keine Rechtfertigung‘ oder ‚problemloser‘.
Offen lebende Positive wurden als selbstbewusst, mutig, authentisch bezeichnet, teils ‚bewundert‘, aber auch negativ assoziierte Begriffe wie ‚Berufs-Positiver‘ oder ‚HIV-Tourismus‘ fielen. Offen mit HIV leben wurde mit ‚Großstadt‘ assoziiert.
In der Eigenwahrnehmung offen lebender HIV-Positiver überwogen Formulierungen wie ’sich selbst ehrlich sehen‘, ‚weniger Angst‘, ’nicht erpressbar‘ oder ‚mehr Selbstbewusstsein‘, während nicht offen lebende Positive als ‚gefangen sein‘, ’sich Chancen nehmen‘ ‚leiden im stillen Kämmerlein‘ oder ‚Leben nicht so frei‘ bezeichnet wurden.
Schon diese Beispiele zeigen, wie sehr Identität (auch positive Identität) nicht nur aus eigener Selbst-Zuschreibung resultiert, sondern genauso auch aus Zuschreibungen von außen (‚der lebt mit HIV‘) – und auch Zuschreibungen aus ‚der eigenen Gruppe‘ der HIV-Infizierten (‚der lebt ja /nicht offen mit sienem HIV‘), mit allen daran hängenden Bildern.
Und schon die Beispiele der Arbeitsgruppen zeigen, wie sehr beide Modelle (offen oder nicht offen mit der eigenen HIV-Infektion zu leben) jeweils mit durchaus verschiedenfarbigen, positiven wie auch negativen Gefühlen und Bildern assoziiert sind.
Jede Entscheidung ist zu akzeptieren – offen mit HIV zu leben, nicht offen mit HIV zu leben, oder auch angepasst an jeweilige Situationen verschiedene Offenheits-Strategien zu haben (z.B. im Privaten offen, am Arbeitsplatz nicht).
Bericht über den Workshop „Wie positHIV sind wir eigentlich? – Identitätspolitik oder: ‚Ich bin wie du‘ – wie langweilig …“ am 30. Januar 2009 bei den ‚Positive Begegnungen 2009‘ in Stuttgart, Leitung Michèle Meyer und Carsten Schatz
(Anmerkung: ich konnte leider an dem nachmittags anschließenden Thementreff zum Workshop nicht teilnehmen – wäre aber für Ergänzungen übner diesen teil dankbar …)
weitere Informationen:
Diversity-Konzept der Universität Wien ‚Vielfalt bildet! Bildet Vielfalt!‘
Dossier der Heinrich-Böll-Stiftung zu Diversity Management
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„Diversity in Unity“ ist die Basis auf grund dessen viele Selbsthilfegruppen – u.a. die div. Anonymen Gruppen funktionieren. Die MItglieder unterscheiden sich in ihrer persönöichkeit und auch in ihrem leidensweg – entsprechend der Anonymen Gruppe derer sie sich zugehörig – verbunden fühlen. Was alle vereint ist der individuelle Lösungsweg für ein Problem das allen gleich ist. Bzgl der entsprechenden Anonymen Gruppen sind dies Alkohol, Drogen, Essucht, Sexsucht etc.
Das Prinzip ist das was uns verbindet – was uns allen gemein ist. Die Gemeinsamkeit ergibt sich imo nicht nur „aus der Angst und dem damit verbundenen Stigma“ unseres – des Anders-Seins. Was Hiv Positive , Schwule, Lesben,Transgender, gemeinsam verbindet ist die Positiion außer der (gesellschaftlichen) Norm die uns von der Gesellschaft zugewiesen wird. Stigma und Diskriminierung sind insofern Mittel zum Zweck mit dem diese uns zugewiesene Position begründet und letzendlich gerechtfertigt wird.
Dies unterschiedlichsten Gruppen – HIV positive, Schwule, Lesben, Transgender – bilden insofern eine Einheitiliche Gruppe, der wenn man dies erkennt gleichzeitig eine Stärke – als Einheit – innewohnt. Ungeachtet dessen herrscht in dieser Einheit die Vielfalt – das ist das Bunte, das Lebendige in dieser Einheit.
Auch in der Eigenwahrnehmung ist es durchaus möglich, ehrlich zu sich selbst zu sein und seine Ängste, Schuldgefühle als solche zu erkennen – wahrzunehmen.
Insofern ist die Frage nach Offenheit erst mal sekundär. Offenheit nach außen ist das Ergebnis eines inneren Prozesse – einer inneren Auseinandersetzung mit sich selbst. In Laufe dieses Prozeß werden – so meine pers Erfahrung anerzogene Muster, Ängste und Normen wie auch der Aspekt der „Schuld“ in Frage gestellt bzw auf den Grund gegangen. Das Ziel jedoch ist individuell verschieden. Einerseits kann es sich in Selbstsicherheit und Selbstwußtbewußtsein in der Offenheit nach Außen ausdrücken – andererseits kann es auch zu mehr innerer Selbstsicherheit und Selbstbewußtsein führen ohne das man dies nach Außen transportieren muß. Man ist dann mit sich im Reinen.
„Jede Entscheidung ist zu akzeptieren – offen mit HIV zu leben, nicht offen mit HIV zu leben, oder auch angepasst an jeweilige Situationen verschiedene Offenheits-Strategien zu haben (z.B. im Privaten offen, am Arbeitsplatz nicht).“
Und ja – dieses Recht steht jedem zu und ist weder in Frage noch in Abrede zu stellen.