Schwule und lesbische Medien – Zukunft nur auf neuen Wegen?

Wohin entwickelt sich schwul-lesbischer Journalismus, Blogger, generell schwul-lesbische Medien? Brauchen wir neue Formen der Zusammenarbeit? Neue Formen schwuler und lesbischer Medien?

Quo vadis – wohin geht der Weg der schwulen Medien? In große Leere, in ein Nichts, wenn sich nichts ändert, wenn nicht schwule und lesbische Blogger und Journalisten bald zu einer Form von Zusammenarbeit finden, einen neuen Online-Journalismus ‚erfinden‘.

Zu diesem Resüme kommt Wayne Besen in seinem Kommentar „Anything but Straight: the Future of Gay News“, auf den ein Freund mich aufmerksam macht.

Besen bezieht sich auf die US-Situation, die gerade in jüngster Zeit von der Einstellung vieler kleinerer (und inzwischen auch größerer) Homo-Medien geprägt ist (siehe auch die Schließung des ältesten schwulen Buchlandes der Welt).

Und hierzulande?
Der Zustand der Medien für Schwule und Lesben ist auch in Deutschland eh schon eher beklagenswert. Sicher, mit TIMM ist jüngst ein TV-Sender für Schwule und Lesben an den Start gegangen.
Aber wenn man sich die Printmedien anschaut – es könnte einem das Grauen kommen. So manches homosexuelles ‚Stadtmagazin‘ besticht einzig durch seine bunten Bilder, Füllmaterial und Begleitmusik für Anzeigenkunden, schlimmstenfalls gar durch Pressetexte der Pharmaindustrie, die ohne Hinweise abgedruckt werden. Von Journalismus, Recherche gar, weitgehend keine Spur.
Und im Internet? Auch nicht viel besser – vereinzelte Sites, die sich mehr oder  minder erfolgreich bemühen, Nachrichten aus der Welt der Homosexualitäten zu bringen. Anspruchsvoller Journalismus? Auch hier weitgehend Fehlanzeige.

Und warum, mag man sich fragen?
Eine der meist gestellten Diagnosen auf diese Fragen lautet „kein Bedarf“, oder ‚höflicher‘ formuliert „wir drucken, was die Leser wünschen“.

Bestätigt werden derartige Analysen -scheinbar?- dadurch, dass eine nennenswerte Zahl ambitionierterer Projekte, die auch auf qualitativ hochwertigere Inhalte setzten, sich in den vergangenen Jahren als ökonomisch nicht tragfähig erwiesen.

Bekommen wir also, was wir ‚verdienen‘, was wir ‚wollen‘?
Es sieht so aus.

Wären wir bereit, für schwule und lesbische Medien (mehr) zu zahlen – es gäbe sicherlich Journalisten genug, auch ‚unter uns‘, die in der Lage wären, auch hochwertigere Inhalte zu produzieren.

Besen bezieht in seine Analyse auch die Homo-Blogger mit ein. Die schwul-lesbische Blogger-Szene in den USA mag ausgefeilter, weiter entwickelt sein als die hiesige, seine Gedanken scheinen dennoch interessant auch für die Situation hierzulande:

„It is disgraceful that some of our leading lights are posting during lunch breaks at their day jobs. … Imagine how much better most blogs would be if the writers had another 8-10 hours a day to conduct research? The products would be infinitely superior and be of greater value.“

Wohin das führen könnte?

„People must also realize that the status quo will soon lead to burnout among the best bloggers. Without a financial incentive commensurate with their work, don’t be surprised when your favorite bloggers choose relationships over readership. If you don’t pay, many will fade away.“

Besen skizziert auch einen weg, der in eine neue Zukunft schwul-lesbischen Journalismus‘ und schwul-lesbischer Medien weisen könnte:

„In order for this business model to work, the leading bloggers, gossip sites and journalists will have to create a new type of union“

Wie die aussehen sollte? Dazu bezieht sich Besen auf einen Artikel von Walter Isaacson im Time Magazine:

„Isaacson says the way to save the news business is to move to a paradigm where newspapers go completely digital and readers pay directly for online content.“

Die Bereitschaft, für gute Inhalte auch angemessen zu zahlen, sowie neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Bloggern und Journalisten – Wege aus der Krise schwul-lesbischer Medien?

Was denkst du?
Wärest du bereit, für hochwertigen Inhalt zu zahlen?
Welche Visionen hast du für die Zukunft schwul-lesbischer Medien?
Und für die Arbeit von Journalisten, von Bloggern?
Blogger und Journalisten – getrennte Welten? Oder zwei Kulturen, die zusammenfinden könnten? Auch im Bereich der Homo-Medien?

.

Lesenswert:
Wayne Besen „Anything but Straight: the Future of Gay News“
spannende neue Wege der Vernetzung von Print- und Online-Journalismus, der Kombination von Journalisten und Bloggern geht derzeit die Wochenzeitung „Freitag“
neue Wege geht auch eines der Flagschiffe des US-Journalismus: „New York Times und die Revolution im Internet“
Versuche mit der Krise umzugehen auch in Frankreich: Tetu hat einen Relaunch und stürzt sich noch mehr auf Kultur und Lifestyle, berichtet e-illico. Nachrichten und Informationen sind in ein beigelegtes Extra-Heft auf kostengünstigerem Papier ‚ausgelagert‘.
Indiskretion Ehrensache: Warum Paid Content für Zeitungen nicht funktioniert
Washington Post 24.02.2009: Gay Blogger’s Voices Rise in Chorus of Growing Political Influence
.

15 Gedanken zu „Schwule und lesbische Medien – Zukunft nur auf neuen Wegen?“

  1. Erste Gedanken (so aus dem Bauch heraus):
    – Für Inhalte wird keiner zahlen (von Pornos, Portal-Freischaltungen etc abgesehen)
    – Der schwule Medienmarkt in Deutschland, vor allem Print, leidet im Vergleich zum Ausland an der mangelnden Bereitschaft von großen Anzeigenkunden, in der schwulen Presse zu werben. Selbst das zunehmende Zukleistern der Hefte mit Lifestylekram hat da nicht geholfen. Es bleibt am Schluss zu wenig Platz für „gute“ Inhalte.
    – Schwule Online-Medien haben zu wenig Einnahmen, da nur ein Bruchteil der schwulen User, die etwa täglich Datingportale nutzen, diese Seiten besuchen (seufz). Weiteres Problem: selbst auf Zielgruppenseiten klicken die Leute sich gerne durch Galerien durch und lesen vor allem gerne Erotik, Tratsch und die eher simpleren Politik-Aufreger.
    – Der oben geäusserte Gedanke, dass sich schwul-lesbische Medien Blogger geradezu „halten“ sollen, halte ich für abwegig. Oft fehlt ohnehin das Geld für freie Mitarbeiter, und aus Blogger-Sicht würde das nur das eigene Profil schwächen, wenn die Inhalte mehrfach benutzt werden.
    – Natürlich können sich Blogger und Medien inhaltlich befruchten, etwa durch gegenseitiges zitieren und auch kritisieren, wie es derzeit auch zunehmend passiert.
    – Als „Premiumblogger“ solltet ihr vielleicht mal an den LSVD rangehen, damit der mehr Einträge von Euch in seinen Pressespiegel übernimmt. Dann werdet ihr auch zunehmend von weiteren Lesern sowie Homo- und Hetero-Medien wahrgenommen.

  2. @ Norbert:
    was das ‚zukleistern‘ mit lifestyle angeht (in hoffnung auf anzeigenkunden) teile ich deine bedenken – und bin skeptisch, ob die tetu-neu-ausrichtung wirklich den richtigen weg geht.

    was blogger und medien angeht – nun ich wollte nicht vorschlagen, dass medien sich ‚blogger halten‘, das wäre ein missverständnis. ich dachte eher an an versuche von kooperationen „auf augenhöhe“, wissend um die unterschiede in herangehensweise, ausbuodung, rahmenbedingungen etc. und dazu finde ich die experimente des „freitag“ tatsächlich bemerkenswert
    (und, nebenbei, registriere erfreut, dass queeer.de da ja auch schritte macht und in artikeln von bloggern geäußerte meinungen aufgreift)

    es geht mir hier -um das missverständnis auszuräumen- zunächst nicht so sehr um honorierungsmodelle von bloggern (auch wenn das im us-beispiel ja anklingt), sondern um die frage, wohin entwickeln sich schwul-lesbische medien, und wie können wir zusammen zu einem „mehr“ kommen – statt in der zeitungskrise unterzugehen und irgendwann nur noch in werbeblättchen zu schauen

    last not least, was die bereitschaft zu zahlen angeht: ja, zunächst schient zu stimmen, was du sagst, niemand ist bereit zu zahlen.
    wenn allerdings irgendwann nichts mehr erscheint, weil sich nichtmal mehr lifestyle-blättchen lohnen – werden dann mehr leute wach?
    und – ich bin ja auch heute beriet, für bestimmte medien zu zahlen (ich würde z.b. nie erwarten, die geschätzte ‚lettre‘ umsonst zu bekommen). vielleicht weist das auch einen weg – müssen wir über andere formate, andere (auch: kleinere) zielgruppen nachdenken? kleinere zielgruppen zb wären mit online-formaten auch ohne den print-kostendruck (economy of scale) eher bedienbar …

    soweit für’s erste 🙂
    lg

  3. Spannendes Thema, gute Fragen.
    zum Thema Bloggen fällt mir spontan ein: In Deutschlands haben Blogs einen anderen, und das meint: weit geringeren Stellenwert als etwa in den USA. Zudem scheint mir die überweigende Mehrheit gar nicht zu wissen, dass es regelmäßige und inhaltlich zumeist verlässliche Blogs gibt.
    @ Norbert: Aus eigener Erfahrung bei einem Internet-Portal kann ich nur bestätigen: Die hohen Klickzahlen erzielen Sex, Sex, Sex, Sex, Sex, dann evtl. Madonna, und dann – nach Sex, Sex, Sex – evtl einmal eine inhaltliche, tagesaktuelle Meldung aus den Bereichen Politik, Gesellschaft und Kultur.
    @ Ulii: Warum nicht mal eine Aktion zum Austesten: Einen Monat lang postet eine bestimmte Gruppe von Blogs alles nur mit einem (gemeinsamen) Spendenbutton „Was ist dir die Arbeit der Blogger wert?“. Das Ganze müsste man vorher pressetechnisch auch ankündigen. Dann sehen wir ja, was rüberkommt. (Und das was zusammen kommt an Spenden bekommt eine engagierte Einrichtung aus dem LBGT-Bereich.)
    Die Hauptfrage aber scheint mir in dem zu liegen, was du mit dem kleinen Wörtchen „mehr“ umschreibst – ich glaube, wir müssten erst einmal klären, worin wir dieses „mehr“ sehen. Im Moment sehe ich in Blogs auch eher eine Kommentarfunktion, eine Form der Reaktion, um die täglichen kleinen Nachrichtenhäppchen entweder in ihrer Wichtigkeit aufzuwerten und einem hoffentlich größeren Kreis zugänglich zu machen (z.B. all das, was in den lokalen Printmagazinen niemals auftaucht) bzw. um Nachrichten einzuordnen und evtl. auf weitergehende Fragen hin zu lesen.

  4. Nein, ich würde nicht für hochwertige Inhalte zahlen. Der Trend geht in Richtung kostenfreier Content. Guardian im UK, NYT in den USA und in Deutschland die DuMont-Gruppe machen es vor. Ich wäre aber bereit, in gewissen Umfang Werbung zu ertragen.

    Einen Vergleich mit Bloggern und schwullesbischen Medien in den USA kann man nur bedingt ziehen. Schon weil die dahinter liegende Struktur eine anderen ist. Schwule und lesbische Menschen sind in den USA wesentlicher besser vernetzt, es gibt viel mehr lokale und regionale Gruppen, die oft sehr organisations- und finanzstark sind. Darauf lässt sich mit Medien und Blogs gut aufbauen und es sind schnell namhafte Userzahlen erreicht. Dieser Unterbau fehlt hier bei uns.

    Im UK scheint die Bloggerszene, so weit es um das Mitmischen im politischen Bereich geht, auch weniger weit entwickelt zu sein. Allerdings gibt es dort reichlich hochwertige schwullesbische Medien und auch in den Mainstream-Medien werden entsprechende Themen reichen verarbeitet (Guardian und Independent und einige Regionalzeitung sehr wohlwollend (=objektiv), bei den anderen manchmal nicht so wohlwollend).

    Für Deutschland sehe ich das Problem in ersten Linie in der Nachrichtenbeschaffungssituation. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Deutschland im schwullesbischen Bereich (im weitesten Sinne) so viel ereignisärmer ist, als zum Beispiel das UK. Allerdings ignorieren die Mainstream-Medien die Themen weitgehend. Es bedarf einer entsprechenden Recherchearbeit, die Blogger nicht leisten können, jedenfalls nicht mit dem Zeitkontingent, das zum Beispiel mir zur Verfügung steht. Für Blogger bleibt eigentlich nur das Verarbeiten von Nachrichten, das Kommentieren.

    Das von Norbert angesproche Aufmerksamkeiterregen ließe sich übrigens dadurch erreichen, in dem man die Posts (auch) in den hauseigenen Blogs zum Beispiel der Welt Online oder der DuMont-Gruppe (Stadtmenschen) veröffentlicht. Allerdings ist man dann hinsichtlich der äußeren Form gebunden und auch gewissen inhaltlichen Spielregeln unterworfen. Das schafft aber auch Abhängigkeiten.

    Und Abhängigkeiten (und sei es nur in Gestalt von vorauseilenden Rücksichtnahmen) entstehen auch, wenn man versucht, Blogger und Journalisten in ein Boot zu setzen.

    Vielleicht, um noch einmal auf Norbert’s Ausführungen zurückzukommen, sollten sich Blogger mit Datingportalen verknüpfen (Gays.de versucht das wohl).

    „Freitag“ finde ich übrigens optisch so daneben geraten, dass mich die Inhalte schon gar nicht interessieren. Das scheint ein Hühnerhaufen zu sein, in dem jeder ein bisschen rumgackern darf.

    @ Rainer:

    Ich weiß nicht, ob ‚eine Mehrheit‘ nichts von inhaltsschwangeren Blogs weiß. Ich weiß allerdings, dass ‚eine Mehrheit‘ keinen Bock hat, sich intensiv inhaltlich mit einem Thema auseinanderzusetzen.

  5. @ Steven:
    nun, wer nicht für hochwertige inhalte zu zahlen bereit ist (egal ob print oder online), der muss über kurz oder lang vermutlich nehmen was er serviert bekommt – das was die gratisblättchen dieser welt uns so liefern – und das ist nicht meine welt, geschweige denn mein ziel.
    deswegen überlege ich wo alternativen sein könnten
    schnelle urteile à la ‚hühnerhaufen‘ empfinde ich da allerdings als wenig weiterführend

  6. grüezi miteinand,

    dem kann ich nur zustimmen:

    „Bekommen wir also, was wir ‘verdienen’, was wir ‘wollen’?
    Es sieht so aus.“

    ich mache seit jahren ein online-magazin, das sich nicht auf stars- und sternchen-unsinn herablässt und stattdessen versucht, auch mal politische themen zu setzen. ich habe allerdings das gefühl – und jetzt werde ich zynisch -, dass die meisten buben meinen, man könne ja jetzt heiraten und hiv sei sowieso heilbar, also, um was lohnt es sich noch zu kämpfen?

    diese haltung kann man bei jedem beliebigen csd beobachten. die viel zitierte „community“ gibt es nicht. und daran liegt es auch, dass schwule medien – egal wie qualitativ hochwertig – nicht fuktionieren, sobald es ein wenig mit nachdenken zu tun hat. einschaltquote wie der deutschlandfunk oder drs2. das ist leider so.

    und wer für so was noch geld nehmen würde, könnte gleich aufhören. das passt auch nicht zum internet. zu einem demokratischen faktor ist es durch seine freiheit und komplette verfügbarkeit für jeden (blogs) geworden, nicht durch ausgrenzung durch einen preis.

    ich mache trotzdem weiter, trotz oft undankbarer zielgruppe. und jeder, der etwas beiträgt, tut es aus überzeugung. das ist gut so. geld mit nachrichten verdient im internet ausser „spiegel-online“ keiner. das wäre vermessen, sowas anzupeilen. also seien wir doch froh, etwas zu tun, was wir für wichtig finden.

    ist doch auch was ;-))

  7. Es bleibt uns nur, die Bildung unter den nachwachsenden Schwulen gezielt zu fördern, damit sie dann auch die Medien lesen können, die für sie einmal lebenswichtig sind! Das zeigt sich jetzt schon bei der AIDS-Prävention. Aber auch da interessiert es die hetero Geldgeber nicht sonderlich, Männersex wird angeblich nur von einer kleinen Minderheit praktiziert. 🙂

  8. Ondamaris, in deinem Beitrag werden einige Sachen zusammengepackt, die man meiner Meinung nach auseinanderhalten muss. Da geht es zum einen um die Qualität des Journalismus in den derzeit existierenden queeren Medien. Dann um die künftige Existenz dieser Medienformen. Und es geht um die neuen Formen des Publizierens, wie Blogs, und wie die neuen und alten Formen des Publizierens miteinander auskommen werden. Also gleich drei Wünsche auf einmal. Ich kann leider kein Überraschungsei für alles aus dem Hut zaubern, aber ich kann die Sachen mal etwas entwirren, um mit allen anderen hier klarer in die Zukunft schauen zu können.

    Das Fortbestehen der bestehenden Szene-Medien und deren journalistische Qualität (oder eben deren fehlende), das ist vor allem eine ökonomische Frage. Übrigens eine, die weniger mit der derzeitigen wirtschaftlichen Sitauation und gar nichts mit der Krise zu tun hat, die Tagezeitungen durchmachen.

    So sieht es bei den Homo-Printblättern in Deutschland aus:

    – Auf den großen Run der Markenartikler wartet die Szenepresse, seit sie existiert. Nur, die kommen einfach nicht angerannt, aus den unterschiedlichsten – kurz skizzierten – Gründen: Die Marketing-Entscheider in den Firmen sind nach wie vor konservativ. Die Auflage und Verbreitung speziell der Kaufmagazine ist zu gering. Es gibt zu wenig Strategien und vorhandene Energien, erfolgreiche Zielgruppenansprachen für Produkte zu entwickeln. Erotik-Fotostrecken ziehen Leser an, schrecken aber Anzeigenkunden. Fehlen die Anzeigenkunden, fehlen den Blattmachern die Mittel, in Qualität zu investieren. Meiner Beobachtung nach stagnieren die Umsätze der Blätter durch Anzeigenverkauf seit Jahren, und lassen sich nur durch Zusatzprodukte teilweise erhöhen (CSD-Maps, rosa Branchenführer, oder – grusel – Queer Wedding Magazine

    – Die kostenlosen Stadtmagazine sind für die Kaufmagazine eine Konkurrenz in dem Sinne, dass Leser kaum weiteren Bedarf an Kaufmagazinen haben.

    – Der Versuch, kostenlose Stadtblätter in Kaufmagazine umzuwandeln, kommt 20 Jahre zu spät. Die Zeit der Kauf-Stadtmagazine ist so gut wie vorbei.

    – Zur Ehrenrettung: Die kostenlosen Blätter in Deutschland als auch die Kaufmagazine machen zum Teil gar nicht mal so einen schlechten Job. Die hier im Thread so oft beklagte fehlende journalistische Recherche und Qualität, sie ist vorhanden (Ich denke da bei den Stadtblättern besonders an Hinnerk in Hamburg, Siegessäule in Berlin und RiK in Köln. FRONT ging ja leider bereits die Puste aus und MÄNNER ist ein inhaltlich gutes Magazin, nur kriegen das viel zu Wenige mit). In der Tat machen die Redaktionen Kompromisse, was das „Anzeigenumfeld“ angeht. Die seitenlange Trend-Lifestyle-Möbel-Fotostrecke oder der 23. Saunareport, das sind Andienungen an Anzeigenkunden.

    – Wer Redakteur bei einem Szenemagazin wird, darf sich die Etiketten Masochist und Idealist an das Shirt kleben. Sie sind hochmotiviert, aber in der Regel wesentlich schlechter bezahlt als branchenüblich und haben ein wesentlich höheres Pensum an Arbeit zu bewältigen, weil die Redaktion klein und das Budget für freie Mitarbeit winzig ist. Viele Seiteneinstieger haben in schwul-lesbischen Redaktionen ihre ersten journalistischen Schritte gemacht, ziehen aber dann – vor allem wegen der fehlenden Möglichkeit der inhaltlichen und finanziellen Weiterentwicklung – irgendwann weiter.
    – Wichtig auch nochmal der Hinweis, dass man die Situation der deutschen Medien schwer mit denen in anderen Ländern vergleichen kann. In den USA konnten schwule Verlage Investoren finden oder gar an die Börse gehen, und damit ihre Position ausbauen. Der Verleger von Tetu verdient viel Geld in anderen Bereichen und kann deshalb sein Blatt quersubventionieren. Keinem der in Deutschland erscheinenden Homoblätter geht es wirklich richtig gut.

    Und wie sieht es bei den Online-Magazinen im deutschsprachigen Raum aus?

    – Öhm, tja, welche denn? Es gibt kaum Portale, die sich als journalistische Medien verstehen, leider. Ein Wettbewerb mehrerer solcher Angebote wäre wünschenswert und erfrischend. Für den Leser, der mehr Auswahl hätte, für die Redaktionen, die sich an den Leistungen ihrer Kollegen messen können, als auch für den potentiellen Anzeigenkunden, der mehr Reichweite für seine Schaltungen zur Verfügung hätte.

    – Vieles zu den Printmedien gesagte gilt aber auch Online: Es ist nach wie vor ein mühseliges, kleinteiliges und unermüdliches Bemühen um Anzeigenkunden. In den Redaktionen sitzen viel zu wenige und unterbezahlte Leute, und es gibt wenig Spielraum für Investitionen und Ausbau.

    – Größte Herausforderung für alle ist nach wie vor die Erhöhung der Reichweite – der wichtigen „Währung“ im Web, verbunden mit der Gefahr der dadurch eintretenden Nivellierung und Erotisierung der Inhalte. Abgeschnittene (Crime) oder erigierte Schwänze (Sex) bringt eben mehr Klicks als der neueste Report des schwulen Überfalltelefons oder die Besprechung des tollen neuen Romans von Michael Sollorz.

    – Für redaktionelle Inhalte wird auch in Zukunft niemand zahlen, schon aber für Zusatzangebote, Mehrwertdienste. Gayromeo ist zwar kein Medium, zeigt aber als Datingplattform, wie es prinzipiell funktioniert: Das meiste kostenlos anbieten, so dass sich der User wohlfühlt, und für weiteren Zusatznutzen gern bereit ist, einen Obulus zu entrichten. Die queeren Onlinemedien werden also Angebote jenseits der News entwickeln müssen, um das finanzielle Fundament zu stärken, auf dem man dann z.B. eine neue Redaktionsetage mit vielen weiteren gut ausgebildeten und gut bezahlten Journalisten setzen kann (ok, ok, gleich eine ganze Etage ist vielleicht etwas zu utopisch).

    Generell denke ich – und damit bin ich bei der Frage des Zusammenspiels: Die Zukunft gehört dem Web, die Zukunft des Journalismus (auch des schwul-lesbischen) liegt im Web. Das wird eine spannende Entwicklung sein in den kommenden Jahren. Klassische Magazinportale sind keine reinen Nachrichtenverkünder mit Meinungshoheit mehr. Sie vernetzen sich stattdessen mit Social Communitys und schaffen eigene neue Kommunikationsräume. Sie öffnen sich dem Dialog mit ihren Lesern, und können direkt auf deren Wünsche und Ideen reagieren. Sie greifen Themen auf, die die Blogosphäre als erstes aufspürt, oder geben Inputs zurück in die Datenströme der Blogs und Podcasts. Blogger haben die Chance, sich zu professionalisieren und zu spezialisieren, und behalten dabei ihre Freiheit, sich auf die Inhalte konzentrieren zu können. Sie müssen kein „Anzeigenumfeld“ schaffen. Blogger schreiben für Magazine, Journalisten bloggen, die Grenzen heben sich auf.

    Disclaimer: Ich war von 1995 bis 2003 Chefredakteur von Rosa Zone / Queer, arbeite seit 2003 u.a. für queer.de

  9. @ chriskoeln:
    na … auf der suche nach dem überraschungsei sind wir ja alle bisher erfolglos 😉

    danke für die vielen ideen und hinweise!

    einige anmerkungen:
    – szenemagazine: ja, da gibt es immer wieder einige bemerkenswerte artikel, berichte. allein, auch immer wieder ist zu beobachten, dass der ökonomische druck über den inhalt sieht. die siegesäule zb ist im augenblick eher nicht auf dem höhepunkt journalistischen engagements (wenn ich da nur an das wat-heftchen denke, grusel … – wie gut dass ‚männer‘ dagegen gehalten hat)
    – quersubventionierung: ja, tetu ist (wie viele vorläufer à la ‚frequence gaie‘) sicher ein sonderfall des persönlichen sponsorings Einzelner. aber – ist es so undenkbar, dass auch hierzulande wohlhabendere schwule sagen ‚mir ist es wichtig, ein gutes inhaltsreiches magazin zu haben, ich bin bereit mich zu engagieren‘? (ich weiss, ich erinnere mich an ‚magnus‘ …)
    – angebote jenseits der news: ja – darin sehe ich auch einen weg. und ich frage mich, wie wiet gerade die möglichkeiten des internet und des elektr. publizierens auch neuen wege ermöglichen, qualitativ höherwertige produkte zu produzieren, die zwar nur einen kleinen nutzerkreis / zielgruppe haben, aber angesichts deutlich niedrigerer kosten (da online, kein print) auch ökonomisch vielleicht machbar sind.

    nb, ich schätze transparenz – danke für deinen disclaimer 🙂

  10. @ ondamaris:

    Mit den Gratisblättchen haben wir uns irgendwie missverstanden. Ich würde the guardian, KStA und NYT nicht als Gratisblätter bezeichnen, obwohl sie ihren Inhalt kostenfrei zur Verfügung stellen. Mit Ausnahme des letztgenannten Blattes sind sie dabei offenbar auch wirschaftlich erfolgreich.

    Aber auch bei einem bezahlten Angebot muss ich nehmen, was ich angeboten bekomme. Denn das wir kostenpflichtige, qualitativ hochwertige und miteinander konkurrierende Medien (Plural!) im schwullesbischen Bereich bekommen, halte ich für ausserordentlich visionär.

    Der Hühnerhaufen ist kein Urteil, sondern eine Beobachtung.

    @ Chris:

    Ich verstehe das mit der Werbezurückhaltung nicht so ganz. Wo sind die Unterschiede zum UK? Ich nehme mal das Monatsmagazin out als Beispiel:

    http://www.outmag.co.uk/site/

    Das Ding ist reichlich mit Werbung ‚gesegnet‘, obwohl die Bebilderung nicht besonders zurückhaltend ist. Sind wir in Deutschland ausgerechnet im Vergleich zu den Briten wirklich so verklemmt?

  11. @ all:
    ich möchte hinweisen auf einen aktuellen artikel in der washington post von heute: „Gay Bloggers‘ Voices Rise in Chorus of Growing Political Influence“, im artikel unten verlinkt unter „Lesenswert“

  12. Zu dem Thema ist eine Studie erschienen, ich verweise auf: „Schwul-lesbischer Journalismus in Deutschland“

Kommentare sind geschlossen.