HIV im Alter – eine Geschichte des Verdrängens

Unter Menschen in höherem Lebensalter ist die HIV-Prävalenz in einigen Staaten überraschend hoch. Warum? Wo liegen Risikofaktoren? Mit diesen Fragen beschäftigte sich eine Studie im Auftrag der Welt-Gesundheits-Organisation WHO.

Auch in höherem Lebensalter sind Menschen zunehmend sexuell aktiv – und haben ein Risiko, sich mit HIV zu infizieren. Die Zahl der HIV-Infizierten in höherem Lebensalter steigt. Prävention und Behandlung halten scheinbar nicht Schritt mit den veränderten Situation.

Etwa 8 Prozent der neu diagnostizierten HIV-Infektionen in Europa werden bei Menschen festgestellt, die älter als 50 Jahre sind. In den USA liegt der Prozentsatz bei 11%.
In Deutschland waren Zahlen des RKI zufolge im Jahr 2008 sogar 12,1% der HIV-Neudiagnosen bei Menschen von 50 Jahren und älter (336 von 2.774 gemeldeten HIV-Neudiagnosen; eigene Abfrage RKI SurvStat am 03.03.2009, Datenstand 1.3.2009).

Die wesentlichen Gründe, warum Menschen in höherem Lebensalter ein größeres HIV- und HIV-Erkrankungs-Risiko haben, lassen sich der Studie zufolge auf einige wenige Punkte verdichten:

– viele Ärzte versäumen es, älteren Patienten einen HIV-Test anzubieten / bei Bedarf vorzuschlagen,
– die HIV-Infektion kann bei Menschen in einem Alter über 50 Jahren schneller voran schreiten, und
– ältere Menschen haben mit höherer Wahrscheinlichkeit unsafen Sex.

Eine  HIV-Infektion als Ursache? Viele Menschen in höherem Lebensalter kommen überhaupt nicht auf den Gedanken, sie könnten mit HIV infiziert sein, wenn sie erkranken. Und – leider oftmals auch ihre Ärzte nicht.

Die Folge: bei älteren Positiven ist der Zeitraum zwischen HIV-Diagnose und der Diagnose Aids wesentlich kürzer als bei jüngeren HIV-Positiven. Ältere Positive werden später diagnostiziert, erhalten dadurch später Zugang zu wirksamen Therapien, haben ein Risiko früher zu erkranken.

Bei Menschen in höherem Lebensalter erfolgt die HIV-Übertragung dabei überwiegend auf sexuellem Weg, konstatiert die Studie. Dazu trage auch eine höhere sexuelle Aktivität älterer Menschen bei, auch dank neuerer Medikamente zur Behandlung erektiler Dysfunktion (sog. Potenzpillen). Bei Frauen spiele zudem eine Rolle, dass die Vaginalschleimhaut mit höherem Alter dünner und empfindlicher werde.

Zudem praktizierten ältere Menschen mit geringerer Wahrscheinlichkeit safer Sex.

Das Sexualverhalten älterer Menschen sei auch in den Industriestaaten bisher kaum erforscht, es gebe kaum wissenschaftliche Studien, konstatiert die WHO. Noch weniger zuverlässige Daten  gebe es HIV-spezifisch.

Die Erfolge moderner antiretroviraler Therapien, bessere Lebensqualität und höhere Lebenserwartung, kommen insbesondere Menschen in höherem lebensalter nicht oder nur ungenügend zugute. Die Grümde sind vielfacher Natur – einige hat die Studie der WHO aufgezeigt.

Das Thema HIV und Alter wird seit längerer Zeit diskutiert – nun ist es an der Zeit, dass dem Reden Taten folgen, dass sich Prävention und Behandlung verbessern, auch für ältere Menschen. Und dass sich in Aidshilfen und Arztpraxen eine neue Aufmerksamkeit, ein neues Bewußtsein für diesen Themenbereich bildet, und auch in praktischem Handeln umsetzt. Wirksame Prövention, wirksame HIV-Behandlung – auch ältere Menschen haben ien Recht darauf.

Weitere Informationen:
WHO: The unexplored story of HIV and ageing
queer.de 04.03.2009: ‚Viagra ist schuld
.

11 Gedanken zu „HIV im Alter – eine Geschichte des Verdrängens“

  1. @Moin Ulli

    „Auch in höherem Lebensalter sind Menschen (zunehmend) sexuell aktiv . . “ wobei ich das wörtchen zunehmend ausklammere. Warum sollte man im Alter nicht mehr sexuell aktiv sein? Einer der Gründe dies überhaupt in Frage zu stellen ist das – ich pauschaliere jetzt mal – man es sich nicht vorstllen kann im Alter Sex zu haben. Sex im Alter heißt klipp und klar – das alte Menschen = ELTERN – Sex haben KÖNNTEN. 😉 Schon die Vorstellung alleine lößt besonders bei jungen Menschen eine Lähmung bzw eine Bildstörung zwischen den Ohren aus. 🙂 Sex im Alter war und ist teilweise immer noch mit einem Tabu belegt. Darüber spricht man nicht. Und wenn dann höchstens über Promis oder Filmschauspielern. Ihnen gesteht man diese „Extravaganza“ zu . . . einem normalen Sterblichen nicht. Der hat ab 50 + assexuell zu sein. Vorsicht Ironie . . .;)

  2. Die eine Seite ist es, Menschen im Lebensalter über 50 als Zielgruppe der HIV-Prävention wahrzunehmen.

    Die andere Seite ist es, sozialwissenschaftliche Forschung zum Leben der Generation 50plus zu beginne und zu verstärken. Zwar ist in der Studie 50/2010 auch ein geringer Teil der Fragen sozialwissenschaftlicher Art, das kann aber nur ein Anfang sein.

    Aufgabe der Positivenselbsthilfe ist es meiner Meinung nach, aus der Innensicht Aspekte und Fragen zu formulieren und zusammenzutragen, die für eine sozialwissenschaftliche „Studie zum Leben mit HIV 50plus“ Bedeutung haben.
    Ob die bundesweiten Positiventreffen der geeingete Ort sind, dieses Projekt anzugehen?

  3. @ Dennis:
    ja – eine unschöne ‚tradition‘, dass ältere menschen als asexuelle wesen wahrgenommen werden …
    aber – es liegt an uns, (auch) das zu ändern …
    … und auch hier, an dieser stelle das bild von menschen mit hiv zu verändern …

  4. @ termabox:
    ja, da stimme ich dir zu, diese selbst-formulierung von anliegen, interessen etc ist eine wesentliche sache.
    eines der foren dafür sollten natürlich auch die bundesweiten positiventreffen sein – wie auch (wieder) die nächsten Positiven Begegnungen …
    … und ich hoffe doch, du wirst dich dabei kreativ und engagiert wie immer einbringen?

    daneben fände ich es auch spannend, aus unserer sicht selbt fragestellungen zu formulieren, die an soziawissenschaftliche forschung herangetragen werden könnten. dort müsste es doch partner geben, bei denen wir auf ‚offene ohren‘ stossen. was denkst du?

  5. volle Zustimmung! Kooperationspartner mit offenen Ohren weiss ich schon, wir müssten nur die Fragestellungen zusammentragen und dazu einen „think tank“ aufmachen.

  6. @ termabox:
    und wie kommen wir da weiter – fragestellungen zusammentragen? und thinktank aufmachen?
    ich könnte hier auf ondamaris eine spezielle seite dafür einrichten, auf der wir zunächst fragestellungen und ideen sammeln könnten – wär das ein erster ansatz?

  7. @ ondamaris

    . . . . das bild vom menschen mit hiv zu verändern . . . .

    wie du und möglicherweise andere schon bemerkt habe unterscheidet sich mein ansatz von „being mensch + hiv positiv“ von vielen erheblich. und ums vorweg zu nehmen – of course ist mir der zusammenhang von hiv und stigma( bewertung) und das daraus resultierende bild von hiv positiven menschendas in vielen köpfen der gesellschaft präsent ist gegenwärtig.

    auch bei dem thema das du hier angesprochen hast – mein ausgangspunkt ist der mensch. der mensch wird geboren – er lebt und stirbt irgendwann. auf diesem weg wird er u.a. mit kranheit konfrontiert. das gehört zum menschsein dazu wie deine beine, der bart von termabox und meine nase. die crux fängt mit dem bewerten an. da gibt es krankheiten die werden akzeptiert und andere die sind mit vorurteilen belegt und als nicht akzeptabel bewertet. das ist die eine seite.

    meine wahrnehmung als mensch ist die das ich krank bin. ich bin hiv +. d.h. dieser virus – diese krankheit ist also teil des lebens – meines lebens. insofern wenn – was ja keiner bestreitet – krankheit zum leben dazugehört – spielt es keine rolle welchen namen die krankheit hat. ein weg der bewertung von hiv – dem stigma entgegenzutreten ist es – in unserem fall – nicht müde zu werden das krankheit zum leben – zum mensch sein dazu gehört.

    wie das kind heißt . . . . nun . . laß den namen „rose“ weg und man wirst feststellen das ihrer schönheit und den geruch den sie verbreitet kein abbruch getan wird. kepp it simple

    das damit nicht die komplexität äh kompliziertheit des menschlichen denkens – der menschlichen wahrnehmung in frage gestellt wird . . .das liegt auf der hand. q.e.d 😉

  8. p.s. im übrigen erfahre ich gerade ONTIME was es heißt HIV + UND alt zu sein.

    alt zu sein ist ok. dagegen ist die gesellschaft gewappnet und dem trägt sie rechnung. da sei jetzt mal dahingestellt in welchem umfang – maß und in welcher qualität. doch hiv positiv UND alt zu sein – zu erkennen das menschen auch mit diesem zusatz „HIV+“ das gleiche nicht nur zusteht sondern die das gleiche bedürfen wie der nicht HIV positive alte mensch . . . . da tendiere ich immer mehr dazu rosa von praunheims zitat abzuwandeln: nicht der kranke mensch ist krank sondern die gesellschaft . . . . . . . . 🙁

  9. Hi alle,

    Kollegen der Medizinische Rundreise haben sich die Originalpublikation einmal näher angeschaut und machen ein paar wenige Anmerkungen dazu:

    Allein schon der erste Satz „As people in developing and industrialized countries increasingly live longer, healthier lives“ ist in dieser Lapidarität (?) unglaublich.

    Die Autoren scheinen es zu nehmen, wie es ihnen günstig erscheint. Sonst wird doch immer erzählt, dass die steigende Mortalität und sinkende Lebenserwartung in Entwicklungsländern im Wesentlichen auf HIV zurückzuführen ist.

    Und nun leben sie plötzlich alle länger und gesünder. Bestimmt dachte der Autor Schmid dabei an Gegenden wie Darfur oder Simbabwe.

    Es ist schließlich bekannt dass in den letzten 20 Jahren die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter aufgeklafft ist, dass es keine dramatischen Verarmungstendenzen in den meisten Ländern gibt, und natürlich wissen wir alle, dass in den letzten 10 Jahren der Anteil der Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, auf Null reduziert werden konnte. (Vorsicht: Sarkasmus!!!)

    Daher ist es auch kein Problem, einen Artikel einzuleiten mit dem Satz „As people in developing and industrialized countries increasingly live longer, healthier lives…“ – schließlich handelt es sich um selbstverständliches Wissen.

    Die „vier Jahre“, die jemand, der sich nach de 65. Lebensjahr infiziert hat, durchschnittlich noch zu leben hat(te), bezieht sich auf Zeiträume Anfang bis Mitte der 1990er (pre-HAART Ära) – ergibt sich aus der angeführten Literatur „Time from HIV-1 seroconversion to AIDS and death before widespread use of highly-active anti-retroviral therapy. A collaborative analysis. Lancet 2000“

    Das hätten die Journalisten vielleicht mal dazu sagen sollen, dann wäre der allgemeine Aufschrei leiser aufgefallen….

    Verkaufen tun sie es aber als neue WHO-Erkenntnisse….

    Unglaublich.

    Fazit: Es lohnt sich immer, die Quelle zu lesen, anstatt wem auch immer hinterher zu laufen.

    Erst schießen, dann fragen oder gar nicht fragen gilt nicht! 🙂

    Grüße

    Bernd

  10. Pingback: Älter werden mit HIV – Publikationen 2009 « Termabox

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