„Aids ausrotten über Nacht“ – EKAF extrem

Aids ausgerottet, über Nacht – ein Bericht in einem populärwissenschaftlichen Magazin skizziert ein faszinierendes Szenario – und lässt wesentliches außer Acht.

Aids los zu werden – eine Vorstellung, die schon seit Beginn der HIV-Epidemie als Wunsch auftaucht, als Wunsch, der eher Utopie zu sein scheint – zu sehr ist selbst nach über 25 Jahren eine Heilung von HIV noch in weiter Ferne.

Aids los zu werden – immer wieder auch ein Thema, das die Medien bewegt. Nun auch das populärwissenschaftliche Magazin ‚New Scientist‘.

Eine Gesellschaft ohne Aids: Ja – die EKAF (‚keine Infektiosität bei erfolgreicher Therapie ohne andere STDs‚) mache dies möglich. So zumindest die Grund-Annahme eines Szenarios, das der New Scientist skizziert.

Und der Weg zu einer Aids-freuen Gesellschaft sei auch ganz einfach:

„Here’s how it works. If someone who is HIV positive takes antiretroviral-drug therapy they can live a long life and almost never pass on the virus, even through unprotected sex. So if everyone with HIV were on therapy, there would be little or no transmission. Once all these people had died, of whatever cause, the virus would be gone for good.“

Wahrhaft eine simple Idee. Alle Positive nehmen antiretrovirale Therapie, sind dann nicht mehr infektiös, irgendwann verstorben – und mit ihnen ist Aids verschwunden.

Nur dass der Report einige Kleinigkeiten vergisst. Die Schwierigkeiten, in allen Regionen der Welt für eine medikamentöse Versorgung zu sorgen, werden angesprochen. Die (vermutlich immensen) Kosten für einen derartigen Plan auch.
Andere Punkte nicht oder nicht ausreichend, wie z.B.
– wie stellt man alle HIV-Infektionen fest? Freiwillig?
– soll das weltweit gemacht werden? Oder -wenn nicht- wie will man Reisen und Infektionen auf Reisen verhindern?
– wie schafft man es, dass alle HIV-Infizierten die Medikamente nehmen? Freiwillig?
– Und wenn dann doch einer, eine …?
– …

Viele ungestellte, viele unbeantwortete Fragen. Aber was soll’s – der Nutzen macht’s:

„Yet the idea of eliminating HIV is so appealing, and the benefit to humanity so huge, that scientists and policy-makers are seriously considering the concept, albeit on regional scales.“

Bei so viel gesellschaftlichem Nutzen – da kann man schon mal Bedenken beiseite wischen, zumal wenn sie nur ethischer Natur sind.

Und wenn die HIV-Positiven nicht mitmachen wollen? Oder, einfacher, wenn die (oder auch nur einige) Positiven einfach nicht (oder nicht schnell genug) sterben wollen, durch die erfolgreichen Therapien immer länger leben – was dann? Kommt nicht irgendwann die Verlockung auf, nachzuhelfen? Natürlich nur im Interesse der Gesellschaft, für das ‚höhere Ziel‘ der „Ausrottung von Aids„?

Zynisch, ja. Aber – sind derartige Szenarien, die die Interessen und Lebensbedingungen von HIV-Infizierten dermaßen außer Acht lassen, weniger zynisch?

Umso bestürzender, dass nichtsdestotrotz diese Idee wohl ernsthaft erwogen wird:

„In the next few months the World Health Organization (WHO) will meet to discuss how the idea could be tried in developing countries, and something approaching elimination might be attempted in the UK within the next decade.“

Auf den Punkt gebracht, in all seine zynischen Absurdität, wird das Szenario von einem HIV-Spezialisten – von Marcus Conant, einem der ersten Ärzte, die HIV-Positive behandelten:

„“You could eliminate transmission overnight,“ says Marcus Conant, an HIV specialist in San Francisco.“

HIV ausgerottet, über Nacht – nur die Positiven, die stören irgendwie noch. Noch.
EKAF extrem …
(Schließlich, betont der Bericht, man wolle ja nicht etwa einen Politik-Wechsel – man wolle nur ‚Diskussionen anregen‘ …)

newscientist 19.2.2009: ‚Are we about to elimintae Aids?‚ (dreiteilig)
(und Danke an Clamix für den Hinweis!)
.

3 Gedanken zu „„Aids ausrotten über Nacht“ – EKAF extrem“

  1. Bevor von diesen Leute gleich das große Ziel einer Welt ohne Aids ausgerufen wird, sollten sie doch lieber mal kleinere Schritte machen. Verbesserung der medikamentösen Versorgung in Entwicklungsländern, weitere Verbreitung des Safer Sex-Gedankens in dieser Region und zugehöriges Zurückdrängen des Einflusses der Kirchen die immernoch den Kondomverzicht predigen. Das befreit die Welt zwar nicht über Nacht vom Virus, macht sie aber zu einem besseren weil humanerem Ort. Aber da steht ja das Interesse der Pharmakonzerne und Kirchen im Weg. Wird also nicht passieren…

  2. Hi ihr,

    kalter Kaffee. Die WHO hat im Lancet Ende letzten Jahres bereits ein mathematisches Modell veröffentlicht. Reuben M Granich, Charles F Gilks, Christopher Dye, Kevin M De Cock, Brian G Williams: Universal voluntary HIV testing with immediate antiretroviral therapy as a strategy for elimination of HIV transmission: a mathematical model. The Lancet; Published Online November 26, 2008 DOI:10.1016/S0140-6736(08)61697-9

    Auf der diesjährigen CROI kamen noch weitere Modelle und eine rege Debatte über die Machbarkeit (etwa in Afrika) und die Implikationen. Wohl gemerkt: es handelt sich dabei um theoretische Modelle, die überhaupt erst einmal darlegen sollen, ob das überhaupt theoretische eine Option ist. Mehr nicht. Schaut man sich die damit verbundenen praktischen Probleme an, wird eine solche Überlegung auf die Welt bezogen erst einmal absurd.

    Gleiches galt und gilt übrigens auch für die Heilung (theoretisch unter bestimmten Bedingungen denkbar, praktisch derzeit – naja, absurd ist was stark, aber …- doch was sehr unrealistisch! Was aber etliche Forschergruppen glücklicherweise nicht daran hindert, daran zu arbeiten und auch kleine aber feine Fortschritte zu erzielen, diese Bedingungen zu erfüllen.

    Sorry, aber vielleicht bin ich ja einfach nur völlig blöd: Wie kann man – sollte die Behandlung eine ernsthafte Option sein, die Pandemie drastisch zu reduzieren (was derzeit kein Wissenschaftler denkt) – diese Option wegen des damit verbundenen finanziellen Nutzens für die Medikamentenhersteller verwerfen?

    Vor allem: NIEMAND (!!!) stellt die Eradikation der Pandemie als Endziel den von mithrasx beschriebenen Schritten im Sinne von entweder -oder gegenüber!

    Gruß

    Bernd

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