Taiwan: versehentlich Organe eines HIV-Positiven transplantiert – zwei Kliniken bestraft (akt.3)

Ärzten in Taiwan ist ein potentiell folgenreicher Fehler unterlaufen: sie transplantierten fünf Organe eines HIV-Positiven.

Herz, Leber, Lunge, beide Nieren – fünf Organe eines 37-jährigen HIV-Positiven Spenders transplantierten am 24. August 2011 Ärzte im National Taiwan University Hospital NTUH in Taipei, einem der renommiertesten Krankenhäuser Taiwans, sowie im National Cheng Kung University Hospital. Der Spender war wenige Tage zuvor infolge eines Unfalls verstorben. Seine Familie, die von seiner HIV-Infektion nichts wusste, hatte die Organentnahmen freigegeben.

Der Spender wurde routinemässig auf HIV untersucht, dabei wurde auch seine HIV-Infektion erkannt. Jedoch kam es Medienberichten zufolge zu einem Kommunkations-Fehler – ein Mitarbeiter habe fälschlicherweise verstanden, die Probe sei „non-reactive“ statt korrekterweise „reactive“. Vier Organe wurden im National Taiwan University Hospital transplantiert, eines des gleichen Patienten weitergeleitet an das National Cheng Kung University Hospital. Auch hier kam es scheinbar zu Kommunikationsproblemen.

Der verstorbene Organ-Spender war registriert als HIV-infiziert. Er erhielt bis kurz vor seinem Unfall an einem der 24 ‚Aids Care Center‘ Taiwans antiretrovirale Medikamente. Aus Datenschutz-Gründen seien seine Daten nicht in der Transplantations-Klinik verfügbar gewesen.

Das National Taiwan University Hospital entschuldigte sich für den Fehler.

Die Information über den HIV-Status hätte nicht nur per Telefon weitergegeben werden dürfen, sie hätte auch nochmals überprüft werden müssen, betonten taiwanesiche Behörden. Wegen „krimineller Ärztefehler“ wurden nun Ermittlungen eingeleitet. Das Gesundheitsministerium wurde am Samstag (27.8.2011) über den Vorfall informiert. Es kündigte an, falls es zu Fehlverhalten seitens der Klinik gekommen sei, könnte dem Krankenhaus für ein Jahr die Erlaubnis zur Durchführung von Transplantationen entzogen werden.

Die fünf Empfänger der transplantierten Organe erhalten nun vorsorglich antiretrovirale Medikamente. Aufgrund der Organ-Transplantationen erhalten sie zugleich Immunsuppressiva (die Abstossungsreaktion des Immunsystems unterdrückende Medikamente). Dies könne es zu einer weiteren Komplizierung der Situation führen, so Experten.

In den USA (wie auch in anderen Staaten) waren jüngst vermehrt Forderungen laut gewordern, HIV-Positive sollten als Organspender zugelaassen werden – für andere HIV-Positive.

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Aktualisierung
31.08.2011, 13:30
: Die zwei Krankenhäuser müssen jeweils eine Geldstrafe von umgerechnet 3.600€ zahlen. Falls sich Transplantat-Empfänger mit HIV infiziert haben, kommen vermutlich zusätzlich Schadenersatz-Klagen auf sie zu.
02.09.2011, 21:30: Aufgrund der Vorfälle trat der Chef des Organ-Transplantations-Team des National Taiwan University Hospital NTUH, Ko Wen-tse, zurück.
30.09.2011, 21:45: Die fünf Empfänger der Organe wurden weiterhin HIV-negativ getestet, berichtet Xinhua.

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weitere Informationen:
ctv.ca 29.08.2011: Taiwan hospital mistakenly transplants HIV-infected organs
Want China Times 28.08.2011: Taiwanese hospital mistakenly transplants HIV-infected organs
Focus taiwan 27.08.2011: Prestigious hospital transplants organs from HIV-infected donor
HIVtravel.org Taiwan
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USA: Positive fordern Organe HIV-positiver Spender statt langer Transplantations-Warteliste

HIV-Positive sollen als Organ-Spender für andere HIV-Positive zugelassen werden – entsprechende Bemühungen laufen in den USA. Ein Weiterbestehen des Verbots sei unbegründet und schädlich. In Deutschland hingegen bleiben HIV-positive Organspenden derzeit weiterhin verboten.

HIV-Positive haben aus zahlreichen Gründen potentiell ein erhöhtes Risiko von Organ-Versagen oder schweren Organ-Schäden, so dass sie auf Organspenden angewiesen sein könnten: Medikamente, zudem jahre- oder jahrzehntelang genommen, können Organe wie Leber und Niere unter Umständen stark schädigen. HIV-Infektion und Medikamente haben Nebenwirkungen, können das Risiko für manche Erkrankungen wie Herzinfarkte erhöhen. Und HIV-Positive haben ein erhöhtes Risiko, an zum Beispiel Hepatitis B oder Hepatitis C zu erkranken – Infektionen, die wiederum Organe wie die Leber stark schädigen können.

Die Zahl der HIV-Positiven, die an starken Schäden oder Versagen lebenswichtiger Organe leiden, wird zukünftig weiterhin zunehmen. Der Bedarf an Spenderorganen für HIV-Positive damit auch.

Das Problem: lange waren HIV-Positive als Empfänger von Organtransplantationen ausgeschlossen. Und: Spender-Organe sind knapp, es existieren zum Teil lange Wartelisten, mit der Folge, dass zahlreiche Menschen (auch HIV-Positive) auf der Wartelisten versterben (sog. Wartelisten-Sterblichkeit).

In den USA laufen nun Bemühungen, HIV-Positive als Organspender für HIV-Positive zuzulassen. In Deutschland sind HIV-Positive seit 2003 unter bestimmten Umständen als Empfänger von Organen zugelassen – nicht jedoch als Spender.

International sind bisher nur aus Südafrika Organ-Transplantationen von einem HIV-positiven Spender zu einem HIV-positiven Empfänger bekannt: ein Chirurg in Kapstadt führte mehrere Nieren-Transplantationen durch, nach ersten kritischen Fragen mit Zustimmung der lokalen Ethik-Kommission. Bei zehn operierten Patienten kam es nur in einem Fall zu einer Abstossungs-Reaktion. 15 weitere Patienten sollen auf der Warteliste stehen

USA: HIV-Positive und Ärzte fordern Zulassung HIV-Positiver zu Organspende

Auch in den USA sind HIV-Positive bisher von der Organspende ausgeschlossen. Hintergrund ist bisher u.a., Empfänger von gespendeten Organen vor dem Risiko einer potentiellen HIV-Infektion möglichst zu schützen.

Als Empfänger von Spender-Organen sind HIV-Positive in den USA nicht ausgeschlossen. Im Jahr 2009 erhielten in den USA über 100 HIV-Positive neue Nieren, sowie 29 HIV-Positive neue Lebern. Doch Spender-Organe sind knapp – und eine Organspende von verstorbenen HIV-Positiven in den USA bisher verboten.

Doch dieses Verbot könnte nun wackeln: die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC arbeitet derzeit an einer Aktualisierung der Transplantations-Richtlinie. Und zahlreiche Ärzte sowie HIV-Positive fordern, das strikte Organspende-Verbot für HIV-Positive zu lockern: Organe verstorbener HIV-Positiver könnten das Leben zahlreicher HIV-Positiver retten, die auf Spender-Organe angewiesen sind.

Eine Ende März 2011 im ‚American Journal of Transplantation‘ veröffentlichte Studie von Forschern der Johns Hopkins University School of Medicine kommt zu dem Schluss, die Zulassung der Organspende von verstorbenen HIV-Positiven könne die Wartelisten-Sterblichkeit bei HIV-Positiven deutlich verringern. Ein weiter bestehendes rechtliches Verbot erscheine nicht gerechtfertigt:

„For HIV-infected patients, HIV-infected deceased donors (HIVDD) could attenuate the organ shortage and waitlist mortality. … Deceased HIV-infected patients represent a potential of approximately 500–600 donors per year for HIV-infected transplant candidates. In the current era of HIV management, a legal ban on the use of these organs seems unwarranted and likely harmful.“

Einige Ärzte befürchten, eine Transplantation eines Organs eines HIV-positiven Spenders könne für den Empfänger das Risiko erhöhen, sich zusätzlich mit einem aggressiveren Stamm von HIV oder mit einem Stamm mit Medikamenten-Resistenzen zu infizieren. Andere Ärzte allerdings halten dieses Risiko für beherrschbar, unter anderem durch eine gezielte Auswahl von Spendern und Empfängern.

Die CDC können das bisherige strikte Verbot HIV-Positiver als Organspender nicht im Alleingang verändern: seit 1984 ist es auf Bemühen des Kongresses gesetzlich festgeschrieben (im ‚National Organ Transplant Act‘). Die Bemühungen von CDC, Ärzten und HIV-Positiven werden in den USA inzwischen auch von der ‚H.I.V. Medicine Association‘ unterstützt.

Organspende und HIV – Die Situation in Deutschland

In Deutschland ist die Situation bisher prinzipiell ähnlich wie in den USA: Als Spender von Organen kommen Menschen mit HIV in Deutschland bisher generell nicht in Betracht. Im Mittelpunkt steht dabei u.a. das Ziel, „das Risiko der Übertragung von Krankheiten so gering wie möglich zu halten“.

Zur Frage, ob HIV-Positive Empfänger von Spender-Organen sein können (was lange Zeit nicht möglich war), formuliert PD Dr. Christian Hoffmann im HIV-Buch

„Seit 2003 können HIV-positive Patienten nach den Richtlinien der Bundesärztekammer gemäß §16 Transplantationsgesetz „nach Prüfung aller Einzelumstände“ auf Wartelisten aufgenommen werden.“

Für HIV-Positive auch in Deutschland dürfte die Frage einer Organtransplantation in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Prof. Jürgen Rockstroh:

„Künftig ist damit zu rechnen, dass allein durch die deutlich verlängerte Überlebenszeit bei mehr HIV-Patienten Transplantationen erforderlich sein werden als früher. Wegen des erhöhten Risikos einer Leberinsuffizienz im Rahmen HIV-typischer Komorbiditäten wie beispielsweise Hepatitis C und Hepatitis B wird vor allem der Bedarf an Leberorganen steigen. Von den 40 000 bis 60 000 HIV-Patienten in Deutschland sind etwa 15 Prozent mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) koinfiziert, und rund zehn Prozent sind Träger des Hepatitis-B-Oberflächenantigen (HBs). In einigen HIV-Kohorten ist Leberversagen inzwischen eine häufigere Todesursache als Aids.“

Hinzu kommt, dass bei weitem nicht nur die Leber als wesentliches Organ relevant sein könnte – auch Niere, Herz oder andere Organe werden zukünftig für HIV-Positive potentiell für die Frage einer Transplantation an Relevanz gewinnen.

Von Bemühungen, das Verbot der Organspende durch HIV-Positive zu lockern, ist in Deutschland im Gegensatz zu den jüngsten Bemühungen in den USA bisher nichts bekannt.

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Dass HIV-Positive inzwischen auch in Deutschland unter bestimmten Umständen als Empfänger von Spender-Organen in Betracht kommen, ist ein Fortschritt. Das Aufnehmen in die Warteliste ist allerdings nur ein Schritt – der noch nicht besagt, dass auch tatsächlich in vertretbarer Zeit ein Spenderorgan zur Verfügung steht. Die Bemühungen der CDC, von Ärzten und HIV-Positiven in den USA, dann doch auf Spender-Organe HIV-Positiver zurück zu greifen, erscheint so nachvollziehbar.

Der steigende Bedarf an Spender-Organen wird dieses Thema vermutlich auch in Deutschland bald auf die Agenda bringen.

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weitere Informationen:
Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben (Transplantationsgesetz – TPG) (pdf)
USA: National Organ Transplantation Act / Amendment mit dem Ausschluss HIV-Positiver als Organspender (pdf)
Christian Hoffmann: Organtransplantation bei HIV-Infektion. in: HIV-Buch 2010
Prof.Dr. Jürgen Rockstroh: Organtransplantation bei HIV-Infektion: Diskussionsgrundlage vor dem Hintergrund verbesserter antiretroviraler Therapie. in: Deutsches Ärzteblatt 07.07.2004
B. J. Boyarsky et al.: Estimating the Potential Pool of HIV-Infected Deceased Organ Donors in the United States. in: American Journal of Transplantation 28.03.2011 (abstract)
Peter G. Stock et al.: Outcomes of Kidney Transplantation in HIV-Infected Recipients. in: NEJM 18.11.2010 (abstract)
Elmi Muller et el: Renal Transplantation between HIV-Positive Donors and Recipients. Brief in NEJM 17.06.20120
Star Global Times 04.04.2011: HIV Positive – Lifting Of Ban For Organ Donations From HIV Patients Sought
Advocate 11.04.2011: HIV Patients Want to Accept Infected Organs
Pinknews 11.04.2011: US: HIV patients want right to HIV organ transplants
HIVplus 11.04.2011: HIV Patients Willing to Accept Infected Organs
New York Times 11.04.2011: A New Push to Let H.I.V. Patients Accept Organs That Are Infected
Queer 12.04.2011: USA: Debatte um HIV-positive Organspender
Ärztezeitung 13.04.2011: Diskussion um Organe von HIV-Infizierten
Ärztezeitung 13.04.2011: Kommentar: Jedes zusätzliche Organ zählt
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Hepatitis: Fachbuch online gratis

Viele HIV-Infizierte sind auch mit Hepatitis B oder Hepatitis C infiziert. Vielfältige Informationen über verschiedene Formen der Virus-Hepatitis liefert das Lehrbuch ‚Hepatology 2009‘, das online unentgeltlich erhältlich ist.

Mit allen wesentlichen Aspekten von Forschung, Behandlung und Diagnose aller Formen der Hepatitis befasst sich das englischsprachige Fachbuch (‚clinical textbook‘) ‚Hepatology 2009‘. Das Buch, das in gedruckter Fassung für 60,-€ zu erwerben ist, steht als pdf unentgeltlich zum Download zur Verfügung.

Die einzelnen Kapitel:

1 Hepatitis A – Epidemiology, transmission and natural history
2 Hepatitis B – Epidemiology, transmission and natural history
3 Hepatitis C – Epidemiology, transmission and natural history
4 Hepatitis E – Epidemiology, transmission and natural history
5 HBV Virology
6 HCV Virology
7 Prophylaxis and vaccination of viral hepatitis

Hepatitis B and D
8 Acute and chronic hepatitis B – Diagnostic tests
9 HBV Treatment – Standard of care
10 HBV – Resistance and implications for therapeutic strategies
11 Hepatitis D – Diagnostic procedures and therapy

Hepatitis C
12 Acute and chronic hepatitis C – Diagnostic tests
13 Standard of care
14 New agents for treatment
15 Management of adverse drug reactions
16 Extrahepatic manifestations of chronic hepatitis C

Coinfections
17 Management of HBV/HIV coinfection
18 Management of HCV/HIV coinfection
19 Management of HBV/HCV coinfection

Liver Fibrosis
20 Assessment of hepatic fibrosis in chronic viral hepatitis

Hepatocellular Carcinoma (HCC)
21 Diagnosis, prognosis & therapy

Liver Transplantation
22 Management of patients before and after liver transplantation
23 Liver transplantation in hepatitis B and C and HIV coinfection

Autoimmune and Metabolic Liver Disease
24 Metabolic Liver Diseases: Haemochromatosis
25 Metabolic Liver Diseases: NAFLD & NASH
26 Metabolic Liver Diseases: Wilson’s Disease
27 Autoimmune hepatitis, PSC and PBC – Etiology, diagnosis, Natural History and Therapy

Zu den Herausgebern von ‚Hepatology 2009‚ gehören u.a. S. Mauss und J. Rockstroh.

‚Hepatology 2009‘
501 Seiten
weitere Informationen auf hepatologytextbook.com
Direktlink zur pdf-Ausgabe (9MB)
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und … Dank an ‚Leviathan‘ vom Forum HIV für den Hinweis …