Die Krankenversicherung muss nicht für die Methadon-Behandlung eines Drogengebrauchers aufkommen, urteilt das Landgericht Nürnberg-Fürth.
Ein Drogengebraucher genießt für die Methadon-Behandlung keinen Versicherungsschutz seiner Krankenkasse. Schließlich nehme er seine Abhängigkeit bewusst in Kauf. So urteilte Ende 2008 das Landgericht Nürnberg-Fürth. Die Krankenversicherung müsse die Kosten für eine Methadon-Behandlung nicht übernehmen.
Auf ein entsprechendes jüngst publiziertes Urteil weist die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltsvereins hin:
„Wer seine Abhängigkeit von Heroin bewusst in Kauf nehme, führe den Versicherungsfall der möglichen späteren Methadon-Behandlung vorsätzlich herbei. In solchen Fällen müsse die Krankenkasse nicht zahlen.“
Das Urteil gilt für eine Private Krankenversicherung.
In der Gesetzlichen Krankenversicherung werden die Kosten einer Substitutions-Behandlung mit Methadon übernommen – auf Antrag:
„Die Kosten der Methadonbehandlung werden bei entsprechender medizinischer Indikationsstellung vom substitutionsberechtigten Arzt durch die gesetzliche Krankenkasse übernommen. Dies klärt der Arzt mit Ihnen beim ersten Untersuchungs-/ Vorstellungstermin in der Substitutionspraxis. Danach wird der Antrag zur Kostenübernahme vom behandelnden Arzt bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gestellt. Erst mit der Erteilung des Genehmigungsbescheides durch die KV werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen.“ (midames – Münchner Informationssystem Drogen Alkohol Medikamente Eßstörungen Sucht)
In der Privaten Krankenversicherung können die Kosten für eine Methadon-Therapie auch weiterhin aus Kulanz vom Versicherer übernommen werden..
Es verwundert, warum der Deutsche Anwaltsverein jetzt auf dieses Urteil hinweist OHNE den Hinweis, dass es für die private Krankenversicherung gilt – und eine Debatte anstößt.
In der Private Krankenversicherung gilt zunächst Vertragsfreiheit – ein Grund mehr, sich diesen Schritt genau zu überlegen. Der Fall der Methadon-Behandlung zeigt mögliche Konsequenzen …
Viel wichtiger aber ist die Frage nach Konsequenzen, wenn sich der Grundgedanke dieses Urteils auch generell durchsetzen sollte.
Denn – welcher Gedanke steht hinter diesem Urteil? Wieder der des Schuldprinzips. Wer für ein gesundheitliches Problem selbst verantwortlich ist, für den solle die Krankenversicherung auch nicht aufkommen, so diese Denkweise.
Eine gefährliche Denkweise, die an den Grundfesten unseres Versicherungssystems kratzt – nämlich dem der Solidargemeinschaft. Alle Versicherten stehen gemeinsam für alle Probleme aller ein. Durch die Verteilung der Kosten auf alle muss niemand existentielle Probleme aufgrund eines gesundheitlichen Problems befürchten – egal aus welchem Grund.
Wer dieses Prinzip aushöhlt – besonders, indem er das Schuldprinzip einführt -, legt damit die Axt an eines der Grundprinzipien unserer Gesellschaft, gefährdet den sozialen Frieden.
HIV-Positive sollten hellhörig werden: wer so denkt, wird irgendwann auch die Frage stellen, wie weit jemand für seine HIV-Infektion „selbst schuld“ sei – und die Übernahme Behandlungskosten durch die Gesetzliche Krankenversicherung in Frage stellen.
Danke an L. und das Forum für den Hinweis!.
weitere Informationen:
Landgericht Nürnberg-Fürth 11. Dezember 2008 (AZ: 8 O 3170/07) (publiziert u.a. in VersR Heft 20, 5. Juli 2009)
Ärzte-Zeitung 17.07.2009: PKV muss nicht aufkommen für die Methadonbehandlung
Deutscher Anwaltverein 28.08.2009: Krankenkasse muss Methadon-Behandlung nicht zahlen
Deutsches Ärzteblatt 28.08.2009: Urteil: Krankenkasse muss Methadon-Behandlung nicht zahlen
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schändlich!
Schändlich? Sicher!
Ein Präzedenzfall? Nein!
Die gleiche Argumentation ist doch auch bei Zahnersatz schon gängige Praxis. Die Kosten werden so nicht mehr übernommen weil man doch hätte putzen können. Welche Ursache wirklich dahinter steckt oder ob das überhaupt wichtig sein sollte, wird nicht gefragt.
Auch aus meiner Sicht ein problematisches Urteil, auch wenn die Begründungen betr. Vertragsfreiheit bei PKV und Schuldprinzip nachvollziehbar sind. Das Schuldprinzip ist im Bereich Krankenversicherung meiner Meinung nach kaum praktisch anwendbar. Ist das Kind schuld an seinen schlechten Zähnen, wenn die Eltern ihm nicht beigebracht haben, richtig die Zähne zu putzen? Sind die Eltern schuld, wenn sie Testberichten und den Aussagen von Werbung geglaubt und eine Zahncreme gekauft haben, die sich später als nicht wirklich gut herausstellt? Wie misst man den Grad einer Teilschuld? Wer kann rückwirkend sagen, ob jemand in seinem Leben „zu viel oder nicht gesund genug“ gegessen hat und z.B. für die Kosten von Fettleibigkeit aufkommen muss, weil er „selbst Schuld“ ist? Bei Methadon ist die Schuldzuweisung relativ einfach, aber das Aushöhlen des Solidaritätsprinzips mit Anwendung des Schuldprinzips führt uns wie im Artikel zutreffend dargestellt direkt zu noch viel schwierigeren Konstellationen, wo sich „grobe Fahrlässigkeit“ bzw. Eigenverschulden kaum konkret feststellen, quantifizieren bzw. beweisen lassen.