„Erfolgs“-Meldung von thailändischer Impfstoffstudie: Die Botschaft hör’ ich wohl – allein mir fehlt der Glaube

Eine vermeintlich erfolgreich abgeschlossene HIV-Impfstoff-Studie sorgte Ende September 2009 für Schlagzeilen – und erste Skepsis (siehe Kommentar „Das Impf-Wunder von Thailand: warum ich skeptisch bin … „). Zu dieser Studie heute ein Gastbeitrag von Siegfried Schwarze, Projekt Information, München:

Eine Heilung für bereits HIV-Infizierte und eine Impfung für noch nicht Infizierte – diese beiden Punkte stehen ganz oben auf der Wunschliste der Forscher. Beide schienen bis vor kurzen noch in weiter Ferne. Doch dann kam eine unerwartete Meldung: Die größte je durchgeführte HIV-Impfstoffstudie RV144 zeige „ermutigende Resultate“ mit einer „31%igen“ Reduktion der HIV-Infektionen (Zitate aus der Pressemitteilung von UNAIDS). So oder ähnlich lauteten dann die Meldungen in praktisch allen Medien und einige „Experten“ verstiegen sich dann zu Aussagen, dass dies zwar nur ein erster Schritt sei, dass aber bald weitere folgen würden und die Impfung für alle nur noch wenige Jahre entfernt sei.

Klingt zu schön um wahr zu sein? Ein Grund mehr, sich die Studie und ihre Ergebnisse etwas genauer anzusehen.
Zunächst einmal die Fakten:
– Die Studie wurde in Thailand durchgeführt und dauerte von Oktober 2003 bis Juni 2009. Die letzten Impfungen wurden im Juli 2006 durchgeführt.
– Die Kosten von ca. 120 Millionen US$ wurden zu ¾ vom amerikanischen Gesundheitsministerium (NIH) und zu ¼ vom U.S. Military Health Research Program (MHRP) getragen.
– 16.402 Thais im Alter von 18 bis 30 Jahren nahmen freiwillig an der Studie teil. Sie sollten einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen, ohne dass  Personen mit hohem Risiko bevorzugt oder ausgeschlossen worden wären.
– Die Probanden erhielten zu Studienbeginn und anschließend alle sechs Monate ein Training, wie HIV-Infektionen zu verhindern sind.
– Die verwendeten Impfstoffe ALVAC und AIDSVAX sind nicht neu. Beide hatten sich in früheren, kleinen Studien bereits als unwirksam erwiesen (allerdings waren sie alleine und nicht in Kombination verabreicht worden). Die Idee war, dass der eine Impfstoff (ALVAC) eine T-Zell-Antwort gegen HIV hervorrufen sollte, während AIDSVAX die Produktion von Antikörpern gegen gp120 von HIV stimulieren sollte.
– Im Beobachtungszeitraum (drei Jahre nach der letzten Impfung) infizierten sich mit HIV:
o 74 von 8.198 Probanden im Placebo-Arm
o 51 von 8.197 Probanden, die tatsächlich die Impfungen erhalten hatten.

– Diese Zahlen bedeuten:
o Die Infektionswahrscheinlichkeit im Placebo- Arm betrug 74/8.198 = 0,00903 (entsprechend 0,903%)
o Die Infektionswahrscheinlichkeit der Geimpften betrug 51/8.197 = 0,00622 (entsprechend 0,622%)
o Die Differenz daraus (0,903-0,622 = 0,281) geteilt durch die Infektionswahrscheinlichkeit im Placebo-Arm (0,903) ergibt dann die Risikoreduktion von 0,31, enstprechend 31%. Dieses Ergebnis war statistisch signifikant (und wurde in den Medienberichten immer wieder betont).
o Anders formuliert heißt das, man muss 10.000 Menschen impfen um 28 vor einer HIV-Infektion zu schützen.
– Auffällig ist, dass bei Probanden, die sich trotz Impfung infiziert hatten, die Viruslast im Durchschnitt genauso hoch ist wie bei nicht Geimpften. Von einem teilweise wirksamen Impfstoff würde man zumindest erwarten,
dass nach der Infektion wenigstens die Viruslast geringer ist.

Bedeuten diese Zahlen also wirklich, dass die Studie einen Erfolg gezeigt hätte?
Zunächst einmal: was soll eine 31%ige Risikoreduktion eigentlich bedeuten? Heißt das, 31% der Menschen, die einem Infektionsrisiko ausgesetzt waren, sind zu 100% geschützt oder bedeutet es, das bei jedem Risikokontakt das Infektionsrisiko um 31% verringert war? Dies ist ein fundamentaler Unterschied, denn im ersten Fall gäbe es eine Gruppe, die sich niemals infizieren würde, im zweiten Fall wäre es nur eine Frage der Zeit (und des kumulativen Infektionsrisikos) bis trotzdem alle infiziert wären. Diese Frage ist noch völlig offen.

Auch die “statistische Signifikanz” ist so eine Sache. Wenn man die Ergebnisse auf der Basis der wenigen verfügbaren Daten nachrechnet (Interessierte können unter dem Stichwort „Vierfeldertest“ die entsprechenden Formeln im Internet finden), so kommt man auf ein „Signifikanzniveau“ von etwa 3,9%, d.h. mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin 3,9% ist der Unterschied zwischen den beiden Gruppen rein zufällig! In medizinischen Studien ist es üblich, bei einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 5% für ein zufälliges Ergebnis von „statistisch signifikant“ zu sprechen. Das heißt aber nicht, dass das Ergebnis nicht trotzdem zufällig sein kann, wenn auch nur mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 5%.
Hinzu kommt aber, dass die Studie sehr groß, die Zahl der Infizierten aber in beiden Gruppen vergleichsweise gering ausfällt. Hätten sich in der Placebo- Gruppe nur zwei Probanden mehr angesteckt (oder in der Gruppe der Geimpften zwei weniger), wäre der Unterschied statistisch nicht mehr signifikant! Echte Erfolge sehen anders aus.

Natürlich sind sich viele Forscher der Schwäche dieser Ergebnisse bewusst, aber kaum einer nennt das Kind beim Namen – alle sprechen von einem „ersten Schritt“ und „ermutigenden Ergebnissen“, davon dass man „noch mehr Daten auswerten“ müsse und „weitere Studien folgen“ müssten.

Vielleicht hilft es, sich noch einmal die Geschichte dieser Studie ins Gedächtnis zu rufen:
2004, als die ersten Studienteilnehmer geimpft wurden, veröffentlichte eine Gruppe von Wissenschaftlern einen Brief im Wissenschaftsmagazin „Science“, in dem sie einen Abbruch der Studie forderten. Ihre Kritik bezog sich vor allem darauf, dass auf der Basis bereits durchgeführter Studien bekannt war, dass weder ALVAC noch AIDSVAX eine nennenswerte Immunantwort gegen HIV hervorrufen. Mit einer Wirksamkeit war also nicht zu rechnen. Die Wissenschaftler fürchteten, dass ein Fehlschlag in dieser riesigen Studie das Vertrauen der Politik und der Öffentlichkeit in die HIV-Impfstoffforschung ruinieren würde. Deshalb wurde übrigens eine ähnliche Studie, die in den USA geplant war, nicht durchgeführt. Statt dessen, so argumentierten sie, sollte man das Geld lieber in neue Ansätze der Grundlagenforschung investieren.

Vor zwei Jahren wurde die STEP-Studie abgebrochen, nachdem sich gezeigt hatte, dass der dort verwendete Impfstoff nicht nur Infektionen nicht verhinderte, sondern in einzelnen Fällen das Infektionsrisiko sogar erhöht hatte. Dies war ein großer Schock für die Wissenschaftsgemeinde und führte dazu, dass viele forderten, man müsse noch einmal bei Null anfangen und erst einmal die Biologie der HIV-Infektion weiter erforschen.

Wäre nun bei der RV144-Studie wieder ein Misserfolg zu verzeichnen gewesen, wäre dies wohl für längere Zeit das endgültige Aus aller klinischen Impfstoffstudien gewesen. Mit anderen Worten: RV144 musste einfach ein Erfolg werden, damit weiterhin Geld für die Impfstoffforschung zur Verfügung gestellt wird.
Diese Umstände könnten erklären, warum so viele Wissenschaftler die Ergebnisse dieser Studie so positiv darstellen. Einen wirklichen Durchbruch stellt diese Studie nach allem, was bisher bekannt wurde, nicht dar. Selbst wenn der beobachtete Effekt tatsächlich auf einem Teilschutz vor der HIV-Infektion beruht (was ich stark bezweifle), wäre dieses Ergebnis erst der Anfang eines mühsamen Weges. Für einen wirklich effektiven Impfstoff, der auch eine Chance auf eine Zulassung hätte, müsste mindestens eine Verringerung der Infektionen um 70% oder mehr erreicht werden.

Fazit:
Vermutlich geht es – mal wieder – um Geld. Leider besteht die Gefahr, dass durch die euphorische Berichterstattung in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, eine wirksame Impfung gegen HIV sei nur noch eine Frage der Zeit und dass deshalb die wirklichen Schutzmöglichkeiten nicht mehr  ausreichend genutzt werden.Selbst im günstigsten denkbaren Fall, wenn an dieser Studie tatsächlich etwas dran ist, werden noch viele Jahre ins Land gehen, bevor es eine Impfung gegen HIV gibt.

S. Schwarze
Quellen:
– www.hivresearch.org (Sponsor’s Press Release, Factsheet)
– Alcorn K., “An unpopular vaccine study produces suprising result”, www.aidsmap.com
– Cairns G., “Vaccine trial is ‘the beginning’ of a new path of research, says US health chief”, www.aidsmap.com

3 Gedanken zu „„Erfolgs“-Meldung von thailändischer Impfstoffstudie: Die Botschaft hör’ ich wohl – allein mir fehlt der Glaube“

  1. RV144 ist ein Skandal.

    Die RV144 „Erfolgsmeldungen“ sind Vergangenheit. Es fehlt noch immer die ordentliche wissenschaftliche Publikation. Es gibt absolut keinen Anlass davon auszugehen, dass dort noch von einem „wichtigen Schritt“ oder „Hoffnung“ zu lesen sein wird. Geschweige denn, dass die Medien den Flop auch nur annähernd so prominent melden werden, wie die Jubelei Ende September.

    Vom Argument der (für sich genommen für Schlussfolgerungen nie hinreichenden) statistischen Signifikanz bleibt nichts mehr übrig, wenn die Auswertung der Protokolle auf die Probanden beschränkt wird, die tatsächlich nach vorgesehenem Zeitplan geimpft wurden. Das heisst, der Unterschied der Infektionszahlen in den beiden Probandengruppen ist mit grosser Wahrscheinlichkeit rein zufällig bedingt.

    RV144 ist nur das jüngste Beispiel des immer wiederkehrenden Skandals, dass voreilig nur das kommuniziert wird, was gehört werden will, insbesondere bei entwicklungsnahen Forschungsgebieten wie Impfung oder Microbicides.

    Danke, Uli, für den Link:

    Second Analysis of Vaccine Trial Casts Doubts on Result
    http://www.poz.com/rssredir/articles/hiv_thai_vaccine_761_17361.shtml

  2. @ Clamix:
    danke für den hinweis, ich hab’s bei dem anderen artikel („warum ich skeptisch bin“) ergänzt …
    langsam wird sichtbar, warum es manchmal gerade bei medialen hypes ganz sinnvoll sein kann, zunächst trotz jubilierender gefühle genauer hinzuschauen …

    nebenbei, diesen wsj-kommentar lasse man sich auf der zunge zergehen: „The incomplete disclosure raises the question of whether the Army, the Thai government and the U.S. National Institutes of Health … rushed to give a positive spin to what may turn out to be another inconclusive AIDS-vaccine effort.“

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