HIV-Testung – Begrifflichkeiten und Eckdaten

Auf der Expertenanhörung  „HIV-Testungsansatz im deutschen Gesundheitswesen“ am 22. Oktober 2009 in Hannover präsentierte Dr. Ulrich Marcus (RKI) Eckdaten. Der Versuch einer Zusammenfassung auf Basis der Präsentation Dr. Marcus:

Begrifflichkeiten

Klienten-initiierte Testung (CIT, client-initiated test): KlientIn entscheidet sich nach eigener Einschätzung für einen Test und sucht eine Testungsstelle auf
Anbieter-orientierte Testung (PIT, provider initiated test): Der Test wird eine/m PatientIn von Seiten des Behandlers angeboten (Beispiel für deutsche Regelungen: Schwangerenvorsorge, bei Vorliegen einer STI, TB oder Hepatitis B oder C)
opt-in: KlientIn / PatientIn willigt explizit (und nach Beratung) in den HIV-Test ein
opt-out: KlientIn / PatientIn lehnt HIV-Test explizit ab und verhindert dadurch dessen Durchführung

Wo wird getestet, wo sollte getestet werden?

Die größte Zahl an HIV-Tests wird in Deutschland bei niedergelassenen Ärzten durchgeführt (client initiated oder provider initiated). Zusätzlich besteht die Möglichkeit anonymer HIV-Tests in Gesundheitsämtern und bei niedrigschwelligen Testeinrichtungen (client initiated voluntary testing with counseling)
Ein routinemässiges Testangebot (provider initiated testing, mit informed consent) sollte gemacht werden bei Schwangeren (Mutterschutzrichtlinie), STD-Patienten (Deutsche STD-Leitlinien), Tuberkulose-Patienten (Leitlinien des DZK) sowie bei Patienten mit chronischer Hepatitis B bzw. Hepatitis C.
Eine unklare Situation (bundesländerspezifische Regelungen) besteht bei Testangeboten für Asylbewerber und Häftlinge.

Geschätzte HIV-Prävalenz

In der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands (15 bis 60 Jahre; 51 Mio.) liegt die HIV-Prävalenz bei 0,12%.
Unter MSM (im Alter von 20 bis 60 Jahren; ca. 750.000 entspr. knapp 3% der männlichen Bevölkerung der Altersgruppen) liegt die HIV-Prävalenz bei 5,3% (wobei sie in Großstädten bei bis zu 10 bis 15% liegen kann). Unter iv-Drogengebrauchern (ca. 200.000 ?) wird eine HIV-Prävalenz von ca. 4% geschätzt (Basis: neuere Daten Gefängnisstudie); unter Migranten aus dem westlichen Subsahara-Afrika ca. 2 bis 4%.
Unter der heterosexuellen Allgemeinbevölkerung zwischen 15 und 60 Jahren, ohne MSM, iv-Drogengebraucher und Migranten aus Hochprävalenz-Ländern (HPL) liegt die HIV-Prävalenz bei 0,02% (bei Blut-Erstspendern unter 0,01%).

Test-Häufigkeit

Von allen MSM ohne positiven HIV-Vortest haben bisher 66% jemals einen HI)V-Test durchführen lassen, darunter 25% in den letzten 12 Monaten. Bei MSM mit hohem Risiko bzw. von der Praxis rekrutierten MSM liegen die Raten deutlich höher (jemals: 89 bis 97%, in den letzten 12 Monaten 47 bis 49%)
Bei MSM mit bestehendem Vor-Test lag der Abstand zum letzten vor dem aktuellen Test vorgenommenen HIV-Test bei durchschnittlich 2,5 Jahren, bei iv-Drogengebrauchern (IVDA) bei 1,8 Jahren. Bei angegebenem Transmissionsrisiko ‚heterosexuell‘ oder ‚HPL‘ hingegen lag der zeitliche Abstand zum letzten Vor-Test bei über 3 Jahren. Dr. Marcus ergänzte, dass es sich bei den Angaben sicher um eine Unter-Schätzung handele, da Angaben zum Vor-Test oftmals nicht vorliegen.

Der Begriff ‚late presenter‘

Dr. Marcus wies darauf hin, dass nicht jede Person, die sich erst sehr spät im Infektionsverlauf in einer Klinik oder Schwerpunktpraxis vorstellt, auch tatsächlich erst spät von ihrem positiven HIV-Status erfährt. Oft kann (in unbekanntem zeitlichem Abstand) schon vorher ein (ggf. z.B. anonymer) HIV-Test (z.B. in einem Gesundheitsamt) liegen, sowie bzw. oder bei einem niedergelassenen Arzt (ohne HIV-Schwerpunkt).
Nur von einem geringen Anteil aller HIV-Erstdiagnosen in Deutschland liegen Angaben zur CD4-Zellzahl bei Test vor (unter 20 bis zu 30% je nach Infektionsrisiko). Die auf diesem geringen Anteil aller Erstdiagnosen basierenden Werte auf alle Erstdiagnosen zu übertragen erscheint zumindest fraglich. Bei denjenigen Menschen, für die Angaben zur CD4-Zellzahl vorliegen, liegt der Anteil derjenigen mit unter 200 CD4-Zellen (stark erhöhtes Risiko opportunistischer Infektionen) bei knapp über 20% (MSM), ca. 25% (IVDA), knapp 40% (hetero), ca 45% (HPL) und über 50% (keine Angabe zum Transmisssionsrisiko).
Der Anteil rezenter Infektionen (Infektion frischer als 6 Monate) liegt bei IVDA bei 37,1%, bei MSM bei 36,4%, hetero 30,7% und HPL 14,9%.

Späte HIV-Diagnose

Eine späte HIV-Diagnose (CDC-Stadium B oder C; 2/3 Anteil an ‚late presentation‘) ist häufiger bei Menschen mit den Infektionsrisiken ‚hetero‘ oder ‚Herkunft aus Hochprävalenz-Regionen‘, am häufigsten bei Personen ohne Angabe zum Infektionsrisiko.
Der Anteil später HIV-Diagnose nimmt mit steigendem Lebensalter zu (unter 30 Jahre ca. 20%, über 60 Jahre ca. 60%). Die Wohnort-Größe hat (mit Ausnahme der Gruppe ohne Angabe zum Infektionsrisiko) keinen erkennbaren Einfluss auf den Diagnose-Zeitpunkt. Die Herkunftsregion hat keinen erkennbaren Einfluß auf den Diagnose-Zeitpunkt, Ausnahmen sind Herkunft aus Subsahara-Afrika sowie Frauen aus Südostasien.

Später Behandlungsbeginn (CD4 unter 200)

Etwa 2% aller in Deutschland mit HIV lebenden Menschen (1.300 bis 1.500) begeben sich erstmals in qualifizierte ärztliche Behandlung, wenn ihr Immunsystem weniger als 200 CD4-Zellen aufweist. Dies entspricht 30% der Neuvorstellungen und 50% der jährlichen HIV-Neudiagnosen.
Ein später Behandlungsbeginn erfolgt bei vermutlich 2 bis 3% der noch unbehandelten aber medizinisch betreuten Menschen mit HIV (400 / 15.000) und bei ungefähr 5% der bis dahin undiagnostizierten Menschen mit HIV ( 1.000 / 20.000). Ein verzögerter Behandlungsbeginn ist häufiger bei IVDA.

Testbarrieren

Testbarrieren werden vor allem gesehen in fehlendem Risikoempfinden, Angst vor v.a. sozialen Konsequenzen, Angst vor Behandlungs-Nebenwirkungen, fehlender Kommunikation zwischen Arzt und Patient über Risiken sowie bei Migranten einem anderen Gesundheitsverständnis, einem Nicht-Vertrautsein mit dem deutschen Gesundheitssystem, konkurrierenden Problemen sowie fehlendem Krankenversicherungsschutz.

5 Gedanken zu „HIV-Testung – Begrifflichkeiten und Eckdaten“

  1. „Unter MSM (im Alter von 20 bis 60 Jahren; ca. 750.000 entspr. knapp 3% der männlichen Bevölkerung der Altersgruppen)“

    Verstehe ich das richtig? Die Zahl der Männer, die Sex mit Männern haben, wird für Deutschland auf 750000 geschätzt?

  2. Hehe, ich kenne sie alle… 😉

    Ernsthaft: Da muss er irgendwie in den falschen Zahlentopf gegriffen haben. Wäre 750000 richtig, würde die Zahl der schwulen und bisexuellen Männer die der MSM übersteigen.

    In den meisten Quellen, die ich kenne, wird verbreitet, etwa 3 % der männliche Bevölkerung seien schwul (vgl ggf http://stevenmilverton.com/2008/05/05/wo-sind-die-schwulen-geblieben/ ), und das scheint mir schon ein zwanghaft nach unten gedrückter Wert zu sein. Die Zahl der MSM muss deutlich darüber liegen. Ich habe natürlich präzise ermittelte Zahlen nicht vorliegen, aber ich meine, wir kommen der Sache näher, wenn wir des Doktors Wert verzehnfachen!

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