Türkei: vor EU-Beitritt Homo-Rechte garantieren

Die Türkei müsse die Rechte von Schwulen und Lesben sicherstellen, bevor sie in die EU aufgenommen werden könne. Dies fordert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einem in Berlin vorgestellten Bericht.

‚Gender, Sexualität und Menschenrechte in einer sich verändernden Türkei‘ war der Titel einer Veranstaltung im Rathaus Schöneberg in Berlin am 28. Mai 2008. Und gleichnamig der Titel eines Berichts, den die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) nach der erstmaligen Präsentation in Istanbul letzte Woche nun in Berlin präsentierte.

Türkei-Veranstaltung von HRW / PodiumIm Mittelpunkt stand die Präsentation des Berichts von HRW und die Situation von Schwulen, Lesben und Transgender in der Türkei. Auf der Podiumsdiskussion diskutierten miteinander Dr. Lale Akgün ( MdB, SPD-Bundestagsfraktion), Juliana Cano Nieto (Researcherin, Human Rights Watch), Safter Çinar (Sprecher, Türkischer Bund in Berlin- Brandenburg) und ein Vertreter von Kaos-GL (türkische LGBT-Organisation). Moderiert wurde von Günter Dworek (Hirschfeld-Eddy-Stiftung).

Für den über 100seitigen Bericht wurden in den letzten Jahren über 70 Interviews geführt. Der Bericht behandelt ein breites Spektrum an Menschenrechtsverletzungen wegen sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität. Bisher gebe es in der Türkei seitens Staat und Behörden nahezu keine aktiven Maßnahmen gegen Diskriminierung von und Gewalt gegen Lesben, Schwule und Transgender. In der Türkei bestehe ein Antidiskriminierungsgesetz nicht, schwule Männer seien von Militärdienst ausgeschlossen.

Scott Long, Human Rights WatchDas Resüme von Human Rights Watch (HRW) zur Situation von Schwulen und Lesben in der Türkei: vor einer Aufnahme in die EU müsse die Türkei die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen garantieren. HRW forderte zudem die EU auf, die Bewerbung der Türkei um eine EU-Mitgliedschaft davon abhängig zu machen, ob Misshandlungen von Mitgliedern dieser Personengruppen beendet und ihnen sowohl Schutz als auch die gleichen Rechte zuerkannt werden.
„Demokratie bedeutet, dass die grundlegenden Rechte aller Menschen gegen die Diktatur vorherrschender Sitten und die Tyrannei des Hasses geschützt werden“, betonte Scott Long, Leiter des Programms für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen bei HRW.

Zwar habe sich insgesamt gesehen das gesellschaftliche Klima für Lesben und Schwule in der Türkei in den vergangenen Jahren verbessert. Doch weiterhin gebe es Gewalt gegen Lesben und Schwule, Schikanierungen, Raubüberfälle, Morddrohungen. Wenn staatliche Stellen behaupten, Schwule und Lesben würden in der Türkei durch Artikel 10 der Verfassung geschützt, so treffe dies in der Realität einfach nicht zu. So sei aktuell gerade die 1993 gegründete Schwulen-, Lesben- und Transsexuellen-Gruppe Lambda (Istanbul) von der Schließung bedroht, der Vorwurf laute „Förderung der Prostitution“.

Publikationen von Kaos-GLKaos-GL (Ankara) ist eine der ältesten Schwulen- und Lesbengruppen in der Türkei (gegründet 1994). Immer wieder wird gegen die Gruppe vorgegangen, so versuchte z.B. 2005 ein Mitglied der Regierungspartei AKP (vergeblich), die Gruppe mittels eines Gerichtsverfahrens zu verbieten. Gegen den Herausgeber des Kaos-GL-Magazins gingen die Strafverfolgungsbehörden der Türkei 2006/07 vor mit dem Vorwurf, „obszönes Material“ zu verbreiten (Art. 227 des türkischen Strafgesetzes). In der zweiten Verhandlung wurde Umut Güner im Februar 2007 freigesprochen. Das Magazin allerdings sei (so das Gericht) obszön und müsse im verschlossenen Umschlag verschickt werden.

Der Vertreter von Kaos-GL berichtete eindrücklich über die Situation von Lesben und Schwulen in der Türkei und die Veränderungen in den letzten Jahren. Kaos-GL habe lange rein aus eigenen Mittel arbeiten müssen, erst langsam selbst den Mut gefunden an die Öffentlichkeit zu gehen. 2001 sei man erstmals im Rahmen einer Demonstration als Schwule und Lesben an die Öffentlichkeit gegangen – und über die positiven Reaktionen der anderen Demonstranten überrascht gewesen. 2003 habe es im Rahmen eines großen Symposiums zur Homophobie in der Türkei erstmals eine Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen (Rathaus) gegeben.

Der Kaos-GL-Vertreter zeigte auf, dass es in den vergangenen Jahren zwar deutliche Verbesserungen sowohl der Gesetzeslage allgemein als auch des Alltags für Lesben und Schwule gegeben habe. Insbesondere Transsexuelle aber (besonders nicht operierte) seien mit einer Verschlechterung ihrer Situation konfrontiert. Besonders bizarr sei die Situation u.a. für Schwule, die zum Militär eingezogen werden sollte. Sie müssten, um ihre Homosexualität nachzuweisen (und dann nicht eingezogen zu werden) Photos vorlegen, die sie beim Geschlechtsverkehr zeigen – in der passiven Rolle. In vergangenen Jahren habe Kaos-GL zunächst das prinzipielle Recht auch von Schwulen gefordert Militärdienst leisten zu dürfen. inzwischen habe man sich Forderungen nach einer Einführung eines Rechts auf Kriegsdienstverweigerung angeschlossen.

Dr. Lale Akgün, MdB SPDDr. Lale Akgün, MdB (SPD) zeigte sich „nicht überrascht“ über die Ergebnisse des beeindruckenden Berichts von HRW. Sie begrüße die komprimierte Darstellung der derzeitigen Situation und der Menschenrechtsverletzungen, hiermit sei nun einen gute Arbeitsgrundlage geschaffen für zukünftige Maßnahmen und Gespräche mit der Türkei.

Akgün, die ihre solidarische Teilnahme am Instanbuler CSD im Juni ankündigte, betonte sie erwarte von der Türkei, dass in die neue Verfassung ein umfassendes Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Orientierung aufgenommen werde. Begriffe wie die ‚Verletzung der öffentlichen Moral‘ müssten abgeschafft werden. Homosexuelle müssten sich selbstverständlich uneingeschränkt selbst organisieren dürfen; bei Polizei und Justiz solle es Trainings zur Antidiskriminierung geben. Zudem wies sie auf die Notwendigkeit hin, Daten zur Situation der Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Transgender nicht nur einmalig, sondern regelmäßig zu veröffentlichen.

Als Hebel, von der Türkei nicht nur Dialogbereitschaft, sondern auch konkrete Maßnahmen einzufordern sehe auch sie den angestrebten Türkei-Beitritt des Landes. Die Türkei müsse zudem Artikel 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Gleichheit vor dem Gesetz) endlich anerkennen.
Sie wies darauf hin, dass neben vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen gerade auch Schwule und Lesben schon von den Bemühungen um einen EU-Beitritt der Türkei deutlich profitieren würden. Dies gelte umso mehr für einen etwaigen Beitritt.

„We Need a Law for Liberation“ – Gender, Sexuality, and Human Rights in a Changing Turkey
Human Rights Watch, Mai 2008
(auch als pdf hier)

Nachtrag 08.09.2008: Auf Anfrage der Fraktion Die Grünen teilt die Bundesregierung mit ‚Homophobe Einstellungen in der Türkei zu beobachten‘

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