Ein Gericht in Istanbul hat heute auf Antrag des Istanbuler Gouverneursamtes die Schwulen- und Lesbengruppe Lambda zur Selbst-Auflösung verurteilt. Die Gruppe verletze türkische Gesetze zur Moral.
Lambda (voller Name ‚Lambda Istanbul Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Transsexuellen Solidaritäts-Gruppe‘) verletze sowohl türkisches Strafrecht als auch die türkische Verfassung (Artikel 41). Ein Vertreter der Gruppe erläuterte laut Foxnews, schon der Name der Gruppe habe Anstoß erregt. Die Begriffe schwul, lesbisch etc im Namen seien nach Ansicht des Gerichts eine Verletzung der öffentlichen Moral. Da die Gruppe eine Umbenennung verweigert habe, habe das Gericht das Verbot ausgesprochen.
Bei der heutigen Verhandlung war ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch HRW anwesend. Lambda kündigte an, das heutige Urteil innerhalb einer Woche vor dem Appellationsgericht anzufechten. Falls auch dieser Schritt erfolglos sei, werde man vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, so ein Vertreter von Lambda.
Lambda (Istanbul) ist neben Kaos-GL (Ankara) die bedeutendste Schwulen-, Lesben- und Transgender-Organisation in der Türkei. Ein Versuch staatlicher Stellen, die Schwulen- und Lesbengruppe Kaos-GL zu verbieten, scheiterte 2005.
Noch gestern hatten Vertreter von Schwulengruppen aus der Türkei sowie Menschenrechts-Aktivisten eindrücklich darauf hingewiesen, dass die Türkei endlich von ihren Gummi-Paragraphen à la „öffentliche Moral“ Abstand nehmen müssen …
„Die Türkei muss vor einem EU-Beitritt die Rechte von Homosexuellen garantieren“ forderte Human Rights Watch gestern auf einer Veranstaltung in Berlin – selten hat eine Forderung so schnell eindrücklich ihre Berechtigung erwiesen …
Nachtrag 31.5.2008: Der Europarat zeigt sich „sehr besorgt“. „Die Argumente des Staatsanwalts, die zur Schließung der Organisation Lambda Istanbul geführt haben und beinhalteten, dass die Aktivitäten der Organisation gegen die Gesetze der öffentlichen Moral verstoßen, machen mich sprachlos“, so M. de Puig, Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.
Nachtrag 4.6.2008: der LSVD ruft zur Unterstützung für Lambda auf. Protestbrief an den Botschafter der Türkei auf den Internetseiten der Hirschfeld-Eddy-Stiftung.
Nachtrag 6.6.2008: sehr lesenswert: Doug Irleand Turkeys latest anti-gay surge
Nachtrag 9.2.2008: Photos vom Berliner Protest gegen die Schließung von Lambda am 7. Juni
Nachtrag 29.11.2008: Verbot von Lambda Istambul aufgehoben
[via pinknews]
weitere Informationen (Stand noch vor dem heutigen Urteil):
SZ: Eine Frage der Moral (17.4.2008)
taz: der lange Weg zur Toleranz (28.5.2008)
SpON/Unispiegel: Homosexuelle führen ein Doppelleben (29.10.2007)
gaywest: Quo vadis, Türkei (2.2.2008)
Hm, dabei las sich der Bericht von HRW so, also sei eine leichte Besserung der Situation festzustellen.
@ Stefan:
ja, enttäuschend … und es zeigt m.e., wie sehr die Türkei gespalten ist zwischen tradition und moderne, zwischen religiös orientierter politik und wunsch nach eu-beitritt …