Die Konferenz „HIV/Aids – Ethische Perspektiven“ fand vom 19. bis 21. Juni 2008 in Frankfurt am Main statt.
Die Veranstalter betonten vorab „die Auseinandersetzung mit HIV und Aids berührt nicht nur medizinische und soziale Themen, sondern wirft grundlegende ethische Fragen auf.“ Und „die Organisatoren bieten erstmalig Experten aus Wissenschaft und Medizin sowie aus Politik und dem Bereich der Selbsthilfe ein Forum, um gemeinsam über Verantwortung, Werte und Einstellungen von Individuum und Gesellschaft angesichts der vielschichtigen mit HIV und Aids verbundenen Probleme diskutieren zu können.“
„Heiße Eisen anfassen im Sinne der Bürger-Universität“ – mit diesem Ziel sowie dem Anspruch „von einander lernen, Neues denken“ begrüßte Prof. Alkier die Teilnehmer der Ethik-Konferenz in der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. Prof. Asmus betonte das große Maß an Autonomie, das die Universität seit ihrer Umwidmung als Stiftungs-Universität ab 1. Januar 2008 habe. Autonomie – ein Thema, das noch des öfteren im Verlaufe der Konferenz aufscheinen sollte …
Marion Caspers-Merk, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheits-Ministerium (BMG), betonte, auch damals, Ende der 1980er Jahre, habe es die Frage gegeben wie viel Freiheit möglich sei, wie viel Verantwortung gebraucht werde. Deutschland habe inzwischen längst eine weltweit anerkannte Präventions-Strategie, die deutsche Aids-Politik sei erfolgreich trotz eines leichten Anstiegs der Neu-Infektionen. Caspers-Merck betonte, Prävention sei nur partizipativ mit den Betroffenen möglich, dies solle Aidshilfe garantieren – und zugleich sei diese partizipative Einbindung heute notwendiger denn je. Denn erforderlich sei nachhaltige Prävention, und dies in Zeiten, in denen die Prävention vor neuen Herausforderungen stehe.
Wie viel Freiheit ist möglich, dies sei immer wieder Thema. Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit einerseits und Verantwortung des Einzelnen andererseits gelte es immer wieder neu auszutarieren.
Dies werde auch am Beispiel des Statements der EKAF deutlich. Die Daten seinen an Heterosexuellen in festen Paarbeziehungen erhoben worden – und würden heute dargestellt, als ob sie für alle gelten. Dies sei derzeit eine schwierige Kommunikationslage – denn dies sei nur eine Hoffnung für sehr wenige, nicht gültig für viele.
Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), betonte die langjährige gute Zusammenarbeit mit der Deutschen Aidshilfe (DAH) seit nunmehr 23 Jahren – „ohne die Aidshilfe jemals zu beeinflussen“. Die Entscheidung (Ende der 1980er Jahre), statt einer Ausgrenzungs- auf eine soziale Lern-Strategie zu setzen, sei auch damals eine politische und ethische Entscheidung gewesen. Es gehe immer wieder darum, dass der Staat seine Verantwortung wahrnehmen müsse – partnerschaftlich gemeinsam mit Organisationen der Zivilgesellschaft. Dabei müsse Prävention immer eine ‚Strategie der kleinen Schritte‘ sein. ‚Drastische Botschaften‘ hingegen, so Pott, seien ebenso wie jede Dämonisierung in der Regel mit Diskriminierung, Ausgrenzung und Schuldzuweisungen verbunden.
Die derzeitige Situation zu HIV in Deutschland sei das Ergebnis einer langjährigen Präventionsstrategie, die die Bundesregierung immer unterstützt habe – Pott stellte die Frage in den Raum, was heute wäre, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre. Gerade heute seien aktuelle „Entwarnungs-Effekte gefährlich“, meinte sie mit Blick auf das Statement der EKAF.
Braucht man eine derartige Konferenz? Zu diesem Thema? Jetzt (noch), zu einer Zeit, da HIV und Aids schon 25, 30jähriges Jubiläum‘ feiern‘? Viele kritische Fragen waren im Vorfeld an die Konferenz gerichtet worden. Man brauchte sie, so viel lässt sich nach der Konferenz sagen – vielleicht hätte einiges anders sein können, aber die Konferenz zeigte nur zu deutlich, dass großer Gesprächsbedarf besteht, dass die Lücken groß sind, zwischen universitärer Forschung und Praxis der Aidshilfen, aber auch zwischen Politik und Lebenspraxis der Menschen mit HIV und Aids.
„Wie viel Freiheit ist möglich?“, Marion Caspers-Merck wies in ihrer Rede auf ein bedeutendes Thema hin. Erstaunlich – denn gerade aus dem Gesundheitsministerium meint man Signale zu vernehmen, dass nicht alles offen kommuniziert werden solle, was derzeit an Erkenntnis vorliegt – eine Haltung, die mir eher anti-freiheitlich scheint.
Bemerkenswert auch ihr Gedanke der Notwendigkeit, Betroffene partizipativ einzubinden. Meint man doch parallel Zeichen zu erkennen, die eher in Richtung einer stärkeren Gängelung der DAH deuten.
Bei ihren Aussagen zum Statement der EKAF fragten sich einige Besucher, wo denn ACT UP bleibe … erstaunlich, dass solche Worte auf einer Konferenz, bei der Aidshilfe immerhin Mitveranstalter ist, nahezu unkritisiert gesagt werden konnten.
Prof. Potts Äußerungen, die BzgA arbeite erfolgreich mit der DAH zusammen, „ohne diese jemals zu beeinflussen“, konnten nach Caspers-Mercks Worten wie auch gewissen Vorgängen der letzten Monate nur Heiterkeit auslösen. Unklar blieb ein wenig, ob Pott dies freiwillig oder unfreiwillig ironisch meinte. Ob ihre Deutung der Prävention als ‚Strategie der kleinen Schritte‘ die derzeitige Zaghaftigkeit ausreichend erklären vermag? Oder gerade erst (v)erklären soll?
Angesichts des Statements der EKAF von „gefährlichen Entwarnungs-Effekten“ zu sprechen, erschien schließlich einigen positiven Teilnehmern wie ein Affront – wieder stand die Frage nach ACT UP unsichtbar im Raum …
Dass Maja Czajka, Vorstandsmitlgied der DAH, in ihrem Statement formulierte „es geht schließlich immer nur um Haltung“, mochte angesichts der fehlenden Haltung der DAH in Sachen EKAF dann nur noch als weiterer satirischer Beitrag erscheinen …
Bzgl der hier kurz angerissenen Begrüßungsreden der Protagonistinnen Marion Caspers-Merk und Prof. Dr. Elisabeth Pott verhält es sich wie mit dem Abschneiden unserer Nationalmannschaft bei der EM: Sie haben sich
bemüht. Dem geneigten Zuschauer jedoch wird nicht entgangen sein das einiges arg im argen liegt . . .
Bzgl Frau Dr. Pott – 23 Jahren festgeklebt auf dem Direktorensessel der BzgA ist nicht nur zu lang sondern ungesund. Bewegung ist das AO – besonders bei einem Thema wie HIV wo (das haben nun mal 25 Jahren HIV gezeigt) Veränderung und neue Erkenntnisse fast alltäglich sind.
es klappt superrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr 🙂
@ Dennis:
und … klappts als reg. leser mit dem edieren?
Erstaunlich ist doch immer wieder wie unterschiedlich zwei Beteiligte an einem Prozess den selben erleben.
Frau Professorin Pott spricht von „ohne diese jemals zu beeinflussen“, wohingegen für Maja Czajka die Abhängigkeit von anderen ein sehr belastendes Thema war. Nur das sie in diesem Zusammenhang (auf dieser Konferenz) nicht darüber sprechen wollte, wie man sich emanzipieren könne, da dies kein Thema der Ethik sei. Auf Nachfragen von Frau Professorin Süssmuth wann das den Thema sei, wurde lapidar auf eine verband interne Auseinandersetzung zu diesem Thema verwiesen. Falls der Verband es noch nicht gemerkt haben sollte, so sollte man als eine Organisation die gerne Interessenvertretung sein möchte, nicht die Auseinandersetzung mit denen scheuen, die man zu vertreten meint.
Wenn Freiheit und Unabhängigkeit kein Thema der Ethik mehr sind, was soll Ethik dann noch sein. Oder summum bonum von Sartre: Freiheit.
@ Olaf:
danke für den hinweis …
tja, was man nicht wahr haben möchte, kehrt man / frau halt gerne unter den (verbandsinternen, den man nicht so leicht kontrollieren kann) teppich … zeit den teppichhändler zu wechseln?
Vielleicht hat Frau Pott/BZgA ja gar nicht so unrecht.
Sie braucht die DAH ja gar nicht zu beeinflussen, wenn die DAH-Führung in vorauseilendem Gehorsam die Autonomie des Verbandes immer öfter freiwillig aufgibt.
Ohne Sinn und Verstand hat man (wer eigentlich?!?) entschieden, dass die DAH zur EKAF-Debatte keine eigene Haltung einnehmen könne. Statt dessen fesselte man den Verband an die Regierungsbürokratie und beschloß, ohne amtliche Genehmigung keine Meinung zu haben.
Ergebnis davon ist dann die unsägliche „gemeinsame Stellungnahme“ von DAH, BZgA und RKI, die in bester „war-on-terror“-Manier schwadroniert: „Die Gefährdungslage ist grundsätzlich unverändert“!
Seit einem knappen halben Jahr läuft jetzt die „EKAF“-Debatte und die DAH hat sich entschieden, sowohl ihre Mitgliedsorganisationen, als auch die Selbsthilfe und die „community“ dabei monatelang im Regen stehen zu lassen. (Erst vor wenigen Tagen wurde endlich zumindest mal eine weichgespülte „Diskussionsgrundlage“ dazu verteilt…)
@ mathias
Erst vor wenigen Tagen wurde endlich zumindest mal eine weichgespülte “Diskussionsgrundlage” dazu verteilt.
na die würde mich doch mal brennend interessieren würde die mich. 🙂
@ Matthias:
du meinst frau p. sprach den vorauseilenden gehorsam an?
um so mehr wird das vorstands-statement in sachen haltung zur satire …
und die „diskussionsgrundlage“ ist ja wohl mehr als weichgespült … und mit eigenartighem fokus … und bisher nicht öffentlich zugänglich …