Kieler Urteil gegen HIV-Positiven: Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

„Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast“ Mit dieser Frage Hatten sich Corinna Gekeler und Karl Lemmen in einem Gastbeitrag am 6. Juli 2010 beschäftigt ((Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?).
Heute behandeln beide Autoren in einem Gastbeitrag einen aktuellen Fall aus Kiel, in dem u.a. ebenfalls die Viruslast des Angeklagten ein Thema war:

Kieler Urteil gegen HIV-Positiven:
Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

Das Kieler Landgericht verurteilte 28.Juni 2010 einen 47-jährigen Mann am wegen zweifacher vollendeter und fünffacher gefährlicher Körperverletzung. Der gelernte Maler wird auf Anordnung des Gerichts in der Psychiatrie untergebracht. Das Gericht billigte ihm wegen massiver Hirnschädigungen und einer schweren Persönlichkeitsstörung erheblich verminderte Schuldfähigkeit zu. Die Kammer blieb zwei Jahre unter dem Antrag der Anklage, die beiden infizierten Frauen als Nebenklägerinnen verzichteten auf Rechtsmittel. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Fall
Der Angeklagte gab zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Die zuerst angesteckte Frau beschuldigte er sogar wider besseres Wissen, sie habe ihn infiziert.
Der Mann saß wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft, nachdem ihn eine der beiden infizierten Frauen angezeigt hatte. Eine zweite Infizierte erlitt Nierenversagen und war sogar zeitweilig gelähmt. Beide betroffene Frauen müssten nun nicht nur eine erheblich verminderte Lebensqualität hinnehmen, sondern auch mit einer geringeren Lebenserwartung rechnen, betonte das Gericht.
Bei dem Angeklagten war die Krankheit 2004 mit schwersten Symptomen wie starkem Gewichtsverlust und einer Lungeninfektion ausgebrochen. Die HIV-Medikamente setzte er ab, als seine Viruslast unter der Nachweisgrenze war. Er ging erst wieder in die Aids-Ambulanz der Universität Lübeck, als eine der Sexpartnerinnen infiziert war. Da sei seine Viruslast „exorbitant hoch und er hochinfektiös“ gewesen, sagte Richter William. Dennoch kontaktierte er weitere Frauen, um ungeschützten Sex zu haben.
Das Gericht betonte, es wäre möglicherweise gar nicht zu den Taten gekommen, wenn die Ärzte 2004 die Hirnschädigung nicht nur festgestellt, sondern auch genauer untersucht hätten. Durch den massiven Abbau von Hirnmasse habe der Angeklagte schon damals nicht mehr richtig einsehen können, was mit ihm und anderen geschehe.

Erstes Resümee
Welches Gewicht die Viruslast letztendlich bei der Urteilsfindung spielte, kann noch nicht geklärt werden, da das Urteil noch nicht vorliegt. Sollte die gestiegene Viruslast darin ein ausschlaggebendes Argument darstellen, müsste jedoch auf die rechtlichen Konsequenzen für das Gegenteil, also die nicht nachweisbare Viruslast, diskutiert werden.
Ein Rolle scheint aber auf jeden Fall zu spielen, dass der Verurteilte seine Infektion verschwiegen bzw. verleugnet hatte und die Frauen ohne ihr Wissen einer großen Gefahr aussetzte. Unklar bleibt auch, wie es zu der vermutlich unzureichenden ärztlichen Behandlung des Mannes kommen konnte.

Quellen:
http://www.focus.de/panorama/welt/prozesse-aids-kranker-wegen-ungeschuetztem-sex-verurteilt_aid_524493.html
ln-online/lokales vom 29.06.2010 00:00: http://www.ln-online.de/news/2810203
http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/hamburgschleswigholstein_nt/article8206865/Fuenf-Jahre-Haft-fuer-HIV-Infizierten.html

Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!