(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?

Immer wieder stehen auch in Deutschland Menschen vor Gericht mit dem Vorwurf, andere fahrlässig oder vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben. ‚Bei mir ist die Viruslast unter der Nachweisgrenze‘, mag der ein oder andere denken, sich an das EKAF-Statement und die Viruslast-Methode erinnern. Doch – wie sieht es in der Realität vor Gericht aus? Welche Bedeutung haben Viruslast und EKAF-Statement vor Gericht?  In einem Gastbeitrag beleuchten Corinna Gekeler und Karl Lemmen von der Deutschen Aids-Hilfe drei aktuelle Urteile und ihre Bedeutung.

(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht – Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?

von Karl Lemmen & Corinna Gekeler, Deutsche AIDS-Hilfe

Die deutsche Rechtsprechung weist große Unterschiede auf. Insbesondere die Viruslust unter HAART wird sehr verschieden beurteilt. Würde man die „EKAF-Kriterien“ auch als rechtstaugliche Maßstäbe 1:1 umsetzen, müsste die von den Schweizern vorgesehene Herstellung eines Informed Consent zwischen den Beteiligten nämlich auch eine Rolle spielen.
Wir  dokumentieren hier aktuelle Fälle aus der Presse und ergänzt die Bewertung eines Würzburger Urteils aus 2007 durch neue Information aus einem medizinrechtlichen Fachblatt.

Urteil 1: Fulda
Das Amtsgericht Fulda verurteilte Anfang März eine 32-Jährige zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr1. Der HIV-Positiven wurde zur Last gelegt, durch ungeschützten Sex eine Infektion ihres 41-jährigen Freunds „billigend in Kauf“ genommen zu haben. Die Frau erwartet das zweite Kind von ihrem Partner, der inzwischen wieder ungeschützten Sex mit ihr habe. Weder er noch das erste Kind wurden infiziert, jedoch ein Kind aus erster Ehe. Der Ex-Mann hatte laut Berichten in der Lokalpresse ausgesagt, seinen Nachfolger von der HIV-Infektion seiner Ex-Frau informiert zu haben. Auch die Verurteilte bestritt, über ihre Infektion gelogen oder geschwiegen zu haben.
„Zudem habe ihr eine Ärztin gesagt, die Viruslast sei so gering, dass sie nicht ansteckend sei. Doch während eines Gesprächs mit dem Richter hatte die Ärztin dieser Behauptung widersprochen. Auch ein medizinischer Sachverständiger aus Fulda, bei dem die Angeklagte in Behandlung ist, gab an, dass man eine Ansteckungsgefahr nie ganz ausschließen könne“, so die Lokalpresse.

Urteil 2: Kiel
Seit April 2010 ist ein 47-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (HIV-Übertragungen) und wegen versuchter Körperverletzung in fünf Fällen vor dem Kieler Landgericht angeklagt. Der HIV-Positive sitzt wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft. Als Zeuginnen geladene Sexpartnerinnen sagten aus, er habe in Internetforen gezielt „Sex ohne Gummi“ gesucht.
Er gibt zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Auf Anraten seines Arztes nimmt der Angeklagte jetzt wieder HIV-Medikamente, obwohl er sich über die Notwendigkeit wundere. Die Idee, dass die Viruslast ohne die Pillen wieder steigt, sei ihm nicht gekommen. Er habe sich darüber keine Gedanken mehr gemacht. Sein Arzt sagte vor Gericht aus, er habe den Mann auf die weiterhin bestehenden Risiken hingewiesen. Weitere Experten stellten dem interessierten Richter die Bedeutung der Viruslast vor, was wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde.
Voraussichtlich im Juni und Juli werden drei weitere Verhandlungstage folgen. Momentan wird ein psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten erstellt.2

Urteil 3: Würzburg
INFO erfuhr neue, interessante Details zu einem Urteil vom Landesgericht Würzburg aus dem Jahr 2007 (1) aus einem Beitrag im Fachblatt für Medizinrecht (2). Darin schreibt RA Dr. Jörg Teumer, der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Aufgrund antiretroviraler Mittel sei seine Viruslast unter der Nachweisgrenze gewesen, wodurch er davon ausgegangen war, es könne keine Übertragung stattfinden. Bei einer der Partnerinnen konnte medizinisch eine auf den Angeklagten zurückgehende HIV-Infizierung nachgewiesen werden.
Das Gericht betonte, dass bei den Sexualpartnerinnen, die über die HIV-Infektion Bescheid gewusst und dennoch mit dem angeklagten sexuell verkehrt hätten, eine strafausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung bzw. eine wirksame Einwilligung vorliege, aus der sich keine Strafbarkeit ergebe. Ein solcher „Informed Consent“ zur Selbstgefährdung bietet demnach weiterhin Schutz vor Klagen oder gar Verurteilungen – unabhängig von der Höhe der Viruslast. Aber natürlich nur, wenn die Absprache allen Beteiligten ‚erinnerlich‘ ist.
Was die Beurteilung der Viruslast im Infektionsgeschehen betrifft, gibt es nach wie vor unterschiedliche Expertenaussagen. Gerichte urteilen ebenfalls sehr unterschiedlich, wie dieses Würzburger Urteil und der Nürtinger Fall belegen.

Für den Autor Jörg Teumer trägt das LG Würzburg mit seinem Urteil dem aktuellen Behandlungsstand Rechnung: „Solange es keine 100 % sicheren wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass eine Infizierung Anderer bereits aufgrund der regelmäßigen Einnahme dieser Medikamente vollständig (!) ausgeschlossen ist, darf eine Kondombenutzung beim Sexualverkehr nicht unterbleiben und führt das Unterlassen dieser Schutzmaßnahme zur Strafbarkeit. Ärzte, Apotheker oder Mitarbeiter von Aids-Beratungsstellen etc., die dennoch einen Sexualverkehr ohne Kondombenutzung befürworten oder gar anregen, laufen daher Gefahr, sich wegen Beihilfe oder Anstiftung zu einem Körperverletzungsdelikt strafbar zu machen.“

Fazit
Die Urteile aus Fulda und Würzburg zeigen, dass das Thema Viruslast in den Gerichten angekommen ist und wie unterschiedlich es bewertet wird, nämlich meist in Abhängigkeit von der Stellungnahme der geladenen medizinischen Experten. Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.
Ein Ausweg für alle Fälle (unabhängig von der Viruslast) könnte die Herstellung eines „Informed Consent“ zum Kondomverzicht sein; denn wer im Wissen um die HIV-Infektion des Gegenübers in ungeschützten Sex einwilligt, der begeht eine „strafausschließende Selbstgefährdung“. Frage ist natürlich, wie realistisch eine Vereinbarung ist, und ob man bei Bedarf immer Papier und Bleistift zur Hand hat bzw. haben möchte, um sich vor Gericht vor eventuellen „Erinnerungslücken“ seiner Sexualpartner schützen zu können.

(1) Quellen: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,679064,00.html und http://www.fuldaerzeitung.de/newsroom/regional/Fulda-amp-Region-Ungeschuetzter-Sex-HIV-Infizierte-verurteilt%3Bart25,251310
(2) Quellen: http://breaking-news.de/blog/2010/04/05/kiel211-hiv-infizierter-bestreitet-ausreichende-kenntnis-von-ansteckungsgefahr/, http://www.kiel-informativ.de/news-442.html und ein mündlicher Bericht einer Prozessbesucherin
(3) 1 Ks 901 Js 9131/2005 25
(4) RA Dr. Jörg Teumer: Neues zum Thema Aids und Strafrecht. In: MedR 2010 Heft 1

Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!

Fortsetzung: „Kieler Urteil gegen HIV-Positiven: Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

5 Gedanken zu „(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?“

  1. Gefällt mir natürlich im Grunde genommen nicht was da passiert. Zeigt es doch das die Gerichte und vor allen Dingen Gutachter dem EKAF Papier keine große Bedeutung beimessen.
    Was den „Informed Consent“ betrifft, nun das ist der absolute Sex Killer.

    „Liebling, bitte unterschreib doch hier unten links das Du weißt das ich dir gesagt habe das ich HIV + bin, Medis nehme, meine VL unter der Nachweisgrenzen ist, ich frei von STD´s bin und Du damit einverstanden bist das wir ohne Kondom lieb ficken.“

  2. Es geht nicht darum ob uns Urteile der Gerichte gefallen oder nicht. Seit meinem positiven Test im Herbst letzten Jahres befasse ich mich wieder Intensiver mit diesem Thema. Es wird immer so schön von EKAF geredet und EKAF muss jedes mal herhalten wenn es darum geht wenn jemand Sex ohne Kondome machen will. Vergessen wird aber immer, das
    1. EKAF eine recht kleine Studie war und ein Restrisiko nicht ausgeschlossen ist. Es ist so das erst in der zweiten Hälfte der Studie keine Infektionen mehr auftraten. In den ersten Jahren aber schon. Eine garantierte Sicherheit gibt es nicht. EKAF sollte eher denen eine Sicherheit vermitteln, die sich einen Kinderwunsch erfüllen wollen und sollte nicht verallgemeinert werden. Was in den Diskussionen aber gerne geschieht.
    2. EKAF ist eine schweizer Studie und daher für deutsche Gericht nicht unbedingt ein Maßstab und schon gar nicht bindend.
    3. Wie ein Urteil aussehen wird lässt sich vorher selten fest machen. Das gleiche Gericht kann in 4 Wochen durch ein anderes Gutachten zu einem völlig anderem Urteil kommen.
    4. Welcher Arzt würde schon zugeben einem Patienten gesagt zu haben er sei aufgrund seiner Virenlast nicht mehr Infektiös, wenn er damit rechnen muss sich aufgrund dessen wegen Beihilfe zur schweren Körperverletzung angeklagt zu werden.

    Wer als positiver rechtlich wirklich sicher gehen will sollte sich entweder von seinem Partner schriftlich eine Risikobereitschaftserklärung unterschreiben lassen oder aber auf das Kondom nicht verzichten. Wie viele Paare gehen auseinander und sind sich dann nicht gerade Freundschaftlich gesonnen.

    Gruß Diego

  3. @ Diego:
    danke für deinen kommentar!
    nun – selbst UNAIDS unterstützt inzwischen das EKAF-statement. (siehe http://www.ondamaris.de/?p=19098 )
    was das restrisiko angeht (bei viruslast-methode wie auch bei kondom), dazu ist bereits sehr viel geschrieben worden.
    dass gerichte derzeit unterschiedlich mit dem tham umgehen, hat -wie corinna und karl ja auch betonen- viel damit zu tun, dass die beiden fachverbände in deutschland (DAIG & DAGNAE) das thema bisher noch unterschiedlich bewerten. eine gemeinsame haltung wäre hier sehr hilfreich …
    lg

  4. Tatsache ist, dass der sog. informed consent darauf abzielt, dass der Positive seinen Infektionsstatus bekannt geben soll/müsste. Und da liegt die Crux. Wer möchte bei einem Gelegenheitskontakt / ONS darüber reden, wer kann das immer?
    Ekaf eignet sich so undiffernziert eben nicht für Gelegenheitskontakte – und da sagt die DAIG ja was konkretes zu, sonder zielt auf Leute innerhalb fester Beziehungen. Das vergessen wir aber gerne innerhalb von Beratungen.

    Und genau darüber denken Gerichte ja auch nach. Stand dem Negativen ausreichend WIssen zur Verfügung?

    Ich will nicht, dass Menschen mit HIV ihren Status demnächst überall breittreten müssen und dazu demnächst juristisch gezwungen werden können. Ich will außerdem nicht, dasss Menschen mit HIV demnächst zur Therapie gezwungen werden können… Siehe dazu der Artikel „pöser Positiver“ Das konterkarriert sämtliche unserer Bemühungen in der Prävention. Also…..
    und das sollte die Erkenntnis sein. Wer das nicht will, der macht Safer Sex. Das erkennen nämlich auch die Gerichte an – und nur so möchte ich jetzt meine Aussage verstanden wissen. Nicht als Anklage an Menschen mit HIV, die ohne poppen und einseitige Verantwortungszuschreibung , sondern als Hinweis darauf, dass Ekaf mir vielleicht ein besseres Gewissen machen kann, aber es micht nicht davor bewahrt, Verantwortung (mit) zu übernehmen. Denn von dem guten Gewissen kann ich mir vor Gericht auch nix kaufen.

Kommentare sind geschlossen.