CDC: Aids-Medikamente senken Risiko einer HIV-Übertragung um 96% – mehr als Kondome

Aids-Medikamente senken das Risiko einer HIV-Übertragung drastisch. Nun bestätigen auch die US-amerikanischen Gesundheitsbehörden offiziell das, was einst als ‚EKAF-Statement‘ für viel Aufregung sorgte. Die Schutzwirkung von Medikamenten liege höher als die von Kondomen.

Die US-amerikanischen Gesundheitsbehörden CDC Centers for Disease Control haben am 14. Juni 2012 eine Aufstellung zu HIV-Übertragungsrisiken online gestellt. Dort betonen die CDC, eine wirksame antiretrovirale Therapie (ART) senke das HIV-Übertragungsrisiko um 96%. Bei konsistenter Anwendung von Kondomen senken diese das Risiko einer HIV-Übertragung um 80%:

„Different factors can increase or decrease transmission risk. For example, taking antiretroviral therapy (i.e., medicines for HIV infection) can reduce the risk of an HIV-infected person transmitting the infection to another by as much as 96%. Consistent use of condoms reduces the risk of getting or transmitting HIV by about 80%. Conversely, having a sexually transmitted infection or a high level of HIV virus in the blood (which happens in early and late-stage infection) may increase transmission risk.“

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CDC: HIV Transmission Risk

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Es hat lange gedauert (seit dem EKAF-Statement vom Januar 2008), aber immerhin …

I party. I bareback. I’m positive. I’m responsible. – Fotos der Aktion von Aids Action Now! in Washington

Die kanadische Aktionsgruppe ‚Aids Action Now!‘ war auf der XIX. Internationalen Aids-Konferenz in Washington u.a. mit ihrer Kampagne ‚I party. I bareback. I’m positive. I’m responsible.‘ (etwa: Ich feiere. Ich habe Sex ohne Kondom. Ich bin HIV-positiv. Ich verhalte mich verantwortunsgbewusst.) präsent.

Der Artikel über diese Aktion der kanadischen Gruppe ‚Aids Action now!‘ (ondamaris 25.07.2012: Bareback / Sex ohne Kondom kann verantwortungsvoller Sex sein – Kunstkampagne wendet sich gegen Kriminalisierung) hat viele Nachfragen verursacht – aus diesem Grund bin ich sehr froh, das Olivier mir zahlreiche weitere Fotos zur Verfügung gestellt hat, die einen Euindruck von der Arbeit der Gruppe und der Präsenz während der XIX. Internationalen Aids-Konferenz in Washington vermitteln.

Die Themen der Kampagne von ‚Aids Action now!‘ reichen von Kriminalisierung HIV-Positiver über HIV-positive Frauen und Sex bis Bareback / kondomfreier Sex und Viruslast-Methode sowie der Situation HIV-Positiver in Haft:

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Merci à Olivier pour les photos!

Bareback / Sex ohne Kondom kann verantwortungsvoller Sex sein – Kunstkampagne wendet sich gegen Kriminalisierung

Es ist für viele immer noch ein Reizwort, das Wort ‚ bareback ‚ … Die Aktionsgruppe ‚Aids Action Now!‘ thematisiert auch in Washington Sex ohne Kondom, und die Frage nach Verantwortung sowie die Kriminalisierung von HIV-Positiven.

„Würdest du bitte etwas tiefer blicken?“ – eine Kunst-Kampagne von ‚Aids Action Now!‘ rückt Stereotype und Tabus in den Mittelpunkt, darunter auch die Frage „ist nur Sex mit Kondom verantwortungsvioller Sex?“. Das Motto der Aktion von ‚Aids Action Now!‘, auch zu lesen auf Unterwäsche und Transparenten:

„I party. I bareback. I’m positive. I’m responsible.“
(etwa: Ich feiere. Ich habe Sex ohne Kondom. Ich bin HIV-positiv. Ich verhalte mich verantwortunsgbewusst.)

"I party bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party. I bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party. I bareback. I'm positive. I'm responsible."

Photos aufgenommen von Olivier beim ‚Aids Walk to the White House‘ am 3. Konferenztag (siehe ondamaris 25.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 3: Aids 2012: die grosse Demo – Bring it back, Robin Hood!).

Mikiki, Koordinator bei der ‚Toronto People Living with AIDS Foundation‘ und derjenige Künstler, der das „I Bareback“ – Plakat gemeinsam mit Scott Donald entwickelte, betont, das gegenwärtige legale und daraus sich ergebend soziale Klima in Kanada, das durch die Kriminalisierung der Nicht-Offenlegung des HIV-Status geprägt sei, beeinträchtige aktiv seine Gesundheit als HIV-Positiver:

„The current legal climate and subsequent cultural climate that is constructed through the criminalization of HIV nondisclosure actively impedes my ability to manage my health as a person living with HIV.“

HIV-Negative würden als verantwortungsvoll wahrgenommen, egal ob sie Sex ohne Kondom haben oder nicht – HIV-Positive hingegen würden als verantwortungslos angesehen weil sie sich haben testen lassen. Das stelle er auf den Kopf: er habe sich testen lassen, gerade weil er sich um seine Gesundheit und die seines Partners kümmere. Sie beide würden ihr Sexleben aktiv managen – und das wolle er mit dem Poster thematisieren:

„Negative people are seen as responsible whether they participate in these behaviours or not, but we’re seen as inherently irresponsible because we have tested positive for HIV. But I flip it on its head: I got tested because I care about my health and care about my partners’ health. We are active agents managing our sex lives, and the poster wants to speak to that.“

Die Aktionsgruppe ‚Aids Action Now!‚ (AAN) wurde bereits 1988 auf Initiative und mit aktiver Beteiligung von HIV-Positiven gegründet. Die jetzige Kampagne zu Stereotyopen und Tabus (u.a. mit dem Bareback-Motto) läuft bereits seit 2011 und sorgte u.a. in Toronto im Umfeld des Welt-Aids-Tags 2011 für Aufmerksamkeit.

Im Januar 2012 war die Gruppe Mitveranstalter der Kampagne „We’re not criminals„, die sich angesichts einer anstehenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Kanadas (siehe ondamaris 09.02.2012: „Kanada: Oberster Gerichtshof entscheidet voraussichtlich im Sommer über Pflicht zur Offenlegung der HIV-Infektion“) gegen die Kriminalisierung HIV-Positiver wandte.

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siehe auch
Xtra 25.11.2011: Dare you to look deeper

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Merci à Olivier pour les photos !

„Er ist positiv … in ihn könnt‘ ich mich verlieben“ – neue Kampagne gegen Serophobie in Frankreich

Mit zwei Plakaten wendet sich eine neue französische Kampagne gegen Serophobie, gegen Stigmatisierung und Diskriminierung HIV-Positiver.

HIV-Positive werden auch unter Schwulen immer noch diskriminiert. Hiergegen wendet sich eine kleine neue französische Kampagne mit zwei Motiven. Ihr Ziel: Vorurteilen mit klaren Informationen begegnen.

Il est séropo – avec lui je risque de tomber amoureux“ („Er ist positiv … in ihn könnt‘ ich mich verlieben„, wörtlich „…mit ihm riskiere ich es mich zu verlieben„) – ist die Schlagzeile eines der beiden Motive.

il est séropo - avec lui je risque de tomber amoureux (Crips Ile-de-France)
il est séropo - avec lui je risque de tomber amoureux (Kampagne Serophobie; Foto: Crips Ile-de-France)

Die Kampagne wird gefahren von Crips Ile-de-France, einer Organisation, die von der Region getragen wird. Die Organisation nimmt am 30. Juni 2012 mit einem eigenen Wagen am CSD Paris (Marche des fiertés LGBT‘) teil – und wird dort die beiden Motive erstmals einsetzen. Der Wagen steht dabei auch Gruppen HIV-Positiver zur Verfügung, unter anderem einer Gruppierung Jung-Positiver (‚Les Jeunes Séropotes‘).

Das zweite Motiv der Kampagne trägt den Slogan „Il est séropo – avec lui je risque de prendre mon pied“ (etwa: „Er ist positiv … mit ihm könnt’s richtig heiß abgeh’n …„).

Beide Motive tragen auf der Rückseite umfangreiche Hinweise zu Serophobie. „Das ist möglich, weil …„, und zahlreiche Gründe folgen, vom Verpassen einer tollen Chance jemanden kennen zu lernen, über die Botschaft ‚Kondome schützen‘, bis zu ‚es gibt  Post-Expositions-Prophylaxe (PEP)‘. Bemerkenswert: auch die Viruslast-Methode wird erwähnt:

weil … „avec une personne séropositive qui prend un traitement, a une charge virale indétectable et pas d’IST, le risque de transmission du VIH est presque nul“ (etwa: „mit einem antiretroviral erfolgreich behandelten HIV-Positiven ohne sexuell übertragbare Infektionen das Infektionsrisiko nahezu null ist“)

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Crips Ile-de-France: Campagne Sérophobie 2012

„Es lebe der schwule Sex!“ – neue Kampagne in Frankreich

‚Es lebe der Sex unter Männern!‘ – mit einer neuen Broschüre will die französische Aidshilfe-Organisation Aides szene- und lebensnahe Informationen für HIV-negative, ungetestete wie auch HIV-positive Männer geben.

Erstmals behandelt die Broschüre dabei auch die Frage, wie sich die Höhe der Viruslast eines erfolgreich behandelten HIV-Positiven auf die Infektiosität auswirkt (unter dem Aspekt der sog. Community-Viruslast, der Auswirkung der Therapie auf die Dynamik der HIV-Infektion unter Schwulen).

Aides: 'Vive le Sex entre Mecs!' (c) Aides 2011
Aides: 'Vive le Sex entre Mecs!' (c) Aides 2011

Die neue Broschüre (die sich bei näherem Betrachten als Plakat erweist) ist Teil einer neuen Kampagne von Aides für schwule HIV-negative, HIV-positive und ungetestete Männer: „Prévention des risques et vive le sexe“ (P.R.E.V.S.). Es gebe viele (auch sexuelle) Lebensstile und Praktiken, auf die Prävention nicht mit einer einzigen Antwort reagieren könne. Alle Informationen leicht erfassbar zusammenfassen, das wolle PREVS, so Aides.

Die Broschüre (siehe Titelbild oben) behandelt u.a. Themen wie HIV-Test, antiretrovirale Therapie, Viruslast und Infektiosität, Konsum von Drogen. Sie will alle nötigen Informationen geben, um „selbst Sorge für seine Gesundheit zu tragen“ und „ein erfülltes Sex-Leben zu haben, ob nun als HIV-Negativer oder als HIV-Positiver“.

Ausschnitt aus der Broschüre
Ausschnitt aus der Broschüre

Die französische Aidshilfe-Organisation Aides ist in letzter Zeit des öfteren mit sehr offenherzigen Kampagnen an die Öffentlichkeit gegangen, wie „Katzen haben sieben Leben, du nur eins“ oder einer Kampagne über Diskriminierung HIV-Positiver unter Schwulen.

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weitere Informationen:
Prévention des risques et vive le sexe (P.R.E.V.S.) – Broschüre als pdf
Aides 19.10.2011: AIDES sort « P.R.E.V.S » : Toute la prévention gay sur un poster
Aides 18.10.2011: P.R.E.V.S. : …et vive le sexe !
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Viruslast-Methode im realen Leben angekommen

Gleich drei jüngst vorgestellte Studien zeigen, dass das EKAF-Statement und die Viruslast-Methode in mehrfacher Weise im realen Leben angekommen sind.

“Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … ist sexuell nicht infektiös” – dies ist die Kern-Botschaft eines Statements, das die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF im Januar 2008 veröffentlichte. Lange löste das Statement heftigste Diskussionen aus, unter HIV-Positiven, Aidshilfen wie auch in der Ärzteschaft. Als ‚Viruslast-Methode‘ übersetzte die Deutsche Aids-Hilfe das EKAF-Statement in ihrem Positionspapier „HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe“ für die Prävention. Inzwischen sind EKAF-Statement und Viruslast-Methode in der Realität HIV-Positiver angekommen, wie Studien erneut zeigen.

Eine Studie aus den Niederlanden (Van den Boom, Amsterdam Public Health Service) an 212 Schwulen (aus einem Online-Forum rekrutiert) zeigt, dass HIV-positive Schwule ihre Viruslast zunehmend mit in Betracht ziehen bei der Entscheidung, ob sie ein Kondom benutzen. Unter den Teilnehmern, die Analverkehr ohne Kondom mit einem HIV-positiven Sexpartner hatten, bezogen bei der Entscheidung, das Kondom wegzulassen, 20% derer mit Gelegenheits-Sexpartnern, 58% derer mit Sex-Buddies sowie 45% derer mit einem festen Partner ihre Viruslast in die Entscheidung mit ein. Van den Boom kommentierte, die Ergebnisse zeigten dass ‚viral sorting‘ eine inzwischen recht verbreitete Strategie der Risiko-Reduzierung sei.

Eine US-Studie (Horvath) an 326 schwulen US-Amerikanern kam zu dem Ergebnis, dass HIV-negative Männer bei Sex mit Männern, von deren Status HIV-positiv sie wissen, zunehmend auch über die Viruslast sprechen. Allerdings kam diese Studie auch zu dem Ergebnis, dass ein offener Umgang mit dem positiven HIV-Status immer noch selten ist (7%). Das größte Hindernis beim Einbeziehen der Viruslast in die Entscheidung über die Art des Risikomanagements beim Sex liege immer noch in der geringen Bereitschaft, seinen HIV-positiven Status offen zu legen.

Eine französische Studie (Rojas Castro / durchgeführt von der französischen Aidshilfe-Organisation Aides) an 2.356 Teilnehmern, davon 977 (42%) HIV-positiv, kam zu dem Schluss,  dass die Mehrzahl der HIV-positiven Teilnehmer vom EKAF-Statement weiß. Das Wissen um das EKAF-Statement war assoziiert mit besserer Gesundheit, geringeren Problemen im offenen Umgang mit der eigenen HIV-Infektion (55%) und einem besseren Sexleben (14%). 13% berichteten, seitdem sie vom EKAF-Statement wissen habe sich ihr Kondomgebrauch vermindert, 11% hingehen berichteten von erhöhter Kondom-Verwendung.

Eine Studie in der Schweiz (Barbara Hasse / Universitätsspital Zürich) hatte schon zuvor gezeigt, dass dort der Kondom-Gebrauch bei HIV-Positiven sinkt – jedoch keine Zunahme der HIV-Fälle in der Schweiz zu beobachten sei.

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weitere Informationen:
Van den Boom W et al. Frequent use of viral sorting by HIV-positive MSM: the consideration of viral load when deciding to engage in unprotected anal intercourse with HIV-positive, HIV-negative and status unknown partners. Tenth AIDS Impact conference, Santa Fe, New Mexico. Abstract 172. 2011.
Horvath K et al. Discussions of viral load in negotiating sexual episodes with primary and casual partners among men who have sex with men. Tenth AIDS Impact Conference, Santa Fe, New Mexico. Abstract 111. 2011.
Rojas Castro D et al. The Swiss Statement, who knows about it and what are its effects on PLWHIV? Results from the “VIH, Hépatites et vous” Survey.Tenth AIDS Impact Conference, Santa Fe, New Mexico. Abstract 359. 2011.
Vernazza P et al. Les personnes séropositives ne souffrant d’aucune autre MST et suivant un traitment antirétroviral efficace ne transmettent pas le VIH par voie sexuelle (‚The Swiss Statement‘). Bulletin des Médecins Suisses 89 (5), 2008.
aidsmap 15.09.2011: Viral load increasingly features in safer-sex discussion and decisions by HIV-positive gay men and their partners
Tagesanzeiger 23.08.2011: HIV-Positive verzichten häufiger aufs Kondom
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niedrige Viruslast im Blut senkt auch Infektionsrisiko bei Analverkehr

Die Viruslast im Blut und rektal stehen in enger Korrelation zu einander – HIV-Positive mit einer  Viruslast unter 1.000 Kopien /ml im Blut haben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch kein nachweisbares HIV in rektalen Sekreten. Rektale sexuell übertragbare Infektionen erhöhen die Wahrscheinlichkeit nicht, in rektalen Sekreten HIV festzustellen. Zu diesen wichtigen Ergebnissen kommt eine US-Studie.

Wenn ich im Blut eine nicht nachweisbare Viruslast habe (Viruslast unter der Nacheisgrenze), bedeutet das, dass dies auch im Rektum (Mastdarm, Teil des Enddarms) so ist? Oder ist die Viruslast in Darmflüssigkeiten eventuell unabhängig von der im Blut? Diese Frage – hinter der auch die Frage nach der Infektiosität bei Analverkehr steht, einer möglichen Übertragung von HIV – ist für viele (insbesondere, aber nicht nur schwule) HIV-Positive von grosser praktischer Bedeutung. In einer US-Studie wurde sie nun untersucht – mit eindeutigem Ergebnis.

Analbereich des Mannes (Foto: Cheywen)
Analbereich des Mannes (Foto: Cheywen)

Die Forscher um Kelley kommen in ihrer jüngst im ‚Journal of Infectious Diseases‘ veröffentlichten Studie zu einem eindeutigen Ergebnis: Plasma-Viruslast und Viruslast in rektalen Flüssigkeiten stehen in einem linearen Zusammenhang. Rektale STIs (sexuell übertragbare Infektionen) führen bei Schwulen nicht zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, HIV in rektalen Sekreten festzustellen.
Wichtige Konsequenz der Forscher: eine Unterdrückung der Viruslast im Blut führt wahrscheinlich auch zu einer Reduzierung des Risikos des insertiven (‚aktiven‘) Partners, sich mit HIV zu infizieren.

„Plasma and rectal viral load were correlated, and rectal STIs did not increase the likelihood of detecting HIV in the rectal secretions in MSM, including those with low or undetectable plasma viral load. Suppressing plasma viral load is likely to reduce risk of HIV transmission to insertive partners.“

Die Forscher kommen auch zu dem Schluss, dass eine wirksame antiretrovirale Therapie bei schwulen Männern einen vergleichbaren Effekt wie bei heterosexuellen serodifferenten Paaren auf die Übertragbarkeit von HIV habe:

„Combination antiretroviral therapy will have a similar effect on reducing HIV transmission in MSM, as seen in studies of heterosexual discordant couples.“

Die Forscher untersuchten 80 schwule Männer. 59 von ihnen erhielten antiretrovirale Therapie, 63% von diesen hatten eine Viruslast unterhalb von 1.000 Kopien /ml Blut. Fast alle hatten rektale HPV-Infektionen (humanes Papilloma-Virus, Auslöser u.a. von Feigwarzen / Kondylomen), 36% auch Herpres simplex. Bei 38% der Männer konnte rektal HIV nachgewiesen werden. Die Viruslast in rektalen Proben stand dabei in eindeutigem Zusammenhang mit der Viruslast im Blut. Dies galt auch für Männer mit rektalen sexuell übertragbaren Infektionen.
Der einzige Faktor, der nach Ergebnissen der Forscher in eindeutigem Zusammenhang mit nachweisbarer HIV-Viruslast in rektalen Proben stand, war eine Plasma-Viruslast über 1.000 Kopien.

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Die Studienergebnisse sind für schwule Männern von grosser Bedeutung: Analverkehr ohne Benutzung von Kondomen zählt zu den Haupt-Übertragungswegen von HIV. Rektale Sekrete stellen somit einen bedeutende potentielle Infektionsweg dar. Zudem haben viele schwule Männer im Analbereich sexuell übertragbare Infektionen (die zudem oft nicht festgestellt werden, siehe „anale Untersuchungen häufig Mangelware„). Dass wirksame antitretrovirale Therapie zu einer deutlichen Reduzierung des Infektionsrisikos beim Analverkehr beiträgt, ist für viele schwule Männer eine gute und lebensnahe Nachricht.

Auch in Deutschland stand eine Untersuchung dieser Frage zur Diskussion, im Rahmen der viel diskutierten ‚Rektalstudie‘ (auch: ‚Dildostudie‘).

 

Die Frage, ob die Viruslast-Absenkung im Blut mit einer annähernd ähnlichen Absenkung im Rektum einhergeht, war eine der Fragen, die von Kritikern des ‚EKAF-Statements‘ (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) immer wieder ins Feld geführt wurde. Sie galt lange als vermeintliches Argument dafür, dass das EKAF-Statement nicht auf Homosexuelle (korrekter: auf Analverkehr) anzuwenden sei. Dieser Kritik dürfte nun wesentlich der Boden entzogen sein.

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weitere Informationen:
Colleen F. Kelley et al.: HIV-1 RNA Rectal Shedding Is Reduced in Men With Low Plasma HIV-1 RNA Viral Loads and Is Not Enhanced by Sexually Transmitted Bacterial Infections of the Rectum (abstract)
aidsmap 06.09.2011: Plasma and rectal viral load correlated in HIV-positive gay men: supports use of treatment as prevention
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96% Schutz – eine Revolution, für HIV-Positive wie Negative

Effektive antiretrovirale Therapie senkt das Risiko einer HIV-Übertragung zu 96% -was lange nicht wahr sein durfte, ist nun durch eine internationale Studie bestätigt und von UNAIDS belobigt.

Diese Nachricht ist „ein Hammer“, sie wird das Leben mit HIV wie auch die HIV-Prävention verändern.

„Studie abgebrochen“, diese Nachricht ist – aus verschiedensten Gründen – des öfteren zu hören. Dieser Abbruch allerdings wird weitreichende Konsequenzen haben.

Noch vor wenig mehr als drei Jahren wurde die EKAF weit und breit gescholten, als sie ihr „EKAF-Statement“ (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) publizierte.

Die Deutsche Aids-Hilfe geriet zunächst massiv in die Kritik, als sie die Ergebnisse des EKAF-Statements nicht nur wiedergab, sondern in ihrem Positionspapier (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe) auch zu einer Bewertung kam – die zur „Viruslast-Methode“ führte.

Beide dürfen sich nun im nachhinein bestätigt fühlen, durch eine randomisierte kontrollierte Studie.

Eine wirksame antiretrovirale Therapie verhindert eine HIV-Übertragung zu 96%, zeigt die jetzt vorzeitig abgebrochene Studie. Damit hat antiretrovirale Therapie eine Schutz-Wirkung wie Kondome (genau betrachtet, sogar eine bessere).

„Kondome schützen“, heißt es schon bisher, und dies gilt auch weiterhin. Nun ergänzt um „wirksame Pillen auch“.
Und bei beiden Methoden werden wir lernen müssen, ehrlicher umzugehen mit der Frage,was heißt „96%“, und wie gehen wir mit den verbleibenden vier Prozent um.

Und: nun gilt es umso mehr, sicherzustellen, dass HIV-Positive weltweit möglichst umfassend die Möglichkeit haben, diese Option zu nutzen – was auch heißt: antiretrovirale Therapie muss weltweit zu bezahlbaren Konditionen verfügbar sein.

Und: diese Option muss immer genau dies sein: eine Option, eine Handlungs-Alternative, zu der sich die Beteiligten informiert und frei entscheiden können. Ohne Druck, ohne Zwang zu „treatment as prevention“.

Pillen wirken, senken das Risiko einer HIV-Übertragung drastisch. HIV-Positive und HIV-Negative sowie Ungetestete dürfen sich freuen, über eine neue hochwirksame Möglichkeit, das Risiko von HIV-Übertragungen deutlich zu senken.

Studie bestätigt: wirksame Therapie senkt HIV-Übertragungs-Risiko um 96% – Pillen zur Prävention? (akt.3)

Das Risiko, HIV auf eine bisher nicht mit HIV infizierte Person beim Sex zu übertragen wird durch effektive antiretrovirale Therapie um 96% reduziert. Dieses Ergebnis einer US-Studie wird von UNAIDS als ‚Durchbruch für eine neue Prävention‘ gesehen.

Die Studie zielte darauf ab herauszufinden, ob ein sofortiger Therapiebeginn im Vergleich zu einem späteren Therapiebeginn geeignet ist, das Risiko einer HIV-Übertragung auf den HIV-negativen Partner zu senken. Zudem sollte der etwaige Nutzen für die HIV-infizierte Person selbst bestimmt werden.

Die Studie HPTN 052 untersuchte 1.763 sero-differente Paare (ein Partner HIV-negativ, ein Partner HIV-positiv). Die weit überwiegende Mehrzahl der untersuchten Paare war heterosexuell (97%). Die Positiven (mit CD4-Werten zwischen 350 und 500 zu Studienbeginn) wurden in zwei Gruppen eingeteilt, eine Gruppe mit sofortigem Beginn einer antiretroviralen Therapie, die andere Gruppe mit Therapiebeginn ab einer CD4-Zellzahl von 250 oder Aids-definierenden Erkrankungen. Die Studie fand an 13 Zentren in Afrika, Asien und Amerika statt.

In der zweiten Gruppe (Therapiebeginn später) traten unter 877 Paaren 27 HIV-Übertragungen auf (Übertragung innerhalb des jeweiligen Paares durch genetische Untersuchungen bestätigt). In der Gruppe mit sofortigem Therapiebeginn kam es zu einer (1) HIV-Übertragung.

Die Forscher folgerten, eine sofortige antitretrovirale Behandlung hochgradig den nicht infizierten Partner vor einer HIV-Übertragung schütze:

„The DSMB [Data and Safety Monitoring Board; d.Verf.] concluded that initiation of ART by HIV-infected individuals substantially protected their HIV-uninfected sexual partners from acquiring HIV infection, with a 96 percent reduction in risk of HIV transmission.“

Sie werteten dies als eindeutigen Hinweis, dass ein früherer Therapiebeginn das Übertragungs-Risiko senke:

„This is the first randomized clinical trial to definitively indicate that an HIV-infected individual can reduce sexual transmission of HIV to an uninfected partner by beginning antiretroviral therapy sooner.“

Die Forscher unterbrachen die ursprünglich bis 2015 geplante Studie. Beteiligte Ärzte und Patienten werden über die Ergebnisse informiert, auch allen HIV-Positiven in der Gruppe mit späterem Therapiebeginn werden antiretrovirale Medikamente angeboten.

Dr. Anthony Fauci, Direktor des NIAID National Institute of Allergy and Infectious Diseases (das die Studie finanzierte), betonte die Studie zeige, dass ein früherer Therapiebeginn einen wesentlichen Einfluss auf die Reduzierung der HIV-Übertragung haben könne:

„Previous data about the potential value of antiretrovirals in making HIV-infected individuals less infectious to their sexual partners came largely from observational and epidemiological studies. This new finding convincingly demonstrates that treating the infected individual — and doing so sooner rather than later — can have a major impact on reducing HIV transmission.“

Auch die HIV-positiven Partner profitierten von früherem Therapiebeginn, so die Studie – es seien signifikant weniger Erkrankungen aufgetreten.

UNAIDS bezeichnete die Studienergebnisse in einer Stellungnahme als „bahnbrechend“. Michel Sidibé, Generaldirektor von UNAIDS; sagte dies stelle eine Revolution für die Prävention dar und mache antiretrovirale Therapie zu einer neuen Präventions-Möglichkeit („treatment as prevention“) mit Priorität. Nun müsse sichergestellt werden, dass Paare die Möglichkeit hätten, antiretrovirale Therapie als eine Präventionsmethode zu nutzen – und dass sie Zugang (zu den Medikamenten) hätten:

„This breakthrough is a serious game changer and will drive the prevention revolution forward. It makes HIV treatment a new priority prevention option.
Now we need to make sure that couples have the option to choose Treatment for Prevention and have access to it.“

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Aktualisierung
12.05.2011
, 23:00: „Auch gleichgeschlechtlicher Paare brauchen jetzt dirngend Antworten, kommentiert Oriol R. Gutierrez Jr., Direktor beim US-Positiven-Magazin POZ die Aussage der Forscher, Ergebnisse ihrer Studie ließen sich nicht ohne weiteres auf Schwule übertragen. Für sie liefere die jetzige Studie Hoffnungen, aber keine wissenschaftlichen Beweise.

13.05.2011, 09:00: In einer Stellungnahme betonte NIAID-Direktor Fauci, dass die bisherigen Erkenntnisse zur Senkung des HIV-Übertragungsrisikos durch wirksame Therapie aus Beobachtungs- und epidemiologischen Studien stammten. Nun sei nachgewiesen, dass eine Behandlung des Individuums, und zudem eine frühzeitige, einen wesentlichen Einfluss auf die Reduzierung des HIV-Übertragungsrisikos haben könne.
18:30: Armin Schafberger, Medizin-Referent der Deutschen Aids-Hilfe, kommentiert „Sie [Menschen mit HIV; d.Verf.] haben nun Gewissheit, dass die Therapie ihre Partner zuverlässig schützt. Das haben wir zwar schon gewusst, die Studie untermauert dieses Wissen aber nun mit klaren Zahlen.“

14.05.2011, 08:30: Die Ergebnisse der Studie werden Einfluss auf die neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO haben, äußert WHO-Generaldirektorin Margaret Chan laut SZ.
Warum sind kaum Daten für Schwule produziert worden? „Wir hätten uns eine große Zahl von Männern als Versuchspersonen gewünscht, aber sie waren einfach nicht interessiert“, zitiert die NYT Myron Cohen von der University of North Carolina in Chapel Hill.
Und welche Folgen hat die Studie? Michel Sidibé, UNAIDS-Generaldirektor: „Die Unterscheidung zwischen Behandlung und Vorbeugung ist nicht real“

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weitere Informationen:
HIV Prevention Trials Network 12.05.2011: Initiation of Antiretroviral Treatment Protects Uninfected Sexual Partners from HIV Infection (HPTN Study 052) (pdf)
UNAIDS 12.05.2011: Groundbreaking trial results confirm HIV treatment prevents transmission of HIV
aidsmap 12.05.2011: Treatment as prevention works: randomised study shuts 3 years early after showing 96% reduction in risk of transmission
poz and proud 12.05.2011: Bevestiging
poz 12.05.2011: Study: ARV Treatment Reduces HIV Transmission 96 Percent
SpON 12.05.2011: Schutz vor HIV – Medikamente senken Aids-Ansteckungsrisiko
POZ Blogs / Oriol R. Gutierrez Jr. 12.05.2011: Same-Sex Serodiscordant Couples Need Answers
New York Times 12.05.2011: Early H.I.V. Therapy Sharply Curbs Transmission
Advocate 12.05.2011: HIV: Early Treatment Could Reduce Partner Transmission
NIAID 12.05.2011: Treating HIV-infected People with Antiretrovirals Protects Partners from Infection
DAH 13.05.2011: Antiretrovirale Therapie schützt hoch effektiv vor HIV-Übertragung
alivenkickin 13.05.2011: „Therapie als Prävention? Ja!“ . . . Ohne Druck, Ohne Zwang
Pietro Vernazza 12.05.2011: EKAF-Statement durch randomisierte Studie bestätigt
SZ 13.05.2011: Früher Medikamenteneinsatz schützt Partner vor HIV
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„Nicht in freier Wildbahn“

HIV-Positive, die antiretrovirale Medikamente nehmen, sind meistens kaum noch ansteckend. Was heißt das für schwule Paare, bei denen ein Partner positiv ist? Unter welchen Bedingungen kann man auf Kondome verzichten? Der Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe, Armin Schafberger, über Chancen und Risiken bei der „Viruslastmethode“

Herr Schafberger, ein HIV-positiver Mensch, der erfolgreich therapiert wird, ist kaum noch ansteckend. Heißt das, er kann aufs Kondom verzichten und trotzdem Safer Sex haben?
Ja – allerdings nicht bei Gelegenheitssex, sondern nur in festen Beziehungen. Denn für Safer Sex ohne Kondom müssen drei strenge Bedingungen erfüllt sein: Die Sexpartner dürfen keine anderen sexuell übertragbaren Infektionen haben, zum Beispiel auch keine Herpes-Bläschen. Der Positive sollte seine Viruslast – also die Menge der Viren pro Milliliter Blut – vom Arzt regelmäßig kontrollieren lassen. Und er muss seine Medikamente sehr zuverlässig einnehmen. Das alles lässt sich beim Sex mit Partnern in der freien Wildbahn natürlich nicht überprüfen.

Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe
Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe

Aber in einer vertrauensvollen festen Beziehung ist das Kondom verzichtbar?
Wir gehen davon aus, dass die Risikoreduktion durch eine erfolgreiche Therapie mindestens 95 Prozent beträgt. Das kann man aus vielen Studien mit „serodifferenten“ Paaren ersehen. Allerdings waren die Teilnehmer dieser Studien alle heterosexuell. Die Infektionswahrscheinlichkeit bei Analverkehr ist höher ist als bei Vaginalverkehr. Aber auch hier liegt die Risikoreduktion noch über 95 Prozent. Das heißt: Die Bestmarke des Kondoms ist geknackt.

Das durchschnittliche Risiko für „passiven“ ungeschützten Analverkehr liegt um die 1,4 Prozent. Durch Safer Sex wird es um mindestens 95 Prozent reduziert – macht rund 0,07 Prozent. Wenn zwei Männer in einer festen Partnerschaft regelmäßigen Sex haben, ist dann eine Infektion des negativen Partners nicht nur eine Frage der Zeit?
Man kann mit diesen Durchschnittswerten für das Individuum keine Aussage machen. Eine HIV-Übertragung hängt von vielen Kofaktoren ab: Eine hohe Viruslast beim positiven Partner, zum Beispiel in der frühen Phase der Infektion, erhöht das Risiko um den Faktor 10 oder vielleicht sogar mehr. Auch ein Syphilisgeschwür erhöht das Risiko. Bei Vorliegen einer hohen Viruslast plus Syphilis-Geschwür kann somit aus einem relativ niedrigen durchschnittlichen Risiko eine fast sichere Infektion werden. Umgekehrt gilt: Bei niedriger Viruslast und Abwesenheit von Schleimhautverletzungen sinkt das Risiko drastisch.

Nochmal in aller Deutlichkeit: Würden Sie sagen, ein serodifferentes Paar kann beim Analverkehr das Kondom weglassen, wenn es das gerne möchte?
Das ist eine individuelle Entscheidung. Wenn die Partner maximale Sicherheit haben wollen, sollten sie beides machen: Therapie und Kondom. Aber gerade Paaren fällt das auf Dauer oft schwer. Es gibt in Beziehungen oft ein großes Bedürfnis, das Kondom wegzulassen. Denen sagen wir: Das Risiko in einer längeren festen Partnerschaft ist unter den genannten Bedingungen so niedrig wie bei Safer Sex ohne Therapie.

Warum ist Ihnen diese Botschaft so wichtig?
Dank der Info über die Infektionswahrscheinlichkeit unter Therapie wissen die Leute nun, dass sie nichts falsch machen, wenn sie – unter den genannten Bedingungen – das Kondom weglassen. Dieses Wissen mindert die Angst, sich oder den anderen zu infizieren, ganz enorm. Das ist ein großer Pluspunkt für ein selbstbewusstes und gesundheitsbewusstes Leben. Darum war es uns wichtig, diese neue Präventionsbotschaft zu verkünden.

Die Deutsche AIDS-Hilfe wurde dafür teilweise scharf kritisiert …
… und es wird noch immer darüber gestritten. Aber was passiert denn, wenn wir diese Botschaft nicht senden? HIV-Positive erfahren ja bei ihrem Arzt von den enormen Therapieerfolgen. Bei vielen ist kein Virus mehr im Blut nachweisbar.
Dann versuchen sie, das Risiko selber abzuschätzen – und haben vielleicht ausgerechnet kurz nach Therapiepause ungeschützten Sex, wenn die Viruslast noch hoch ist. Oder sie achten nicht auf sexuell übertragbare Krankheiten. Die antiretroviralen Therapien tragen zur Prävention bei, und es ist fair, das allen Menschen mitzuteilen. Strittig ist das Thema trotzdem noch, denn wir wissen nicht mit letzter Sicherheit, wie hoch genau das Restrisiko ist. Aber das gilt auch für das Kondom.

Bei einem gut behandelten HIV-Positiven sind keine Viren mehr im Blut nachweisbar. Trotzdem sinken die Infektionszahlen nicht. Wie kommt das?

Das liegt an einer ganzen Reihe von Faktoren. Eine wichtige Rolle spielt der Verlauf der Infektion: Unmittelbar nach einer Ansteckung ist die Viruslast extrem hoch – und die Betroffenen wissen oft noch nicht, dass sie sich infiziert haben. Wir gehen davon aus, dass relativ viele HIV-Übertragungen in dieser akuten Phase geschehen. Und von den Menschen, die von ihrer Infektion wissen, nehmen nur etwa drei Viertel antiretrovirale Medikamente.

Interview: Philip Eicker

weitere Informationen:
Artikel über das ‚EKAF-Statement‘: „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs
HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe
HIV-Report 1/2010 der Deutschen Aids-Hilfe (zu HIV-Übertragungswahrscheinlichkeit bei Analverkehr sowie zu HIV-Übertragungswahrscheinlichkeit in der akuten und chronischen Phase der Infektion) (pdf)

dagnä: Position zum EKAF-Statement (akt.)

Die dagnä, die Arbeitsgemeinschaft niedergelassener HIV-Ärzte, hat sich erstmals zum EKAF-Statement geäußert.

In ihrer am 27. Oktober 2010 veröffentlichten Position unterstützt die DAGNÄ „in vollem Umfang“ die Stellungnahme, die die DAIG Deutsche Aids-Gesellschaft jüngst zum EKAF-Statement veröffentlicht hat. „Der Vorstand der dagnä schließt sich ausdrücklich der aktuellen Kommentierung der DAIG an.“

In ihrer Position formuliert die dagnä

„Das EKAF-Statement ist gut geeignet, darauf hinzuweisen, dass eine konsequent eingenommene antiretrovirale Kombinationstherapie das Risiko der HIV-Übertragung hochwahrscheinlich und mindestens in derselben Größenordnung reduziert wie das Kondom, wenn aktive sexuell übertragbare Erkrankungen ausgeschlossen sind.“

Sie betont dabei

„Die Schlussfolgerung des EKAF-Statements, eine HIV-Übertragung sei ausgeschlossen, weil der infizierte Partner/die infizierte Partnerin „nicht infektiös“ sei, wird in dieser Formulierung nicht geteilt. Das Risiko einer Übertragung von HIV ist – unter den skizzierten Bedingungen des EKAF-Statements – allerdings sehr gering, aber es ist – insbesondere auf Populationsbasis – nicht vernachlässigbar.“

Auch die dagnä betont die gemeinsame Verantwortung aller beteiligten Partner

„Die dagnä sieht beim Sex eine geteilte Verantwortung beider Sexualpartner, Vorkehrungen zur Vermeidung der Übertragung von HIV zu treffen. Im Einzelfall kann die ärztliche Beratung hier hilfreich sein. Die Übernahme der Verantwortung ist ausdrücklich auch unabhängig vom Serostatus stets von jedem Einzelnen zu fordern.“

Die DAIG Deutsche Aids-Gesellschaft hatte sich Anfang Oktober 2010 erneut zum EKAF-Statement geäußert (siehe „DAIG: Positive Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten„; siehe auch Kommentar „Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier“).

Die dagnä Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e.V. wurde 1990 gegründet.
Erst jüngst hatten sich DAIG und dagnä in einer gemeinsamen Stellungnahme zur zahnärztlichen Versorgung HIV-Infizierter geäußert.

Als erste Organisation hatte die Deutsche Aids-Hilfe DAH im April 2009 ihre Position zum EKAF-Statement veröffentlicht: „HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe „. Einer der damaligen Kern-Sätze: „Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.“

weitere Informationen:
DAGNÄ 27.10.2010: Die dagnä-Position zu EKAF
DAH 29.10.2010: HIV-Therapie und Infektionsrisiko: dagnä schließt sich DAIG-Stellungnahme an
alivenkickin 29.10.2010: DAIG und DAGNÄ: Stellungnahmen zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten
Matthias Gerschwitz 29.120.2010: Das »Gummi«-Statement
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Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier

Die Deutsche Aids-Gesellschaft hat eine neue DAIG-Stellungnahme zum EKAF-Statement vorgelegt. In diesem äußert sie sich ausführlich zum EKAF-Statement (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs). Was bedeutet diese Stellungnahme im einzelnen? Einige persönliche Gedanken …

Die Frage der Reduzierung der Infektiosität und die Bewertung der Konsequenzen daraus

Die DAIG äußert sich zur Frage der Reduzierung der Infektiosität in Folge wirksamer antiretroviraler Therapie, sie stimme

„Aussagen der UNAIDS zu, dass die HIV-Therapie prinzipiell die HIV-Übertragung reduziert“,

und erläutert

„Verschiedene Studien zeigen, dass der Einsatz der HIV-Therapie mit einer Reduktion der sexuellen HIV-Übertragung assoziiert ist, wahrscheinlich vergleichbar zum Effekt des korrekten Kondomgebrauchs.“

sowie

„Das im EKAF-Statement benannte Risiko von ca. 1:100.000 oder weniger pro Kontakt bei effektiver HIV-Therapie aber ohne Kondom erscheint prinzipiell plausibel.“

Nichts inhaltlich wesentlich anderes sagt die Deutsche Aids-Hilfe in ihrem Positionspapier (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe), und zieht daraus die Konsequenz

„Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.“

Die DAIG formuliert zurückhaltender und betrachtet auch das verbleibende Einzelfall-Risiko, wenn sie das Fazit zieht, dass

„das Risiko für eine sexuelle HIV-Transmission von Menschen unter effektiver HIV-Therapie in Populationsstudien fester Partnerschaften und nach mathematischen Kalkulationen sehr gering ist, kumulativ und im Einzelfall aber bezifferbar und relevant bleibt.“

Eine Aussage, die nicht in Widerspruch zum Fazit des DAH-Positionspapiers steht, dass das Risiko einer HIV-Übertragung bei Viruslast-Methode so gering ist wie bei Kondom-Benutzung.

Anders ausgedrückt: das Kondom war bisher (und bleibt) der ‚Gold-Standard‘ der HIV-Prävention. Mit der Viruslast-Methode gibt es nun eine zweite Methode, die eine ebensolche Schutzwirkung erreichen kann. Beide Methoden haben ihre Schwächen – und ihre Stärken (siehe DAH-Positionspapier, Punkt 3.5).

Entsprechend kommt auch die DAIG zu der Einschätzung, dass

„in festen diskordanten Partnerschaften nach eingehender Information und Beratung dem HIV-negativen Partner letztlich die Entscheidung obliegt, auf weitere Schutzmaßnahmen zu verzichten, wenn

1. die antiretrovirale Therapie (ART) durch den HIV-infizierten Menschen konsequent eingehalten und durch den behandelnden Arzt regelmäßig kontrolliert wird;
2. die Viruslast (VL) unter ART seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt;
3. keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD) bestehen.”

Wobei die DAIG zur Frage des Rest-Risikos darauf hinweist, dass

„das Risiko der Übertragung einer HIV-Infektion auch bei konsequenter und effektiver HIV-Therapie nach unserer Meinung nicht vernachlässigbar ist.“

Ein Rest-Risiko, das auch bei Kondomen besteht – die wir bereits seit über 20 Jahren zum Schutz gegen eine HIV-Infektion verwenden, nur weitgehend ohne uns dieses Rest-Risikos bewusst zu sein oder es zu thematisieren. Ein Rest-Risiko, das genau der Grund ist, warum wir von „safer“ Sex sprechen, und eben nicht von „safe“ Sex.

Die Frage der Verantwortung

Die DAIG betont erfreulicherweise mehrfach die

„gleichberechtigte Verantwortlichkeit bei sexuellen Handlungen“.

In einer sexuellen Begegnung haben beide Partner Verantwortung für die Frage, wie sie mit dem Schutz vor Infektionen umgehen wollen.

‚Gleichberechtigte Verantwortung‘ – eine Formulierung, die so manchem Boulevardblatt leider noch fremd zu sein scheint, wie die Berichterstattung über Nadja Benaissa in den jüngsten Tagen zum wiederholten Male zeigte. Eine klare Formulierung, die umso mehr begrüßenswert ist.

Die Sache mit dem Strafrecht

Die DAIG betont gleich zu Beginn, sie sei

„der festen Überzeugung, dass es keinen Sinn macht, der Herausforderung der HIV-Epidemie mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen“.

Zur Frage, welche Konsequenzen das EKAF-Statement juristisch haben könnte, formuliert die DAIG vorsichtig

„Es ist möglich, dass sich ein potentiell reduziertes Infektionsrisiko durch eine HIV-Therapie in individuellen Fällen auf das Strafmaß auswirkt. Ob es strafabwendend wirkt, muss die Rechtsprechung im Einzelfall entscheiden.“

Resümee

Was bedeuten die einzelnen Punkte der DAIG-Stellungnahme? Letztlich, trotz aller Wenns, aller Abers, aller Beurteilungen als ‚befremdlich‘ oder ’nur schwer nachvollziehbar‘ – in der Substanz ist das neue Statement der DAIG m.E. positiv und begrüßenswert: Es findet sich bei genauerem hinsehen viel Übereinstimmung. In seinem Kern ist das Statement der DAIG in weiten (wenn auch nicht allen) Teilen nicht sehr entfernt vom Inhalt des Positionspapiers der Deutschen Aidshilfe – das wohl (besonders in den Botschaften, die es daraus ableitet) über das Statement der DAIG hinaus geht. Entsprechend begrüßt auch die DAH in ihrer Reaktion die Stellungnahme der DAIG und betont weitreichende Übereinstimmungen.

Die wesentliche Aussage des DAH-Positionspapiers („Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen“) findet im DAIG-Statement keinen Widerspruch, die dem zugrunde liegende Risikoeinschätzung wird als „plausibel“ betrachtet. Viruslast-Methode und korrekter Kondom-Gebrauch sind in ihrem Effekt hinsichtlich der Verhinderung der HIV-Übertragung vergleichbar. In den Bedingungen für die Anwendung der Viruslast-Methode stimmen DAH und DAIG überein.

Sehr erfreulich ist darüber hinaus, dass die DAIG klare Worte zur Kriminalisierung der HIV-Infektion findet und klarstellt, dass es „keinen Sinn macht, der Herausforderung der HIV-Epidemie mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen”.

Auch zur Frage der Verantwortung für Schutz findet die DAIG mit der Formulierung „gleichberechtigte Verantwortlichkeit bei sexuellen Handlungen“ begrüßenswert klare Worte – und erteilt einseitigen Zuweisungen (i.d.R. an den / die HIV-Positive/n) implizit eine klare Absage.

Es wäre begrüßenswert, wenn DAIG und DAH – wie die DAH in ihrer Reaktion erneut vorschlägt – nun einen erneuten Anlauf nehmen, ein gemeinsames Positionspapier zu erstellen.

Insgesamt scheint mir so das Positionspapier der DAIG begrüßenswert und ein Fortschritt auf dem Weg des EKAF-Statements in die Praxis. Ein Weg, den wir seit nun beinahe drei Jahren gehen, ein Weg der mühsam und manchmal beschwerlicher als erwartet ist – aber auf dem auch dieses Statement einen Fortschritt darstellt.

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Nebenbei: ich freue mich, dass auch ein ondamaris-Artikel (Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften) die DAIG zu ihrer Stellungnahme veranlasst hat – und zu einer fünfseitigen (wenn auch stellenweise sehr kritischen) Auseinandersetzung mit dem Artikel. Zu einem  Gedankenaustausch stehe ich auch weiterhin gerne zur Verfügung.

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DAIG: Positive Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten

Die Deutsche Aids-Gesellschaft hat einen „erneute Stellungnahme“ zum EKAF-Statement vorgelegt. Sie stimmt darin in Teilen der Position von EKAF und DAH zu.

Am 30. Januar 2008 legte die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen ihr Statement vor (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs). Die Deutsche Aids-Hilfe stellte Anfang April 2009 in Reaktion darauf und nach umfangreichen Diskussionen ihr Positionspapier vor (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe).

Nun hat auch die Deutsche Aids-Gesellschaft eine erneute Stellungnahme vorgelegt.

Die DAIG kommt in ihrer (insgesamt 17seitigen) Stellungnahme u.a. zu folgenden Schlüssen:

„Nach unserer Bilanz ist in Abwägung der Ergebnisse der dem EKAF-Statement zugrunde liegenden Studien und aktueller Publikationen das Risiko für eine sexuelle HIV-Transmission von Menschen unter effektiver HIV-Therapie in Populationsstudien fester Partnerschaften und nach mathematischen Kalkulationen sehr gering, bleibt aber kumulativ und im Einzelfall bezifferbar und relevant.“

und

„Die DAIG unterstützt die Einschätzung, dass in festen diskordanten Partnerschaften nach eingehender Information und Beratung dem HIV-negativen Partner letztlich die Entscheidung obliegt, auf weitere Schutzmaßnahmen zu verzichten, wenn

1. die antiretrovirale Therapie (ART) durch den HIV-infizierten Menschen konsequent eingehalten und durch den behandelnden Arzt regelmäßig kontrolliert wird;
2. die Viruslast (VL) unter ART seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt;
3. keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD) bestehen.“

Zu ihrer neuen Stellungnahme sah sich die DAIG nach eigenen Angaben veranlasst „durch Internetbeiträge und anhaltende Diskussionen“ – unter anderem einen ondamaris-Artikel (Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften).

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Deutsche Aids-Gesellschaft: Erneute DAIG-Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten (Newsmeldung)

Deutsche Aids-Gesellschaft: komplette Stellungnahme (17 Seiten) als pdf

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In wesentlichen Teilen schließt sich die Deutsche Aids-Gesellschaft in ihrer neuen Stellungnahme nun dem Inhalt des Positionspapier an, das die Deutsche Aids-Hilfe vorgelegt hat. Dies ist ein erfreulicher und sehr zu begrüßender erster Schritt (ein ausführlicherer Kommentar der neuen Stellungnahme folgt hier: ‚Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier‚). Ein Schritt, der auch für Behandler und Patienten nun mehr Klarheit bringen wird.

Besonders zu begrüßen wäre es, wenn nach der DAIG (die eher die Klinischen Ärzte vertritt) nun auch die niedergelassenen Ärzte (vertreten in der DAGNÄ) sich zu einer Position durchringen könnten.

Eine gemeinsame Stellungnahme der in der Behandlung HIV-Positiver engagierten Ärztinnen und Ärzte könnte dann auch Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern eine weitere Handreichung sein, und zu einer größeren Rechtssicherheit führen.

Es wird Zeit, dass die unterschiedliche Behandlung des EKAF-Statements vor deutschen Gerichten ein Ende hat. Die niedergelassenen Ärzte sind aufgefordert, dem prinzipiell begrüßenswerten Schritt der DAIG zu folgen.

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Nachsatz: dass ein Artikel auf ondamaris die DAIG mit zu ihrer erneuten Stellungnahme veranlasst hat, erfreut den Autor … (bei aller Kritik, die die DAIG an dem Artikel äußert)

siehe auch:
DAH 08.10.2010: Neue Stellungnahme zur Infektiosiät von Patienten unter HIV-Therapie
Mit HIV leben 10.10.2010: Rechtssicherheit: Die DAIG hat ein Statement
HIV&more 15.10.2010: Neue Stellungsnahme der DAIG zum EKAF-Statement
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Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften (akt.)

Eine erfolgreiche Therapie reduziert die Infektiosität – aber welche Konsequenzen hat das? Insbesondere vor Gericht? Zwei Fachgesellschaften können nicht zu einer gemeinsamen Haltung finden. Die Leidtragenden: die Rechtssicherheit – und Menschen mit HIV, die mit dem Vorwurf der Körperverletzung vor Gericht stehen.

Wenn HIV-Positive vor Gericht stehen, spielt bei der Beurteilung der Frage, wie eine etwaige bzw. mögliche Übertragung von HIV juristisch zu beurteilen ist, neben vielen anderen immer wieder auch die Frage eine Rolle, ob der Positive infektiös war – oder ob aufgrund erfolgreicher Therapie ein reales Infektionsrisiko kaum gegeben war.

Gerichte haben diese Frage in Deutschland in den letzten beiden Jahren immer wieder in unterschiedlichem Umfang berücksichtigt – und sind zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Verkürzt gesagt, von Verurteilung trotz erfolgreicher Therapie bis Freispruch, eben aufgrund erfolgreicher Therapie (und fehlender Infektiosität) – das Spektrum der Urteile ist breit.

Ein Unding, findet der Blogger „diego62“, und wundert sich. Irritiert wendet er sich an die Bundesregierung, bittet um Klarheit. Wie steht es mit der Frage des EKAF-Statements, der Frage der stark reduzierten Infektiosität bei erfolgreicher Therapie, und deren Einbeziehung und Bewertung vor Gericht?
Der Blogger betont in seiner Anfrage an das Bundesministerium für Gesundheit

„Nur in deutschen Gerichten vermisst man diesen Sachverhalt in den Urteilen der letzten Monate. Hier werden, je nach dem der Gutachter den Verhalt auslegt, sehr unterschiedliche Urteile [gefällt; d.Verf.].“
und erläutert seine Anfrage
„Es kann nicht sein, dass hier ein HIV-Positiver unter Nachweisgrenze wegen schwerer (versuchter) Körperverletzung verurteilt wird, weil dem Gutachter/Richter die EKAF-Studie egal oder unbekannt ist und anders wo in einem gleichen Fall ein Freispruch gefällt wird.“

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) betont in seiner Antwort den verfassungsmäßigen Grundsatz der  Gewaltenteilung – ein Ministerium könne keinen „Einfluss auf die rechtsprechende Gewalt nehmen“.
Zugleich betont das BMG die Bedeutung möglicher Stellungnahmen von Fachgesellschaften:

„Bei verallgemeinerungsfähigen Fragestellungen wirken sich allerdings Veröffentlichungen von juristischen Fachkreisen und insbesondere die Rechtsprechung der Obergerichte und des Bundesgerichtshofs vereinheitlichend auf die Rechtsprechung aus.“

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Das Statement der EKAF Eidgenössischen Kommission für AIDS-Fragen (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) hat nach seinem Erscheinen im Januar 2008 (!) bei HIV-Positiven, in Aidshilfen sowie in medizinischen Fachkreisen zu teils aufgeregten Diskussionen geführt. Diese Aufregung hat sich inzwischen gelegt, was einst umstritten war, ist längst weitgehend einhellige Meinung. Nationale und Internationale Organisationen wie UNAIDS und UNDP unterstützen EKAF-Statement und Viruslast-Methode (siehe Nachtrag 09.10.2010).

Das Potential, das in der Stellungnahme liegt, ist auf Seiten von Epidemiologen längst erkannt, bis hin zu Diskussionen über neue Strategien wie „test and treat“ (eine Viruslast unter der Nachweisgrenze senkt drastisch die Infektiosität, dadurch sinkt in Folge auch die Zahl der HIV-Neuinfektionen – möglichst viele Positive möglichst früh zu behandeln, könnte also helfen die Zahl der neuen HIV-Infektionen niedriger zu halten).

Die Deutsche Aidshilfe hat nach intensiven Diskussionen inzwischen (seit April 2009 !) längst eine Position zum EKAF-Statement (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH)). Sie kommt hierin zu der klaren Aussage

„Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.
Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“

Die DAH spricht in Übersetzung des EKAF-Statements in die Praxis der Aids-Arbeit von der

„Präventionsmethode „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze““

Nicht einigen hingegen können sich – auch zweieinhalb Jahre nach Vorliegen des EKAF-Statements – anscheinend die beiden in Deutschland zuständigen Fachgesellschaften, die Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG) und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für die Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ).

Diese Uneinigkeit der betreffenden Fachgesellschaften führt zu eben jener Rechtsunsicherheit, die der Blogger in seiner Anfrage an das BMG moniert hat. Eine Rechtsunsicherheit, die bei ihm den Eindruck erweckt, dass

„eine Verurteilung oder ein Freispruch eher vom Gutdünken oder Informationsstand eines Sachverständigen abhängt, nicht jedoch von einer wirklichen Gefährdung durch den Betroffenen.“

Der Blogger steht mit seiner Wahrnehmung nicht allein. Auch Corinna Gekeler und Karl Lemmen (Deutsche Aids-Hilfe) kommen in ihrem Beitrag „(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?“ zu dem Schluss:

„Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.“

Eine klare und soweit möglich eindeutige Haltung der beiden zuständigen Fachgesellschaften könnte hier, darauf weist das Bundesministerium für Gesundheit in seiner Antwort nochmals explizit hin, zu deutlich mehr Rechtssicherheit vor deutschen Gerichten führen.

DAGNÄ und DAIG hatten zweieinhalb Jahre Zeit, ihre Position zu finden und aus beiden Haltungen eine gemeinsame Stellungnahme zu entwickeln. Allein, eine klare und gemeinsame Haltung fehlt bisher weiterhin. Im Gegenteil, in Gesprächen könnte manchmal der Eindruck entstehen, beide Gesellschaften verträten beinahe entgegengesetzte Meinungen …

Freispruch oder Verurteilung – die Konsequenzen, die nahezu gleiche Sachverhalte aufgrund des Nicht-Berücksichtigens des EKAF-Statements sowie des Fehlens einer gemeinsamen Stellungnahmen der beteiligten Fachgesellschaften haben, sind gravierend. Zu Lasten der Rechtssicherheit, und zu Lasten derjenigen Menschen mit HIV, die mit dem Vorwurf der Körperverletzung vor Gericht stehen.

Zweieinhalb Jahre sollten genügen, seine Position zu finden und mit dem ‚Kollegen‘ abzustimmen – es wird Zeit, dass sich etwas tut, dass beide Fachgesellschaften endlich zu einer den heutigen Realitäten gerecht werdenden gemeinsamen Stellungnahme kommen.

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Nachtrag 14.8., 23:45:
(1) Man kann das Thema auch anders angehen: Prof. Pietro Vernazza, einer der Väter des EKAF-Statements: „Ein weiteres Ziel des EKAF-Statements war gewesen, die in der Schweiz bis dahin recht häufigen Verurteilungen von HIV-Positiven (wegen Gefährdung Anderer trotz Beachtung der genannten Voraussetzungen) zu reduzieren. Dies ist gelungen.“ (nach einem Bericht „EKAF-Statement: 2 Jahre danach „)
(2) Zwar gab es Anfang 2008 den Versuch einer „Gemeinsame Stellungnahme von DAH, DAIG, DAGNÄ, RKI, BZgA, WZB“. Bekannt wurde aus dem Treffen allerdings nur eine „Gemeinsame Stellungnahme – Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/AIDS gelten nach wie vor“ vom 27.2.2008, gezeichnet damals von BZgA, RKI und DAH – nicht DAIG und DAGNÄ. Diese Stellungnahme sprach von „Gefährdungslage“ und Kondomen als entscheidendem Schutz. Zum Versuch einer gemeinsamen Stellungnahme vermeldet der HIV-Report nach einem Jahr (Ausgabe vom 25.2.2009) lakonisch „nicht miteinander vereinbare Positionen bei den Akteuren“.
(3) Die DAIG ringt sich in einer Stellungnahme vom 23.4.2009 immerhin zu der Aussage durch „Auch durch die erfolgreiche Unterdrückung der Virusvermehrung mittels wirksamer antiretroviraler Therapie wird die Übertragung von HIV deutlich reduziert“ – schließt allerdings kurz darauf an „Sie [die DAIG, d.Verf.] weist jedoch darauf hin, dass diese Annahme überwiegend auf Modellrechnungen beruht und für den einzelnen Menschen weiterhin ein fassbares Risiko der HIV-Infektion besteht.“ Sie betont „Aus Sicht der DAIG lässt sich das Problem der HIV-Übertragung nicht strafrechtlich lösen.“ Neuere Stellungnahmen der DAIG zum EKAF-Statement und der Frage der Infektiosität bei HAART, auch angesichts neuer wissenschaftlicher Publikationen, sind nicht bekannt.
(4) Von der DAGNÄ sind keine Stellungnahmen zum EKAF-Statement bekannt.

Nachtrag 09.10.2010:
UNAIDS hat sich vor dem Human Rights Council zur Reduktion der HIV-Transmission durch Therapie geäußert und auch auf das EKAF-Statement verwiesen, sich jedoch nicht zur Frage des Kondomgebrauchs geäußert.

 

 

Diego62 19.07.2010: Rechtssicherheit
Diego62 13.08.2010: Antwort vom Bundesministerium für Gesundheit
Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG)
Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für die Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ)
„HIV-Transmission und Schutzmöglichkeiten für diskordante Paare – Gemeinsame Stellungnahme von DAH, DAIG, DAGNÄ, RKI, BZgA, WZB“. in: HIV-Report 04/2008 (pdf)
BZgA, RKI, DAH 27.02.2008: Gemeinsame Stellungnahme – Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/AIDS gelten nach wie vor
„The Year After“. in: HIV Report 01/2009 (pdf)
infekt.ch 01.02.20210: EKAF-Statement: 2 Jahre danach
DAIG / presseportal 23.04.2009: Stellungnahme der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) zur Frage der Infektiosität von Patienten unter HIV-Therapie
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Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 23.07.2010 (akt.)

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 5, 23. Juli 2010:

Elly Katabira aus Uganda neuer IAS-Chef

Zwei Jahre war der Kanadier Julio Montaner Chef der International Aids Society, der Veranstalterin der Welt-Aids-Konferenzen. Nun wird er im August 2010 abgelöst von Prof. Elly Katabira aus Uganda. Katabira ist derzeit Associate Professor of Medicine an der Makerere University / College of Health Sciences in Kampala, Uganda.
Nachfolgerin Katabiras wird mit Beendigung der Welt-Aids-Konferenz 2012 in Washington dann die Nobelpreisträgerin Prof. Barré-Sinoussi werden.

IAS: Biographie Elly Katabira (pdf)
IAS 23.07.2010: Elly Katabira Becomes IAS President Francoise Barre-Sinoussi Becomes IAS President Elect

Homophobie erhöht HIV-Risiko – zeigt Studie aus Uganda

In Kampala (Uganda) haben Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), und die homophobe Gewalt oder Missbrauch erlebten, ein fünffach erhöhtes Risiko, HIV-positiv zu sein. Dies berichteten Forscher über eine (um die Zielgruppe besser zu erreichen nach dem Schneeball-Prinzip aufgebaute) Studie, die zwischen Mai 2008 und April 2009 in Kampala stattfand. 3030 Männer, die in den vergangenen drei Monaten Analverkehr mit anderen Männern hatten, nahmen an der Studie teil. Die HIV-Prävalenz lag bei 13,7% (Kampala erwachsene Männer 4,5%). Von allen Studienteilnehmern waren 37% bisher schon einmal körperlich missbraucht worden, 26% waren zum Sex gezwungen worden. Männer, die jemals Gewalt oder Missbrauch erlebt hatten, hatten ein nahezu fünffach höheres Risiko, mit HIV infiziert zu sein.

aidsmap 22.07.2010: Ugandan study shows why human rights are central to HIV prevention with African men who have sex with men

Hirschel: Pillen in Afrika wirksamer als Kondome zur Prävention

Vor drei Jahren versetzte Prof. Bernard Hirschel mit dem EKAF-Statement die Welt in Aufregung. Die Aufregung hat sich gelegt, inzwischen ist das EKAF-Statement in Form der Viruslast-Methode längst in der Praxis angekommen. Hirschel aber hat schon die nächste Provokation bereit: „AIDS-Medikamente sind [zur Prävention] in Afrika wirksamer als Kondome“, sagte er am 21. Juli auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz („Aujourd’hui, le traitement est plus efficace que le préservatif en Afrique“). Mit einer Serie von Studien untermauerte er seine Aussage …

Libération 22.07.2010: Vienne 2010: « En Afrique, le traitement contre le sida est plus efficace que le préservatif »

Weltbank: Geld schützt vor HIV

Reduzieren kleine Geldbeträge das Risiko, sich mit HIV zu infizieren? Zu bemerkenswerten Resultaten und Erkenntnissen kommt die Weltbank:
In Malawi erhielten im Rahmen einer Studie an 3.769 jungen Frauen eine Gruppe junger Mädchen zwischen 13 und 22 monatlich umgerechnet 15 US-Dollar, wenn sie regelmäßig zur Schule kamen. Eine Kontrollgruppe erhielt keine Geldbeträge für regelmäßigen Schulbesuch.  18 Monate nach beginn de Programms im Januar 2008 zeigte sich ein überraschendes Ergebnis: in der Gruppe der Mädchen, die Geld als Belohnung für regelmäßigen Schulbesuch erhielten, lag die HIV-Infektionsrate bei 1,2%, in der Kontrollgruppe (ohne ‚Belohnungsgeld‘) hingegen bei 3%, eine um 60% niedrigere Prävalenz. Noch deutlicher war der Unterschied bei Herpes-Infektionen. Die Weltbank vermutet als Ursache einen „Einkommens-Effekt auf das Sexualverhalten“: The key seems to be an “income effect” on the sexual behaviors of young women receiving cash payments. A year after the program started, girls who received payments not only had less sex, but when they did, they tended to choose safer partners … In fact, the infection rate among those partners is estimated to be half of that of partners of the control group.“

Worldbank 19.07.2010: Malawi and Tanzania Research Shows Promise in Preventing HIV and Sexually-Transmitted Infections

Migranten: im Gastland höheres HIV-Risiko als im Heimatland

Niederländische Epidemiologen haben mit einem mathematischen Modell  herausgefunden, dass in den Niederlanden lebende heterosexuelle Migranten aus Afrika und der Karibik ein höheres Risiko haben, sich mit HIV zu infizieren, als sie es in ihrem Heimatland hätten. Als Ursache sehen sie an, dass Migranten bei Einreise in ihr Gastland in sehr eng begrenzten sexuellen Netzwerken von Menschen gleicher Herkunft leben und sich kaum mit der lokalen Bevölkerung vermischen.
In den Niederlanden liegt die HIV-Inzidenz bei 1 HIV-Infektion auf 47.000 Menschen im Jahr, bei in den Niederlanden lebenden Migranten aus Afrika liegt dieser Wert hingegen deutlich höher bei 1 : 1.170, aus der Karibik bei 1 : 4.600.

aidsmap 22.07.2010: Immigrants are more risk of HIV in their host country than back at home

Die Zukunft des Aids-Aktivismus

In zwei Sessions befasste sich die XVIII. Welt-Aids-Konferenz mit der Zukunft des Aids-Aktivismus. Beide Sessions befassten sich schwerpunktmäßig mit der Geschichte von TAC, der Treatment Action Campaign, die sich lange mit einer vergleichsweise untätigen Regierung Südafrikas auseinander setzen musste. Eine Auseinandersetzung, die von großen erfolgen gekrönt war. Doch Aktivisten befürchten, dass nach diesen Erfolgen eine Zeit des weniger engagierten Aktivismus folgen könnte. Es sei schwierig, die Energie der letzten Jahre auch die nächsten zehn Jahre aufrecht zu erhalten. Eine Gefahr liege zudem darin, wenn man für politische Ziele kämpfe zu glauben mit deren erreichen sei alles getan. Die eigentliche Arbeit beginne erst danach.

aidsmap 22.07.2010: The future of AIDS activism: looking for sustained energy and new tactics 10 years after Durban

Junge Menschen verändern ihr Sexualverhalten

Weltweit, besonders aber in Subsahara-Afrika veränderten junge Menschen ihr Sexualverhalten. Sie würden später sexuell aktiv, hätten weniger Partner und benutzten zunehmend Kondome. Dies betont ein neuer Report von UNAIDS.  Dr. Peter Ghys, Chefepidemiologe von UNAIDS, stellte die Daten auf der XVIII. Welt-Aidskonferenz in Wien vor. In zahlreichen Staaten der Region gehe zudem die HIV-Prävalenz deutlich zurück. Zwischen beiden Entwicklungen, der Veränderung des Sexualverhaltens und dem Rückgang der HIV-Prävalenz, gebe es eine deutliche Übereinstimmung.

UNAIDS: reductions in HIV prevalence among young people have coincided with a change ins exual behaviour patterns among people (pdf)
UNAIDS 22.07.2010: Young people interpret new UNAIDS data

Aids-Medikamente knapp – in Frankreich …

Schon seit einigen Wochen erscheinen gelegentlich Berichte über Probleme mit der Versorgung mit Aids-Medikamenten in Frankreich. Inzwischen thematisiert ACT UP die Versorgungskrise deutlicher – und kritisiert u.a. das französische Gesundheitsministerium.
Es scheint in Frankreich den Berichten zufolge Unterbrechungen in den Lagerbeständen zu geben, so dass nicht jedes Rezept sofort eingelöst werden kann, es manchmal zu Wartezeiten von mehreren Tagen kommt. Die Versorgungsengpässe seine schon früher gelegentlich aufgetreten, häuften sich dieses Jahr aber besonders. Die Quotierung sowie Re-Exporte seien Ursache des Problems, so die Hersteller. Konkreter Auslöser dr aktuellen Situation scheint auch ein Streik beim Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) zu sein.

ACT UP Paris 22.07.2010: C’est l’été, il n’y a plus d’ARV !
Le Figaro 24.07.2010: Sida : certains médicaments difficiles à trouver en France

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siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 22.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 21.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 20.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010

Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 22.07.2010

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 4, 22. Juli 2010:

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Nicht Aids definierende Krebs-Arten treten bei HIV-Positiven früher auf

Krebs-Erkrankungen, die nicht Aids-definierend sind, treten bei Menschen mit HIV nicht nur häufiger auf – sie treten auch früher, in jüngerem Alter auf. Dies zeigte eine auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien vorgestellte Studie aus Atlanta. In einer retrospektiven Analyse der Daten von 8.300 HIV-positiven Patienten des Ponce de Leon Health Center in Atlanta (2000 bis 2007)  wurden 512 Fälle von Krebs-Erkrankungen festgestellt, davon 192 von Krebs-Arten, die nicht zur Definition des Krankheitsbildes Aids gehören, darunter am häufigsten Lungen- (40) und Anal-/Rektal-Karzinome (24). Das Durchschnitts-Alter des Auftretens einer Krebs-Erkrankung der HIV-positiven Patienten lag bei 47 (Männer) bzw. 48 (Frauen) Jahren. Bei zahlreichen Krebs-Arten wurden signifikant deutliche Alters-Unterschiede zur Allgemein-Bevölkerung festgestellt.

POZ 21.07.2010: Non-AIDS Cancers Occurring at Earlier Age Among People With HIV

‚Toiletten-Wauwau‘ – Proteste gegen die Politik der EU-Kommission

Etwa Hundert Aids-Aktivist/innen protestierten am 21. Juli 2010 auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz gegen die Politik der EU-Kommission. Die Aktivisten (u.a. von Act Up-Paris, Health GAP und DNP+ (Delhi Network of people living with HIV)) blockierten den Stand der EU-Kommission, riefen dabei Parolen wie „Die EU-Kommission bemächtigt sich der Medikamente, wir bemächtigen uns der EU-Kommission“. Später wurde eine Satelliten-Veranstaltung der EU-Kommission gestört, als EU-Vertreter Patrick Ravaillard für die Generaldirektion Handel sprach. Die ACT UP Paris – ‚Haus-Künsterlin‘ ‚Mademoiselle Toutou-des-Labos‘ (etwa: ‚Toiletten-Wauwau) gab ihren Pharma-kritischen Song ‚Mrs. Pharmas Pet Song‘ zum besten.
ACT UP Paris sieht die EU-Kommission als ‚Marionette der Pharma-Industrie‘. Hintergrund der Proteste ist das von zahlreichen Organisationen (in der derzeitigen Version) weltweit kritisierte geplante Freihandelsabkommen der EU mit Indien. Im Abkommen soll Indien die Einhaltung des Schutzes geistigen Eigentums („intellectual property rights“) garantieren, darunter würden auch Patente auf Medikamente fallen. Indien ist der weltweit bedeutendste Hersteller generischer (und damit kostengünstiger) Versionen von Aids-Medikamenten.

ACT UP Paris 21.07.2010: Les activistes dénoncent la politique criminelle de l’Europe
ACT UP Paris 21.07.2010: Miss Pharma’s Pet Song
Ärzte ohne Grenzen 26.04.2010: Verhandlungen zum Freihandelsabkommen EU-Indien – Ärzte ohne Grenzen fürchtet um den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten
Stern 21.07.2010: Demonstranten nehmen bei Wiener Aids-Konferenz EU-Stand in Beschlag

HIV-Therapie senkt HIV-Transmission – indirekter Nachweis für Viruslast-Methode

In Dänemark scheint die HIV-Transmissionsrate unter schwulen Männern und Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) zu fallen, selbst wenn gleichzeitig (auch aufgrund der erfolgreichen HIV-Therapien) die Zahl der im Land lebenden HIV-Positiven steigt, und trotz ‚hohen Niveaus‘ an ‚unsafem‘ [gemeint ist wohl ‚Sex ohne Kondom‘, d.Verf.] Sex. Diese Daten stellte Susan Cowan vom ‚National Infections Institute‘ Dänmarks auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien vor. Sie betonte, die einzige Erklärung hierfür sei, dass diese (an sich für die Transmissionsrate ungünstigen) Faktoren überkompensiert würden durch den Rückgang der Infektiosität des einzelnen (erfolgreich antiretroviral behandelten) HIV-Positiven: die paradoxe Situation sei am wahrscheinlichsten dadurch erklärbar, dass HIV-Positive unter Therapie und mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze nicht oder nur sehr selten HIV übertragen.

aidsmap 21.07.2010: Indirect evidence that treatment is bringing down HIV transmission in Denmark

Obama oder Bush – wer macht(e) die bessere Aids-Politik in den USA?

Es soll eines der beliebtesten Give-aways der XVIII. Welt-Aids-Konferenz besonders bei us-amerikanischen Teilnehmern sein: das Motiv „Bush? Obama? who‘ s better on AIDS?“. Das Motiv wurde vergangene Woche als ganzseitige Anzeige in der im Washingtoner Politikbetrieb einflussreichen Zeitschrift ‚Politico‘ geschaltet und ‚ziert‘ derzeit Bus-Wartehäuser in Washington.  Hinter der Aktion steht der us-amerikanische Gesundheits-Dienstleister („medical care provider“) AHF Aids Healthcare Foundation. AHF betreut weltweit etwa 140.000 HIV-positive Patienten in 23 Staaten. Mit der Aktion versucht das Unternehmen, Druck auf die US-Politik auszuüben, sich mehr bei der Finanzierung im Kampf gegen Aids zu engagieren. AHF ist auch auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien u.a. mit einem Stand präsent.

Bush? Obama? who' s better on AIDS? (c) aidshealth.org
Bush? Obama? who' s better on AIDS? (c) aidshealth.org

Unter Druck sehen sich auch Dirk Niebel, Entwicklungs-Minister Deutschlands – für seine sehr zurückhaltende Haltung in Sachen weiterer deutscher Finanzbeiträge für den Globalen Fonds („Zaudern tötet“). Und sein österreichischer Minister-Kollege Gesundheitsminister Stöger, ausgebuht und ausgefiffen am Rand des Human Rights March für das mickrige finanzielle Engagement Österreichs (bisher eine einzige Million Euro für den Globalen Fonds, im Jahr 2002).

aidshealth.org 13.07.2010: “President Obama Fails to Lead on AIDS”
Zeit online 21.07.2010: Zaudern tötet – Harro Albrecht über Dirk Niebel, der die HIV-Prävention gefährdet
FAZ 21.07.2010: Die verärgerte Gastgeberin

Selbstbewußt positiv – poz and proud

Mit der Einführung hochwirksamer antiretroviraler Medikamente scheint für schwule Männer mit HIV eigentlich alles gelaufen zu sein – oder? Da war doch noch was? HIV wurde nahezu unsichtbar, doch das Stigma Aids bleib und bleibt. Vor diesem Hintergrund entstand im Jahr 2006 in den Niederlanden die Grupper ‚Poz and Proud‘. Das Ziel: HIV-positiven schwulen Männern mehr Selbstbewußtsein zu vermitteln – und ‚verlorenes Territorium zurück zu gewinnen‘, sexuelle Rechte einzufordern.

Poz and Proud: Bringing sexy back into Grassroots Advocacy for Hiv-positive Gay Men in the Netherlands – Claiming (sexual) rights, regaining lost territory (pdf)

„mit verletzten Flügeln“ … aber von HIV geheilt – der ‚Berlin Patient‘

Eine Welt-Aids-Konferenz ist gern auch Gelegenheit für erneute Publicity für eine nicht mehr so neue Story: die Heilung eines HIV-Positiven in Berlin (der sogenannte ‚Berlin Patient‘). Seit nunmehr drei Jahren ist bei dem Patienten kein HIV mehr nachweisbar – ohne Medikamente. Erstmals gab der betreffende ehemals HIV-positive Patient nun aus Anlass einer Nachuntersuchung in Berlin ein Interview, Grundlage für den Artikel der ‚Zeit‘ am 19.07.2010: ‚Einer wurde geheilt‘. (Leider, persönliche Anmerkung, ein Artikel mit sehr blumiger Sprache („Er wirkt auf seltsam gebrochene Weise jugendlich, wie ein flügger Vogel mit verletzten Flügeln“)). Das französische ‚Seronet‘ kommentiert den Fall „möglich aber praktisch nicht wiederholbar“.

Zeit 19.07.2010: Einer wurde geheilt
seronet 21.07.2010: premier guérison du VIH: c’est possible mais quasiment pas reproductible

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siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 21.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 20.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010
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