Starke Schwule. Oder: Wie funktioniert strukturelle Prävention?

„Ficken nur mit Gummi. Beim Blasen: Raus, bevor´s kommt“ – fast jeder Schwule kennt den Slogan. Aber für eine erfolgreiche HIV-Prävention reichen diese Botschaften bei Weitem nicht aus. Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) setzt auf strukturelle Prävention. DAH-Schwulenreferent Dr. Dirk Sander erklärt, was das ist.

Deutschland ist Schlusslicht in Europa – zumindest bei der Zahl der jährlich gemeldeten HIV-Diagnosen. 2856 Menschen wurden im vergangenen Jahr erstmals positiv getestet. Gemessen an der Einwohnerzahl ist diese Rate sehr gering. Im EU-Vergleich belegt die Bundesrepublik damit den vorletzten Rang.

Dr. Dirk Sander, DAH
Dr. Dirk Sander, DAH

Die HIV-Prävention zeigt also Wirkung – auch ein Verdienst der Deutschen AIDS-Hilfe. Der Ansatz dahinter heißt „Strukturelle Prävention“. „Wir greifen dort ein, wo die strukturellen Verhältnisse Gesundheit verhindern“, erklärt Dr. Dirk Sander, Schwulenreferent der DAH. „Wir wollen nicht das Verhalten der Menschen kontrollieren, sondern sie stärken und die nötigen Informationen anbieten. Dann können sie selbstbewusst ihre eigenen Entscheidungen treffen – auch beim Sex.“

Ein Beleg für die erfolgreiche Arbeit der Deutsche AIDS-Hilfe ist das gut ausgebildete Gesundheitsbewusstsein bei schwulen Männern. Langzeitstudien zeigen: Der Wille, sich vor HIV zu schützen, ist bei ihnen ungebrochen hoch. In Wiederholungsbefragungen geben mehr als zwei Drittel der Befragten an, in den zwölf Monate vor der Befragung immer Safer Sex praktiziert zu haben. Weitere 20 Prozent berichten nur sporadische Risiken.

Respekt für unterschiedliche Lebensstile
„Gute HIV-Prävention beschäftigt sich nicht nur mit dem sexuellen Verhalten jedes Einzelnen, sondern auch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen er lebt“, so Sander. „Denn die wiederum beeinflussen das Verhalten.“

Für die schwule Zielgruppe bedeutet das: Die DAH fördert das Selbstbewusstsein von Männern, die Sex mit Männern haben – egal, wie sie ihr Leben führen möchten. „Wir werben um Respekt für die unterschiedlichen Lebensstile“, betont Dirk Sander. „Das gilt auch für das Sexleben – egal, ob jemand Fetisch- oder Blümchensex bevorzugt, ob er fest liiert ist oder wechselnde Partner hat – oder beides.“

Selbsthilfe und Selbstorganisation
Besonders wirkungsvoll ist die HIV-Prävention auch deshalb, weil sie von Mitgliedern der Homo-Community selbst entwickelt und verbreitet wird. „Wir arbeiten eng mit den Menschen zusammen, die wir erreichen wollen“, so Sander. „Wir fördern Selbsthilfe und Selbstorganisation überall dort, wo schwule Männer sich treffen.“

Ein Beispiel: In vielen deutschen Städten haben sich schwule Wirte dazu verpflichtet, für ihre Gäste Aufklärungsmaterialen, Kondome und Gleitmittel bereitzustellen. Unterstützt werden sie dabei von den lokalen Aidshilfen und Präventionsprojekten. „Solche Ort sind sehr wichtig“, meint Sander. „Nur wenn sich Schwule sicher und respektiert fühlen, können sie sich selbstbewusst informieren und ihr HIV-Risiko richtig einschätzen.“

Ausgrenzung macht krank
Denn auch heute noch gilt: Schwule müssen einiges aushalten. Wegen ihrer sexuellen Orientierung werden sie oft ausgegrenzt, manchmal sogar tätlich angegriffen. Das kann krank machen. Eine im American Journal of Psychiatry vom Frühjahr 2010 veröffentlichte Studie weist darauf hin, dass Schwule rund viermal so häufig unter Depressionen leiden wie heterosexuelle Männer. Ausgrenzungserfahrungen machten zudem anfälliger für Alkohol- und Drogengebrauch.

Deshalb bekämpft die Deutsche AIDS-Hilfe jede Form von Homophobie. Sie setzt sich unter anderem dafür ein, alle Hürden zu beseitigen, die vielen Schwulen den Zugang zu bestehenden Gesundheitsangeboten verstellen.

„Schaut man nur nach Deutschland, dann hat sich in den letzten Jahren einiges getan, aber noch nicht genug“, stellt Dirk Sander fest. „Schwule Sexualität ist immer noch ein Pfui-Thema. Viele junge Schwule machen die gleichen schwierigen Erfahrungen im Coming-out wie im letzten Jahrhundert – und an diese Strukturen wollen wir ran!“

(Pressemitteilung der DAH)

2 Gedanken zu „Starke Schwule. Oder: Wie funktioniert strukturelle Prävention?“

  1. Es geht nicht um die Lebensweise, sondern um die praktische Verhaltensweise IN JEDER Lebensweise und dies bei jeder Infektion – nicht nur HIV! Und vor allem um die Träume und Illusionenen hinter bestimmten Praktiken, wie: Sperma aufnehmen, oder in jemanden abgeben…

    Daher ärgert es mich, dass mann zurzeit HIV-Tests zum „Pärchen-Sonderpreis-2:1“ anbietet und dass im Radio berichtet wurde, die Blutspendedienste in der Schweiz würden die Zulassung von Schwulen erwägen, wenn sie denn „in eingetragener Partnerschaft und monogam“ leben würden. Klar, Heteros leben auch in Ehen und monogam – über das Rotlichtmilieu wird einfach geschwiegen… Das zeigt, wo wir wirklich gesellschaftspolitisch stehen geblieben sind!!

    Es gibt leider viele Leute, die glauben, mit der ständigen Testerei könne man sich vor Infektion schützen. Auch wenn das völlig idiotisch ist! Aber die AH wollen endlich alle durchtesten, was am Anfang politisch völlig abgelehnt wurde, aber jetzt endlich möglich ist! San’s griesst!! 🙁

  2. „strukturell“ ist es bedenklich, dass sich die notwendige Diskussion hinter diesem Wort „versteckt“ und hier keine weitere Schwester hier etwas beizutragen hat! 🙁

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