IAS: universeller Zugang zu Aids-Therapien gefährdet

Das Ziel, universell Zugang zu HIV-Prävention, Aids-Medikamenten und Behandlung zu ermöglichen, gerät immer stärker in Gefahr, betont die International Aids-Society in einem neuen Bericht.

Von 2003 bis 2009 konnte der Zugang zu HIV-Prävention, zu Aids-Medikamenten und Behandlung verzehnfacht werden. Dennoch, das Ziel universellen Zugangs gerät immer mehr in Gefahr, betont ein neuer Bericht der International Aids Society IAS, der Ende Oktober vorgestellt wurde.

Als wesentliche Gründe hierfür sieht die IAS einerseits einen Rückgang der Ausweitung von Therapie-Programmen, andererseits schwindenden politischen Willen. Wichtige finanzielle Unterstützer seien scheinbar nicht in der Lage, ihre Unterstützung entsprechend dem Bedarf auszuweiten. Dies führe dazu, dass erforderliche neue Programme nicht aufgelegt werden könnten, im Gegenteil eine Reduzierung bereits laufender Programme werde erforderlich.

Der Bericht der IAS „Universal Access: Right Here, Right Now“ dokumentiert die wesentlichen Elemente der Debatten zum Thema ‚Universeller Zugang zu Therapien und Prävention‘ während der Welt-Aids-Konferenz in Wien. Zudem werden die zukünftigen Herausforderungen dargestellt.

weitere Informationen:
IAS 28.10.2010: Universal Access: Right Here, Right Now (pdf)
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AIDS 2010 – in the global village

Vom 18. bis 23. Juli 2010 fand in Wien die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Großer Ort der Begegnung und auch für die Öffentlichkeit zugänglich war das „Global Village“, ein Ort der Treffen, Diskussionen, Vorführungen, Konzerte, Aktionen.
Im folgenden ein Gastbeitrag von Michèle Meyer, die ihre Eindrücke und Gedanken nach 5 Tagen „Global Village“ schildert:

AIDS 2010 – in the global village

Michèle Meyer

Ein Resumé ist nicht einfach, so auf die Schnelle schon gar nicht.
Aber zwei, drei Gedankensprünge will ich euch nicht vorenthalten:

Ich habe vieles erlebt, vieles verpasst, beobachtet, zugehört, geplappert und bin einfach da gewesen.
Es war bunt, bewegt, schrill, leise, heftig, zu viel und zu wenig.
Der Eindruck, dass verschiedene Welten nicht wirklich aufeinander getroffen sind, überwiegt.
Die Community und die Communities blieben mehr oder weniger unter sich.

Die Condomize-Präsenz war mir schlicht zu viel des guten. Überall Kondome.
Ich bin nie ganz klar gekommen mit der Anzahl ihrer Stände im Global Village, in der Exhibition-Hall und im Zwischengang! Omnipräsent. Und plötzlich trugen alle diese T-Shirts. Fast alle.
Condomize. Kondomisieren lass ich mich ungern, auch wenn es Alltag ist auf der politischen Ebene. Schon gar nicht zwei Jahre nach „EKAF„.
Und wie viel Geld dahinter stecken muss… Pharmariesen hätten derlei Präsenz nicht wagen dürfen. Durex schon. Muss das sein? Ist das Global Village verkondomt? Versexualisiert sowieso. Um so mehr möchte ich dann Vielfalt auch bei den Schutz-Strategien und -Verhandlungen. Und nicht in Kondomen untergehen.

Condomize steht schlussendlich gut sichtbar für die (Primär-) Präventions-Überdosierung im Global Village und die tabuisierten, unaufgeklärten Innenansichten der Communities.
Mich erstaunt(e) immer wieder wie zentral die Primär-Präventions-Beteiligung unter Commnunities von Menschen mit HIV/AIDS gewertet ist.

Wie passt das alles zusammen mit „rights now, right here“? Das andere Schwergewicht im Global Village? Selbststigma und Entstigmatisierung / Entkriminalisierung …
Genügend dringende Probleme auf der Alltagsebene die sich ohne Kondome lösen lassen, weil sie sich gar nicht in sexueller Atmosphäre befinden, sind nicht zuletzt auch in Österreich gegeben. Z.B.: von HIV und Arbeit über Artikel 128/129 bis zur Frage ob schon tendenziell zwangs-getestet wird?

Zum Glück war der March

Ganz viele Fragen und Eindrücke. Auch was die Organisation und Strategie angeht.
Wie viel Einfluss darf es sein?
Wie viel Vermischung? Wie holt das Global Village die lokale Bevölkerung an Bord?
Wie wird Leben mit HIV/AIDS und Leben von HIV/AIDS gewichtet?
Wann werden die Unterschiede der Interessen benannt und debattiert?
Wie werden die gesammelten Erfahrungen von Local-Team zu Local-Team weitergegeben?
Wer baut Brücken zwischen den Jahren und zwischen den Local-Teams und der IAS?
Denn soweit ich erfahren und verstanden habe, ist keine Kontinuität und kaum Weiterentwicklung gesichert.

Es gibt noch viel zu tun um wirklich in Bewegung zu kommen (zu bleiben?)

Danke an Michèle für ihren Beitrag!

Welt-Aids-Konferenz Wien 2010 – Übersicht Artikel

Vom 18. bis 23. Juli 2010 fand in Wien die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Zentrales Dokument der Konferenz war die ‚Wiener Erklärung‚.

Meldungen auf ondamaris zur Welt-Aids-Konferenz 2010 in Wien:
Welt-Aidskonferenz: DAH fordert Menschenrechte ein
Stärkung von Frauenrechten ist Voraussetzung für erfolgreiche HIV-Prävention
5 UN-Organisationen kritisieren Verfolgung von Aids-Aktivisten und Sozialarbeitern
Broken Promises Kill – internationalen Kampf gegen Aids weiter finanzieren!
Welt-Aids-Konferenz: UNAIDS fordert ‘Therapie 2.0′
Clinton: neue Finanzierung des Kampfes gegen Aids
Harm Reduction – Erfolgs-Konzept der Aids-Politik
Patente Lösung – Equitable Licensing
Spritzenautomaten stoppen HIV
Sicher im Sexgeschäft
Milleniums-Ziele: zwiespältige Bilanz
Patente Lösung – Equitable Licensing
Welt-Aids-Konferenz: Foto-Impressionen
Marsch für Menschenrechte – Annie Lennox und Tausende Teilnehmer fordern mehr Einsatz für Menschenrechte
Macht HIV arm?
Solidarität mit HIV-Positiven auf Haiti
Starke Schwule. Oder: Wie funktioniert strukturelle Prävention?
Keine glatten Typen
‘Krieg gegen Drogengebraucher’ – Proteste gegen Kanadas Drogen-Politik

Welt-Aids-Konferenz Wien 2010
Welt-Aids-Konferenz Wien 2010

Ein erstes Resümee der Konferenz aus Sicht der DAH im Audiocast mit Silke Klumb, Geschäftsführerin der DAH

Die Welt-Aids-Konferenz 2012 findet nach vielen Jahren erstmals wieder in den USA statt – nach der Aufhebung des US-Einreiseverbots für HIV-Positive hat sie die International Aids-Society für Washington als Ort der XIX. Welt-Aids-Konferenz entschieden.

weitere Informationen:
XVIII. Welt-Aids-Konferenz
International Aids Society
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Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 23.07.2010 (akt.)

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 5, 23. Juli 2010:

Elly Katabira aus Uganda neuer IAS-Chef

Zwei Jahre war der Kanadier Julio Montaner Chef der International Aids Society, der Veranstalterin der Welt-Aids-Konferenzen. Nun wird er im August 2010 abgelöst von Prof. Elly Katabira aus Uganda. Katabira ist derzeit Associate Professor of Medicine an der Makerere University / College of Health Sciences in Kampala, Uganda.
Nachfolgerin Katabiras wird mit Beendigung der Welt-Aids-Konferenz 2012 in Washington dann die Nobelpreisträgerin Prof. Barré-Sinoussi werden.

IAS: Biographie Elly Katabira (pdf)
IAS 23.07.2010: Elly Katabira Becomes IAS President Francoise Barre-Sinoussi Becomes IAS President Elect

Homophobie erhöht HIV-Risiko – zeigt Studie aus Uganda

In Kampala (Uganda) haben Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), und die homophobe Gewalt oder Missbrauch erlebten, ein fünffach erhöhtes Risiko, HIV-positiv zu sein. Dies berichteten Forscher über eine (um die Zielgruppe besser zu erreichen nach dem Schneeball-Prinzip aufgebaute) Studie, die zwischen Mai 2008 und April 2009 in Kampala stattfand. 3030 Männer, die in den vergangenen drei Monaten Analverkehr mit anderen Männern hatten, nahmen an der Studie teil. Die HIV-Prävalenz lag bei 13,7% (Kampala erwachsene Männer 4,5%). Von allen Studienteilnehmern waren 37% bisher schon einmal körperlich missbraucht worden, 26% waren zum Sex gezwungen worden. Männer, die jemals Gewalt oder Missbrauch erlebt hatten, hatten ein nahezu fünffach höheres Risiko, mit HIV infiziert zu sein.

aidsmap 22.07.2010: Ugandan study shows why human rights are central to HIV prevention with African men who have sex with men

Hirschel: Pillen in Afrika wirksamer als Kondome zur Prävention

Vor drei Jahren versetzte Prof. Bernard Hirschel mit dem EKAF-Statement die Welt in Aufregung. Die Aufregung hat sich gelegt, inzwischen ist das EKAF-Statement in Form der Viruslast-Methode längst in der Praxis angekommen. Hirschel aber hat schon die nächste Provokation bereit: „AIDS-Medikamente sind [zur Prävention] in Afrika wirksamer als Kondome“, sagte er am 21. Juli auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz („Aujourd’hui, le traitement est plus efficace que le préservatif en Afrique“). Mit einer Serie von Studien untermauerte er seine Aussage …

Libération 22.07.2010: Vienne 2010: « En Afrique, le traitement contre le sida est plus efficace que le préservatif »

Weltbank: Geld schützt vor HIV

Reduzieren kleine Geldbeträge das Risiko, sich mit HIV zu infizieren? Zu bemerkenswerten Resultaten und Erkenntnissen kommt die Weltbank:
In Malawi erhielten im Rahmen einer Studie an 3.769 jungen Frauen eine Gruppe junger Mädchen zwischen 13 und 22 monatlich umgerechnet 15 US-Dollar, wenn sie regelmäßig zur Schule kamen. Eine Kontrollgruppe erhielt keine Geldbeträge für regelmäßigen Schulbesuch.  18 Monate nach beginn de Programms im Januar 2008 zeigte sich ein überraschendes Ergebnis: in der Gruppe der Mädchen, die Geld als Belohnung für regelmäßigen Schulbesuch erhielten, lag die HIV-Infektionsrate bei 1,2%, in der Kontrollgruppe (ohne ‚Belohnungsgeld‘) hingegen bei 3%, eine um 60% niedrigere Prävalenz. Noch deutlicher war der Unterschied bei Herpes-Infektionen. Die Weltbank vermutet als Ursache einen „Einkommens-Effekt auf das Sexualverhalten“: The key seems to be an “income effect” on the sexual behaviors of young women receiving cash payments. A year after the program started, girls who received payments not only had less sex, but when they did, they tended to choose safer partners … In fact, the infection rate among those partners is estimated to be half of that of partners of the control group.“

Worldbank 19.07.2010: Malawi and Tanzania Research Shows Promise in Preventing HIV and Sexually-Transmitted Infections

Migranten: im Gastland höheres HIV-Risiko als im Heimatland

Niederländische Epidemiologen haben mit einem mathematischen Modell  herausgefunden, dass in den Niederlanden lebende heterosexuelle Migranten aus Afrika und der Karibik ein höheres Risiko haben, sich mit HIV zu infizieren, als sie es in ihrem Heimatland hätten. Als Ursache sehen sie an, dass Migranten bei Einreise in ihr Gastland in sehr eng begrenzten sexuellen Netzwerken von Menschen gleicher Herkunft leben und sich kaum mit der lokalen Bevölkerung vermischen.
In den Niederlanden liegt die HIV-Inzidenz bei 1 HIV-Infektion auf 47.000 Menschen im Jahr, bei in den Niederlanden lebenden Migranten aus Afrika liegt dieser Wert hingegen deutlich höher bei 1 : 1.170, aus der Karibik bei 1 : 4.600.

aidsmap 22.07.2010: Immigrants are more risk of HIV in their host country than back at home

Die Zukunft des Aids-Aktivismus

In zwei Sessions befasste sich die XVIII. Welt-Aids-Konferenz mit der Zukunft des Aids-Aktivismus. Beide Sessions befassten sich schwerpunktmäßig mit der Geschichte von TAC, der Treatment Action Campaign, die sich lange mit einer vergleichsweise untätigen Regierung Südafrikas auseinander setzen musste. Eine Auseinandersetzung, die von großen erfolgen gekrönt war. Doch Aktivisten befürchten, dass nach diesen Erfolgen eine Zeit des weniger engagierten Aktivismus folgen könnte. Es sei schwierig, die Energie der letzten Jahre auch die nächsten zehn Jahre aufrecht zu erhalten. Eine Gefahr liege zudem darin, wenn man für politische Ziele kämpfe zu glauben mit deren erreichen sei alles getan. Die eigentliche Arbeit beginne erst danach.

aidsmap 22.07.2010: The future of AIDS activism: looking for sustained energy and new tactics 10 years after Durban

Junge Menschen verändern ihr Sexualverhalten

Weltweit, besonders aber in Subsahara-Afrika veränderten junge Menschen ihr Sexualverhalten. Sie würden später sexuell aktiv, hätten weniger Partner und benutzten zunehmend Kondome. Dies betont ein neuer Report von UNAIDS.  Dr. Peter Ghys, Chefepidemiologe von UNAIDS, stellte die Daten auf der XVIII. Welt-Aidskonferenz in Wien vor. In zahlreichen Staaten der Region gehe zudem die HIV-Prävalenz deutlich zurück. Zwischen beiden Entwicklungen, der Veränderung des Sexualverhaltens und dem Rückgang der HIV-Prävalenz, gebe es eine deutliche Übereinstimmung.

UNAIDS: reductions in HIV prevalence among young people have coincided with a change ins exual behaviour patterns among people (pdf)
UNAIDS 22.07.2010: Young people interpret new UNAIDS data

Aids-Medikamente knapp – in Frankreich …

Schon seit einigen Wochen erscheinen gelegentlich Berichte über Probleme mit der Versorgung mit Aids-Medikamenten in Frankreich. Inzwischen thematisiert ACT UP die Versorgungskrise deutlicher – und kritisiert u.a. das französische Gesundheitsministerium.
Es scheint in Frankreich den Berichten zufolge Unterbrechungen in den Lagerbeständen zu geben, so dass nicht jedes Rezept sofort eingelöst werden kann, es manchmal zu Wartezeiten von mehreren Tagen kommt. Die Versorgungsengpässe seine schon früher gelegentlich aufgetreten, häuften sich dieses Jahr aber besonders. Die Quotierung sowie Re-Exporte seien Ursache des Problems, so die Hersteller. Konkreter Auslöser dr aktuellen Situation scheint auch ein Streik beim Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) zu sein.

ACT UP Paris 22.07.2010: C’est l’été, il n’y a plus d’ARV !
Le Figaro 24.07.2010: Sida : certains médicaments difficiles à trouver en France

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siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 22.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 21.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 20.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010

‚Krieg gegen Drogengebraucher‘ – Proteste gegen Kanadas Drogen-Politik (akt.)

Kanadas Regierung hält in der Drogen-Politik nichts von harm reduction. Keine sauberen Spritzbestecke für Drogengebraucher, dafür harte ’no drugs‘-Politik. Das sei kein ‚Krieg gegen Drogen‘, sondern Krieg gegen Drogengebraucher, kritisierten Demonstranten auf einer Aktion gegen den Stand Kanadas auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz.

Mit einem Die-In und einem Blockieren des Stands Kanadas auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz protestierten etwa 50 Aids-Aktivisten am 20. Juli 2010 gegen die Drogen-Politik der kanadischen Regierung. Sie ‚verpackten‘ den Stand Kanadas und riefen Parolen wie „The war on drugs is a war on us! Support harm reduction now“. Ein Demonstrant soll vom Konferenzort verwiesen worden sein, da er Banner des kanadischen Stands beschädigt habe.

Kanadas Regierung unter Steven Harper weigert sich seit langem, saubere Spritzbestecke und andere Maßnahmen des ‚harm reduction‚ anzubieten.

Dem gegenüber betonten die Demonstranten, es gebe überwältigend viel Evidenz, dass das Konzept der ‚harm reduction‘ ein Erfolgskonzept sei bei der Bekämpfung der HIV-Transmission.

Proteste gegen Kanadas 'neue' Drogenpolitik (Foto: Dirk Sander)
Proteste gegen Kanadas 'neue' Drogenpolitik (Foto: Dirk Sander)
Proteste gegen Kanadas 'neue' Drogenpolitik (Foto: Dirk Sander)
Proteste gegen Kanadas 'neue' Drogenpolitik (Foto: Dirk Sander)

Die Demonstranten verwiesen insbesondere auf die ‚Wiener Erklärung‚. Doch Kanadas Delegation bei der Wiener Welt-Aids-Konferenz weigert sich, diese Abschluss-Erklärung der Konferenz zu unterzeichnen. Einige Punkte der ‚Wiener Erklärung‚ passten nicht zur gültigen ‚Nationalen Anti-Drogen-Strategie‘, so Charlene Wiles von der Public Health Agency Kanadas zur Begründung.

Proteste gegen Kanadas 'neue' Drogenpolitik (Foto: Dirk Sander)
Proteste gegen Kanadas 'neue' Drogenpolitik (Foto: Dirk Sander)

Danke an Dirk Sander für die Fotos!

Nachtrag 23.07.2010, 13:50 Uhr:
Hram Reduction wird auch von internationalen Agenturen blockiert. So von UNODC, dem United Nation Office on Drugs and Crimes. ACT UP Paris fordert UNODC auf, seinen Krieg gegen Drogengebraucher/innen zu stoppen und die ‚Wiener Erklärung‚ zu unterzeichnen.
ACT UP Paris 23.07.2010: UNODC : War against drugs is war againt drug users

weitere Informationen:
canadian harm reduction network
Xtra 21.07.2010: Canadian booth shut down in Vienna

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Wiener Erklärung

Vom 18. bis 23. Juli 2010 fand in Wien die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Zum Abschluss verabschiedete die Konferenz die „Wiener Erklärung“, die für eine dringende Änderung der Drogen-Politik appelliert.
Die Wiener Erklärung wurde initiiert von

The International Centre for Science in Drug Policy
The International AIDS Society
The XVIII International AIDS Conference
The BC Centre for Excellence in HIV/AIDS
Die „Wiener Erklärung“ (siehe online auf http://www.diewienererklarung.com/) wurde bisher (Stand 21.07.2010) von über 11.200 Personen unterzeichnet; im Folgenden als Dokumentation (die Zahlen im Text verweisen auf Quellen-Angaben im, Anschluss an den Text):

Die Wiener Erklärung

Die Kriminalisierung von Konsumenten illegaler Drogen trägt zur Ausbreitung der HIV-Epidemie bei und hat äußerst negative gesundheitliche und soziale Folgen nach sich gezogen. Hier ist eine umfassende strategische Neuorientierung erforderlich.

Als Reaktion auf die gesundheitlichen und sozialen Schäden durch illegale Drogen wurde unter dem Dach der Vereinten Nationen eine breit angelegte internationale Drogenverbotspolitik entwickelt.1 Dank jahrzehntelanger Forschung ist eine umfassende Einschätzung der Auswirkungen des globalen „War on Drugs“ möglich. Nun, da sich tausende Menschen anlässlich der XVIII. Internationalen AIDS-Konferenz in Wien versammeln, fordert die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft eine Anerkennung der Grenzen und schädlichen Auswirkungen von Drogenverboten sowie eine Reform der Drogenpolitik, die zum Ziel hat, Barrieren für eine effektive HIV-Prävention, -Therapie und -Versorgung zu beseitigen.

Mittlerweile ist zweifelsfrei bewiesen, dass es den Strafverfolgungsbehörden nicht gelungen ist, die Verfügbarkeit illegaler Drogen an Orten, wo eine entsprechende Nachfrage existiert, zu unterbinden.2, 3 Nationale und internationale Drogenüberwachungssysteme zeigten über die letzten Jahrzehnte hinweg eine allgemeine Tendenz sinkender Preise und zunehmender Reinheit von Drogen – und dies trotz massiver Investitionen in die Strafverfolgung bei der Drogenbekämpfung.3, 4

Darüber hinaus gibt es keine Belege dafür, dass härtere Strafverfolgungsmaßnahmen den Drogenkonsum spürbar senken.5 Ferner zeigen die Daten eindeutig, dass auch die Zahl der Länder, in denen Menschen illegale Drogen injizieren, wächst, wobei zunehmend Frauen und Kinder betroffen sind.6 Außerhalb von den subsaharischen afrikanischen Ländern geht ungefähr jeder dritte neue Fall von HIV auf den Konsum injizierter Drogen zurück.7, 8 In einigen der Gegenden mit der derzeit schnellsten HIV-Ausbreitung wie z.B. Osteuropa und Zentralasien kann die HIV-Prävalenz bis zu 70 % der injizierenden Drogenkonsumenten betragen. Stellenweise fallen sogar mehr als 80% aller HIV-Fälle in diese Gruppe.8

Angesichts dieser erdrückenden Beweislage, die zeigt, dass die Strafverfolgungsmaßnahmen in der Drogenbekämpfung ihre erklärten Ziele nicht erreicht hat, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die schädlichen Folgen dieses Scheiterns zur Kenntnis genommen und entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden. Beispiele für die schädlichen Folgen sind:

* Ausbreitung der HIV-Epidemie durch Kriminalisierung von Konsumenten illegaler Drogen sowie durch das Verbot der Bereitstellung steriler Nadeln und opioidgestützter Substitutionstherapien9, 10
* HIV-Ausbrüche unter inhaftierten und heimuntergebrachten Drogenkonsumenten als Ergebnis von Strafgesetzen und -regelungen sowie von mangelnder HIV-Prävention in diesem Umfeld.11-13
* Die Aushöhlung öffentlicher Gesundheitssysteme im Zuge von Strafverfolgungsmaßnahmen, die Drogenkonsumenten von Prävention und Versorgung fernhalten und in ein Umfeld drängen, wo ein erhöhtes Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten (z.B. HIV, Hepatitis C und B sowie Tuberkulose) und anderer schädlicher Einflüsse besteht.14-16
* Krise der Strafjustizsysteme als Ergebnis von Rekordinhaftierungsraten in zahlreichen Ländern.17, 18 Dies hat sich negativ auf die soziale Funktionsfähigkeit ganzer Kommunen ausgewirkt. Während sich ethnische Unterschiede bei den Inhaftierungsraten für Drogendelikte in vielen Ländern weltweit zeigen, so ist dieser Effekt in den USA besonders stark ausgeprägt: Hier sitzt zu einem x-beliebigen Zeitpunkt jeder neunte männliche Afroamerikaner aus der Altersgruppe von 20 bis 34 Jahren im Gefängnis, was vor allem das Ergebnis von Strafverfolgungsmaßnahmen bei der Drogenbekämpfung ist.19
* Stigmatisierung von Menschen, die illegale Drogen konsumieren, was wiederum die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten politisch populärer macht und die HIV-Prävention sowie andere Gesundheitsförderungsprogramme untergräbt.20, 21
* Schwere Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Folter, Zwangsarbeit, unmenschliche und erniedrigende Behandlung sowie Hinrichtungen von Drogenstraftätern in etlichen Ländern.22, 23
* Ein riesiger illegaler Markt mit einem geschätzten jährlichen Wert von 320 Milliarden US-Dollar.4 Diese Gewinne bleiben vollständig außerhalb der Regierungskontrolle. Sie schüren Kriminalität, Gewalt und Korruption in unzähligen Städten und haben ganze Länder wie z.B. Kolumbien, Mexiko und Afghanistan destabilisiert.4
* Milliarden an Steuerdollars werden an einen „War on Drugs“-Ansatz zur Drogenbekämpfung verschwendet, der seine erklärten Ziele nicht erreicht, sondern stattdessen sogar direkt oder indirekt zu den genannten schädlichen Auswirkungen beiträgt.24

Leider werden Belege dafür, dass die Drogenverbotspolitik ihre erklärten Ziele verfehlt hat, sowie für die äußerst negativen Folgen dieser Strategie oftmals durch diejenigen geleugnet, die ein persönliches Interesse daran haben, den Status quo aufrechtzuerhalten.25Dies hat zu Verwirrung in der Öffentlichkeit geführt und unzählige Menschenleben gefordert. Regierungen und internationale Organisationen sind ethisch und rechtlich dazu verpflichtet, auf diese Krise zu reagieren, und müssen sich um alternative evidenzbasierte Strategien bemühen, die effektiv die schädlichen Auswirkungen von Drogen reduzieren können, ohne ihrerseits neue Schäden nach sich zu ziehen. Wir, die Unterzeichner, fordern Regierungen und internationale Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen, dazu auf:

* eine transparente Überprüfung der Wirksamkeit der derzeitigen Drogenpolitik durchzuführen.
* einen wissenschaftlich fundierten gesundheitspolitischen Ansatz umzusetzen und zu evaluieren, der den individuellen und gemeinschaftlichen Schäden durch illegalen Drogenkonsum wirksam begegnet.
* Drogenkonsumenten zu entkriminalisieren, mehr Möglichkeiten evidenzbasierter Behandlung von Drogenabhängigkeit zu schaffen sowie erfolglose Behandlungszentren zu schließen, in denen Drogenabhängige zwangstherapiert werden und die gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstoßen.26
* die Finanzierung für die Umsetzung des umfassenden Pakets von HIV-Interventionen aus dem Zielsetzungshandbuch von WHO, UNODC und UNAIDS eindeutig zu befürworten und auszuweiten.27
* die betroffenen Kommunen sinnvoll in die Entwicklung, Überwachung und Durchführung von Dienstleistungen und politischen Maßnahmen, die das Leben der Menschen vor Ort beeinflussen, einzubinden.

Des weiteren fordern wir den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf, dringend Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass das System der Vereinten Nationen, einschließlich des Internationalen Suchtstoffkontrollamtes, mit einer Stimme spricht, um die Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten und die Durchführung von evidenzbasierten Ansätzen der Drogenkontrolle zu unterstützen.28

Die Drogenpolitik auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen, wird den Drogenkonsum oder die Probleme, die durch injizierenden Drogenkonsum entstehen, nicht beseitigen. Aber eine Neuausrichtung der Drogenpolitik in Richtung evidenzbasierter Ansätze, die die Menschenrechte respektieren, schützen und erfüllen, hat das Potenzial, Schäden, die durch die gegenwärtige Politik entstehen, zu verringern und würde die Umleitung großer finanzieller Ressourcen dorthin ermöglichen, wo sie am meisten gebraucht werden: zur Durchführung und Evaluierung evidenzbasierter Prävention, Kontrolle, Behandlung und Maßnahmen zur Schadensminimierung.

REFERENCES
1. William B McAllister. Drug diplomacy in the twentieth century: an international history. Routledge, New York, 2000.
2. Reuter P. Ten years after the United Nations General Assembly Special Session (UNGASS): assessing drug problems, policies and reform proposals. Addiction 2009;104:510-7.
3. United States Office of National Drug Control Policy. The Price and Purity of Illicit Drugs: 1981 through the Second Quarter of 2003. Executive Office of the President; Washington, DC, 2004.
4. World Drug Report 2005. Vienna: United Nations Office on Drugs and Crime; 2005.
5. Degenhardt L, Chiu W-T, Sampson N, et al. Toward a global view of alcohol, tobacco, cannabis, and cocaine use: Findings from the WHO World Mental Health Surveys. PLOS Medicine 2008;5:1053-67.
6. Mathers BM, Degenhardt L, Phillips B, et al. Global epidemiology of injecting drug use and HIV among people who inject drugs: A systematic review. Lancet 2008;372:1733-45.
7. Wolfe D, Malinowska-Sempruch K. Illicit drug policies and the global HIV epidemic: Effects of UN and national government approaches. New York: Open Society Institute; 2004.
8. 2008 Report on the global AIDS epidemic. The Joint United Nations Programme on HIV/AIDS; Geneva, 2008.
9. Lurie P, Drucker E. An opportunity lost: HIV infections associated with lack of a national needle-exchange programme in the USA. Lancet 1997;349:604.
10. Rhodes T, Lowndes C, Judd A, et al. Explosive spread and high prevalence of HIV infection among injecting drug users in Togliatti City, Russia. AIDS 2002;16:F25.
11. Taylor A, Goldberg D, Emslie J, et al. Outbreak of HIV infection in a Scottish prison. British Medical Journal 1995;310:289.
12. Sarang A, Rhodes T, Platt L, et al. Drug injecting and syringe use in the HIV risk environment of Russian penitentiary institutions: qualitative study. Addiction 2006;101:1787.
13. Jurgens R, Ball A, Verster A. Interventions to reduce HIV transmission related to injecting drug use in prison. Lancet Infectious Disease 2009;9:57-66.
14. Davis C, Burris S, Metzger D, Becher J, Lynch K. Effects of an intensive street-level police intervention on syringe exchange program utilization: Philadelphia, Pennsylvania. American Journal of Public Health 2005;95:233.
15. Bluthenthal RN, Kral AH, Lorvick J, Watters JK. Impact of law enforcement on syringe exchange programs: A look at Oakland and San Francisco. Medical Anthropology 1997;18:61.
16. Rhodes T, Mikhailova L, Sarang A, et al. Situational factors influencing drug injecting, risk reduction and syringe exchange in Togliatti City, Russian Federation: a qualitative study of micro risk environment. Social Science & Medicine 2003;57:39.
17. Fellner J, Vinck P. Targeting blacks: Drug law enforcement and race in the United States. New York: Human Rights Watch; 2008.
18. Drucker E. Population impact under New York’s Rockefeller drug laws: An analysis of life years lost. Journal of Urban Health 2002;79:434-44.
19. Warren J, Gelb A, Horowitz J, Riordan J. One in 100: Behind bars in America 2008. The Pew Center on the States Washington, DC: The Pew Charitable Trusts 2008.
20. Rhodes T, Singer M, Bourgois P, Friedman SR, Strathdee SA. The social structural production of HIV risk among injecting drug users. Social Science & Medicine 2005;61:1026.
21. Ahern J, Stuber J, Galea S. Stigma, discrimination and the health of illicit drug users. Drug and Alcohol Dependence 2007;88:188.
22. Elliott R, Csete J, Palepu A, Kerr T. Reason and rights in global drug control policy. Canadian Medical Association Journal 2005;172:655-6.
23. Edwards G, Babor T, Darke S, et al. Drug trafficking: time to abolish the death penalty. Addiction 2009;104:3.
24. The National Centre on Addiction and Substance Abuse at Columbia University (2001). Shoveling up: The impact of substance abuse on State budgets.
25. Wood E, Montaner JS, Kerr T. Illicit drug addiction, infectious disease spread, and the need for an evidence-based response. Lancet Infectious Diseases 2008;8:142-3.
26. Klag S, O’Callaghan F, Creed P. The use of legal coercion in the treatment of substance abusers: An overview and critical analysis of thirty years of research. Substance Use & Misuse 2005;40:1777.
27. WHO, UNODC, UNAIDS 2009. Technical Guide for countries to set targets for universal access to HIV prevention, treatment and care for injection drug users.
28. Wood E, Kerr T. Could a United Nations organisation lead to a worsening of drug-related harms? Drug and Alcohol Review 2010;29:99-100.

Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 22.07.2010

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 4, 22. Juli 2010:

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Nicht Aids definierende Krebs-Arten treten bei HIV-Positiven früher auf

Krebs-Erkrankungen, die nicht Aids-definierend sind, treten bei Menschen mit HIV nicht nur häufiger auf – sie treten auch früher, in jüngerem Alter auf. Dies zeigte eine auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien vorgestellte Studie aus Atlanta. In einer retrospektiven Analyse der Daten von 8.300 HIV-positiven Patienten des Ponce de Leon Health Center in Atlanta (2000 bis 2007)  wurden 512 Fälle von Krebs-Erkrankungen festgestellt, davon 192 von Krebs-Arten, die nicht zur Definition des Krankheitsbildes Aids gehören, darunter am häufigsten Lungen- (40) und Anal-/Rektal-Karzinome (24). Das Durchschnitts-Alter des Auftretens einer Krebs-Erkrankung der HIV-positiven Patienten lag bei 47 (Männer) bzw. 48 (Frauen) Jahren. Bei zahlreichen Krebs-Arten wurden signifikant deutliche Alters-Unterschiede zur Allgemein-Bevölkerung festgestellt.

POZ 21.07.2010: Non-AIDS Cancers Occurring at Earlier Age Among People With HIV

‚Toiletten-Wauwau‘ – Proteste gegen die Politik der EU-Kommission

Etwa Hundert Aids-Aktivist/innen protestierten am 21. Juli 2010 auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz gegen die Politik der EU-Kommission. Die Aktivisten (u.a. von Act Up-Paris, Health GAP und DNP+ (Delhi Network of people living with HIV)) blockierten den Stand der EU-Kommission, riefen dabei Parolen wie „Die EU-Kommission bemächtigt sich der Medikamente, wir bemächtigen uns der EU-Kommission“. Später wurde eine Satelliten-Veranstaltung der EU-Kommission gestört, als EU-Vertreter Patrick Ravaillard für die Generaldirektion Handel sprach. Die ACT UP Paris – ‚Haus-Künsterlin‘ ‚Mademoiselle Toutou-des-Labos‘ (etwa: ‚Toiletten-Wauwau) gab ihren Pharma-kritischen Song ‚Mrs. Pharmas Pet Song‘ zum besten.
ACT UP Paris sieht die EU-Kommission als ‚Marionette der Pharma-Industrie‘. Hintergrund der Proteste ist das von zahlreichen Organisationen (in der derzeitigen Version) weltweit kritisierte geplante Freihandelsabkommen der EU mit Indien. Im Abkommen soll Indien die Einhaltung des Schutzes geistigen Eigentums („intellectual property rights“) garantieren, darunter würden auch Patente auf Medikamente fallen. Indien ist der weltweit bedeutendste Hersteller generischer (und damit kostengünstiger) Versionen von Aids-Medikamenten.

ACT UP Paris 21.07.2010: Les activistes dénoncent la politique criminelle de l’Europe
ACT UP Paris 21.07.2010: Miss Pharma’s Pet Song
Ärzte ohne Grenzen 26.04.2010: Verhandlungen zum Freihandelsabkommen EU-Indien – Ärzte ohne Grenzen fürchtet um den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten
Stern 21.07.2010: Demonstranten nehmen bei Wiener Aids-Konferenz EU-Stand in Beschlag

HIV-Therapie senkt HIV-Transmission – indirekter Nachweis für Viruslast-Methode

In Dänemark scheint die HIV-Transmissionsrate unter schwulen Männern und Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) zu fallen, selbst wenn gleichzeitig (auch aufgrund der erfolgreichen HIV-Therapien) die Zahl der im Land lebenden HIV-Positiven steigt, und trotz ‚hohen Niveaus‘ an ‚unsafem‘ [gemeint ist wohl ‚Sex ohne Kondom‘, d.Verf.] Sex. Diese Daten stellte Susan Cowan vom ‚National Infections Institute‘ Dänmarks auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien vor. Sie betonte, die einzige Erklärung hierfür sei, dass diese (an sich für die Transmissionsrate ungünstigen) Faktoren überkompensiert würden durch den Rückgang der Infektiosität des einzelnen (erfolgreich antiretroviral behandelten) HIV-Positiven: die paradoxe Situation sei am wahrscheinlichsten dadurch erklärbar, dass HIV-Positive unter Therapie und mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze nicht oder nur sehr selten HIV übertragen.

aidsmap 21.07.2010: Indirect evidence that treatment is bringing down HIV transmission in Denmark

Obama oder Bush – wer macht(e) die bessere Aids-Politik in den USA?

Es soll eines der beliebtesten Give-aways der XVIII. Welt-Aids-Konferenz besonders bei us-amerikanischen Teilnehmern sein: das Motiv „Bush? Obama? who‘ s better on AIDS?“. Das Motiv wurde vergangene Woche als ganzseitige Anzeige in der im Washingtoner Politikbetrieb einflussreichen Zeitschrift ‚Politico‘ geschaltet und ‚ziert‘ derzeit Bus-Wartehäuser in Washington.  Hinter der Aktion steht der us-amerikanische Gesundheits-Dienstleister („medical care provider“) AHF Aids Healthcare Foundation. AHF betreut weltweit etwa 140.000 HIV-positive Patienten in 23 Staaten. Mit der Aktion versucht das Unternehmen, Druck auf die US-Politik auszuüben, sich mehr bei der Finanzierung im Kampf gegen Aids zu engagieren. AHF ist auch auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien u.a. mit einem Stand präsent.

Bush? Obama? who' s better on AIDS? (c) aidshealth.org
Bush? Obama? who' s better on AIDS? (c) aidshealth.org

Unter Druck sehen sich auch Dirk Niebel, Entwicklungs-Minister Deutschlands – für seine sehr zurückhaltende Haltung in Sachen weiterer deutscher Finanzbeiträge für den Globalen Fonds („Zaudern tötet“). Und sein österreichischer Minister-Kollege Gesundheitsminister Stöger, ausgebuht und ausgefiffen am Rand des Human Rights March für das mickrige finanzielle Engagement Österreichs (bisher eine einzige Million Euro für den Globalen Fonds, im Jahr 2002).

aidshealth.org 13.07.2010: “President Obama Fails to Lead on AIDS”
Zeit online 21.07.2010: Zaudern tötet – Harro Albrecht über Dirk Niebel, der die HIV-Prävention gefährdet
FAZ 21.07.2010: Die verärgerte Gastgeberin

Selbstbewußt positiv – poz and proud

Mit der Einführung hochwirksamer antiretroviraler Medikamente scheint für schwule Männer mit HIV eigentlich alles gelaufen zu sein – oder? Da war doch noch was? HIV wurde nahezu unsichtbar, doch das Stigma Aids bleib und bleibt. Vor diesem Hintergrund entstand im Jahr 2006 in den Niederlanden die Grupper ‚Poz and Proud‘. Das Ziel: HIV-positiven schwulen Männern mehr Selbstbewußtsein zu vermitteln – und ‚verlorenes Territorium zurück zu gewinnen‘, sexuelle Rechte einzufordern.

Poz and Proud: Bringing sexy back into Grassroots Advocacy for Hiv-positive Gay Men in the Netherlands – Claiming (sexual) rights, regaining lost territory (pdf)

„mit verletzten Flügeln“ … aber von HIV geheilt – der ‚Berlin Patient‘

Eine Welt-Aids-Konferenz ist gern auch Gelegenheit für erneute Publicity für eine nicht mehr so neue Story: die Heilung eines HIV-Positiven in Berlin (der sogenannte ‚Berlin Patient‘). Seit nunmehr drei Jahren ist bei dem Patienten kein HIV mehr nachweisbar – ohne Medikamente. Erstmals gab der betreffende ehemals HIV-positive Patient nun aus Anlass einer Nachuntersuchung in Berlin ein Interview, Grundlage für den Artikel der ‚Zeit‘ am 19.07.2010: ‚Einer wurde geheilt‘. (Leider, persönliche Anmerkung, ein Artikel mit sehr blumiger Sprache („Er wirkt auf seltsam gebrochene Weise jugendlich, wie ein flügger Vogel mit verletzten Flügeln“)). Das französische ‚Seronet‘ kommentiert den Fall „möglich aber praktisch nicht wiederholbar“.

Zeit 19.07.2010: Einer wurde geheilt
seronet 21.07.2010: premier guérison du VIH: c’est possible mais quasiment pas reproductible

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siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 21.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 20.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010
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Keine glatten Typen

ICH WEISS WAS ICH TU ist die in vielerlei Hinsicht innovative Kampagne der Deutschen AIDS-Hilfe für Schwule, Bisexuelle und andere Männer, die Sex mit Männern haben. Die Kampagne stößt auch außerhalb Deutschlands auf großes Interesse. Ein Interview mit Kampagnen-Manager Matthias Kuske

Herr Kuske, im vergangenen Jahr haben Sie die Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU unter anderem in Polen, Bulgarien und Russland vorgestellt. Leisten Sie schwule Entwicklungshilfe?
Nein, wir wollen niemandem zeigen, wie’s geht. Wir wollen voneinander lernen. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat zwar viele Jahre Erfahrung in Sachen HIV-Prävention, aber die lassen sich nicht so einfach exportieren. Wir präsentieren einfach unsere Ideen und tauschen uns mit den Kollegen darüber aus.

Woher kommt das Interesse an IWWIT?
Die Botschaft ist sehr zeitgemäß: Lasst uns ins Gespräch kommen und gemeinsam schauen, wie wir die Verbreitung von HIV verhindern können! Zum Beispiel lassen wir Rollenmodelle sprechen, um zu zeigen, wie unterschiedlich man mit Lust, Risiken und Chancen umgehen kann. Allerdings kann man gerade diesen Hauptbestandteil von ICH WEISS WAS ICH TU in vielen osteuropäischen Ländern nicht umsetzen.

Warum nicht?
Weil man dort nur wenige Menschen findet, die sich offen hinstellen und sagen: „Ich bin positiv.“ Oder auch nur: „Ich bin schwul.“ Es hilft unseren Partnerorganisationen, wenn sie erfahren, dass die Situation für Schwule in Deutschland in den 60er und 70er Jahren ähnlich schwierig war.

Welche Unterschiede gibt es noch?
In Deutschland können wir auf eine schwule Szene zurückgreifen, die immer den Großteil der Präventionsarbeit geleistet hat – und es immer noch tut. Das versuchen wir auch zu vermitteln: Eine selbstbewusste schwule Community erleichtert die Arbeit enorm.

Welche Fragen müssen Sie häufig beantworten?
Wir diskutieren oft über unsere Rollenmodelle – vor allem wegen ihrer authentischen und komplexen Botschaften. Manche Leute würden lieber nur die ganz einfachen Safer-Sex-Botschaften hören. Sie wollen ein Vorbild, das einfach nur sagt: So läuft’s. Aber gerade so soll ICH WEISS WAS ICH TU nicht sein!

Wie dann?
Wir wollen dazu anregen, dass sich die Leute ehrlich und ohne Scheuklappen über Lust und Risiken austauschen. Dabei orientieren wir uns an den schwulen und bisexuellen Lebensrealitäten, zum Beispiel an verschiedenen Beziehungskonzepten von der romantischen Zweierkiste bis hin zu offenen Beziehungen. Unsere Rollenmodelle sind deshalb keine glatten Typen, und sie nehmen kein Blatt vor den Mund. Dieses Konzept stößt insgesamt auf große und zunehmende Akzeptanz. Das sehen wir auch daran, dass uns immer mehr Leute auf Themen ansprechen, die sie auf www.iwwit.de entdeckt haben – und es bewerben sich immer mehr Männer als Rollenmodelle.

www.iwwit.de

(Pressemitteilung der DAH)

Starke Schwule. Oder: Wie funktioniert strukturelle Prävention?

„Ficken nur mit Gummi. Beim Blasen: Raus, bevor´s kommt“ – fast jeder Schwule kennt den Slogan. Aber für eine erfolgreiche HIV-Prävention reichen diese Botschaften bei Weitem nicht aus. Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) setzt auf strukturelle Prävention. DAH-Schwulenreferent Dr. Dirk Sander erklärt, was das ist.

Deutschland ist Schlusslicht in Europa – zumindest bei der Zahl der jährlich gemeldeten HIV-Diagnosen. 2856 Menschen wurden im vergangenen Jahr erstmals positiv getestet. Gemessen an der Einwohnerzahl ist diese Rate sehr gering. Im EU-Vergleich belegt die Bundesrepublik damit den vorletzten Rang.

Dr. Dirk Sander, DAH
Dr. Dirk Sander, DAH

Die HIV-Prävention zeigt also Wirkung – auch ein Verdienst der Deutschen AIDS-Hilfe. Der Ansatz dahinter heißt „Strukturelle Prävention“. „Wir greifen dort ein, wo die strukturellen Verhältnisse Gesundheit verhindern“, erklärt Dr. Dirk Sander, Schwulenreferent der DAH. „Wir wollen nicht das Verhalten der Menschen kontrollieren, sondern sie stärken und die nötigen Informationen anbieten. Dann können sie selbstbewusst ihre eigenen Entscheidungen treffen – auch beim Sex.“

Ein Beleg für die erfolgreiche Arbeit der Deutsche AIDS-Hilfe ist das gut ausgebildete Gesundheitsbewusstsein bei schwulen Männern. Langzeitstudien zeigen: Der Wille, sich vor HIV zu schützen, ist bei ihnen ungebrochen hoch. In Wiederholungsbefragungen geben mehr als zwei Drittel der Befragten an, in den zwölf Monate vor der Befragung immer Safer Sex praktiziert zu haben. Weitere 20 Prozent berichten nur sporadische Risiken.

Respekt für unterschiedliche Lebensstile
„Gute HIV-Prävention beschäftigt sich nicht nur mit dem sexuellen Verhalten jedes Einzelnen, sondern auch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen er lebt“, so Sander. „Denn die wiederum beeinflussen das Verhalten.“

Für die schwule Zielgruppe bedeutet das: Die DAH fördert das Selbstbewusstsein von Männern, die Sex mit Männern haben – egal, wie sie ihr Leben führen möchten. „Wir werben um Respekt für die unterschiedlichen Lebensstile“, betont Dirk Sander. „Das gilt auch für das Sexleben – egal, ob jemand Fetisch- oder Blümchensex bevorzugt, ob er fest liiert ist oder wechselnde Partner hat – oder beides.“

Selbsthilfe und Selbstorganisation
Besonders wirkungsvoll ist die HIV-Prävention auch deshalb, weil sie von Mitgliedern der Homo-Community selbst entwickelt und verbreitet wird. „Wir arbeiten eng mit den Menschen zusammen, die wir erreichen wollen“, so Sander. „Wir fördern Selbsthilfe und Selbstorganisation überall dort, wo schwule Männer sich treffen.“

Ein Beispiel: In vielen deutschen Städten haben sich schwule Wirte dazu verpflichtet, für ihre Gäste Aufklärungsmaterialen, Kondome und Gleitmittel bereitzustellen. Unterstützt werden sie dabei von den lokalen Aidshilfen und Präventionsprojekten. „Solche Ort sind sehr wichtig“, meint Sander. „Nur wenn sich Schwule sicher und respektiert fühlen, können sie sich selbstbewusst informieren und ihr HIV-Risiko richtig einschätzen.“

Ausgrenzung macht krank
Denn auch heute noch gilt: Schwule müssen einiges aushalten. Wegen ihrer sexuellen Orientierung werden sie oft ausgegrenzt, manchmal sogar tätlich angegriffen. Das kann krank machen. Eine im American Journal of Psychiatry vom Frühjahr 2010 veröffentlichte Studie weist darauf hin, dass Schwule rund viermal so häufig unter Depressionen leiden wie heterosexuelle Männer. Ausgrenzungserfahrungen machten zudem anfälliger für Alkohol- und Drogengebrauch.

Deshalb bekämpft die Deutsche AIDS-Hilfe jede Form von Homophobie. Sie setzt sich unter anderem dafür ein, alle Hürden zu beseitigen, die vielen Schwulen den Zugang zu bestehenden Gesundheitsangeboten verstellen.

„Schaut man nur nach Deutschland, dann hat sich in den letzten Jahren einiges getan, aber noch nicht genug“, stellt Dirk Sander fest. „Schwule Sexualität ist immer noch ein Pfui-Thema. Viele junge Schwule machen die gleichen schwierigen Erfahrungen im Coming-out wie im letzten Jahrhundert – und an diese Strukturen wollen wir ran!“

(Pressemitteilung der DAH)

Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 21.07.2010

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 3, 21. Juli 2010:

Huren schlagen US-Aids-Koordinator in die Flucht

Am Dienstag, 20. Juli nachmittags stürmte eine Gruppe Demonstrantinnen das Medien-Center der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien. Die Gruppe, die sich selbst „Star Whore III“ nannte, kritisierte US-Aids-Koordinator Eric Goosby. Mit roten Regenschirmen ‚bewaffnet‘ und mit Rufen wie “PEPFAR kills sex workers!” and “Face us, Goosby!” wandten sich die vom Global Network of Sex Work Projects organisierten Demonstrantinnen (nachdem sie die Sicherheitskräfte überrumpelt hatten) direkt an Goosby. Alle Gruppierungen, die aus dem von ihm koordinierten PrepFAR-Plan Geld erhalten, müssen explizit Prostitution ablehnen – ein Relikt aus der Zeit der konservativen Bush-Regierung, das Obama bisher nicht hat ändern lassen. Goosby ergriff durch einen Hinterausgang die Flucht. Die Demonstrantinnen erklärten, sie forderten eine Ent-Kriminalisierung der Prostitution sowie besseren Zugang zu HIV-Tests, Behandlung und Therapie.

Advocate 20.07.2010: Protesters Storm AIDS Conference
Global Network of Sex Work Projects 21.07.2010: Denial of Service: Sex Workers Confront Dr. Eric Goosby and Protest the Anti-Prostitution Pledge
no-racism.net 31.07.2010: Sexarbeiter_innen stürmen Internationale AIDS Konferenz in Wien

Globaler Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose mit Finanzierungs-Problemen – weil reiche Staaten weniger zahlen …

UNAIDS und der ‚Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria‘ beklagen eine nachlassende Unterstützung durch die Geberländer. Die General-Direktoren Michel Sidibé (UNAIDS) und Michel Kazatchkine (Globaler Fonds) betonten, die Finanzierungslücke sei groß. Erstmals seien im vergangene Jahr weniger Mittel als im Vorjahr bereit gestellt worden. Insbesondere die Staaten Europas seien zunehmend zurückhaltend – aus Europa seien 2008/09 über 600 Millionen US-$ weniger an Mitteln bereit gestellt worden als im Vorjahr. Statt zurückgehender Mittel mache die Situation jedoch vielmehr eine weitere Steigerung den finanziellen Einsatzes erforderlich. Das derzeitige Defizit gefährdet insbesondere das Ziel, möglichst vielen HIV-Positiven weltweit Zugang zu antiretroviraler Therapie zu ermöglichen.

aidsmap 20.07.2010: ‘Big gap’ in contributions to the Global Fund

Modernere Aids-Medikamente sind effizient – auch in Afrika

Der Zugang zu antiretroviraler Therapie in Subsahara-Afrika verbessert sich. Doch oftmals werden dort Medikamente eingesetzt, die in Industriestaaten schon längst nicht mehr zum Therapie-Standard gehören, besonders Therapien auf Basis von Stavudin (d4T, Handelsname Zerit®) – aus Kostengründen, denn Stavudin ist deutlich billiger als andere Aids-Medikamente.
Doch zwei Forscher-Teams kamen unabhängig von einander in Studien (in denen sie die Kosten pro gewonnenem ‚quality-adjusted life year‘ (QALY) verglichen) zu dem Schluss, dass der Einsatz ‚modernerer‘ und nebenwirkungsärmerer Aids-Medikamente auch in Staaten mit wenig Ressourcen effizient sein kann. Einer der Gründe: nebenwirkungsreiche Substanzen führen eher zu Therapie-Versagen und häufigerem umstellen auf kostspieligere Medikamente.

aidsmap 20.07.2010: Newer HIV drugs cost-effective for Africa

Positive über 50 haben mehr Probleme

HIV-Positive über 50 haben maßgebliche Nachteile verglichen mit der Allgemeinbevölkerung. Dies zeigte die Studie „50 plus“, die erste britische Studie über Altern und HIV. Ältere Positive haben eine schlechtere Gesundheit, sind finanziell schlechter gestellt und leiden unter Zukunftsängsten. Die Studie und ihre Ergebnisse wurden von ‚Terrence Higgins Trust‘ (THT) und ‚Age UK‘ am 21. Juli auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz vorgestellt. Für die Untersuchung wurden 410 HIV-Positive über 50 Jahren, die antiretrovirale Therapie erhalten, interviewt.

pinknews 20.07.2010: Older people with HIV ’substantially more disadvantaged than peers‘

GIPA 2.0

2008 wurde auf der XVII. Welt-Aids-Konferenz das „Mexico Manifest“ präsentiert. Daraus habe sich in den von HIV betroffenen Communities unter anderem der Bedarf an vorurteilsfreien Informationen ergeben, auch über Sexualität und sexuelle Gesundheit. Dies war auch eine der Grundlagen der ‚Denver Prinzipien‘ – die mit neuem Leben gefüllt werden müssen. Das EKAF-Statement und die daraus folgenden Diskussionen sei ein gutes Beispiel dafür, welche Bedeutung GIPA habe, die Beteiligung von Menschen mit HIV und Aids in sie betreffenden Fragen auf allen Ebenen. Doch Regierungen und Organisationen reagieren mit Zurückhaltung – GIPA 2.0 wird erforderlich, mehr Stolz als Graswurzel-Bewegung. In einer Poster-Präsentation stellte die niederländische Gruppe ‚Poz and Proud‘  Überlegungen hierzu vor.

GIPA 2.0 Towards better understanding of the needs and comprehensive involvement of HIV-positive gay men (HPGM) in the 21st century: a Dutch example (pdf)

Hochkarätige UNAIDS-Kommission für HIV-Prävention

UNAIDS will nicht weniger als eine „HIV-Präventions – Revolution“. Zu diesem Zweck hat die UN-Organisation eine „Top-Level-Kommission“ ins Leben gerufen. Die Mitglieder sollen im Verlauf des kommenden Jahres ihre Kontakte und Erfahrungen einbringen, und sich für effektive und wirksame Präventionsprogramme einsetzen.
Mitglieder der Kommission sind Dr Michelle Bachelet (ehemaliger Präsident Chile), Jacques Chirac (ehemaliger Präsident Frankreich), Vuyiseka Dubula (Generalsekretärin der Treatment Action Campaign), Dr. Mohamed ElBaradei (Träger des Friedens-Nobel-Preises), Elena Franchuk (Ukrainische Geschäftsfrau und Gründerin der Elena Franchuk ANTIAIDS Foundation), Pau Gasol (Spanischer Basketball-Star), Nizan Guanaes (führender Kommunikations-Unternehmener Brasiliens, Chairman der ‚Grupo ABC de Comunicação‘), Chris Hughes (Generaldirektor Jumo International udn Mit-Gründer von Facebook), Magic Johnson (früherer Basketball-Star, offen HIV-positiv lebend), Irene Khan (Menschenrechts-Aktivistin und frühere Generalsekretärin Amnesty International, Robin Li (Unternehmer und Mit-Gründer der populärsten Suchmaschine in China, Baidu Inc.), Rita Süssmuth (frühere Bundestags-Präsidentin, Gesundheitsministerin), Festus Mogae (früherer Präsident Botswana), Jean Ping ( Chairman der African Union), Professor Peter Piot (früherer Executive Director UNAIDS und bald Direktor der London School of Hygiene and Tropical Medicine), Vladimir Vladimirovich Pozner (bekannter Russischer Journalist), Meechai Viravaidya (Thailändischer  Politiker und Aktivist).

UNAIDS 21.07.2010: Top world personalities join UNAIDS’ High Level Commission to bring about a prevention revolution

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siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 20.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010

Solidarität mit HIV-Positiven auf Haiti

Mehrere Dutzend Aids-Aktivisten haben am 20. Juli auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien mit einer Demonstration ihre Unterstützung für HIV-Positive auf Haiti zum Ausdruck gebracht. Auch über ein halbes Jahr nach dem Erdbeben ist die Situation HIV-Positiver dort oftmals katastrophal.

Ein Dach über dem Kopf, etwas zu Essen, Arbeit – und Medikamente. Es sind ganz basale Bedürfnisse, die Menschen mit HIV haben. Doch auch über ein halbes Jahr nach dem schweren Erdbeben, das Haiti am 12. Januar 2010 verwüstete, haben viele HIV-Positive nicht einmal ein richtiges Dach über dem Kopf.

Bei dem Erdbeben wurde auch der Großteil der Infrastruktur zerstört, die auf Haiti für den Kampf gegen Aids ausgebaut war. Haiti hat nach Angaben von UNICEF die höchste HIV-Infektionsrate außerhalb von Afrika. Jeder zwanzigste Haitianer ist HIV-infiziert, alle zwei Stunden kommt ein Neugeborenes HIV-positiv zur Welt.

Welt-Aids-Konfernez Wien 20.07.2010: Solidaität mit Positiven auf Haiti (Foto: ACT UP Paris)
Welt-Aids-Konferenz Wien 20.07.2010: Solidaität mit Positiven auf Haiti (Foto: ACT UP Paris)
Welt-Aids-Konferenz Wien 20.07.2010: Solidaität mit Positiven auf Haiti (Foto: ACT UP Paris)
Welt-Aids-Konferenz Wien 20.07.2010: Solidaität mit Positiven auf Haiti (Foto: ACT UP Paris)
Welt-Aids-Konferenz Wien 20.07.2010: Solidaität mit Positiven auf Haiti (Foto: ACT UP Paris)
Welt-Aids-Konferenz Wien 20.07.2010: Solidaität mit Positiven auf Haiti (Foto: ACT UP Paris)

ACT UP Paris forderte, Haiti benötige dringend eine globale und nationale Aids-Strategie, bei deren Erstellung auch in Haiti lebende Menschen mit HIV einbezogen werden sollten. Regionale Kämpfe, die die internationalen Hilfsorganisationen in ihrer Arbeit behindern und gefährden, müssten schnellstens unterbunden werden. Und die Geberländer, die den Wiederaufbau Haitis unterstützen, sollten auch den Kampf gegen Aids und Aids-Organisationen auf Haiti unterstützen.

Die Haitianische Positivengruppe HAP+ (Plateforme Haïtienne des Associations de PVVIH) sowie die Organisation Housing Works hatten um Unterstützung gebeten.

weitere Informationen:
ACT UP Paris 20.07.2010: Manifestation de solidarité avec les séropos en Haïti
POZ 29.07.2010: International HIV/AIDS Funding Slow to Reach Haiti
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Macht HIV arm?

Die meisten HIV-Positiven arbeiten – so wie viele andere Menschen mit chronischen Krankheiten. Trotzdem kann eine HIV-Infektion eine soziale Abwärtsspirale in Gang setzen. Silke Eggers, DAH-Referentin für soziale Sicherung und Versorgung, erklärt warum.

Frau Eggers, macht HIV arm?
Eine HIV-Infektion macht natürlich nicht automatisch arm. Aber sie ist eine ungeheure soziale Belastung, die nicht jeder problemlos abfedern kann. Das liegt einerseits daran, dass HIV-positive Menschen noch immer diskriminiert und stigmatisiert werden. Und andererseits am generellen Abbau des Sozialsystems in Deutschland.

Aber die meisten HIV-Positiven leben und arbeiten doch relativ normal.
Die Lebenssituationen von Menschen mit HIV sind heute sehr unterschiedlich. Wie gut ein Mensch mit seiner HIV-Infektion leben kann, hängt stark von den Umständen ab: Hat er eine gute Ausbildung, einen guten Job? Ist er arbeitslos und verfügt nur über geringe Deutschkenntnisse? Gebraucht er vielleicht illegale Drogen? Bei Positiven mit solchen Doppelbelastungen kommt die soziale Abwärtsspirale oft sehr viel schneller in Gang als bei HIV-Negativen. Die Diskriminierung betrifft sie alle.

Es wird doch aber häufig gesagt, HIV sei heute eine chronische Krankheit wie andere auch?
Ganz platt zurückgefragt: Länger leben mit HIV – aber wovon? Die medizinische Versorgung verbessert sich stetig, aber die soziale Entwicklung hält dem nicht Stand.
Der Abbau des Sozialstaats betrifft manche Menschen besonders stark. Die vielen Einsparungen wirken einzeln wie Kleinigkeiten, aber bei chronisch Kranken häufen sich diese Kleinigkeiten und sind schon jetzt nicht mehr tragbar. Kommt für einen Menschen in einer sowieso schon schwierigen sozialen Situation eine HIV-Infektion hinzu, treffen ihn diese Zusatzbelastungen doppelt und dreifach.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein großer Einschnitt sind die diversen Gesundheitsreformen der letzten Jahre. Die Zuzahlung zu Medikamenten wurde deutlich erhöht, die Praxisgebühr eingeführt, diverse Leistungen aus dem Katalog der Krankenkassen ausgeschlossen. Viele Medikamente müssen inzwischen selber bezahlt werden, die Zuzahlungen für Brillen und Zahnersatz wurden gestrichen oder stark reduziert. Kurz: Kranksein ist wirklich teuer geworden. Auch immer mehr Sozialleistungen werden gestrichen. Ein großer Einschnitt für viele Menschen mit HIV war der Wegfall des Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung. Stattdessen werden nun alle dazu aufgefordert, immer mehr Risiken privat abzusichern. Das Problem ist neben den oft fehlenden finanziellen Mitteln: Menschen mit HIV können aufgrund ihrer Infektion bestimmte Versicherungen gar nicht abschließen.

Welche Versicherungen sind das?
Obwohl sich die medizinische Situation sehr verbessert hat, bekommt kein HIV-Positiver derzeit eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Lebensversicherungen sind möglich – aber oft nur mit horrenden Zuschlägen.

Was ist, wenn man gar kein eigenes Einkommen hat?
Dann wird es besonders schwer. Generell ist der Sozialhilfe- beziehungsweise Hartz-IV-Satz in unseren Augen zu niedrig. Darüber hinaus berücksichtigt er längst nicht alle Lebenslagen von HIV-Positiven. Vor einigen Jahren sind zum Beispiel die Fahrtkosten zu ambulanten Behandlungen gestrichen worden. Besuche in einer oft weit entfernten HIV-Schwerpunktpraxis sind aus den Regelsätzen nicht zu finanzieren. Besonders in ländlichen Gegenden ist das ein großes Problem. Dabei ist man mit einer HIV-Infektion auf eine spezialisierte Behandlung angewiesen!

Früher galten Menschen mit HIV als Fall für die Rentenversicherung. Das hat sich radikal geändert, oder?
So ist es. Sie stehen an ihrem Arbeits- oder Ausbildungsplatz genauso ihren Mann oder ihre Frau wie alle anderen auch. Trotzdem ist in den Köpfen noch das Bild von schwerer Krankheit, großem Leid und baldigem Tod. Vielen ist nicht klar, dass HIV-Positive über einen langen Zeitraum leistungsfähig sind, arbeiten können und wollen.

Was sind denn die größten Probleme in der Arbeitswelt?
Nach wie vor löst das Bekanntwerden einer HIV-Infektion irrationale Ängste aus. Oft haben Kollegen Angst, sie könnten sich anstecken. Chefs machen sich Sorgen, wie Kunden reagieren könnten. Fakt ist: Im Berufsalltag ist eine HIV-Infektion in den allermeisten Fällen ausgeschlossen. Und mit Ausnahme der Pilotenausbildung gibt es keine Berufsverbote. Menschen mit HIV können alle Jobs machen – und sie machen sie auch. Es fällt nur niemandem auf, weil man es keinem Menschen ansieht, dass er HIV hat. Menschen mit HIV brauchen unsere Solidarität – und keine Ausgrenzung!

(Pressemitteilung der DAH)

Marsch für Menschenrechte – Annie Lennox und Tausende Teilnehmer fordern mehr Einsatz für Menschenrechte (akt.2)

Mehrere Tausend Menschen, Wienerinnen und Wiener sowie Teilnehmer der XVIII. Welt-Aids-Konferenz beteiligten sich am 20. Juli 2010 an einem ‚Marsch für Menschenrechte‘.Gast-Star: Annie Lennox.

9.000, wie die Polizei schätzte? Oder 25.000, wie die Veranstalter angaben? Es waren viele, die sich am ‚Human Rights March‘ beteiligten, den International Aids Society, Aidshilfe Wien und Hosi sowie Lennox‘ SING-Campaign veranstalteten.

Der Marsch für Menschenrechte startete um 18:30 Uhr nahe der Universität und führte zum Heldenplatz. Dort mündete er in eine Kundgebung (21:15 Uhr) mit anschließendem Konzert, das Pop-Sängerin und Aids-Aktivistin Annie Lennox gab. Schon zuvor hatte sich Lennox auf der in Wien stattfindenden XVIII. Welt-Aids-Konferenz für eine weltweite Einhaltung der Menschenrechte eingesetzt. Die 55jährige Lennox war jüngst zur „UNAIDS-Botschafterin des guten Willens“ ernannt worden.

 

Homophobie tötet - Teilnehmer des Human Rights March (Foto: Carsten Schatz)
Homophobie tötet - Teilnehmer des Human Rights March (Foto: Carsten Schatz)

Im Mittelpunkt der Demonstration: Menschenrechte – Menschenrechte von Homosexuellen und Transgender, von Sexarbeiter/innen und Drogenkonsumenten, Gefängnisinsassen und Menschen, die Sterbebegleitung brauchen.

 

Der 'Marsch für Menschenrechte' (Human Rights March), vor dem Parlament (Foto: www.thinkoutsideyourbox.net)
Der 'Marsch für Menschenrechte' (Human Rights March), vor dem Parlament (Foto: www.thinkoutsideyourbox.net)

Universeller Zugang zu Medikamenten und Behandlung wird nie möglich sein, wenn nicht die Menschenrechte gewährleistet sind – immer und überall. Dies war eine der zentralen Botschaften des Marsches. Oftmals erhielten, so die Organisatoren, diejenigen, die am schlimmsten von HIV und Aids betroffen sind, die geringste Aufmerksamkeit der nationalen HIV-Politik.

Annie Lennox spricht über HIV/Aids und menschenrechte sowie den Wiener 'Marsch für Menschenrechte' (Screenshot)
Annie Lennox spricht über HIV/Aids und menschenrechte sowie den Wiener 'Marsch für Menschenrechte' (Screenshot)

In vielen Staaten müssten Aids-Aktivisten ihr Leben riskieren, um von ihren Regierungen einen besseren Zugang zu HIV-Services sowie Test und Therapie zu fordern.

Teilnehmer des Human Rights March (Foto: Carsten Schatz)
Teilnehmer des Human Rights March (Foto: Carsten Schatz)

Aids sei eine einzigartige Herausforderung, und erfordere ungewöhnliche Maßnahmen, betonten die Organisatoren. Der Schutz der Menschenrechte sei der beste Schutz für die Öffentliche Gesundheit, so Lennox. Doch trotz vieler Worte in Sachen Menschenrechten würde immer noch engagiertes aktives handeln fehlen.

Human Rights March - Abschluss-Konzert Annie Lennox auf dem Heldenplatz (Foto: www.thinkoutsideyourbox.net)
Human Rights March - Abschluss-Konzert Annie Lennox auf dem Heldenplatz (Foto: www.thinkoutsideyourbox.net)

Bereits im Vorfeld des Marsches hatte Annie Lennox die österreichische Regierung aufgefordert, ihrer moralischen Verpflichtung nachzukommen und Geld für den Globalen Fonds zur Verfügung zu stellen. Kurt Krickler, Hosi Wien, ergänzte „Es ist peinlich für das Gastgeberland, so wenig zum Kampf gegen HIV und Aids beizutragen.“ Erst eine einzige Million Euro habe Österreich an den Globalen Fonds gezahlt, im jahr 2002, ergänzt Lennox.
Der österreichische Gesundheitsminister Stöger (der vor den überwiegend internationalen Teilnehmern im Gegensatz zu anderen Redner/innen auf deutsch sprach) erhielt bei seiner Rede Pfiffe und Buhrufe.

Danke an www.thinkoutsideyourbox.net und Carsten Schatz für jeweils 2 Fotos!

weitere Informationen:
10 Gründe, warum Menschenrechte im Zentrum des globalen Kampfes gegen Aids stehen sollten (pdf)
YouTube: Annie Lennox Talks About Human Rights and HIV/AIDS Rally
humanrightsnow.org 20.07.2010: Annie Lennox, AIDS Leaders to Call for Enforcement of Human Rights in Fight Against HIV
AIDS2010 20.07.2010: Human Rights Protections Essential in Drive for Universal Access (pdf)
DAH 20.07.2010: 20. Juli: Menschenrechtsmarsch in Wien mit Sängerin Annie Lennox
Vienna online 20.07.2010: AIDS- Konferenz: Mehr Beitrag Österreichs gefordert
POZ 20.07.2010: HIV March in Vienna Links Science and Human Rights
think outside your box 21.07.2010: Fotos vom Menschenrechtsmarsch am 20.7. in Wien
DAH-Blog 21.07.2010: Bock bloggt Teil 3 | Human Rights Now!
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Welt-Aids-Konferenz: Foto-Impressionen

In Wien findet derzeit die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Neben vielen Vorträgen und Veranstaltungen, ‚Greet and Meet‘ und Parties auch ein optischer Bilderbogen.

Vom ‚Methadone Man‘ bis ‚Sodoma‘, Vorbereitungen für den ‚March for Human Rights‘ bis zur ‚Checkliste für gesundes Altern‘ – Foto-Eindrücke aus Wien …
(mit Dank an die Fotografen!):

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Methadone Man, Buprenorphine Babe (Foto: Carsten Schatz)
zwei Konferenzteilnehmer aus Kanada bereiten sich vor für den Rally for Human Rights (Foto: HIV Human Rights 2010)
zwei Konferenzteilnehmer aus Kanada bereiten sich vor für den Rally for Human Rights (Foto: HIV Human Rights 2010)
Sodoma (Foto: Carsten Schatz)
Sodoma (Foto: Carsten Schatz)
I'm HIV+ - and you? (Foto: Dirk Sander)
I'm HIV+ - and you? (Foto: Dirk Sander)
Checkliste Gesundes Altern (Foto: Dirk Sander)
Checkliste Gesundes Altern (Foto: Dirk Sander)

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Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 20.07.2010 (akt.3)

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 2, 20. Juli 2010:

HIV ist eine Armuts-Frage – auch in Industriestaaten

In den USA ist in von größerer Armut geprägten Viertel der Anteil HIV-infizierter Heterosexueller bei 2,1 Prozent – deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung (0,45%). Entsprechende Daten der US-Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control), die auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz vorgestellt wurden, zeigen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen HIV-Verbreitung und Armut in den USA. Prävention müsse sich an Menschen aus auf ökonomisch schlecht gestellte Gruppen wenden, folgerten die Forscher.

USA News Health 19.07.2010: Poverty Driving HIV’s Spread Among Urban Heterosexuals: Report

HIV-positive Kinder in ärmeren Staaten besonders gefährdet

Die Entwicklung von Kindern mit HIV wird in Staaten mit begrenzten Ressourcen durch einen späten Therapiebeginn beeinträchtigt. Dadurch haben Kinder in diesen Staaten ein signifikant höheres Risiko von Entwicklungsschäden, sowohl was ihr Wachstum als auch neurokognitive Funktionen angeht.
Dieses Problem tritt nicht nur in Staaten Afrikas südlich der Sahara auf. Auch in Rumänien wurde in einer Kohorte HIV-infizierter Kinder ein hoher Grad an neurokognitiven Störungen (43,7%) sowie Aids-definierenden opportunistischen Erkrankungen festgestellt.
Der Therapieerfolg bei Kindern mit HIV variiert in Staaten mit niedrigem oder mittlerem Durchschnittseinkommen stark, stellte eine multiregionale Analyse an 13.611 Kindern unter 15 Jahren in Asien, Ost-, West- sowie Südafrika fest. Faktoren, die bei Kindern das Risiko einer niedrigen Überlebensrate erhöhen, seien u.a. für das Alter zu niedriges Gewicht, fortgeschrittene Erkrankung, sowie ein Lebensalter von weniger als 12 Monaten.

aidsmap 20.07.2010: Child development affected by late treatment start in resource-limited settings
aidsmap 20.07.2010: Success of treatment in children varies across low and middle-income countries

Heranwachsende mit HIV haben komplexe psychosoziale Bedürfnisse

Die Zahl junger Menschen mit HIV steigt. Sowohl junger Menschen im Heranwachsenden-Alter, die sich gerade erst mit HIV infiziert haben, als auch besonders Jugendlicher, die bereits seit vielen Jahren, seit ihrer Geburt HIV-positiv sind. Diese Heranwachsenden benötigen neue innovative Wege, über Sexualität zu sprechen, über die Frage wie offen sie mit ihrem HIV-Status umgehen wollen, und über ihre gesundheitlichen Bedürfnisse. Dies wurde bei einer Panel-Veranstaltung auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz deutlich. Heranwachsende hätten spezifische eigene Probleme und Bedürfnisse – und müssten sich gleichzeitig auch mit den Problemen jedes Erwachsenen mit HIV herumschlagen.

aidsmap 20.07.2010: Adolescents living with HIV face complex psychosocial concerns: require targeted, comprehensive services

Mindestens 31 Staaten deportieren HIV-Positive

Mindestens 31 Staaten weltweit deportieren immer noch Menschen mit HIV. Dies brachte eine Untersuchung an 197 Staaten zutage, die die Deutsche Aids-Hilfe gemeinsam mit Human Rights Watch am 20. Juli 2010 auf der XVIII. Internationalen Aids-Konferenz in Wien vorstellte. Die genaue Anzahl Staaten sei, so Peter Wiessner, unbekannt, da ein einheitliches weltweites Berichtssystem fehle. Die Staaten, die heute immer noch Menschen mit HIV deportieren, sind Armenien, Bahrain, Bangladesh, Brunei, Ägypten, Äquatorial Guinea, Ungarn, Indien, Irak, Jordanien, Kazachstan, Korea (Volksrepublik Nord ebenso wie Demokratische Republik Süd), Kuwait, Malaysia, Moldawien, Mongolei, Oman, Panama, Katar, Russland, Saudi Arabien, Singapur, Solomon Islands, Sri Lanka, Syrien, Taiwan, Turkmenistan, Vereinte Arabische Emirate, Usbekistan und Jemen.
In weiteren 66 Staaten weltweit bestehen Reise- und Aufenthalts-Restriktionen für Menschen mit HIV.
Unterdessen forderte die US-Regierung unter Präsident Obama, bundesstaatliche Gesetze, die spezifisch aufgrund von HIV kriminalisieren, abzuschaffen.
Der Gesundheitsminister Namibias, Dr. Richard Nchabi Kamwi, erläuterte in einer Rede in Wien die Gründe seiner Regierung, das Einreiseverbot für HIV-Positive abzuschaffen. Nach ausgiebigem Dialog mit der Zivilgesellschaft sowie Entwicklungs-Organisationen sie die Regierung zu dem Schluss gekommen, dass nur Reisefreiheit es Menschen mit HIV erlaube, eine wichtige Rolle in der nationalen Gesundheitspolitik zu spielen. Die frühere Regelung (des Einreiseverbots) sei ein eindeutiger Verstoß gegen die Verfassung Namibias gewesen. Namibia hat bei 2 Millionen Einwohnern eine HIV-Prävalenz von 15,3%.

UNAIDS 20.07.2010: Namibian Minister of Health shares words of advice for countries with HIV travel restrictions
POZ 20.07.2010: At Least 31 Countries Deporting People Living With HIV
Criminal HIV Transmission 20.07.2010: US: Obama administration calls for end to HIV-specific criminal laws
aidsmap 21.07.2010: Deportations of people with HIV widespread; activists’ tactics differ

Tenofovir als Gel wirksam

Die antiretrovirale Substanz Tenofovir (Handelsname Viread®) ist vorläufigen Studienergebnissen zufolge auch in einer Formulierung als Gel in der Verhinderung der Übertragung von HIV und Herpes wirksam. Damit eröffnet sich die Chance, Tenofovir als Mikrobizid einzusetzen. Dies zeigte eine am 20. Juli auf der Wiener Welt-Aids-Konferenz vorgestellte Sicherheits und Wirksamkeits-Studie. Untersucht wurden 889 Frauen in KwaZulu Natal (Südafrika) mit einem 1% Tenofovir enthaltenden Mikrobizid. Es zeigte über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren eine 39%ige Wirksamkeit in der Senkung des Risikos einer HIV-Infektion und eine 51%ige Wirksamkeit bei Herpes. UNAIDS bezeichnete das Ergebnis der ‚proof-of-concept Studie‘ als ‚Durchbruch‘.
Weitere Studien sind vor einer etwaigen Zulassung erforderlich. Die Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt, aber noch kein Durchbruch“, erklärt Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe, zu der Studie.

EurekAlert 19.07.2010: Study of microbicide gel shows reduced risk of HIV and herpes infections in women
aidsmap 19.07.2010: Tenofovir-based microbicide gel reduces risk of infection for women by 39%
UNAIDS 19.07.2010: WHO and UNAIDS welcome ground breaking proof of concept study results for vaginal gel showing reduced risk of HIV infections in women
SpON 20.07.2010: Vaginalgel senkt Aids-Risiko für Frauen
aidsmap 20.07.2010: Microbicides can work, CAPRISA trial shows, but more trials needed before approval
DAH 20.07.2010: Durchbruch in der Mikrobizid-Forschung?
Zeit online 20.07.2010: Verfrühte Hoffnungen auf ein Gel gegen Aids
aidsmap 21.07.2010: Tenofovir microbicide halves genital herpes infections and appears safe
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siehe auch: XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010

Patente Lösung – Equitable Licensing

Gegen HIV gibt es gute Medikamente, doch die können sich nur wenige leisten. Für rund 60 Prozent der HIV-Positiven weltweit ist eine Behandlung zu teuer. Dr. Christian Wagner-Ahlfs von der Kampagne „Med4all“ erklärt, wie faire Pharma-Patente für mehr Gerechtigkeit sorgen könnten.

Herr Wagner-Ahlfs, „Medizin für alle“ – das klingt populistisch.
Finden Sie? Pharmaforschung wird etwa zur Hälfte mit öffentlichen Geldern finanziert. Ihre Ergebnisse sollten deshalb auch allen zur Verfügung stehen – nicht nur ausgewählten Menschen, die sich die teuren Medikamente leisten können.

Wollen Sie die Pharma-Industrie ruinieren?
Es geht nicht darum, die Produkte der Pharma-Industrie zu verschenken. Aber sie sollten ihren Zweck erfüllen. Und der ist es, dafür zu sorgen, dass möglichst viele kranke Menschen gesund werden. Aber die besten Medikamente nützen nichts, wenn sie niemand bezahlen kann.

Wer ist davon betroffen?
Vier Fünftel der Weltbevölkerung leben in Entwicklungsländern. Die meisten von ihnen können sich in der Regel keine Medikamente leisten. Das gilt nicht nur für HIV und Malaria, sondern auch für Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen.

Ihr Lösungsvorschlag heißt „Equitable Licensing“, also faire Lizenzvergabe. Wie würden Sie das einem Kind erklären?
Um ein Arzneimittel zu entwickeln, braucht es viele, viele Jahre. Deshalb sind viele Menschen daran beteiligt – an Universitäten, in Forschungseinrichtungen und in Unternehmen. Diese Zusammenarbeit muss genau geregelt werden. Deshalb schließen diese Menschen komplizierte Verträge ab. „Equitable Licensing“ bedeutet, diese Verträge so zu gestalten, dass später auch die Menschen in ärmeren Ländern die neue Arznei bezahlen können.

Wie könnte das funktionieren?
Dafür gibt es verschiedene Wege. Man könnte zum Beispiel im Vertrag vereinbaren, dass Medikament in ärmeren Ländern günstiger anzubieten. Oder man verzichtet auf ein Monopol und vergibt die Lizenz an mehrere Pharma-Firmen. Dadurch entsteht Wettbewerb und die Preise sinken.

Ist das nicht utopisch?
Nein, solche Verträge gibt es schon, etwa für verschiedene Impfstoffe. Und die günstigsten Tabletten für HIV-Therapien in Afrika stammen heute aus indischer Produktion – der Wettbewerb durch Generika wirkt.

Die Pharma-Industrie würde Ihnen entgegnen: Ohne exklusiven Patentschutz kann kein Unternehmen die hohen Forschungskosten finanzieren.
Das Argument, nur die Industrie hätte die nötigen Kompetenzen, um neue Medikamente zu entwickeln, scheint mir sehr weit hergeholt. Es gibt ja viele andere Forschungseinrichtungen. Wie gesagt: 50 Prozent der medizinischen Forschung wird schon jetzt mit öffentlichen Geldern finanziert. Aber es geht uns ja gar nicht darum, die Pharma-Industrie aus den Angeln zu heben. Wir wollen nur unterbinden, dass sie sich exklusive, über Jahrzehnte geschützte Patente sichert.

Wieso wird ihr das bisher so leicht gemacht?
Das ist derzeit Gesetz. Das Bundesforschungsministerium und das Wirtschaftsministerium machen den Universitäten klare Vorgaben: Sie sollen ihre Erfindungen patentieren und zu Geld machen. Aber wie bei jeder demokratischen Entscheidung gilt auch hier: Man kann sie wieder verändern. Inzwischen beginnen Einzelne auch schon damit, ihre Forschungspolitik neu auszurichten. Die Universitätsmedizin der Charité in Berlin hat sich als erste deutsche Forschungseinrichtung dafür ausgesprochen, bei der Vermarktung von pharmazeutischen Patenten künftig soziale Aspekte zu berücksichtigen.

Warum passiert das ausgerechnet jetzt?
In Berlin hat das Engagement von Studierendengruppen zu dieser Neuausrichtung geführt. Angefangen hat diese Bewegung in den USA. Auslöser dort war eine Debatte über Patente auf HIV-Medikamente, die zum größten Teil bei US-amerikanischen Universitäten liegen.

Die Chancen stehen also gut, dass künftig mehr Menschen von den Errungenschaften der Pharma-Forschung profitieren?
Derzeit bin ich da sehr zuversichtlich. Das Engagement der Studierenden ist enorm. Das Interesse an unseren Lösungsansätzen wächst, in den Universitäten rennen wir zum Teil offene Türen ein. Und aus den Gesprächen mit den Patent-Verwertungsagenturen der Unis weiß ich, dass auch dort viele Mitarbeiter nicht glücklich darüber sind, dass sie so sehr aufs Geld schauen müssen.

Med4all
Dr. Christian Wagner-Ahlfs (42) koordiniert für das bundesweite Netzwerk BUKO die Med4all-Kampagne. Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) ist ein Dachverband, über 120 Dritte-Welt-Gruppen und entwicklungspolitische Organisationen angehören. Der Slogan des Projekts: „med4all – Medizinische Forschung, der Allgemeinheit verpflichtet.“
www.med4all.org
www.buko.info

(Pressemiteilung der DAH)