Vom 18. bis 23. Juli 2010 fand in Wien die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Zum Abschluss verabschiedete die Konferenz die „Wiener Erklärung“, die für eine dringende Änderung der Drogen-Politik appelliert.
Die Wiener Erklärung wurde initiiert von
The International Centre for Science in Drug Policy
The International AIDS Society
The XVIII International AIDS Conference
The BC Centre for Excellence in HIV/AIDS
Die „Wiener Erklärung“ (siehe online auf http://www.diewienererklarung.com/) wurde bisher (Stand 21.07.2010) von über 11.200 Personen unterzeichnet; im Folgenden als Dokumentation (die Zahlen im Text verweisen auf Quellen-Angaben im, Anschluss an den Text):
Die Wiener Erklärung
Die Kriminalisierung von Konsumenten illegaler Drogen trägt zur Ausbreitung der HIV-Epidemie bei und hat äußerst negative gesundheitliche und soziale Folgen nach sich gezogen. Hier ist eine umfassende strategische Neuorientierung erforderlich.
Als Reaktion auf die gesundheitlichen und sozialen Schäden durch illegale Drogen wurde unter dem Dach der Vereinten Nationen eine breit angelegte internationale Drogenverbotspolitik entwickelt.1 Dank jahrzehntelanger Forschung ist eine umfassende Einschätzung der Auswirkungen des globalen „War on Drugs“ möglich. Nun, da sich tausende Menschen anlässlich der XVIII. Internationalen AIDS-Konferenz in Wien versammeln, fordert die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft eine Anerkennung der Grenzen und schädlichen Auswirkungen von Drogenverboten sowie eine Reform der Drogenpolitik, die zum Ziel hat, Barrieren für eine effektive HIV-Prävention, -Therapie und -Versorgung zu beseitigen.
Mittlerweile ist zweifelsfrei bewiesen, dass es den Strafverfolgungsbehörden nicht gelungen ist, die Verfügbarkeit illegaler Drogen an Orten, wo eine entsprechende Nachfrage existiert, zu unterbinden.2, 3 Nationale und internationale Drogenüberwachungssysteme zeigten über die letzten Jahrzehnte hinweg eine allgemeine Tendenz sinkender Preise und zunehmender Reinheit von Drogen – und dies trotz massiver Investitionen in die Strafverfolgung bei der Drogenbekämpfung.3, 4
Darüber hinaus gibt es keine Belege dafür, dass härtere Strafverfolgungsmaßnahmen den Drogenkonsum spürbar senken.5 Ferner zeigen die Daten eindeutig, dass auch die Zahl der Länder, in denen Menschen illegale Drogen injizieren, wächst, wobei zunehmend Frauen und Kinder betroffen sind.6 Außerhalb von den subsaharischen afrikanischen Ländern geht ungefähr jeder dritte neue Fall von HIV auf den Konsum injizierter Drogen zurück.7, 8 In einigen der Gegenden mit der derzeit schnellsten HIV-Ausbreitung wie z.B. Osteuropa und Zentralasien kann die HIV-Prävalenz bis zu 70 % der injizierenden Drogenkonsumenten betragen. Stellenweise fallen sogar mehr als 80% aller HIV-Fälle in diese Gruppe.8
Angesichts dieser erdrückenden Beweislage, die zeigt, dass die Strafverfolgungsmaßnahmen in der Drogenbekämpfung ihre erklärten Ziele nicht erreicht hat, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die schädlichen Folgen dieses Scheiterns zur Kenntnis genommen und entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden. Beispiele für die schädlichen Folgen sind:
* Ausbreitung der HIV-Epidemie durch Kriminalisierung von Konsumenten illegaler Drogen sowie durch das Verbot der Bereitstellung steriler Nadeln und opioidgestützter Substitutionstherapien9, 10
* HIV-Ausbrüche unter inhaftierten und heimuntergebrachten Drogenkonsumenten als Ergebnis von Strafgesetzen und -regelungen sowie von mangelnder HIV-Prävention in diesem Umfeld.11-13
* Die Aushöhlung öffentlicher Gesundheitssysteme im Zuge von Strafverfolgungsmaßnahmen, die Drogenkonsumenten von Prävention und Versorgung fernhalten und in ein Umfeld drängen, wo ein erhöhtes Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten (z.B. HIV, Hepatitis C und B sowie Tuberkulose) und anderer schädlicher Einflüsse besteht.14-16
* Krise der Strafjustizsysteme als Ergebnis von Rekordinhaftierungsraten in zahlreichen Ländern.17, 18 Dies hat sich negativ auf die soziale Funktionsfähigkeit ganzer Kommunen ausgewirkt. Während sich ethnische Unterschiede bei den Inhaftierungsraten für Drogendelikte in vielen Ländern weltweit zeigen, so ist dieser Effekt in den USA besonders stark ausgeprägt: Hier sitzt zu einem x-beliebigen Zeitpunkt jeder neunte männliche Afroamerikaner aus der Altersgruppe von 20 bis 34 Jahren im Gefängnis, was vor allem das Ergebnis von Strafverfolgungsmaßnahmen bei der Drogenbekämpfung ist.19
* Stigmatisierung von Menschen, die illegale Drogen konsumieren, was wiederum die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten politisch populärer macht und die HIV-Prävention sowie andere Gesundheitsförderungsprogramme untergräbt.20, 21
* Schwere Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Folter, Zwangsarbeit, unmenschliche und erniedrigende Behandlung sowie Hinrichtungen von Drogenstraftätern in etlichen Ländern.22, 23
* Ein riesiger illegaler Markt mit einem geschätzten jährlichen Wert von 320 Milliarden US-Dollar.4 Diese Gewinne bleiben vollständig außerhalb der Regierungskontrolle. Sie schüren Kriminalität, Gewalt und Korruption in unzähligen Städten und haben ganze Länder wie z.B. Kolumbien, Mexiko und Afghanistan destabilisiert.4
* Milliarden an Steuerdollars werden an einen „War on Drugs“-Ansatz zur Drogenbekämpfung verschwendet, der seine erklärten Ziele nicht erreicht, sondern stattdessen sogar direkt oder indirekt zu den genannten schädlichen Auswirkungen beiträgt.24
Leider werden Belege dafür, dass die Drogenverbotspolitik ihre erklärten Ziele verfehlt hat, sowie für die äußerst negativen Folgen dieser Strategie oftmals durch diejenigen geleugnet, die ein persönliches Interesse daran haben, den Status quo aufrechtzuerhalten.25Dies hat zu Verwirrung in der Öffentlichkeit geführt und unzählige Menschenleben gefordert. Regierungen und internationale Organisationen sind ethisch und rechtlich dazu verpflichtet, auf diese Krise zu reagieren, und müssen sich um alternative evidenzbasierte Strategien bemühen, die effektiv die schädlichen Auswirkungen von Drogen reduzieren können, ohne ihrerseits neue Schäden nach sich zu ziehen. Wir, die Unterzeichner, fordern Regierungen und internationale Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen, dazu auf:
* eine transparente Überprüfung der Wirksamkeit der derzeitigen Drogenpolitik durchzuführen.
* einen wissenschaftlich fundierten gesundheitspolitischen Ansatz umzusetzen und zu evaluieren, der den individuellen und gemeinschaftlichen Schäden durch illegalen Drogenkonsum wirksam begegnet.
* Drogenkonsumenten zu entkriminalisieren, mehr Möglichkeiten evidenzbasierter Behandlung von Drogenabhängigkeit zu schaffen sowie erfolglose Behandlungszentren zu schließen, in denen Drogenabhängige zwangstherapiert werden und die gegen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verstoßen.26
* die Finanzierung für die Umsetzung des umfassenden Pakets von HIV-Interventionen aus dem Zielsetzungshandbuch von WHO, UNODC und UNAIDS eindeutig zu befürworten und auszuweiten.27
* die betroffenen Kommunen sinnvoll in die Entwicklung, Überwachung und Durchführung von Dienstleistungen und politischen Maßnahmen, die das Leben der Menschen vor Ort beeinflussen, einzubinden.
Des weiteren fordern wir den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auf, dringend Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass das System der Vereinten Nationen, einschließlich des Internationalen Suchtstoffkontrollamtes, mit einer Stimme spricht, um die Entkriminalisierung von Drogenkonsumenten und die Durchführung von evidenzbasierten Ansätzen der Drogenkontrolle zu unterstützen.28
Die Drogenpolitik auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen, wird den Drogenkonsum oder die Probleme, die durch injizierenden Drogenkonsum entstehen, nicht beseitigen. Aber eine Neuausrichtung der Drogenpolitik in Richtung evidenzbasierter Ansätze, die die Menschenrechte respektieren, schützen und erfüllen, hat das Potenzial, Schäden, die durch die gegenwärtige Politik entstehen, zu verringern und würde die Umleitung großer finanzieller Ressourcen dorthin ermöglichen, wo sie am meisten gebraucht werden: zur Durchführung und Evaluierung evidenzbasierter Prävention, Kontrolle, Behandlung und Maßnahmen zur Schadensminimierung.
REFERENCES
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