Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress

Anfang Mai hatte die DAH aufgerufen zur Diskussion über und Beteiligung an einer ‚Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress‘. Inzwischen haben Vorarbeiten, Beteiligungen aus den Communities und Diskussionen gefruchtet – auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien wurde die Erklärung unterzeichnet – sie ist im Folgenden als Dokumentation wiedergegeben:

Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress

Auf der Grundlage des 1994 formulierten Prinzips der stärkeren Einbeziehung von Menschen mit HIV/Aids (GIPA) und den daraus folgenden Prinzipien der AIDS-Kongresse von Genf (1998) und Essen (1999) sollen in dieser Erklärung Eckpunkte zur aktiven Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress festgelegt werden. Der Begriff „Communities“ wird im HIV/Aids-Bereich unterschiedlich definiert. Im Sinne dieser Erklärung umfasst der Begriff „Communities“:

1. Von HIV betroffene Communities
· Menschen, die mit HIV/Aids leben
· Menschen, z. B. schwule Männer, Drogengebraucher/innen, Migrant(inn)en, für die HIV epidemiologisch relevant ist
· Menschen, die in verschiedenen Formen der Selbstorganisation Selbsthilfe und Prävention leisten

2. Menschen, die sich professionell in Selbsthilfe und Prävention engagieren
· Menschen, die als Sozialwissenschaftler/innen mit ihrer Forschung und ihrem Engagement zur Grundlage für Selbsthilfe und Prävention beitragen
· Menschen, die in Aidshilfen und anderen Projekten haupt- oder ehrenamtlich Selbsthilfe fördern und mittragen und in Beratung und Prävention tätig sind.

Diese Gruppen tragen maßgeblich dazu bei, Konferenzgeschehen und -inhalte verstehbar und zugänglich zu machen. Sie bringen als Communities unterschiedliche Perspektiven in den Deutsch-Österreichischen Kongress ein und müssen deshalb in die Gestaltung aktiv einbezogen werden. Dabei kommt der Selbstvertretung von Menschen mit HIV/Aids ein besonderer Stellenwert zu.

Partizipation
Eine Beteiligung der Communities am Kongress geht über die reine Teilnahme von Menschen mit HIV/Aids am wissenschaftlichen Programm weit hinaus. Die Communities müssen aktiv die Möglichkeit haben, ihre Perspektiven bei der Auswahl und Gestaltung der Themenschwerpunkte von Anfang an einbringen zu können. Die Struktur eines Community Boards, das Menschen einbindet, die mit HIV/Aids leben, hat sich dabei in der Vergangenheit bewährt und soll ausgebaut werden. Das Board setzt sich aus jeweils zwei Vertreter(inne)n aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie einem/einer lokalen Vertreter/in zusammen. Um die Einbindung von Communities in Kongress-Geschehen und -Inhalte langfristig zu stärken, bemühen sich DAH und DAIG um Veranstaltungen zu Skills Building/ Kompetenzerwerb für Vertreter/innen der Communities innerhalb der Konferenz.

Professionalität
Die Teilnahme an einem Kongress soll mit einem weiteren Zugewinn an Professionalität für alle beteiligten Gruppen verbunden sein. Dies geschieht einerseits durch Angebote, die einen gewinnbringenden Dialog innerhalb der einzelnen Disziplinen fördern – z. B. sozialwissenschaftliche, präventionistische, pflegerische, psychosoziale. Dieser Dialog muss die unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissenshorizonte der vertretenen Gruppen berücksichtigen. Anderseits geschieht dies durch Angebote, mit denen Kongress-Inhalte auch für die o. g. Communities zugänglich und verstehbar gemacht werden. Zusätzlich sollen interdisziplinäre „Brückenangebote“ fest im Programm verankert sein, da auch die Versorgung von Menschen mit HIV/Aids zunehmend interdisziplinär strukturiert ist.

Prävention und Sozialwissenschaft
Interdisziplinarität funktioniert, wenn sie auf den Bedürfnissen und Kompetenzen verschiedener Fachrichtungen aufgebaut und diese selbst bestimmen können, wie der interdisziplinäre Austausch beim Kongress gestaltet werden soll. Dabei ist die Einbeziehung der Communities unerlässlich für das Verständnis der medizinischen, psychosozialen und gesellschaftlichen Entwicklung auf dem Gebiet HIV/Aids. Primär- und Sekundärprävention, psychosoziale Beratung/Betreuung und die Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten sollen als zentrale Themen Berücksichtigung im Kongress finden. Neben quantitativen Untersuchungen sind hier aus Sicht der Aids- und Selbsthilfen vor allem qualitative Untersuchungen von großem Interesse. Diese können beispielsweise Aufschluss über das Verhalten von Menschen und die Auswirkungen von gesellschaftlichen Verhältnissen geben und stellen eine wichtige Grundlage für die Arbeit der Aids- und Selbsthilfen und weiterer zentraler Akteure des Versorgungssystems dar.

Praxisrelevanz
Kongresse, deren Programm ausschließlich „abstract driven“ zusammengestellt ist, sind für Menschen aus den Communities weniger interessant, da es nämlich nicht nur darum geht, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen, sondern darüber hinaus die Bedeutung dieser Ergebnisse interdisziplinär und in ihrer Praxisrelevanz und Umsetzbarkeit zu diskutieren. Dafür sind einerseits Zeit zur Diskussion und andererseits Workshops und nonabstract- driven Sessions notwendig. Denn die spannendsten wissenschaftlichen Ergebnisse bleiben ohne Wirkung, wenn sie perspektivisch von Praktikerinnen und Praktikern nicht umgesetzt werden können.

Beteiligung der Communities in der Kongressorganisation des Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongresses

1. Beteiligung der Communities an Organen/Gremien:
· Kongresspräsidium:
Zwei Sitze mit Stimmrecht für Vertreter/innen aus dem Community Board
Zwei Sitze mit Stimmrecht für Vertreter/innen aus den Dachorganisationen von Aidshilfen aus Deutschland und Österreich
· Scientific Board und Abstract Review:
Die Communities erhalten ein Drittel der Sitze im Scientific Board.
Ein Drittel der Abstract Reviewer werden durch die Communities gestellt.
· Chairs:
Alle Kongressveranstaltungen sollen mit einem Co-Chair aus den Communities besetzt werden.
· Community Scholarship Programm:
20 Scholarships (Registrierung, Reisekosten, Unterkunft) und 50 freie Kongressregistrierungen werden vom Kongress übernommen.

2. Kongressstruktur:
Kongresseröffnung: Bei bis zu vier Redner(inne)n wird ein/e Redner/in vom Community Board benannt. Bei mehr als vier Redner(inne)n sind dies entsprechend zwei Redner/innen.
Ein Drittel der Sessions werden „non abstract driven“ konzipiert.
Ein Drittel der „abstract driven“ Sessions werden interdisziplinär zusammengesetzt. Eine Session von 90-minütiger Dauer soll dabei nicht mehr als 3–4 Beiträge umfassen, um ausreichend Zeit für Diskussion zu bieten. 30 % der Session-Zeit stehen für Nachfrage und Diskussion zur Verfügung.

Wien, den 22. Juli 2010
Dr. Annette Haberl, Vorstand DAIG
Carsten Schatz, Vorstand Deutsche AIDS-Hilfe
Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Vorstand DAIG
Winfried Holz, Vorstand Deutsche AIDS-Hilfe
Michèle Meyer, Präsidentin LHIVE
Helmut Garcia Solarte-Konrad, Obmann Positiver Dialog