‚Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch‘ – Aktualisierung verzögert sich

Können wir unseren Kinderwunsch realisieren? Und wenn ja – wie? Auch auf ’natürlichem Weg‘? Diese Frage hat für viele Paare, bei denen ein Partner mit HIV infiziert ist, große Bedeutung. Entsprechend groß sind die Erwartungen an die Aktualisierung der entsprechenden Leitlinie, die das EKAF-Statement und seine Folgen einbeziehen soll. Doch deren Verabschiedung verzögert sich …

Ist die auf dem Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission basierende Viruslast-Methode eine Möglichkeit für HIV-betroffene Paare, ihren Kinderwunsch zu realisieren? Die ‚Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch‘ der Deutschen Aids-Gesellschaft DAIG sollten auf diese Frage klare Antworten geben und die Viruslast-Methode als weitere Möglichkeit benennen. Doch die Verabschiedung, eigentlich geplant für den Deutsch-Österreichischen Aids-Kongress, der jüngst in Hannover stattfand,  verzögert sich:

Die DAH berichtete auf ihrem ‚Live-Ticker‘ vom DÖAK:

„Im Rahmen der Mitglieder-Versammlung der DAIG (siehe letzter Eintrag) sollte heute [15.6.11; d.Hg.] auch die lang erwartete Aktualisierung der „Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch“ verabschiedet werden. Doch dazu kam es nicht: Andere Themen auf der Tagesordnung wurden so ausführlich diskutiert, dass die Abstimmung unter den Tisch fiel.“

Neben der Frage von EKAF-Statement und Viruslast-Methode bei Paaren mit Kinderwunsch soll die Aktualisierung der Leitlinie auch die Einschränkungen für assistierte Reproduktion thematisieren (auch bei Paaren in stabiler Partnerschaft).

Behandelt werden soll auch die Frage der Kostenübernahme durch die Gesetzliche Krankenversicherung. Die Deutsche Aids-Hilfe war an entsprechenden Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Frage der Gleichstellung HIV-betroffener Paare nach eigenen Angaben wesentlich beteiligt (auch HIV-betroffenen Paare haben nun Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zu Lasten der GKV, wenn die Erfolgsaussichten nach vorheriger medizinischer Beurteilung nicht nur theoretischer Natur und die Gefahren für Mutter und Kind nicht in unerträglichem Maße erhöht sind).

Eine neue Gelegenheit, die ‚Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch‘ zu verabschieden, wird sich vermutlich während des dagnä-Workshops ergeben – am 9. / 10. September 2011. So lange werden auch Paare mit Kinderwunsch weiterhin auf die neue Leitlinie warten müssen.

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Nachtrag 28.09.2011:
Die DAIG verabschiedete auf ihrer Mitgliederversammlung am 09. September 2011 die ‚Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch‘ (pdf).

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Dank für Informationen an Marianne Rademacher, Referentin für Frauen in der Deutschen Aids-Hilfe

HIV-positiv und im Gesundheitswesen – neue Stellungnahme angekündigt (akt.)

HIV-positiv und im Gesundheitswesen. Und nun? Müssen Einschränkungen des Tätigkeitsfeldes befürchtet werden? Oder wirkt sich auch hier die drastische Reduktion der Infektiosität durch erfolgreiche ART aus? Eine angekündigte neue Stellungnahme der DAIG könnte Aufschluss geben.

Zahnarzt/ärztin, Gynäkologin/e, Chirurg, Krankenschwester/-pfleger – auch viele Menschen mit HIV arbeiten im Gesundheitswesen. Und sind potentiell betroffen von der Frage, ob ein etwaiges potentielles Infektionsrisiko ihre Berufstätigkeit beeinflussen, ggf. einschränken kann.

HIV-infiziert und im Gesundheitswesen – was ist zulässig?, fragen sich entsprechend viele von ihnen. Denn auch für HIV-Positive, die im Gesundheitswesen arbeiten, hat sich mit dem EKAF-Statement und dem Durchsetzen der Erkenntnis, dass die Infektiosität durch eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie drastisch gesenkt werden kann, einiges verändert. Nun sollen sich diese Änderungen auch in einer entsprechenden Richtlinie widerspiegeln, fordern Ärzte und Aktivisten.

Die Deutsche Aids-Gesellschaft DAIG arbeitet einem Bericht des Ärztezeitung zufolge in Abstimmung mit anderen virologischen Fachgesellschaften bereits an einer Stellungnahme, die sich mit der Frage HIV-Infizierter im Gesundheitswesen beschäftigt.

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Aktualisierung
21.06.2011
, 08:23: Welche Folgen eine HIV-Infektion für Berufstätige haben kann, und wie wichtig es für sie ist, auch neue medizinische Erkenntnisse in die Beurteilung der jeweiligen Situation einfließen zu lassen, zeigt ein aktueller Fall aus den USA: Dort klagt ein HIV-positiver Pilot vor dem Obersten Gerichtshof der USA wegen des Verlusts seiner Fluglizenz aufgrund seines HIV-Status. Die Klage wurde für zulässig erklärt.

weitere Informationen:
Ärztezeitung 19.06.2011: HIV-infizierte Chirurgen sollen operieren dürfen
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Prof. Dr. Georg Behrens neuer DAIG-Präsident

Prof. Dr. Georg Behrens von der von der Klinik für Immunologie und Rheumatologie der MHH Hannover ist neuer Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft DAIG.

Prof. Behrens wurde heute Nachmittag gewählt. Dies wurde nach Meldung der DAH während der Eröffnung des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses in Hannover mitgeteilt.

Prof. Behrens ist Nachfolger von Prof. Jürgen Rockstroh (Medizinische Universitätsklinik Bonn).

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Portrait Prof. Behrens auf den Seiten der DAIG

mit HIV beim Zahnarzt: gemeinsame Stellungnahme von DAIG und DAGNÄ (akt.)

Bei der Behandlung HIV-Infizierter beim Zahnarzt gelten keine über Standardhygiene hinaus gehenden hygienischen Anforderungen, betonen zwei ärztliche Organisationen der HIV-Therapie.

Die zwei bei der Versorgung HIV-Infizierter wichtigsten ärztlichen Gesellschaften, die DAIG (Deutsche Aids-Gesellschaft) und die DAGNÄ (Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter) äußern sich in einer gemeinsamen Stellungnahme zur Frage der zahnmedizinischen Betreuung HIV-Infizierter.

Die gemeinsame, an Zahnärztinnen und Zahnärzte gerichtete Stellungnahme formuliert noch einmal das Problem, mit dem sich viele HIV-Positive bei Zahnarzt-Besuchen konfrontiert sehen:

„HIV-Patienten berichten immer wieder darüber, dass es für sie schwer sei, eine adäquate Behandlung für ihre Zahngesundheit zu erhalten. Das Spektrum der Reaktionen, die sie wahrnehmen, reicht von offener Ablehnung und Diskriminierung über Verweise auf arbeitsintensive Hygienerichtlinien bis hin zu verzögerten Terminvergaben und separaten Behandlungszeiten.“

Sie zeigen nochmals einige der problematischen Folgen auf:

„Etliche Patienten fühlen sich auf Grund negativer Erfahrungen mit einer Offenlegung [ihrer HIV-Infektion, d.Verf.] gesellschaftlich stigmatisiert. Das begünstigt Situationen, in denen Patienten ihre Infektionen mit z.B. HIV, HBC oder HCV dem behandelnden (Zahn)Arzt verschweigen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wird dadurch oft erheblich erschwert.“

DAIG und DAGNÄ weisen darauf hin, dass die Standard-Hygienemaßnahmen für alle Patienten gleichermaßen gelten und betonen nochmals, dass

„bei der Behandlung HIV-Infizierter keine über die o.g. Maßnahmen hinausgehenden hygienischen Anforderungen gelten bzw. erforderlich sind, um eine HIV-Übertragung zu verhindern.“

DAIG und DAGNÄ weisen explizit hin auf

„die Ergebnisse verschiedener Studien …, die nahe legen, dass sich das Risiko einer sexuellen HIV-Übertragung durch eine effektive antiretrovirale Therapie des HIV-infizierten Partners bei einer im Blut nicht nachweisbaren Viruslast (<50 Kopien HIV-RNA/ml Plasma) drastisch reduziert. Diese Risikoreduktion kann in gewissem Umfang auch für medizinische Eingriffe angenommen werden, obwohl keine verlässlichen Daten dafür vorliegen, und ohne dass sich daraus Änderungen der o.g. Hygienestandards herleiten müssen.“

Hygiene in der Zahnmedizin: HIV-Infizierte und Nicht-Infizierte gleich behandeln“ hatte Dr. med. Albrecht Ulmer, Stuttgart, Anfang Juni 2010 in einem Artikel gefordert – und damit eine Debatte ausgelöst. Das Robert-Koch-Institut reagierte mit der Stellungnahme „Zahnarzt: routinemäßige Hygiene genügt“ und betonte insbesondere: „Nach Behandlung eines Patienten mit HIV-Infektion genügen die routinemäßig erforderlichen Hygienemaßnahmen.“

weitere Informationen:
DAGNÄ / DAIG: Die zahnmedizinische Betreuung HIV-infizierter Menschen (pdf)
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Danke an Matthias Gerschwitz für den Hinweis !

Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier

Die Deutsche Aids-Gesellschaft hat eine neue DAIG-Stellungnahme zum EKAF-Statement vorgelegt. In diesem äußert sie sich ausführlich zum EKAF-Statement (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs). Was bedeutet diese Stellungnahme im einzelnen? Einige persönliche Gedanken …

Die Frage der Reduzierung der Infektiosität und die Bewertung der Konsequenzen daraus

Die DAIG äußert sich zur Frage der Reduzierung der Infektiosität in Folge wirksamer antiretroviraler Therapie, sie stimme

„Aussagen der UNAIDS zu, dass die HIV-Therapie prinzipiell die HIV-Übertragung reduziert“,

und erläutert

„Verschiedene Studien zeigen, dass der Einsatz der HIV-Therapie mit einer Reduktion der sexuellen HIV-Übertragung assoziiert ist, wahrscheinlich vergleichbar zum Effekt des korrekten Kondomgebrauchs.“

sowie

„Das im EKAF-Statement benannte Risiko von ca. 1:100.000 oder weniger pro Kontakt bei effektiver HIV-Therapie aber ohne Kondom erscheint prinzipiell plausibel.“

Nichts inhaltlich wesentlich anderes sagt die Deutsche Aids-Hilfe in ihrem Positionspapier (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe), und zieht daraus die Konsequenz

„Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.“

Die DAIG formuliert zurückhaltender und betrachtet auch das verbleibende Einzelfall-Risiko, wenn sie das Fazit zieht, dass

„das Risiko für eine sexuelle HIV-Transmission von Menschen unter effektiver HIV-Therapie in Populationsstudien fester Partnerschaften und nach mathematischen Kalkulationen sehr gering ist, kumulativ und im Einzelfall aber bezifferbar und relevant bleibt.“

Eine Aussage, die nicht in Widerspruch zum Fazit des DAH-Positionspapiers steht, dass das Risiko einer HIV-Übertragung bei Viruslast-Methode so gering ist wie bei Kondom-Benutzung.

Anders ausgedrückt: das Kondom war bisher (und bleibt) der ‚Gold-Standard‘ der HIV-Prävention. Mit der Viruslast-Methode gibt es nun eine zweite Methode, die eine ebensolche Schutzwirkung erreichen kann. Beide Methoden haben ihre Schwächen – und ihre Stärken (siehe DAH-Positionspapier, Punkt 3.5).

Entsprechend kommt auch die DAIG zu der Einschätzung, dass

„in festen diskordanten Partnerschaften nach eingehender Information und Beratung dem HIV-negativen Partner letztlich die Entscheidung obliegt, auf weitere Schutzmaßnahmen zu verzichten, wenn

1. die antiretrovirale Therapie (ART) durch den HIV-infizierten Menschen konsequent eingehalten und durch den behandelnden Arzt regelmäßig kontrolliert wird;
2. die Viruslast (VL) unter ART seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt;
3. keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD) bestehen.”

Wobei die DAIG zur Frage des Rest-Risikos darauf hinweist, dass

„das Risiko der Übertragung einer HIV-Infektion auch bei konsequenter und effektiver HIV-Therapie nach unserer Meinung nicht vernachlässigbar ist.“

Ein Rest-Risiko, das auch bei Kondomen besteht – die wir bereits seit über 20 Jahren zum Schutz gegen eine HIV-Infektion verwenden, nur weitgehend ohne uns dieses Rest-Risikos bewusst zu sein oder es zu thematisieren. Ein Rest-Risiko, das genau der Grund ist, warum wir von „safer“ Sex sprechen, und eben nicht von „safe“ Sex.

Die Frage der Verantwortung

Die DAIG betont erfreulicherweise mehrfach die

„gleichberechtigte Verantwortlichkeit bei sexuellen Handlungen“.

In einer sexuellen Begegnung haben beide Partner Verantwortung für die Frage, wie sie mit dem Schutz vor Infektionen umgehen wollen.

‚Gleichberechtigte Verantwortung‘ – eine Formulierung, die so manchem Boulevardblatt leider noch fremd zu sein scheint, wie die Berichterstattung über Nadja Benaissa in den jüngsten Tagen zum wiederholten Male zeigte. Eine klare Formulierung, die umso mehr begrüßenswert ist.

Die Sache mit dem Strafrecht

Die DAIG betont gleich zu Beginn, sie sei

„der festen Überzeugung, dass es keinen Sinn macht, der Herausforderung der HIV-Epidemie mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen“.

Zur Frage, welche Konsequenzen das EKAF-Statement juristisch haben könnte, formuliert die DAIG vorsichtig

„Es ist möglich, dass sich ein potentiell reduziertes Infektionsrisiko durch eine HIV-Therapie in individuellen Fällen auf das Strafmaß auswirkt. Ob es strafabwendend wirkt, muss die Rechtsprechung im Einzelfall entscheiden.“

Resümee

Was bedeuten die einzelnen Punkte der DAIG-Stellungnahme? Letztlich, trotz aller Wenns, aller Abers, aller Beurteilungen als ‚befremdlich‘ oder ’nur schwer nachvollziehbar‘ – in der Substanz ist das neue Statement der DAIG m.E. positiv und begrüßenswert: Es findet sich bei genauerem hinsehen viel Übereinstimmung. In seinem Kern ist das Statement der DAIG in weiten (wenn auch nicht allen) Teilen nicht sehr entfernt vom Inhalt des Positionspapiers der Deutschen Aidshilfe – das wohl (besonders in den Botschaften, die es daraus ableitet) über das Statement der DAIG hinaus geht. Entsprechend begrüßt auch die DAH in ihrer Reaktion die Stellungnahme der DAIG und betont weitreichende Übereinstimmungen.

Die wesentliche Aussage des DAH-Positionspapiers („Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen“) findet im DAIG-Statement keinen Widerspruch, die dem zugrunde liegende Risikoeinschätzung wird als „plausibel“ betrachtet. Viruslast-Methode und korrekter Kondom-Gebrauch sind in ihrem Effekt hinsichtlich der Verhinderung der HIV-Übertragung vergleichbar. In den Bedingungen für die Anwendung der Viruslast-Methode stimmen DAH und DAIG überein.

Sehr erfreulich ist darüber hinaus, dass die DAIG klare Worte zur Kriminalisierung der HIV-Infektion findet und klarstellt, dass es „keinen Sinn macht, der Herausforderung der HIV-Epidemie mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen”.

Auch zur Frage der Verantwortung für Schutz findet die DAIG mit der Formulierung „gleichberechtigte Verantwortlichkeit bei sexuellen Handlungen“ begrüßenswert klare Worte – und erteilt einseitigen Zuweisungen (i.d.R. an den / die HIV-Positive/n) implizit eine klare Absage.

Es wäre begrüßenswert, wenn DAIG und DAH – wie die DAH in ihrer Reaktion erneut vorschlägt – nun einen erneuten Anlauf nehmen, ein gemeinsames Positionspapier zu erstellen.

Insgesamt scheint mir so das Positionspapier der DAIG begrüßenswert und ein Fortschritt auf dem Weg des EKAF-Statements in die Praxis. Ein Weg, den wir seit nun beinahe drei Jahren gehen, ein Weg der mühsam und manchmal beschwerlicher als erwartet ist – aber auf dem auch dieses Statement einen Fortschritt darstellt.

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Nebenbei: ich freue mich, dass auch ein ondamaris-Artikel (Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften) die DAIG zu ihrer Stellungnahme veranlasst hat – und zu einer fünfseitigen (wenn auch stellenweise sehr kritischen) Auseinandersetzung mit dem Artikel. Zu einem  Gedankenaustausch stehe ich auch weiterhin gerne zur Verfügung.

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DAIG: Positive Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten

Die Deutsche Aids-Gesellschaft hat einen „erneute Stellungnahme“ zum EKAF-Statement vorgelegt. Sie stimmt darin in Teilen der Position von EKAF und DAH zu.

Am 30. Januar 2008 legte die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen ihr Statement vor (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs). Die Deutsche Aids-Hilfe stellte Anfang April 2009 in Reaktion darauf und nach umfangreichen Diskussionen ihr Positionspapier vor (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe).

Nun hat auch die Deutsche Aids-Gesellschaft eine erneute Stellungnahme vorgelegt.

Die DAIG kommt in ihrer (insgesamt 17seitigen) Stellungnahme u.a. zu folgenden Schlüssen:

„Nach unserer Bilanz ist in Abwägung der Ergebnisse der dem EKAF-Statement zugrunde liegenden Studien und aktueller Publikationen das Risiko für eine sexuelle HIV-Transmission von Menschen unter effektiver HIV-Therapie in Populationsstudien fester Partnerschaften und nach mathematischen Kalkulationen sehr gering, bleibt aber kumulativ und im Einzelfall bezifferbar und relevant.“

und

„Die DAIG unterstützt die Einschätzung, dass in festen diskordanten Partnerschaften nach eingehender Information und Beratung dem HIV-negativen Partner letztlich die Entscheidung obliegt, auf weitere Schutzmaßnahmen zu verzichten, wenn

1. die antiretrovirale Therapie (ART) durch den HIV-infizierten Menschen konsequent eingehalten und durch den behandelnden Arzt regelmäßig kontrolliert wird;
2. die Viruslast (VL) unter ART seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt;
3. keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD) bestehen.“

Zu ihrer neuen Stellungnahme sah sich die DAIG nach eigenen Angaben veranlasst „durch Internetbeiträge und anhaltende Diskussionen“ – unter anderem einen ondamaris-Artikel (Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften).

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Deutsche Aids-Gesellschaft: Erneute DAIG-Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten (Newsmeldung)

Deutsche Aids-Gesellschaft: komplette Stellungnahme (17 Seiten) als pdf

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In wesentlichen Teilen schließt sich die Deutsche Aids-Gesellschaft in ihrer neuen Stellungnahme nun dem Inhalt des Positionspapier an, das die Deutsche Aids-Hilfe vorgelegt hat. Dies ist ein erfreulicher und sehr zu begrüßender erster Schritt (ein ausführlicherer Kommentar der neuen Stellungnahme folgt hier: ‚Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier‚). Ein Schritt, der auch für Behandler und Patienten nun mehr Klarheit bringen wird.

Besonders zu begrüßen wäre es, wenn nach der DAIG (die eher die Klinischen Ärzte vertritt) nun auch die niedergelassenen Ärzte (vertreten in der DAGNÄ) sich zu einer Position durchringen könnten.

Eine gemeinsame Stellungnahme der in der Behandlung HIV-Positiver engagierten Ärztinnen und Ärzte könnte dann auch Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern eine weitere Handreichung sein, und zu einer größeren Rechtssicherheit führen.

Es wird Zeit, dass die unterschiedliche Behandlung des EKAF-Statements vor deutschen Gerichten ein Ende hat. Die niedergelassenen Ärzte sind aufgefordert, dem prinzipiell begrüßenswerten Schritt der DAIG zu folgen.

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Nachsatz: dass ein Artikel auf ondamaris die DAIG mit zu ihrer erneuten Stellungnahme veranlasst hat, erfreut den Autor … (bei aller Kritik, die die DAIG an dem Artikel äußert)

siehe auch:
DAH 08.10.2010: Neue Stellungnahme zur Infektiosiät von Patienten unter HIV-Therapie
Mit HIV leben 10.10.2010: Rechtssicherheit: Die DAIG hat ein Statement
HIV&more 15.10.2010: Neue Stellungsnahme der DAIG zum EKAF-Statement
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Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften (akt.)

Eine erfolgreiche Therapie reduziert die Infektiosität – aber welche Konsequenzen hat das? Insbesondere vor Gericht? Zwei Fachgesellschaften können nicht zu einer gemeinsamen Haltung finden. Die Leidtragenden: die Rechtssicherheit – und Menschen mit HIV, die mit dem Vorwurf der Körperverletzung vor Gericht stehen.

Wenn HIV-Positive vor Gericht stehen, spielt bei der Beurteilung der Frage, wie eine etwaige bzw. mögliche Übertragung von HIV juristisch zu beurteilen ist, neben vielen anderen immer wieder auch die Frage eine Rolle, ob der Positive infektiös war – oder ob aufgrund erfolgreicher Therapie ein reales Infektionsrisiko kaum gegeben war.

Gerichte haben diese Frage in Deutschland in den letzten beiden Jahren immer wieder in unterschiedlichem Umfang berücksichtigt – und sind zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Verkürzt gesagt, von Verurteilung trotz erfolgreicher Therapie bis Freispruch, eben aufgrund erfolgreicher Therapie (und fehlender Infektiosität) – das Spektrum der Urteile ist breit.

Ein Unding, findet der Blogger „diego62“, und wundert sich. Irritiert wendet er sich an die Bundesregierung, bittet um Klarheit. Wie steht es mit der Frage des EKAF-Statements, der Frage der stark reduzierten Infektiosität bei erfolgreicher Therapie, und deren Einbeziehung und Bewertung vor Gericht?
Der Blogger betont in seiner Anfrage an das Bundesministerium für Gesundheit

„Nur in deutschen Gerichten vermisst man diesen Sachverhalt in den Urteilen der letzten Monate. Hier werden, je nach dem der Gutachter den Verhalt auslegt, sehr unterschiedliche Urteile [gefällt; d.Verf.].“
und erläutert seine Anfrage
„Es kann nicht sein, dass hier ein HIV-Positiver unter Nachweisgrenze wegen schwerer (versuchter) Körperverletzung verurteilt wird, weil dem Gutachter/Richter die EKAF-Studie egal oder unbekannt ist und anders wo in einem gleichen Fall ein Freispruch gefällt wird.“

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) betont in seiner Antwort den verfassungsmäßigen Grundsatz der  Gewaltenteilung – ein Ministerium könne keinen „Einfluss auf die rechtsprechende Gewalt nehmen“.
Zugleich betont das BMG die Bedeutung möglicher Stellungnahmen von Fachgesellschaften:

„Bei verallgemeinerungsfähigen Fragestellungen wirken sich allerdings Veröffentlichungen von juristischen Fachkreisen und insbesondere die Rechtsprechung der Obergerichte und des Bundesgerichtshofs vereinheitlichend auf die Rechtsprechung aus.“

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Das Statement der EKAF Eidgenössischen Kommission für AIDS-Fragen (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) hat nach seinem Erscheinen im Januar 2008 (!) bei HIV-Positiven, in Aidshilfen sowie in medizinischen Fachkreisen zu teils aufgeregten Diskussionen geführt. Diese Aufregung hat sich inzwischen gelegt, was einst umstritten war, ist längst weitgehend einhellige Meinung. Nationale und Internationale Organisationen wie UNAIDS und UNDP unterstützen EKAF-Statement und Viruslast-Methode (siehe Nachtrag 09.10.2010).

Das Potential, das in der Stellungnahme liegt, ist auf Seiten von Epidemiologen längst erkannt, bis hin zu Diskussionen über neue Strategien wie „test and treat“ (eine Viruslast unter der Nachweisgrenze senkt drastisch die Infektiosität, dadurch sinkt in Folge auch die Zahl der HIV-Neuinfektionen – möglichst viele Positive möglichst früh zu behandeln, könnte also helfen die Zahl der neuen HIV-Infektionen niedriger zu halten).

Die Deutsche Aidshilfe hat nach intensiven Diskussionen inzwischen (seit April 2009 !) längst eine Position zum EKAF-Statement (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH)). Sie kommt hierin zu der klaren Aussage

„Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.
Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“

Die DAH spricht in Übersetzung des EKAF-Statements in die Praxis der Aids-Arbeit von der

„Präventionsmethode „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze““

Nicht einigen hingegen können sich – auch zweieinhalb Jahre nach Vorliegen des EKAF-Statements – anscheinend die beiden in Deutschland zuständigen Fachgesellschaften, die Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG) und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für die Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ).

Diese Uneinigkeit der betreffenden Fachgesellschaften führt zu eben jener Rechtsunsicherheit, die der Blogger in seiner Anfrage an das BMG moniert hat. Eine Rechtsunsicherheit, die bei ihm den Eindruck erweckt, dass

„eine Verurteilung oder ein Freispruch eher vom Gutdünken oder Informationsstand eines Sachverständigen abhängt, nicht jedoch von einer wirklichen Gefährdung durch den Betroffenen.“

Der Blogger steht mit seiner Wahrnehmung nicht allein. Auch Corinna Gekeler und Karl Lemmen (Deutsche Aids-Hilfe) kommen in ihrem Beitrag „(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?“ zu dem Schluss:

„Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.“

Eine klare und soweit möglich eindeutige Haltung der beiden zuständigen Fachgesellschaften könnte hier, darauf weist das Bundesministerium für Gesundheit in seiner Antwort nochmals explizit hin, zu deutlich mehr Rechtssicherheit vor deutschen Gerichten führen.

DAGNÄ und DAIG hatten zweieinhalb Jahre Zeit, ihre Position zu finden und aus beiden Haltungen eine gemeinsame Stellungnahme zu entwickeln. Allein, eine klare und gemeinsame Haltung fehlt bisher weiterhin. Im Gegenteil, in Gesprächen könnte manchmal der Eindruck entstehen, beide Gesellschaften verträten beinahe entgegengesetzte Meinungen …

Freispruch oder Verurteilung – die Konsequenzen, die nahezu gleiche Sachverhalte aufgrund des Nicht-Berücksichtigens des EKAF-Statements sowie des Fehlens einer gemeinsamen Stellungnahmen der beteiligten Fachgesellschaften haben, sind gravierend. Zu Lasten der Rechtssicherheit, und zu Lasten derjenigen Menschen mit HIV, die mit dem Vorwurf der Körperverletzung vor Gericht stehen.

Zweieinhalb Jahre sollten genügen, seine Position zu finden und mit dem ‚Kollegen‘ abzustimmen – es wird Zeit, dass sich etwas tut, dass beide Fachgesellschaften endlich zu einer den heutigen Realitäten gerecht werdenden gemeinsamen Stellungnahme kommen.

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Nachtrag 14.8., 23:45:
(1) Man kann das Thema auch anders angehen: Prof. Pietro Vernazza, einer der Väter des EKAF-Statements: „Ein weiteres Ziel des EKAF-Statements war gewesen, die in der Schweiz bis dahin recht häufigen Verurteilungen von HIV-Positiven (wegen Gefährdung Anderer trotz Beachtung der genannten Voraussetzungen) zu reduzieren. Dies ist gelungen.“ (nach einem Bericht „EKAF-Statement: 2 Jahre danach „)
(2) Zwar gab es Anfang 2008 den Versuch einer „Gemeinsame Stellungnahme von DAH, DAIG, DAGNÄ, RKI, BZgA, WZB“. Bekannt wurde aus dem Treffen allerdings nur eine „Gemeinsame Stellungnahme – Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/AIDS gelten nach wie vor“ vom 27.2.2008, gezeichnet damals von BZgA, RKI und DAH – nicht DAIG und DAGNÄ. Diese Stellungnahme sprach von „Gefährdungslage“ und Kondomen als entscheidendem Schutz. Zum Versuch einer gemeinsamen Stellungnahme vermeldet der HIV-Report nach einem Jahr (Ausgabe vom 25.2.2009) lakonisch „nicht miteinander vereinbare Positionen bei den Akteuren“.
(3) Die DAIG ringt sich in einer Stellungnahme vom 23.4.2009 immerhin zu der Aussage durch „Auch durch die erfolgreiche Unterdrückung der Virusvermehrung mittels wirksamer antiretroviraler Therapie wird die Übertragung von HIV deutlich reduziert“ – schließt allerdings kurz darauf an „Sie [die DAIG, d.Verf.] weist jedoch darauf hin, dass diese Annahme überwiegend auf Modellrechnungen beruht und für den einzelnen Menschen weiterhin ein fassbares Risiko der HIV-Infektion besteht.“ Sie betont „Aus Sicht der DAIG lässt sich das Problem der HIV-Übertragung nicht strafrechtlich lösen.“ Neuere Stellungnahmen der DAIG zum EKAF-Statement und der Frage der Infektiosität bei HAART, auch angesichts neuer wissenschaftlicher Publikationen, sind nicht bekannt.
(4) Von der DAGNÄ sind keine Stellungnahmen zum EKAF-Statement bekannt.

Nachtrag 09.10.2010:
UNAIDS hat sich vor dem Human Rights Council zur Reduktion der HIV-Transmission durch Therapie geäußert und auch auf das EKAF-Statement verwiesen, sich jedoch nicht zur Frage des Kondomgebrauchs geäußert.

 

 

Diego62 19.07.2010: Rechtssicherheit
Diego62 13.08.2010: Antwort vom Bundesministerium für Gesundheit
Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG)
Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für die Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ)
„HIV-Transmission und Schutzmöglichkeiten für diskordante Paare – Gemeinsame Stellungnahme von DAH, DAIG, DAGNÄ, RKI, BZgA, WZB“. in: HIV-Report 04/2008 (pdf)
BZgA, RKI, DAH 27.02.2008: Gemeinsame Stellungnahme – Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/AIDS gelten nach wie vor
„The Year After“. in: HIV Report 01/2009 (pdf)
infekt.ch 01.02.20210: EKAF-Statement: 2 Jahre danach
DAIG / presseportal 23.04.2009: Stellungnahme der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) zur Frage der Infektiosität von Patienten unter HIV-Therapie
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Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress

Anfang Mai hatte die DAH aufgerufen zur Diskussion über und Beteiligung an einer ‚Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress‘. Inzwischen haben Vorarbeiten, Beteiligungen aus den Communities und Diskussionen gefruchtet – auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien wurde die Erklärung unterzeichnet – sie ist im Folgenden als Dokumentation wiedergegeben:

Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress

Auf der Grundlage des 1994 formulierten Prinzips der stärkeren Einbeziehung von Menschen mit HIV/Aids (GIPA) und den daraus folgenden Prinzipien der AIDS-Kongresse von Genf (1998) und Essen (1999) sollen in dieser Erklärung Eckpunkte zur aktiven Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress festgelegt werden. Der Begriff „Communities“ wird im HIV/Aids-Bereich unterschiedlich definiert. Im Sinne dieser Erklärung umfasst der Begriff „Communities“:

1. Von HIV betroffene Communities
· Menschen, die mit HIV/Aids leben
· Menschen, z. B. schwule Männer, Drogengebraucher/innen, Migrant(inn)en, für die HIV epidemiologisch relevant ist
· Menschen, die in verschiedenen Formen der Selbstorganisation Selbsthilfe und Prävention leisten

2. Menschen, die sich professionell in Selbsthilfe und Prävention engagieren
· Menschen, die als Sozialwissenschaftler/innen mit ihrer Forschung und ihrem Engagement zur Grundlage für Selbsthilfe und Prävention beitragen
· Menschen, die in Aidshilfen und anderen Projekten haupt- oder ehrenamtlich Selbsthilfe fördern und mittragen und in Beratung und Prävention tätig sind.

Diese Gruppen tragen maßgeblich dazu bei, Konferenzgeschehen und -inhalte verstehbar und zugänglich zu machen. Sie bringen als Communities unterschiedliche Perspektiven in den Deutsch-Österreichischen Kongress ein und müssen deshalb in die Gestaltung aktiv einbezogen werden. Dabei kommt der Selbstvertretung von Menschen mit HIV/Aids ein besonderer Stellenwert zu.

Partizipation
Eine Beteiligung der Communities am Kongress geht über die reine Teilnahme von Menschen mit HIV/Aids am wissenschaftlichen Programm weit hinaus. Die Communities müssen aktiv die Möglichkeit haben, ihre Perspektiven bei der Auswahl und Gestaltung der Themenschwerpunkte von Anfang an einbringen zu können. Die Struktur eines Community Boards, das Menschen einbindet, die mit HIV/Aids leben, hat sich dabei in der Vergangenheit bewährt und soll ausgebaut werden. Das Board setzt sich aus jeweils zwei Vertreter(inne)n aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie einem/einer lokalen Vertreter/in zusammen. Um die Einbindung von Communities in Kongress-Geschehen und -Inhalte langfristig zu stärken, bemühen sich DAH und DAIG um Veranstaltungen zu Skills Building/ Kompetenzerwerb für Vertreter/innen der Communities innerhalb der Konferenz.

Professionalität
Die Teilnahme an einem Kongress soll mit einem weiteren Zugewinn an Professionalität für alle beteiligten Gruppen verbunden sein. Dies geschieht einerseits durch Angebote, die einen gewinnbringenden Dialog innerhalb der einzelnen Disziplinen fördern – z. B. sozialwissenschaftliche, präventionistische, pflegerische, psychosoziale. Dieser Dialog muss die unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissenshorizonte der vertretenen Gruppen berücksichtigen. Anderseits geschieht dies durch Angebote, mit denen Kongress-Inhalte auch für die o. g. Communities zugänglich und verstehbar gemacht werden. Zusätzlich sollen interdisziplinäre „Brückenangebote“ fest im Programm verankert sein, da auch die Versorgung von Menschen mit HIV/Aids zunehmend interdisziplinär strukturiert ist.

Prävention und Sozialwissenschaft
Interdisziplinarität funktioniert, wenn sie auf den Bedürfnissen und Kompetenzen verschiedener Fachrichtungen aufgebaut und diese selbst bestimmen können, wie der interdisziplinäre Austausch beim Kongress gestaltet werden soll. Dabei ist die Einbeziehung der Communities unerlässlich für das Verständnis der medizinischen, psychosozialen und gesellschaftlichen Entwicklung auf dem Gebiet HIV/Aids. Primär- und Sekundärprävention, psychosoziale Beratung/Betreuung und die Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten sollen als zentrale Themen Berücksichtigung im Kongress finden. Neben quantitativen Untersuchungen sind hier aus Sicht der Aids- und Selbsthilfen vor allem qualitative Untersuchungen von großem Interesse. Diese können beispielsweise Aufschluss über das Verhalten von Menschen und die Auswirkungen von gesellschaftlichen Verhältnissen geben und stellen eine wichtige Grundlage für die Arbeit der Aids- und Selbsthilfen und weiterer zentraler Akteure des Versorgungssystems dar.

Praxisrelevanz
Kongresse, deren Programm ausschließlich „abstract driven“ zusammengestellt ist, sind für Menschen aus den Communities weniger interessant, da es nämlich nicht nur darum geht, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen, sondern darüber hinaus die Bedeutung dieser Ergebnisse interdisziplinär und in ihrer Praxisrelevanz und Umsetzbarkeit zu diskutieren. Dafür sind einerseits Zeit zur Diskussion und andererseits Workshops und nonabstract- driven Sessions notwendig. Denn die spannendsten wissenschaftlichen Ergebnisse bleiben ohne Wirkung, wenn sie perspektivisch von Praktikerinnen und Praktikern nicht umgesetzt werden können.

Beteiligung der Communities in der Kongressorganisation des Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongresses

1. Beteiligung der Communities an Organen/Gremien:
· Kongresspräsidium:
Zwei Sitze mit Stimmrecht für Vertreter/innen aus dem Community Board
Zwei Sitze mit Stimmrecht für Vertreter/innen aus den Dachorganisationen von Aidshilfen aus Deutschland und Österreich
· Scientific Board und Abstract Review:
Die Communities erhalten ein Drittel der Sitze im Scientific Board.
Ein Drittel der Abstract Reviewer werden durch die Communities gestellt.
· Chairs:
Alle Kongressveranstaltungen sollen mit einem Co-Chair aus den Communities besetzt werden.
· Community Scholarship Programm:
20 Scholarships (Registrierung, Reisekosten, Unterkunft) und 50 freie Kongressregistrierungen werden vom Kongress übernommen.

2. Kongressstruktur:
Kongresseröffnung: Bei bis zu vier Redner(inne)n wird ein/e Redner/in vom Community Board benannt. Bei mehr als vier Redner(inne)n sind dies entsprechend zwei Redner/innen.
Ein Drittel der Sessions werden „non abstract driven“ konzipiert.
Ein Drittel der „abstract driven“ Sessions werden interdisziplinär zusammengesetzt. Eine Session von 90-minütiger Dauer soll dabei nicht mehr als 3–4 Beiträge umfassen, um ausreichend Zeit für Diskussion zu bieten. 30 % der Session-Zeit stehen für Nachfrage und Diskussion zur Verfügung.

Wien, den 22. Juli 2010
Dr. Annette Haberl, Vorstand DAIG
Carsten Schatz, Vorstand Deutsche AIDS-Hilfe
Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Vorstand DAIG
Winfried Holz, Vorstand Deutsche AIDS-Hilfe
Michèle Meyer, Präsidentin LHIVE
Helmut Garcia Solarte-Konrad, Obmann Positiver Dialog

Only Rights Will Fix the Wrongs – Nur Rechte werden Missstände beheben Neue Maßstäbe in der Community-Beteiligung bei wissenschaftlichen Kongressen

Deutsche AIDS-Gesellschaft, Deutsche AIDS-Hilfe und Community-Vertretungen unterzeichnen Prinzipien zur Beteiligung am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress

Im Rahmen der XVIII. Internationalen Aids-Konferenz 2010 in Wien haben die Deutsche AIDS-Gesellschaft sowie die Deutsch AIDS-Hilfe e.V. (DAH), Positiver Dialog (Österreich) und LHIVE (Schweiz) einen verbindlichen Rahmen für den Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress vereinbart: Er soll die Einbindung von Menschen mit HIV/Aids nicht nur bei den Kongressen selbst, sondern bereits bei Auswahl und Gestaltung der Themenschwerpunkte langfristig stärken.

Damit erwarten wir eine Stärkung von Praxisrelevanz und Interdisziplinarität des Kongressgeschehens. Für die Beteiligung der Communities an den Kongressgremien und in der Kongressstruktur wurden verbindliche Festlegungen getroffen.
Die DAH und ihre Partnerinnen und Partner setzen damit einen wichtigen Meilenstein in der Weiterentwicklung des Prinzips der stärkeren Einbeziehung von Menschen mit HIV-Aids (GIPA) und entwickeln dadurch neue internationale Maßstäbe.

(Pressemitteilung der DAH)

siehe auch: Dokumentation: Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS-Hilfe und der Deutschen AIDS-Gesellschaft zur Beteiligung der deutschsprachigen Communities am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress

(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?

Immer wieder stehen auch in Deutschland Menschen vor Gericht mit dem Vorwurf, andere fahrlässig oder vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben. ‚Bei mir ist die Viruslast unter der Nachweisgrenze‘, mag der ein oder andere denken, sich an das EKAF-Statement und die Viruslast-Methode erinnern. Doch – wie sieht es in der Realität vor Gericht aus? Welche Bedeutung haben Viruslast und EKAF-Statement vor Gericht?  In einem Gastbeitrag beleuchten Corinna Gekeler und Karl Lemmen von der Deutschen Aids-Hilfe drei aktuelle Urteile und ihre Bedeutung.

(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht – Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?

von Karl Lemmen & Corinna Gekeler, Deutsche AIDS-Hilfe

Die deutsche Rechtsprechung weist große Unterschiede auf. Insbesondere die Viruslust unter HAART wird sehr verschieden beurteilt. Würde man die „EKAF-Kriterien“ auch als rechtstaugliche Maßstäbe 1:1 umsetzen, müsste die von den Schweizern vorgesehene Herstellung eines Informed Consent zwischen den Beteiligten nämlich auch eine Rolle spielen.
Wir  dokumentieren hier aktuelle Fälle aus der Presse und ergänzt die Bewertung eines Würzburger Urteils aus 2007 durch neue Information aus einem medizinrechtlichen Fachblatt.

Urteil 1: Fulda
Das Amtsgericht Fulda verurteilte Anfang März eine 32-Jährige zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr1. Der HIV-Positiven wurde zur Last gelegt, durch ungeschützten Sex eine Infektion ihres 41-jährigen Freunds „billigend in Kauf“ genommen zu haben. Die Frau erwartet das zweite Kind von ihrem Partner, der inzwischen wieder ungeschützten Sex mit ihr habe. Weder er noch das erste Kind wurden infiziert, jedoch ein Kind aus erster Ehe. Der Ex-Mann hatte laut Berichten in der Lokalpresse ausgesagt, seinen Nachfolger von der HIV-Infektion seiner Ex-Frau informiert zu haben. Auch die Verurteilte bestritt, über ihre Infektion gelogen oder geschwiegen zu haben.
„Zudem habe ihr eine Ärztin gesagt, die Viruslast sei so gering, dass sie nicht ansteckend sei. Doch während eines Gesprächs mit dem Richter hatte die Ärztin dieser Behauptung widersprochen. Auch ein medizinischer Sachverständiger aus Fulda, bei dem die Angeklagte in Behandlung ist, gab an, dass man eine Ansteckungsgefahr nie ganz ausschließen könne“, so die Lokalpresse.

Urteil 2: Kiel
Seit April 2010 ist ein 47-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (HIV-Übertragungen) und wegen versuchter Körperverletzung in fünf Fällen vor dem Kieler Landgericht angeklagt. Der HIV-Positive sitzt wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft. Als Zeuginnen geladene Sexpartnerinnen sagten aus, er habe in Internetforen gezielt „Sex ohne Gummi“ gesucht.
Er gibt zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Auf Anraten seines Arztes nimmt der Angeklagte jetzt wieder HIV-Medikamente, obwohl er sich über die Notwendigkeit wundere. Die Idee, dass die Viruslast ohne die Pillen wieder steigt, sei ihm nicht gekommen. Er habe sich darüber keine Gedanken mehr gemacht. Sein Arzt sagte vor Gericht aus, er habe den Mann auf die weiterhin bestehenden Risiken hingewiesen. Weitere Experten stellten dem interessierten Richter die Bedeutung der Viruslast vor, was wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde.
Voraussichtlich im Juni und Juli werden drei weitere Verhandlungstage folgen. Momentan wird ein psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten erstellt.2

Urteil 3: Würzburg
INFO erfuhr neue, interessante Details zu einem Urteil vom Landesgericht Würzburg aus dem Jahr 2007 (1) aus einem Beitrag im Fachblatt für Medizinrecht (2). Darin schreibt RA Dr. Jörg Teumer, der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Aufgrund antiretroviraler Mittel sei seine Viruslast unter der Nachweisgrenze gewesen, wodurch er davon ausgegangen war, es könne keine Übertragung stattfinden. Bei einer der Partnerinnen konnte medizinisch eine auf den Angeklagten zurückgehende HIV-Infizierung nachgewiesen werden.
Das Gericht betonte, dass bei den Sexualpartnerinnen, die über die HIV-Infektion Bescheid gewusst und dennoch mit dem angeklagten sexuell verkehrt hätten, eine strafausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung bzw. eine wirksame Einwilligung vorliege, aus der sich keine Strafbarkeit ergebe. Ein solcher „Informed Consent“ zur Selbstgefährdung bietet demnach weiterhin Schutz vor Klagen oder gar Verurteilungen – unabhängig von der Höhe der Viruslast. Aber natürlich nur, wenn die Absprache allen Beteiligten ‚erinnerlich‘ ist.
Was die Beurteilung der Viruslast im Infektionsgeschehen betrifft, gibt es nach wie vor unterschiedliche Expertenaussagen. Gerichte urteilen ebenfalls sehr unterschiedlich, wie dieses Würzburger Urteil und der Nürtinger Fall belegen.

Für den Autor Jörg Teumer trägt das LG Würzburg mit seinem Urteil dem aktuellen Behandlungsstand Rechnung: „Solange es keine 100 % sicheren wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass eine Infizierung Anderer bereits aufgrund der regelmäßigen Einnahme dieser Medikamente vollständig (!) ausgeschlossen ist, darf eine Kondombenutzung beim Sexualverkehr nicht unterbleiben und führt das Unterlassen dieser Schutzmaßnahme zur Strafbarkeit. Ärzte, Apotheker oder Mitarbeiter von Aids-Beratungsstellen etc., die dennoch einen Sexualverkehr ohne Kondombenutzung befürworten oder gar anregen, laufen daher Gefahr, sich wegen Beihilfe oder Anstiftung zu einem Körperverletzungsdelikt strafbar zu machen.“

Fazit
Die Urteile aus Fulda und Würzburg zeigen, dass das Thema Viruslast in den Gerichten angekommen ist und wie unterschiedlich es bewertet wird, nämlich meist in Abhängigkeit von der Stellungnahme der geladenen medizinischen Experten. Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.
Ein Ausweg für alle Fälle (unabhängig von der Viruslast) könnte die Herstellung eines „Informed Consent“ zum Kondomverzicht sein; denn wer im Wissen um die HIV-Infektion des Gegenübers in ungeschützten Sex einwilligt, der begeht eine „strafausschließende Selbstgefährdung“. Frage ist natürlich, wie realistisch eine Vereinbarung ist, und ob man bei Bedarf immer Papier und Bleistift zur Hand hat bzw. haben möchte, um sich vor Gericht vor eventuellen „Erinnerungslücken“ seiner Sexualpartner schützen zu können.

(1) Quellen: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,679064,00.html und http://www.fuldaerzeitung.de/newsroom/regional/Fulda-amp-Region-Ungeschuetzter-Sex-HIV-Infizierte-verurteilt%3Bart25,251310
(2) Quellen: http://breaking-news.de/blog/2010/04/05/kiel211-hiv-infizierter-bestreitet-ausreichende-kenntnis-von-ansteckungsgefahr/, http://www.kiel-informativ.de/news-442.html und ein mündlicher Bericht einer Prozessbesucherin
(3) 1 Ks 901 Js 9131/2005 25
(4) RA Dr. Jörg Teumer: Neues zum Thema Aids und Strafrecht. In: MedR 2010 Heft 1

Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!

Fortsetzung: „Kieler Urteil gegen HIV-Positiven: Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

Diskussions-Aufruf: Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS Hilfe und der Deutschen AIDS Gesellschaft zur Beteiligung der Community am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress

Die Deutsche AIDS-Hilfe DAH hat unter Beteiligung einiger weiterer Community-Vertreter/innen gemeinsam mit der DAIG Deutsche AIDS-Gesellschaft eine Erklärung zu den zukünftigen Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongressen (DÖAKs) entworfen und stellt den Entwurf zur Diskussion.

Dieser Entwurf ist hier dokumentiert – verbunden mit der von der DAH geäußerten Bitte um Kommentare und Diskussionen. Reaktionen, die binnen der nächsten vier Wochen (bis Ende Mai 2010) eingehen, fließen mit ein in die dann erfolgende Überarbeitung der Erklärung, bevor diese anschließend von DAIG und DAH unterzeichnet wird.

Hintergrund ist u.a. die Auseinandersetzung um die Community-Beteiligung 2009, in deren Verlauf sich das Community-Board sowie die Deutsche Aids-Hilfe von ihrer geplanten Beteiligung am Schweizerisch-Österreichisch-Deutschen Aids-Kongress 2009 in St. Gallen zurück gezogen hatte.

Ich bitte alle Leserinnen und Leser, diese Chance zur aktiven Beteiligung an der Zukunft der Community-Beteiligung an Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongressen zu nutzen und hier auf ondamaris mit Kommentaren, Meinungen und Hinweisen zur Entwicklung einer gemeinsamen Position beizutragen!

Ulli Würdemann, ondamaris

Gemeinsame Erklärung der Deutschen AIDS Hilfe und der Deutschen AIDS Gesellschaft zur Beteiligung der Community am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress

Auf der Grundlage der Prinzipien der AIDS-Kongresse von Genf (1998) und Essen (1999) sollen in dieser Erklärung Eckpunkte zur aktiven Beteiligung der Community am Deutsch-Österreichischen AIDS Kongress festgelegt werden. Der Begriff „Community“ wird im HIV/AIDS- Bereich unterschiedlich definiert. Wir verstehen Community in einem weiteren Sinne, der folgende Gruppen umfasst:
• Menschen, die mit HIV/AIDS leben
• Menschen, die z. B. als schwule Männer, Drogengebraucher/innen, als Migrant(inn)en in Communities leben, in denen HIV epidemiologisch relevant ist
• Menschen, die in verschiedenen Formen der Selbstorganisation Selbsthilfe und Prävention leisten
• Menschen, die als Sozialwissenschaftler/innen aus den genannten Communities mit ihrer Forschung und ihrem Engagement zur Grundlage für Selbsthilfe und Prävention beitragen
• Menschen, die professionell in AIDS Hilfen und anderen Projekten haupt- oder ehrenamtlich Selbsthilfe fördern und mittragen und in Beratung und Prävention tätig sind

Diese Gruppen bringen als Community unterschiedliche Perspektiven in den Deutsch-Österreichischen Kongress ein und müssen deshalb in die Gestaltung aktiv einbezogen werden. Der Selbstvertretung von Menschen mit HIV/AIDS kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu.

Partizipation
Community Beteiligung am Kongress geht über die reine Teilnahme von Menschen mit HIV/AIDS am wissenschaftlichen Programm weit hinaus. Die Community muss aktiv die Möglichkeit haben, ihre Perspektiven bei der Auswahl und Gestaltung von Themenschwerpunkten von Anfang an einbringen zu können. Die Struktur eines Community-Boards hat sich dabei in der Vergangenheit bewährt und soll ausgebaut werden. Das Board setzt sich aus jeweils zwei Vertreter/innen der am Kongress beteiligten Länder sowie einem/einer lokalen Vertreter/in zusammen.

Professionalität
Die Teilnahme an einem Kongress soll mit einem Zugewinn an Professionalität für alle beteiligten Gruppen verbunden sein. Dies geschieht einerseits durch Angebote, die die
Professionalität der einzelnen Disziplinen – z. B. sozialwissenschaftliche, präventionistische, pflegerische, psychosoziale – fördern. Zusätzlich sollen interdisziplinäre „Brückenangebote“ fest im Programm verankert sein, da auch die Versorgung von Menschen mit HIV/AIDS zunehmend interdisziplinär strukturiert ist.

Prävention und Sozialwissenschaft
Interdisziplinarität funktioniert, wenn sie auf den Bedürfnisssen und Kompetenzen verschiedener Fachrichtungen aufgebaut und diese selbst bestimmen können, wie der interdisziplinäre Austausch beim Kongress gestaltet werden soll. Dabei ist die Einbeziehung der Community unerlässlich für das Verständnis der medizinischen, psychosozialen und gesellschaftlichen Entwicklung auf dem Gebiet HIV/AIDS.
Primär- und Sekundärprävention, psychosoziale Beratung/Betreuung und die Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten sollen als zentrale Themen Berücksichtigung im Kongress finden. Neben quantitativen Untersuchungen sind hier aus Sicht der AIDS- und Selbsthilfen vor allem qualitative Untersuchungen von großem Interesse. Diese können beispielsweise Aufschluss über das Verhalten von Menschen und die Auswirkungen von gesellschaftlichen Verhältnissen geben und stellen eine wichtige Grundlage für die kontinuierliche Arbeit an unserem Versorgungssystem dar.

Praxisrelevanz
Die spannendsten wissenschaftlichen Ergebnisse bleiben ohne Wirkung, wenn sie perspektivisch von Praktikerinnen und Praktikern nicht umgesetzt werden können. Aus diesem Grund sind Kongresse, deren Programm ausschließlich „abstract driven“ zusammengestellt ist, für Menschen mit HIV/AIDS weniger interessant. Ihnen geht es nämlich nicht nur darum, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen, sondern darüber hinaus, die Bedeutung dieser Ergebnisse interdisziplinär und praxisnah zu diskutieren.

Beschlüsse für die Community Beteiligung am Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongress
1. Beteiligung der Community an Organen/Gremien:
• Kongresspräsidium:
Zwei Sitze mit Stimmrecht für Vertreter/innen aus dem Community Board
Zwei Sitze mit Stimmrecht für Vertreter/innen aus den Dachorganisationen von AIDS-Hilfen aus Deutschland und Österreich
• Scientific Board und Abstract Review:
Die Community erhält ein Drittel der Sitze im Scientific Board.
Ein Drittel der Abstract Reviewer werden von der Community gestellt.
• Chairs:
Alle Kongressveranstaltungen sollen mit einem Co-Chair aus der Community besetzt werden.
Community Scholarship Programm:
20 Scholarships (Registrierung, Reisekosten, Unterkunft) und 50 freie Kongressregistrierungen werden vom Kongress übernommen.

2. Kongressstruktur:
Kongresseröffnung: Bei bis zu vier Rednern wird ein/e Redner/in von der Community benannt. Bei mehr als vier Rednern sind dies entsprechend zwei Redner/innen
Ein Drittel der Sessions werden „non abstract driven“ konzepiert.
Ein Drittel der „abstract driven“ Sessions werden interdisziplinär zusammengesetzt. Eine Session von 90-minütiger Dauer soll dabei nicht mehr als 3-4 Beiträge umfassen, um ausreichend Zeit für Diskussion zu bieten.

Anmerkung 18.06.2010: Kommentierungs-Phase beendet.

Ist Aids in diesem Jahrhundert heilbar ?

Vielleicht irgendwann in diesem Jahrhundert sei Aids heilbar, macht Jürgen Rockstroh Hoffnung.

Prof. Dr. Jürgen Rockstroh ist Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft DAIG und ein in der Behandlung HIV-Infizierter sehr erfahrener Infektiologe. In einem Beitrag für ein Nachrichtenmagazin spricht er über die Möglichkeit einer Heilung der HIV-Infektion:

„vielleicht irgendwann in diesem Jahrhundert“

Prof. Jürgen Rockstroh (Foto: Uniklinik Bonn)
Prof. Jürgen Rockstroh (Foto: Uniklinik Bonn)

Zwar gebe es auch heute noch „keine allgemein verfügbare Heilungsstrategie“, aber doch zahlreiche viel versprechende Ansätze der Grundlagenforschung.

Das Nachrichtenmagazin ‚Focus‘ kündigt den Beitrag in der Rubrik ‚Forschung und Technik‘ (Ausgabe vom 1. Februar 2010) zurückhaltend an:

„Gute Frage: Ob Aids jemals heilbar sein wird, weiß Jürgen Rockstroh, Infektionsexperte der Uni-Klinik Bonn“

Nun, das Jahrhundert ist ja noch jung … und hat noch beinahe 90 Jahre … also viel Zeit, die Prophezeiung wahr werden zu lassen.
Viele HIV-Positive werden solcherlei nachdenklich lesen … schon zu oft sind ‚Versprechen‘ gemacht worden, nach baldigen wirksamen Medikamenten, nach baldigem Ende des Sterbens, nach baldiger Freiheit von Nebenwirkungen, nach baldiger Heilung … Versprechen, die sich nur zu oft in Luft auflösten.
Und Aids, vor allem kombiniert mit Heilung, ist noch immer gut geeignet um mediale Aufmerksamkeit zu erhalten.
Die Aussichten, erfolgreich an Ansätzen der Heilung (Eradikation) von HIV zu arbeiten, sind heute sicherlich größer als je zuvor – und bei aller Skepsis: möge Jürgen Rockstroh recht behalten 🙂

weitere Informationen:
TechFieber 31.01.2010: Deutsche Aids-Gesellschaft: Aids ist in diesem Jahrhundert heilbar
Focus 31.01.2010: Aids – Heilung laut Experten nicht ausgeschlossen

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