DAIG: Positive Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten

Die Deutsche Aids-Gesellschaft hat einen „erneute Stellungnahme“ zum EKAF-Statement vorgelegt. Sie stimmt darin in Teilen der Position von EKAF und DAH zu.

Am 30. Januar 2008 legte die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen ihr Statement vor (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs). Die Deutsche Aids-Hilfe stellte Anfang April 2009 in Reaktion darauf und nach umfangreichen Diskussionen ihr Positionspapier vor (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe).

Nun hat auch die Deutsche Aids-Gesellschaft eine erneute Stellungnahme vorgelegt.

Die DAIG kommt in ihrer (insgesamt 17seitigen) Stellungnahme u.a. zu folgenden Schlüssen:

„Nach unserer Bilanz ist in Abwägung der Ergebnisse der dem EKAF-Statement zugrunde liegenden Studien und aktueller Publikationen das Risiko für eine sexuelle HIV-Transmission von Menschen unter effektiver HIV-Therapie in Populationsstudien fester Partnerschaften und nach mathematischen Kalkulationen sehr gering, bleibt aber kumulativ und im Einzelfall bezifferbar und relevant.“

und

„Die DAIG unterstützt die Einschätzung, dass in festen diskordanten Partnerschaften nach eingehender Information und Beratung dem HIV-negativen Partner letztlich die Entscheidung obliegt, auf weitere Schutzmaßnahmen zu verzichten, wenn

1. die antiretrovirale Therapie (ART) durch den HIV-infizierten Menschen konsequent eingehalten und durch den behandelnden Arzt regelmäßig kontrolliert wird;
2. die Viruslast (VL) unter ART seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt;
3. keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD) bestehen.“

Zu ihrer neuen Stellungnahme sah sich die DAIG nach eigenen Angaben veranlasst „durch Internetbeiträge und anhaltende Diskussionen“ – unter anderem einen ondamaris-Artikel (Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften).

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Deutsche Aids-Gesellschaft: Erneute DAIG-Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten (Newsmeldung)

Deutsche Aids-Gesellschaft: komplette Stellungnahme (17 Seiten) als pdf

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In wesentlichen Teilen schließt sich die Deutsche Aids-Gesellschaft in ihrer neuen Stellungnahme nun dem Inhalt des Positionspapier an, das die Deutsche Aids-Hilfe vorgelegt hat. Dies ist ein erfreulicher und sehr zu begrüßender erster Schritt (ein ausführlicherer Kommentar der neuen Stellungnahme folgt hier: ‚Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier‚). Ein Schritt, der auch für Behandler und Patienten nun mehr Klarheit bringen wird.

Besonders zu begrüßen wäre es, wenn nach der DAIG (die eher die Klinischen Ärzte vertritt) nun auch die niedergelassenen Ärzte (vertreten in der DAGNÄ) sich zu einer Position durchringen könnten.

Eine gemeinsame Stellungnahme der in der Behandlung HIV-Positiver engagierten Ärztinnen und Ärzte könnte dann auch Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern eine weitere Handreichung sein, und zu einer größeren Rechtssicherheit führen.

Es wird Zeit, dass die unterschiedliche Behandlung des EKAF-Statements vor deutschen Gerichten ein Ende hat. Die niedergelassenen Ärzte sind aufgefordert, dem prinzipiell begrüßenswerten Schritt der DAIG zu folgen.

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Nachsatz: dass ein Artikel auf ondamaris die DAIG mit zu ihrer erneuten Stellungnahme veranlasst hat, erfreut den Autor … (bei aller Kritik, die die DAIG an dem Artikel äußert)

siehe auch:
DAH 08.10.2010: Neue Stellungnahme zur Infektiosiät von Patienten unter HIV-Therapie
Mit HIV leben 10.10.2010: Rechtssicherheit: Die DAIG hat ein Statement
HIV&more 15.10.2010: Neue Stellungsnahme der DAIG zum EKAF-Statement
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6 Gedanken zu „DAIG: Positive Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten“

  1. Nun ja, etwas gar zögerlich, mithin wissenschaftlich unhaltbar ist die Formulierung:

    „(…) Risiko (…) nach mathematischen Kalkulationen sehr gering, bleibt aber kumulativ und im Einzelfall bezifferbar und relevant.“

    Wenn das stimmen würde, müssten wir wohl-dokumentierte Serokonversionsfälle unter EKAF-Bedingungen haben. Das haben wir weltweit nach nun bald 3 Jahren EKAF-statement noch immer nicht. Die berechneten „Risiken“ stellen bloss obere Schranken für die uns unbekannten tatsächlichen Risikowerte dar. Letztere sind aufgrund der Datenlage sowohl im Einzelfall als auch kumulativ so was von irrelevant, sicherer geht’s gar nicht.

    Das geht mir ziemlich gegen mein wissenschaftliches Ehrgefühl.

  2. A ) Zudem gehen Mediziner und Virologen bislang nicht einhellig davon aus, dass eine Ansteckungsgefahr selbst bei konsequenter Einnahme virensenkender Medikamente auch im heterosexuellen Geschlechtsverkehr zu 100 Prozent ausgeschlossen ist. […] und es wäre unverantwortlich, wenn ein HIV-Infizierter bei kondomloser Ausübung des Geschlechtsverkehrs auf nicht gesicherte Untersuchungsergebnisse vertrauen würde.“

    . . . .

    B ) Ist eine Übertragung des Aidserregers nicht feststellbar oder nachweisbar, kommt Strafbarkeit wegen Versuchs in Betracht (BGHSt 36, S. 1 (1)).15 […] Dabei soll schon jeder potenziell gefährliche Sexualkontakt für die Begründung der Strafbarkeit ausreichen, obwohl noch keine wissenschaftliche Klarheit über die genauen physiologischen Übertragungsmechanismen für das HIV bestehe sowie darüber, wie hoch die Ansteckungswahrscheinlichkeit bei einmaligem ungeschützten Sexualverkehr mit einem infizierten Partner statistisch zu veranschlagen sei. Es sei nämlich gesichert, dass jeder ungeschützte – orale, anale oder vaginale – Sexualverkehr zur Ansteckung des Partners zumindest geeignet ist (BGHSt 36, S. 1 (8)). Dies reicht nach Ansicht des BGH für den objektiven Tatbestand des § 223 I StGB aus.“

    * * * * *

    Wenn DAIG unter A sagt , das selbst bei konsequenter Einnahme virensenkender Medikamente auch im heterosexuellen Geschlechtsverkehr eine Ansteckungsgefahr zu 100 Prozent NICHT ausgeschlossen ist, dann dürfte nach deren Verständnis B) selbst Geschlechtsverkehr mit einem Kondom = Safer Sex = Sicherer Sex als ohne Kondom bedeuten, dass selbst Sex mit Kondom keinen 100% Schutz bieten. Dieser Logik folgend kommt für einen HIV Positiven trotz Verwendung eines Kondoms Strafbarkeit wegen Versuchs in Betracht (BGHSt 36, S. 1 (1)).15 […] Dabei soll schon jeder potenziell gefährliche Sexualkontakt für die Begründung der Strafbarkeit ausreichen . . . .

    . . .das selbst Safer Sex keinen 100% Schutz bieten. Diese Logik hinkt hinten und vorne. Zum einen wird ein minimales Risiko = Safer Sex = Sex mit Kondom als nicht Strafbar bewertet und hier wird gesagt das, da auch Sex unter EKAF Bedingungen nicht 100% sicher der schon eine potenziell gefährlicher Sexualkontakt für die Begrüdung einer Strafbarkeit ausreicht.

    Dann wird es Zeit das man, wenn man sich schon auf die Magie der Zahl einläßt, klar zum Ausdruck gebracht wird, bis zu welchem Prozentsatz unter welchen Bedingungen Sex als nicht strafbar verstanden und von Gerichten bewertet werden kann. Die Experten – Sachverständige die Gerichte heranziehen um ihre Anklagen zu untermauern bewegen sich mindestens auf der fachlichen Ebene wie die Mitglieder der DAIG .

    “ Für wen ist die Botschaft?
    Die Botschaft der EKAF ist in erster Linie gedacht für Menschen, die in einer festen Partnerschaft mit einer HIV-positiven Person leben. Sie sollen informiert werden, dass sie weder Angst haben müssen, noch auf Kinder verzichten sollen, nur weil ihr Partner / ihre Partnerin HIV-positiv ist. Solange die HIV-Therapie optimal eingenommen und überwacht wird, ist keine Gefahr für den / die Partner vorhanden. Das Risiko einer Infektion unter einer optimalen Therapie muss sehr klein sein, kleiner als 1: 1 Million. Damit ist dieses Risiko etwa so gross, wie das Risiko, dass ich selbst bei meinem Flug an den nächsten AIDS-Kongress in Boston abstürzen werde. Ein mögliches Szenario, aber nicht so wahrscheinlich, als dass auf den Kongress (und natürlich den traditionellen Kongressbericht) verzichten würde.“

  3. Konsequenzen aus der EKAF Botschaft sind – so finde ich – nicht generell zu benennen.

    Es verhält sich eigentlich so, wie überall im Leben:
    Man muss individuelle Risikostrategien entwickeln und dazu stehen, damit man eine gewisse Lebensfreude überhaupt ermöglichen kann. Manche Leute rauchen, nehmen Drogen oder betreiben riskante Hobbies und nehmen dafür gewisse Risiken sehenden Auges in Kauf.

    Und so halte ich – als HIV-Positiver – passiven AV unter erfolgreicher ART für vertretbar, aktiver AV würde für mich nur mit Kondom funktionieren. Das kann ich mit meinem Gewissen vereinbaren und mit meinem Partner besprechen und so praktizieren.

    Als Privatperson kann ich das offen als Beispiel individuellen Rsikomanagements zur Diskussion stellen, aber als Vertreter einer Institution würde ich davor zurückschrecken, eine Empfehlung abzuleiten.

    Das verrückte an der ganzen Situation ist, dass mehr Wissen und verbesserte Informationsmöglichkeiten das Gegenteil von mehr Sicherheit zu produzieren scheinen. Früher ging man in dem Wald, sammelte Blaubeeren und stopfte sie sich in den Mund. Heute denkt man an Zecken, FSME, Borelliose und den Fuchsbandwurm.

    Risiken werden gesichtet, benannt und quantifiziert und aus lauter Vorsicht dürfen Kinder kaum noch ein paar Minuten unbeaufsichtigt durch die Gegend laufen. Aids wird als Risiko in unserer Gesellschaft dann auch noch an besonders exponierte Stelle gehoben, es taugt immer noch für Schlagzeilen und Schicksalsberichte, obwohl es in Westeuropa zumindest, nicht einmal als nennenswerte medizinische Herausforderung bezeichnet werden kann.
    Es gibt durchaus schwerwiegendere Erkankungen die wesentlich häufiger vorkommen, mit denen man keinen Hund hinterm Ofen hervorlocken kann.

    Oder wo wird über die Gerichtsprozesse berichtet, in denen jemand mit einer Virusinfluenza, mit einer Hepatitis-C infiziert wird?

    So frage ich mich, wie wir zu mehr Gelassenheit kommen können, was die Risiken der Teilnahme am Leben anbelangt. Früher schützte uns eine gewisse Unwissenheit vor der Überängstlichkeit und heute?

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