Sans papiers darf nicht heißen sans sanitaire

Etwa 30.0000 Bundesbürger leben ohne Krankenversicherungsschutz. Dazu gehören Selbständige, die ihre Beiträge nicht mehr zahlen konnten, Studenten, die wegen Alters oder zu langer Studiendauer aus der studentischen Krankenversicherung hinausfallen und Menschen, die mit den ganzen Formalia der Bürokratie nicht klarkommen. Für Asylbewerber sieht das Asylbewerber Leistungs Gesetz im Grunde nur eine Notversorgung vor. Dazu kommen hunderttausende bis zu einer Million Menschen, die sich im Sinne des Ausländergesetzes illegal im der BRD aufhalten und Touristen ohne Versicherungsschutz.

Alle in der Flüchtlingsarbeit Tätigen, also auch die Aidshilfen, wissen, wie schwierig es ist, im Einzelfall die Versorgung Kranker sicherzustellen. Klar die Schwerpunktpraxen und viele engagierte Ärztinnen und Ärzte versorgen auch mal einen Menschen kostenfrei, aber Laboruntersuchungen, Gerätemedizin und gar Krankenhausaufenthalte werfen immer wieder Finanzierungsprobleme auf. Anders als zum Beispiel in Frankreich, wo es staatliche Zentren zur Versorgung nicht Versicherter gibt, steht in der BRD die immerwährende Suche nach Lösungen im Einzelfall an. In einigen Städten haben die Flüchtlingsorganisationen Notambulanzen eingerichtet, die Obdachlosenhilfe engagiert sich und der Malteserorden unterhält im mehreren Städten überwiegend einmal wöchentlich geöffnete Ambulanzen, in denen Menschen untersucht betreut und mit gespendeten Medikamenten versorgt werden.

Die Aidshilfe Offenbach hat im Rahmen der interkulturellen Wochen Herrn Dr. Kauder aus Darmstadt eingeladen, der sich vorstellte, er stehe nach dreißig Jahren internistischer Tätigkeit, zuletzt als leitender Klinikarzt auf der Rentnerliste der KV Hessen. „Das war für mich aber kein Schlussstrich, sondern die Gelegenheit, jetzt meinen Traum verwirklichen, nach jahrzehntelanger strukturierter Kassenarzttätigkeit endlich einmal humanitäre Medizin zu betreiben. Auf diese Art und Weise ist zunächst als Plan und dann als Realität die Anlaufstelle Malteser Migranten Medizin MMM am Marienhospital Darmstadt entstanden.“ Getragen ist das Projekt von seiner „felsenfesten Überzeugung aller Beteiligten, dass jeder Mensch Zugang zu medizinischer Versorgung haben sollte“. Dazu benötigt man als zentrale Funktionseinheit einen Träger der Einrichtung, geeignetes ärztliches und Assistenzpersonal sowie Praxisräume. Erforderlich sind medizintechnische Infrastruktur, ein Netzwerk von Konsiliarärzten und eine Personalreserve ist erforderlich. Es werden quasi als Schutzschicht Förderer und Gönner benötigt. Für einen reibungslosen Betrieb muss der Kontakt zu Behörden und Einrichtungen hergestellt werden. Und dann bedarf es einer Öffentlichkeitsarbeit, mit der sowohl die Bevölkerung als natürlich auch die Patienten über die Existenz des Projektes informiert werden. Er schildert: „Von Anfang an bestand Klarheit, dass wir eine qualifizierte, zeitgemäße Versorgung unserer Patienten gewährleisten und nicht nur eine Barfußmedizin betreiben wollten. Dankenswerterweise erklärte sich das Krankenhaus bereit, seine Infrastruktur kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ich kann also bei Bedarf und das sogar sofort vor Ort Labor-, Röntgen- und Endoskopiediagnostik betreiben. Blutzucker- und Harnuntersuchungen machen wir in der Praxis selbst, außerdem verfügen wir dort über ein eigenes, jeweils gespendetes EKG, Spirometer und Sonographiegerät.“

„Um den Betrieb der Ambulanz rechtlich und organisatorisch abzusichern, muss sie nicht nur öffentlich akzeptiert, sondern institutionell und behördlich abgesichert sein. Nur so ist zu erreichen, dass sie später nicht mehr angegriffen oder infrage gestellt wird. Wir haben deswegen zu zahlreichen Stellen Kontakt aufgenommen und dort sowohl uns persönlich als auch unser Projekt vorgestellt. Die übliche Praxis-Eröffnungsanzeige in der Tageszeitung oder im Radio schied a priori aus, da wir einerseits keine Trittbrettfahrer anziehen wollten, andererseits unsere Botschaft kaum unsere Zielgruppe erreicht hätte. Welcher illegale Migrant liest schon das Darmstädter Echo oder hört den Hessischen Rundfunk? Die Information musste also durch Mund zu Mund Propaganda weitergegeben werden. Wichtigster Multiplikator war für uns hierbei das Interkulturelle Büro beim Sozialamt der Stadt Darmstadt, das regelmäßigen Kontakt zu fast 140 strukturierten Migrantenvereinigungen in Darmstadt hält. Glücklicherweise wurden wir dort mit offenen Armen empfangen, unser Vorhaben sogar materiell unterstützt und unsere Flyer an die Zielgruppen verteilt.“

Nach Anlaufschwierigkeiten, in denen mehr deutsche nicht Versicherte die Hilfe der Ambulanz in Anspruch nahmen sind inzwischen etwa zwei Drittel der bis zu zwanzig Patienten wöchentlich Ausländer. Das Arbeitsspektrum ist weit. Es geht von der Begleitung Schwangerer bis hin zur Sterbebegleitung krebskranker Menschen. In der dem Vortrag sich anschließenden regen Diskussion berichtete die Ärztin der MMM Frankfurt am Bürgerhospital von ihren Schwierigkeiten, Urlaubsvertretungen zu finden, von der Angst der Patienten, wenn vor der Klinik ein Polizeiauto steht. Es kam zur Sprache die Angst mancher Ärzte, sie machten sich ausländerechtlich strafbar, wenn sie Hilfe leisten. Dazu hat der Berliner Innensenator Körting klargestellt: „Ich bin der Meinung, dass die Verpflichtung zur Datenübermittlung in Fällen unerlaubten Aufenthalts gern. § 76 Abs 2 Nr. 1 AuslG abschließend und hinreichend in der bundesweit verbindlichen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 28. Juni 2000 geregelt ist. Unabhängig davon, ob es sich um die Gewährleistung medizinischer Versorgung, vorschulische oder schulische Bildung, soziale Betreuung oder ähnliches handelt, sind öffentliche Stellen im Sinne des § 2 Abs. 1-3 und 4 S.2 BDSG übermittlungspflichtig. Diese Pflicht trifft hier – also in allen Einrichtungen in städtischer Trägerschaft oder Behörden – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über die Aufnahme und Gewährung von Leistungen entscheiden und sich in diesem Zusammenhang über die Anschrift und damit auch den Aufenthaltsstatus des Betroffenen unterrichten müssen. Sonstiges Personal, das lediglich im Rahmen der Tätigkeit von dem illegalen Aufenthalt erfährt (etwa Ärzte, Erzieherinnen, Lehrer, Sozialarbeiter etc.) sind nicht übermittlungspflichtig. Nicht öffentliche Stellen – Einrichtungen in privater Trägerschaft, in Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände und der Kirchen – sind nicht zur Datenübermittlung gem. § 76 Abs. 2 AuslG verpflichtet. Das gilt auch, wenn sie aus öffentlichen Mitteln finanziert oder bezuschusst werden.“

Mitteilen kann man nur was man weiß. Und das hängt davon ab, was man fragt. Ein lebenspraktisch leicht lösbares Problem. Dennoch, die Ängste gibt es. Dies wird auch deutlich aus einer Entschließung des 108. Deutsche Ärztetages im Jahre 2005, in der festgestellt wird, dass Deutschland nicht den erforderlichen medizinischen Standards entspricht, die Versorgung durch gesetzliche Regelungen behindert. wird. Die Entschließung fordert, die politisch Verantwortlichen auf, „die medizinische Behandlung von in Deutschland lebenden Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu gewährleisten. Dazu gehört die Rechtssicherheit für Behandelnde, es muss klargestellt werden, dass ärztliche Hilfe nicht die Tatbestandsmerkmale der Beihilfe für illegalen Aufenthalt erfüllen. Die Gleichsetzung von Ärzten mit z. B. Schleppern, Schleusern und Menschenhändlern, wie aus § 96 AufenthG gefolgert werden kann, ist nicht akzeptabel. Aufzuheben ist die „Übermittlungspflicht“ für öffentliche Krankenhäuser an die Ausländerbehörden. Die Übermittlung von Daten gemäß § 87 AufenthG hat in der Regel die Abschiebung zur Folge. Die Verpflichtung zur ärztlichen Verschwiegenheit wird damit unterlaufen. Oft wird eine lebensnotwendige stationäre Behandlung aus Angst vor Abschiebung vermieden. Erforderlich ist eine Kostenregelung für die Behandlung von Menschen ohne Papiere. Die bisher übliche Praxis, die auf der kostenlosen Hilfe einzelner Ärztinnen und Ärzte oder von Krankenhäusern beruht, ist nicht ausreichend und auf Dauer finanziell nicht durchführbar. Eine Kostenübernahme durch die Sozialämter, die dann aber die Abschiebung zur Folge hat, ist keine realistische Lösung. Es ist vielmehr eine staatliche Aufgabe, allen hier lebenden Menschen eine angemessene medizinische Versorgung zu ermöglichen. “

Das fordert nicht nur die Humanität sondern ergibt sich schon daraus, dass es sträflich ist, Menschen mit zum Teil ansteckenden Krankheiten unversorgt zu lassen.

Daher die Bitte, unterstützen Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten die Ambulanzen und machen Sie ihren Einfluss geltend, dass Kranke in Deutschland fachgerecht versorgt werden, ohne aus diesem Grunde eine Abschiebung befürchten zu müssen.

(Erst-Veröffentlichung dieses Textes in der ‚posT‘ Januar 2008)