Frankreich: kaum Missbrauch der kostenlosen Gesundheitsversorgung durch ‚Illegale‘

Die kostenlose Gesundheitsversorgung für Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus in Frankreich wird kaum missbraucht. Dies ist das Ergebnis eines offiziellen Berichts der französischen Regierung.

Ein französischer Regierungsbericht kann keine Hinweise darauf feststellen, dass dem französischen Gesundheitssystem durch Betrug oder Missbrauch durch Menschen mit illegal(isiert)em Aufenthaltsstatus nennenswerter Schaden entsteht. Entsprechende Vorwürfe rechtsgerichteter französischer Politiker erweisen sich damit als weitestgehend substanzlos.

Die Berichterstatter wiesen im Gegenteil darauf hin, dass vorgeschlagene Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung Illegaler sich bald als kontraproduktiv erweisen würden. Der Bericht war bereits Ende November 2010 dem Parlament vorgestellt worden, war zunächst jedoch nicht öffentlich verfügbar (um die Debatte um eine Reform nicht zu beeinflussen, wie Beobachter vermuteten).

Analyse de l'évolution des dépenses au titre de l'aide médicale d'Etat
Analyse de l'évolution des dépenses au titre de l'aide médicale d'Etat

Frankreich hat im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten weltweit ein klar festgelegtes und kodifiziertes System, mit dem Menschen mit illegal(isiert)em Aufenthaltsstatus (in Frankreich: „sans-papiers“, ‚Papier-lose‘) Zugang zu Gesundheitsversorgung erhalten. Dieses System (Aide Médicale d’Etat) greift für Menschen, die nachweisen, dass sie sich seit mindestens drei Monaten im Land befinden und dort leben, und deren Einkommen sehr niedrig ist (unter 634€ monatlich).

Sind diese Minimal-Bedingungen erfüllt, bekommt er/sie (sowie etwaige Familienangehörige) für ein Jahr Zugang zum französischen Gesundheitssystem; nach Ablauf des Jahres kann ein erneuter Antrag gestellt werden. Ärzte und Krankenhäuser bekommen die Behandlungs-Kosten direkt vom französischen Staat erstattet.
Etwa 220.000 Personen nutzen pro Jahr die ‚Aide Médicale d’Etat‘ (AME); dem Französischen Staat entstehen hierdurch jährlich Kosten in Höhe von ca. 546 Mio. € (Wert für 2009). Auch für viele Menschen mit HIV in Frankreich, die einen ungeklärten Aufenthaltsstatus haben, ist die AME von existentieller Bedeutung.

Die AME war unter Lionel Jospin 2000 eingeführt worden, vorher galt eine Regelung auf Departement-Ebene. Der derzeitige Staatspräsident Sarkozy hatte im Januar 2007 während des Präsidentschafts-Wahlkampfes versprochen, die unentgeltliche AME beizubehalten. Allerdings wurden vom französischen Parlament im November 2010 umfangreiche Änderungen debattiert, darunter eine jährliche Eigenleistung von 30 €.

Seit Jahren wird das System AME von rechtsgerichteten Politikern angegriffen. Sie weisen auf steigende Nutzerzahlen und steigende Ausgaben hin. Sie führten dies auf weitgehenden Missbrauch und fehlende Kontrollen zurück. Hierfür konnte der Regierungsbericht keine Anzeichen finden.

Aids-Organisationen wie Aides oder ACT UP Paris kritisierten den Regierungsbericht. ACT UP Paris veranstaltete am 11. Januar 2011 eine Email-Protest-Aktion. Der Bericht sei nur ein Feigenblatt, um von einer verheerenden Reform abzulenken, die letztlich das bestehende System demontiere.

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siehe auch: ondamaris / Bernd Aretz: Sans papiers darf nicht heißen sans sanitaire

weitere Informationen:
Informationen zu Bedingungen zur Aide Médicale d’Etat
Sida Info Service: L’Aide Médicale d’Etat (AME) – Rappels et nouveauté
Alain Cordier & Frédéric Salas: Analyse de l’évolution des dépenses au titre de l’aide médicale d’Etat (pdf)
ACT UP Paris 05.01.2011: Aide Médicale d’Etat : un rapport dissimulé pour une réforme dévastatrice
aidsmap 12.01.2011: France: minimal abuse of free healthcare for undocumented migrants; reforms will undermine public health
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