Millionen-Betrug mit Aids-Medikamenten? (akt.7)

Bundesweiter Betrug mit HIV-Medikamenten im Wert von mehreren Millionen Euro, diesen Verdacht meldet die NDR-Nachrichtenwelle NDR info.

Das Bundeskriminalamt sowie mehrere Staatsanwaltschaften würden gegen mehrere Pharma-Großhändler ermitteln, berichtet NDR info. Diesen werde vorgeworfen, für Afrika bestimmte verbilligte bzw. ’subventionierte‘ Aids-Medikamente in großem Umfang umverpackt, illegal nach Deutschland gebracht und hier mit extrem hohen Gewinnen verkauft zu haben – die Medikamente wurden in Deutschland zu hier üblichen Preisen auf den Markt gebracht. Das Bundeskriminalamt BKA hat den Bericht des NDR inzwischen bestätigt.

Dabei wurden die Aids-Medikamente nach Angaben von NDR info teilweise „als sogenannte Bulkware – also lose Tabletten in Kisten und Säcken – illegal aus Südafrika über Belgien und die Schweiz nach Deutschland importiert.“

Insgesamt wurden nach Angaben eines AOK-Sprechers über 10.000 Packungen in Deutschland auf den Markt gebracht. Sie wurden an Apotheken zu einem „ungewöhnlich günstigen“ Einkaufspreis abgegeben – diese hätten eigenbtlich stutzig werden müssen.

Der finanzielle Schaden solle nach Schätzungen der AOK mindestens im zweistelligen Millionenbereich liegen. Neben Deutschland wird in diesem Verfahren auch in der Schweiz, Belgien, Südafrika und anderen Staaten ermittelt. In Deutschland sind die Staatsanwaltschaften Flensburg, Trier und Lübeck an den Ermittlungen gegen die Pharmagroßhändler beteiligt. Ermittelt wird u.a. gegen einen Pharmagroßhändler mit drei auf Sylt ansässigen Firmen sowie gegen eine Firma in Trittau.

Aufgeflogen sein soll der Betrug ursprünglich bereits im August 2009 in einer Apotheke im niedersächsischen Delmenhorst. Bei einer Packung eines Aids-Medikaments des Herstellers GlaxoSmithKline seien gefälschte Umverpackung und gefälschter Beipackzettel festgestellt worden. Dies habe sicherheitshalber zum Rückruf einer Charge geführt. Auch Boehringer Ingelheim habe 2009 und 2010 mehrere Chargen eines Aids-Medikaments zurückgerufen.

Bereits seit November 2010 ermittelt die Trierer Staatsanwaltschaft gegen ein Pharmaunternehmen wegen Verdachts auf illegalen Handel mit Aids-Medikamenten.

Die Medikamente selbst sollen in ihrer Wirksubstanz nicht gefälscht gewesen sein (andererseits zitiert der ‚Focus‘ allerdings Oberstaatsanwalt Günther Möller mit dem Hinweis auf „sehr viel niedrigeren“ Wirkstoffgehalt, allerdings „noch im Bereich der Toleranz“). Der Re-Import sowie das Inverkehrbringen in Deutschland sei jedoch nicht zulässig gewesen, heißt es. Allerdings sei zu prüfen, ob Schäden durch unterbrochene Kühlketten entstanden seien oder Haltbarkeitsdaten abgelaufen waren.

Auf eine weitere potentielle Gefahr weist die Deutsche Aids-Hilfe hin: Pharmaunternehmen haben die Möglichkeit illegaler Reimporte in den letzten Jahren immer wieder als Argument gegen die verbilligte Abgabe ihrer Präparate für ärmere Länder genutzt. Es besteht nun die Gefahr, dass die Vorbehalte wieder wachsen. Die Versorgung von HIV-Positiven mit Medikamenten könnte dadurch noch schlechter werden. Winfried Holz, DAH-Vorstandsmitglied, weist auch einen Lösungsweg: „Aus dem Skandal lässt sich etwas lernen: Wenn Pharmafirmen ihre Präparate für die Produktion von Generika freigeben, sind illegale Reimporte dieser Medikamente nicht möglich.“

Aktualisierung
24.02.2011, 20:30
: Pharmakonzern GSK bezeichnet Aussagen von NDR info als  „Spekulationen“: „Der Bericht von NDR Info enthält die Vermutung, dass die betroffenen HIV-Medikamente aus dem Hause GlaxoSmithKline für das Ausland bestimmt waren und dass durch einen Reimport angeblich extrem hohe Gewinnmargen erreicht wurden. Bei den Darstellungen in dem Bericht handelt es sich um reine Spekulationen.“ GSK wies darauf hin, dass „gefälschte Tabletten bis heute nicht gefunden wurden“. Zulassungsinhaber sei seit Oktober 2010 das gemeinsam mit Pfizer betriebene Unternehmen ViiV Healthcare. Man kooperiere  mit den Ermittlunsgbehörden. (Quelle)

25.02.2011, 08:30
Presseberichten zufolge handelt es sich bei den betroffenen Pharmafirmen u.a. um MPA Pharma (Trittau), zu der auch die Tochterfirma EmraMed gehöre (wg. Re-Import Norvir®), sowie den Pharmagroßhändler Hans-Wilhelm Sch. aus Sylt. (Quelle)

25.02.2011, 18:00
MPA Pharma aus Trittau weist die Vorwürfe des Betrugs wegen gefälschter HIV-Medikamente zurück. (Quelle)

26.02.2011, 06:00
Auch der Sylter Pharmahändler weist die Anschuldigungen zurück. Er habe ordnungsgemäß gehandelt und keine Fälschungen begangen. Geschäftsführer und Gesellschafter einer ebenfalls beschuldigten Firma aus der Vulkaneifel weisen die Anschuldigungen ebenfalls zurück. (Quelle)

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weitere Informationen:
NDR info 24.02.2011: Millionenbetrug mit HIV-Medikamenten
ntv 24.02.2011: Millionenbetrug mit Aids-MedikamentenPharmahändler unter Verdacht
Focus 24.02.2011: HIV-Medikamente – BKA ist Millionenbetrug auf der Spur
SpON 24.02.2011: HIV-Skandal – Strafverfolger gehen Millionenbetrug mit Aids-Medizin nach
Financial Times Deutschland 01.03.2011: Die infizierte Lieferkette der HIV-Medikamente
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9 Gedanken zu „Millionen-Betrug mit Aids-Medikamenten? (akt.7)“

  1. Selbst in einer so kleinen Stadt, wo ich lebe, sagt das medizinische Personal: „Na in diese Apotheke würd ich nicht gehen, die sind nicht ganz sauber….“, und ich „???“ nix Ahnung wie die das meinen. Jetzt bekommt man langsam den Durchblick.
    Es gibt also in Deutschland Leute, die mit billigem Reimport für HIV/AIDS-Patienten Schotter machen – interessant.
    „Die Medikamente waren von Hilfsorganisationen für die Behandlung von HIV-Patienten in Südafrika vorgesehen.“ (- ich zitier mal ordendlich vom NDR)

    Leute wacht auf – wir sind die Doofen, die Patienten, die Opfer und andere lassen Sektkorken knallen, weil wir zu feige und zu ängstlich sind eine ECHTE SELBSTHILFEVERTRETUNG aufzubauen. Es ist die Hilfe für HIV-Positive Menschen mit der hier Schotter gemacht wird, da werden Villen gebaut, in die Malediven gejettet und die Kreuzfahrt geordert – und wir? Wir verstecken uns aus Scham – wofür eigentlich? Daß wir um zum Weiterleben Medikamente benötigen?
    Da sind Kinder dabei, Bluter – ach ist doch wurscht, keiner muß sich da irgendwie rechtfertigen. Die, die diesen Deal gedreht haben, die haben sich zu rechtfertigen.
    Es gibt offiziell über 60.000 Menschen in Deutschland, die HIV-positiv sind – weltweit 33 Millionen – aber das sind nur Zahlen – darum geht es nicht, es geht darum, daß wir aufwachen und uns zusammentun, miteinander reden und soweit Freunde werden, daß kein Betrüger und kein Krimineller seine Machenschaften treiben kann und das kann er nur, weil wir Angst haben, nichts fordern und uns verstecken.
    Wer das liest und betroffen ist, der soll darauf hinarbeiten, das es eine ECHTE EIGENSTÄNDIGE SELBSTHILFE GIBT.
    Und redet mit hier im Internet – erhebt Euere Stimme, schreibt den ersten Text, sagt wie es Euch geht. Fangt an.

  2. Diese Sache ist echt eine Sauerrei aber gleich Schuld bei Apothekern zu suchen ist falsch gedacht. Apotheken sind ja nicht der Großhandel, auch die Apotheker sind mit den Gefälschten verpackungen getäuscht worden!!!

  3. Offenbar haben Pharmagroßhändler verbilligte Präparate für Menschen in ärmeren Ländern nach Deutschland importiert und hier in gefälschten Verpackungen mit hohen Gewinnen verkauft.

    So lässt sich z.B. die Schadenshöhe für das Unternehmen erst errechnen, wenn das gesamte Ausmaß der Fälschungen bekannt ist

    welche schadenshöhe? für wen? die pharmahersteller – in diesem Fall GSK/vivv healtcare?

    eines liegt ja wohl auf der hand. den medienberichten zufolge handelt es sich um subventionierte hiv medikamente . . .

    verstehe ich das richtig so könnte es bedeuten, (von wem subventioniert – der bundesregierung? der eu? ) das ein erheblicher betrag pro packung an die pharmahersteller gezahlt wurde. auf diesem weg war es den pharmaunternehmen möglich „hiv medikamente“ billig – für einen erschwinglichen preis ländern in afrika zur verfügung zu stellen, aber unter dem strich den vollen preis (subventioniert um auf 100 % zu kommen) erhalten haben. insofern haben die pharmahersteller keinen verlust gemacht.

  4. Mich interessiert an diesem Vorgang weniger der Umstand, dass Geschäftsleute mit allen Mitteln, die ihnen einfallen, Gewinnmaximierung betreiben und dass sie auch nicht vor strafbaren Handlungen zur Erreichung dieses Ziels zurückschrecken. Das scheint mir heutzutage fast schon gesellschaftsfähig zu sein.

    Was ich an diesem Vorgang wirklich menschenverachtend und unglaublich finde ist, dass durch diese Reimporte die Gesundheit von Menschen gefährdet und unter Umständen lebensbedrohlich beschädigt wird, da naturgemäß Medikamente, die aus Südafrika nach Europa reimportiert wurden, dort nicht vorhanden sind. Das heißt, dass Menschen mit HIV und Aids in Südafrika oder anderen armen Ländern Afrikas Behandlungsmöglichkeiten fehlen. Patienten werden dort nicht oder jedenfalls weniger mit Medikamenten versorgt, wenn die Medikamente dort nicht ankommen, weil sie reimportiert werden. Das ist aus meiner Sicht der eigentliche Skandal. Medizinisch meine ich, dass die Vorenthaltung von den Patienten eigentlich zustehenden und auch für sie vorgesehenen HIV Medikamenten beziehungsweise das Entziehen von HIV Medikamenten mit lebensbedrohlichen Gesundheitsverschlechterungen einhergehen kann. Wenn sich also dieser Verdacht erhärtet und tatsächlich nachgewiesen werden kann, dass solche Reimporte geschehen sind, muss man auch daran denken, dass einer unbestimmten Anzahl von Menschen in Südafrika beziehungsweise anderen armen Ländern in Afrika durch die Vorenthaltung beziehungsweise Entziehung von HIV Medikamenten erhebliche Gesundheitsschäden mit gegebenenfalls lebensbedrohlichen Auswirkungen zugefügt wurden.

    Da jemand, der Pharmazeut ist, die Wirkungsweise der Medikamente und die Bedeutung für die Behandlung von HIV kennt und andererseits Voraussetzung für das Betreiben eines Pharmagroßhandels ist, dass dort in gesetzlich vorgeschriebener Anzahl Pharmazeuten tätig sind, ist den Firmen beziehungsweise den Verantwortlichen dieser Umstand der gegebenenfalls lebensbedrohlichen Gefährdung von Menschen zuzurechnen. Neben dem Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz oder dem Verdacht des Betrugs muss aus meiner Sicht auch geprüft werden, ob hier strafbarer Handlungen gegen die körperliche Unversehrtheit und möglicherweise sogar gegen das Leben in Betracht kommen. Wer HIV Medikamente entzieht muss aufgrund seiner fachlichen Kenntnis damit rechnen, dass dies lebensbedrohliche Folgen für den Patienten haben kann. Es kann hier auch nicht darauf ankommen, ob den Pharmazeuten nicht jeder einzelne Patient in Südafrika oder irgendeinem anderen Land in Afrika persönlich bekannt sind, sondern der generelle Umstand muss jedem klar sein, der so etwas tut. Dieser Skandal geht aus meiner Sicht über die rein wirtschaftliche Betrachtung und über die Betrachtung der Arzneimittelsicherheit hinaus.

    Diese Sichtweise sollte man den zuständigen Ermittlern vielleicht näher bringen.

    Jacob Hösl, Köln

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